BT-Drucksache 16/12746

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/10532, 16/12713- Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDG)

Vom 23. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12746
16. Wahlperiode 23. 04. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Monika Knoche, Klaus Ernst, Dr. Petra Sitte, Wolfgang Neskovic,
Dr. Martina Bunge, Sevim Dag˘delen, Diana Golze, Inge Höger, Ulla Jelpke,
Katja Kipping, Kersten Naumann, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken),
Dr. Ilja Seifert, Frank Spieth, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/10532, 16/12713 –

Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen
(Gendiagnostikgesetz – GenDG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass genetische Untersuchungen beim Men-
schen im Wege eines Gendiagnostikgesetzes geregelt werden. Wachsende Er-
kenntnisse zu genetischen Ursachen von Erkrankungen, zu Gendiagnostik und
Behandlungsmöglichkeiten bieten reale Chancen, Menschen das Leben erträg-
licher zu machen, bergen aber auch die Gefahr von Missbrauch. Daher ist eine
gesetzliche Regelung für einen gesellschaftlich und medizinisch verantwor-
tungsvollen Umgang dringend notwendig und überfällig. Ausdrücklich zu be-
fürworten ist die Intention des Gesetzes, Nichteinwilligungsfähige vor fremd-
nützigen Eingriffen und Betroffene vor Diskriminierung zu schützen sowie das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu garantieren. Angesprochen sind
hier insbesondere Beschäftigungsverhältnisse und der Abschluss von Versiche-
rungsverträgen, das Recht auf (Nicht-)Wissen, Gewährleistung von Selbst-
bestimmung und Menschenwürde, Schutz von persönlichen Daten und Proben
vor unbefugtem Zugriff, Sicherung der Qualität bei der Durchführung von gene-
tischen Untersuchungen, Analysen und Beratungen sowie die Notwendigkeit,
einen adäquaten Umgang mit möglicherweise problematischen Ergebnissen zu
finden.

Um diese Ziele konsequent umzusetzen, muss das Gendiagnostikgesetz erwei-
tert und korrigiert werden. So müssen Bestimmungen zu genetischen Untersu-

chungen und Analysen zu Forschungszwecken durch entsprechende Regelun-
gen eingeführt werden.

Auf diesem Wege können auch datenschutzrechtliche Probleme behoben wer-
den. Im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Gendiagnostikgesetz haben
Sachverständige insbesondere die lückenhafte Zweckbindung bei der Verwen-
dung und Vernichtung genetischer Proben bemängelt.

Drucksache 16/12746 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Verbesserungs- bzw. Ergänzungsbedarfe gibt es gleichfalls im Bereich der Prä-
nataldiagnostik, bei der Befugnis zur Durchführung von Neugeborenen-Scree-
nings sowie bei den Rechtsfolgen bei Vorliegen einer Benachteiligung im Zu-
sammenhang mit einer als genetisch bedingt geltenden Krankheitsdisposition
oder Eigenschaft.

Die Erlaubnis, ab einer Lebens-, Erwerbs- und Berufsunfähigkeits- bzw. Pfle-
geversicherungssumme in Höhe von 300 000 Euro bzw. einer Jahresrente von
mehr als 30 000 Euro eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Ent-
gegennahme, der Verwendung und der Kenntnisnahme der Ergebnisse von
Gentests zu machen, stellt eine Abkehr von den grundlegenden Prinzipien der
Risikoversicherung dar und führt zu einer Diskriminierung der Betroffenen.

Gesetzliche Regelungen, die die Arbeitswelt betreffen, erscheinen ebenfalls
noch nicht ausgereift. Weshalb genetische Untersuchungen und Analysen zum
Zwecke des Arbeitsschutzes erlaubt werden sollen, ist nicht überzeugend
begründet. Daran ändert bislang auch das festgeschriebene arbeitsrechtliche
Benachteiligungsverbot nichts.

Schließlich muss die genetische Beratung um psychosoziale Aspekte erweitert
und die Vertretung von Behindertenorganisationen, der Sozialpartner, zivilge-
sellschaftlicher Gruppen und weiterer Wissenschaftsdisziplinen neben den bis-
lang dominierenden Naturwissenschaften in der Gendiagnostik-Kommission
gesichert werden.

Im eklatanten Widerspruch zu den erklärten Gesetzesintentionen stehen die Son-
derregelungen zu Abstammungsuntersuchungen für Menschen ohne deutschen
Pass und der sachfremde Sondertatbestand zur „Verhinderung illegalen Aufent-
halts und Einreise“. Danach sollen Behörden in Pass- und Aufenthaltsangelegen-
heiten genetische Untersuchungen zum Nachweis von Verwandtschaftsverhältnis-
sen verlangen dürfen. Die so gewonnenen genetischen Proben und Daten dürfen
an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. Diese Regelungen un-
tergraben das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sie folgen zudem
einem biologistischen Verständnis von Familie und sind Ausweis eines inak-
zeptablen, pauschalen Misstrauens gegenüber Menschen ohne deutsche Staats-
angehörigkeit. Damit verstoßen sie gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. fehlende gesetzliche Regelungen zu genetischen Untersuchungen im For-
schungsbereich durch ein eigenständiges Gesetz oder die Aufnahme weiterer
Paragrafen innerhalb des Gendiagnostikgesetzes zu ergänzen. Die Bestimmun-
gen zur biomedizinischen Forschung müssen den Prinzipien der Daten-
sparsamkeit, der Anonymisierung und Zweckbindung der Daten, der dezentra-
lisierten Speicherung und der informierten Einwilligung sowie der Möglichkeit
des Widerrufs der gespeicherten Daten und Proben Rechnung tragen;

2. die Verwendung der genetischen Proben für andere als den erhobenen medi-
zinischen Zweck in § 13 Absatz 2 des Gendiagnostikgesetzes auszuschlie-
ßen, insbesondere zur Verwendung in Strafverfahren bzw. Verfahren zur
Ahndung von Ordnungswidrigkeiten;

3. in Bezug auf die in § 15 des Gendiagnostikgesetzes vorgesehenen vorgeburt-
lichen genetischen Untersuchungen gemeinsam mit den Bundesländern dafür
Sorge zu tragen, dass die psychosozialen Beratungsangebote für Schwangere
sowie die Unterstützungsangebote für Eltern mit behinderten Kindern in
quantitativer wie qualitativer Hinsicht ausgebaut werden. Ferner gemeinsam
mit den Ärztekammern darauf acht zu geben, dass Ärztinnen und Ärzte im
Falle pränataler Diagnostik auf die psychosozialen Beratungsmöglichkeiten

hinweisen und umfassend ärztlich über die Tragweite einer vorgeburtlichen
genetischen Diagnostik informieren;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12746

4. die Hebammen sowie Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte als ver-
antwortliche Personen im Rahmen von Neugeborenen-Screenings, die bis-
lang hauptsächlich genetische Untersuchungen (wie bspw. Blutabnahme)
zu medizinischen Zwecken vornehmen, in § 7 Absatz 4 des Gendiagnostik-
gesetzes als Ausnahme zum umfassenden Arztvorbehalt ergänzend auf-
zunehmen, um weiterhin die fast lückenlose Untersuchung auf Stoffwech-
selerkrankungen für alle Neugeborenen zu erhalten;

5. § 7 (Arztvorbehalt) und § 10 (Genetische Beratung) des Gendiagnostik-
gesetzes dahingehend zu erweitern, dass es entsprechend qualifizierten
Apothekerinnen und Apothekern erlaubt sein kann, in enger Abstimmung
mit der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt pharmakogene-
tische Untersuchungen nach § 3 Nummer 7 Buchstabe c des Gesetzentwurfs
zu veranlassen sowie damit einhergehende Beratungsgespräche zu führen;

6. in § 4 Absatz 1 des Gendiagnostikgesetzes klarzustellen, dass alle Maßnah-
men, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, unwirksam sind;

7. das Verbot der Erhebung, Verwendung und Kenntnisnahme von geneti-
schen Untersuchungen und Analysen durch den Versicherungsgeber umfas-
send durchzusetzen und die in § 18 Absatz 1 Satz 2 des Gendiagnostikge-
setzes geregelte Ausnahme vom Offenbarungsverbot beim Abschluss einer
Lebens-, Berufsunfähigkeits-, Erwerbsunfähigkeits- und Pflegeversiche-
rung und damit die Anzeigepflicht für den Versicherungsnehmer ab einer
Versicherungssumme von 300 000 Euro bzw. einer Jahresrente von 30 000
Euro ersatzlos zu streichen;

8. in den Geltungsbereich des Gendiagnostikgesetzes neben den Beamtinnen
und Beamten des Bundes ausdrücklich auch die der Länder und Kommunen
aufzunehmen (§ 22 GenDG). Ferner sind die in § 20 Absatz 2 und 3 GenDG
vorgesehenen Genproduktanalysen bzw. zyto- und molekulargenetischen
Untersuchungen zum Arbeitsschutz zu streichen und stattdessen gemein-
sam mit den Sozialpartnern geeignetere, weniger eingriffsintensive Emp-
fehlungen zu arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen in der Gendia-
gnostikkommission zu erarbeiten;

9. die in § 23 Absatz 1 des Gendiagnostikgesetzes geregelte Zusammenset-
zung der Gendiagnostikkommission dahingehend zu modifizieren, dass Be-
hindertenorganisationen, die Sozialpartner und andere involvierte Berufs-
gruppen wie die Geburtshilfe oder Pädiatrie bei der Zusammensetzung der
Kommission berücksichtigt werden;

10. die in § 17 Absatz 8 des Gendiagnostikgesetzes vorgesehene Sonderrege-
lung beim Nachweis eines Verwandtschaftsverhältnisses in Verfahren nach
dem Pass- oder Personalausweisgesetz und in Verfahren der Auslandvertre-
tungen und der Ausländerbehörden zum Familiennachzug nach dem Auf-
enthaltsgesetz ersatzlos zu streichen. Ferner ist es den deutschen Behörden
zur Verhinderung von Diskriminierungen sozialer Kind- bzw. Vaterschaften
zu untersagen, auf genetische Daten und Proben in den oben genannten Fäl-
len zurückzugreifen, solche entgegenzunehmen oder zu verwenden. Statt-
dessen sind gesetzliche Regelungen zu erlassen, die sicherstellen, dass beim
Nachweis eines Verwandtschaftsverhältnisses bei Staatsangehörigen aus so
genannten Problemstaaten mit – aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland –
unzureichenden Urkundssystemen keine überhöhten Anforderungen
gestellt werden. Im Zweifelsfall muss demnach z. B. die Abgabe von Ver-
sicherungen an Eides statt zur Klärung der Familiensituation ausreichend
sein, wenn keine gegenteiligen Erkenntnisse vorliegen.

Berlin, den 22. April 2009
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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