BT-Drucksache 16/12685

Konkrete Schritte zur nuklearen Abrüstung jetzt einleiten - Nichtverbreitungsvertrag stärken

Vom 22. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12685
16. Wahlperiode 22. 04. 2009

Antrag
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Hans-Josef
Fell, Bettina Herlitzius, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Dr. Anton Hofreiter, Bärbel
Höhn, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Nicole Maisch, Kerstin Müller
(Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Rainder
Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Konkrete Schritte zur nuklearen Abrüstung jetzt einleiten –
Nichtverbreitungsvertrag stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die historische Prager Rede des US-Präsidenten Barack Obama stellt einen
Paradigmenwechsel dar. Der mächtigste Atomwaffenstaat unterstützt nun die
Abschaffung aller Atomwaffen und ist bereit, konkrete Schritte zur Reduzie-
rung seines Atomwaffenarsenals zu unternehmen. Die Gespräche zwischen
US-Präsident Barack Obama und seinem russischen Kollegen Dimitrij Med-
wedjew über ein Nachfolgeabkommen für den START-I-Vertrag (Vertrag zur
Verringerung der strategischen Nuklearwaffen) von 1991 sind dafür ein
wichtiger Schritt in diese Richtung.

2. Das Ziel einer atomwaffenfreien Welt gilt es von deutscher und europäischer
Seite, massiv und ggf. auch mit einseitigen Schritten zu unterstützen. Denn
nur wer selbst bereit ist, ohne Atomwaffen zu leben, kann von anderen ver-
langen, dass sie dies auch tun. Und so lange Kernwaffenstaaten oder nukleare
Teilhabestaaten behaupten, dass Atomwaffen für die eigene Sicherheit unver-
zichtbar seien, werden diese auch interessant für andere Staaten bleiben.

3. Die Ankündigung vom Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter
Steinmeier, sich für den Abzug der noch in Deutschland verbliebenen US-
Atomwaffen einzusetzen, ist lange überfällig und zu begrüßen. Diesem Ver-
sprechen müssen nun unverzüglich konkrete Schritte folgen.

4. Der von US-Präsident Barack Obama eingeläutete Paradigmenwechsel be-
deutet auch eine Wiederbelebung des Nichtverbreitungsvertrages (NVV), der
bis heute zwar einen nuklearen Dammbruch verhindern konnte, jedoch mehr
und mehr erodiert. Dies liegt vor allem an den fehlenden Fortschritten seitens

der Kernwaffenstaaten in Bezug auf die Erfüllung ihrer Verpflichtungen zur
nuklearen Abrüstung und an den systemimmanenten Doppelstandards.

5. Die Krise der letzten Jahre hat gezeigt, dass solange Kernwaffenstaaten ihrer
im NVV eingegangenen atomaren Abrüstungsverpflichtung nicht nachkom-
men und stattdessen auf nukleare Abschreckung setzen, strengere Regeln und
Kontrollen zur Nichtverbreitung von atomaren Waffen oder Materialien nicht

Drucksache 16/12685 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

durchsetzbar sind. Mit dem zuletzt verfolgten einseitigen Blick auf die Nicht-
verbreitung wurde nicht nur das eigentliche Ziel des Vertrages, nämlich eine
atomwaffenfreie Welt, sondern auch die Frage der Nichtverbreitung blo-
ckiert.

6. Um nach 2005 ein erneutes Scheitern der Überprüfungskonferenz 2010 und
damit eine fundamentale Schwächung des NVV zu verhindern, gilt es, die
nächsten Monate – insbesondere die dritte Sitzung des Vorbereitungsaus-
schusses (PrepCom) vom 4. bis 15. Mai 2009 in New York – intensiv dafür zu
nutzen, konkrete Schritte zur nuklearen Abrüstung zu formulieren und darauf
aufbauend die Universalisierung des Regimes voranzutreiben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im Rahmen der dritten Sitzung der PrepCom und bei der weiteren Vorberei-
tung der Überprüfungskonferenz 2010

a) darauf hinzuwirken, dass das Bekenntnis zu den 13 Punkten aus der 2000
Überprüfungskonferenz erneuert und konkretisiert wird, was vor allem
auch das Inkrafttreten des Atomteststoppvertrages (CTBT) und die Aus-
handlung eines umfassenden verifizierbaren Produktionsverbot für Spalt-
material zu Waffenzwecken (FMCT) beinhaltet;

b) den Verhandlungsprozess zwischen Russland und den USA über ein
Nachfolgeabkommen zum START-I-Vertrag unterstützend zu begleiten
und darauf zu drängen, dass die Obergrenze von nicht mehr als 1 000 ak-
tiven und inaktiven Sprengköpfen Atomwaffen aller Reichweiten erfasst;

c) darauf hinzuwirken, dass alle Atomwaffenstaaten auf die Weiterentwick-
lung und Modernisierung von Atomwaffen und Trägersystemen verzich-
ten. Dies gilt insbesondere auch für die europäischen Verbündeten Frank-
reich und Großbritannien;

d) mit Nachdruck für die Einrichtung eines Kernwaffenregisters, eine Be-
richtspflicht über den Stand von nuklearer Rüstung und Abrüstung im
Rahmen der Überprüfungskonferenzen, eine Offenlegung der Plutonium-
bestände und sonstigen vertrauensbildenden und die Transparenz erhö-
henden Maßnahmen im nationalen wie internationalen Bereich einzutre-
ten;

e) darauf hinzuwirken, dass Verhandlungen über eine universelle, nicht-
diskriminierende, verifizierbare und durchsetzbare Nuklearwaffenkon-
vention und praktische Vorbereitungsmaßnahmen eingeleitet werden;

2. in diesem Rahmen eigene konkrete Abrüstungsschritte zu ergreifen und

a) dem Vorbild Kanadas und Griechenlands zu folgen und auf den Abzug
amerikanischer Atomwaffen aus Deutschland zu drängen und keine Trä-
germittel für den Atomwaffeneinsatz mehr bereit zu stellen;

b) unverzüglich mit der US-Regierung Gespräche über die Modalitäten des
vom Bundesminister des Auswärtigen Dr. Frank-Walter Steinmeier ge-
forderten Abzugs der verbleibenden Waffen aufzunehmen und diese zeit-
nah – möglichst noch vor der Sitzung des NVV-Vorbereitungskomitees –
zu einem Abschluss zu bringen und in diesem Zusammenhang den eige-
nen Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe zu verkünden;

c) sich im Rahmen der NATO und EU weiterhin gegen die Stationierung von
Teilen des nationalen US-Raketenabwehrsystems in Europa auszuspre-
chen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12685

d) im Rahmen der Anfang April beschlossenen Überarbeitung des Strate-
gischen Konzepts der NATO auf eine Beendigung der nuklearen Teilhabe
insgesamt hinzuwirken und in diesem Rahmen die Frage der negativen
Sicherheitsgarantien und den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaf-
fen durch die NATO-Atomwaffenstaaten zu thematisieren;

e) innerhalb der EU und der OSZE dafür zu werben, Schritte einzuleiten, um
Europa im Einklang mit Artikel VII des NVV in eine kernwaffenfreie
Zone zu verwandeln;

3. sich im Rahmen der PrepCom und bei der weiteren Vorbereitung der Über-
prüfungskonferenz 2010 aufbauend auf den Abrüstungsmaßnahmen für eine
Stärkung und Universalisierung des NVV sowie ein Ende des diskriminieren-
den Charakters des Regimes stark zu machen und dementsprechend darauf
hinzuwirken, dass

a) eine Lösung des Atomkonflikts mit dem Iran auch weiterhin nur mit fried-
lichen Mitteln angestrebt wird;

b) im Rahmen der Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention au-
ßerhalb des NVV stehende Staaten an den NVV herangeführt werden;

c) alle NVV-Mitgliedstaaten ein Safeguards-Abkommen sowie ein Zusatz-
protokoll abschließen und ratifizieren und mehr Mittel für internationale
Inspektionen bereit gestellt werden;

d) im Rahmen der FMCT-Verhandlungen alle Bestände an waffenfähigem
Spaltmaterial unter internationale Kontrolle gestellt werden;

e) eine Einigung unter den Vertragsstaaten erreicht wird, um die Hürden für
einen Austritt aus dem NVV ohne ausreichende Begründung zu erhöhen;

f) in Zusammenarbeit mit der UN sowohl ein Anreizsystem für die Staaten
eingeführt wird, die selbst nicht anreichern und vor allem für jene, die
gänzlich auf Atomkraft verzichten, da der beste Weg zur Vermeidung von
Proliferation der gänzliche Verzicht auf Atomkraft ist. Zugleich sollten be-
stehende Sanktionsmechanismen zur Bestrafung von Verstößen gegen in-
ternationale Abrüstungs- und Nichtverbreitungsbestimmungen gestärkt
werden;

g) – um die Gefahr der Proliferation wirklich effektiv einzudämmen und
zugleich das im NVV verbriefte Recht auf einen diskriminierungsfreien
Zugang zur zivilen Nutzung von Atomenergie zu wahren – der gesamte
Brennstoffkreislauf multilateralisiert wird, wozu es in einem ersten Schritt
einer multilateralen Brennstoffbank bedarf und in einem zweiten Schritt
alle (auch bestehende) Anreichungs- und Wiederaufbereitungsanlagen
unter multilaterale Kontrolle gestellt werden.

Berlin, den 22. April 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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