BT-Drucksache 16/12494

Klärung offener Fragen im Blick auf den Emissionshandel 2013 bis 2020

Vom 25. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12494
16. Wahlperiode 25. 03. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Michael Kauch, Gudrun Kopp, Angelika Brunkhorst, Horst
Meierhofer, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter
Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. h. c. Jürgen
Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Gisela Piltz, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Daniel Volk, Christoph
Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Klärung offener Fragen im Blick auf den Emissionshandel 2013 bis 2020

Im Dezember 2008 haben das Europäische Parlament und der Europäische Rat
die EU-Emissionshandelsrichtlinie für die Handelsperiode 2013 bis 2020 be-
schlossen. Die Neufassung der Richtlinie wird erhebliche Veränderungen mit
sich bringen. Zum einen wird ein großer Teil der Produktionsanlagen unmittel-
bar emissionshandelspflichtig werden. Zum anderen werden die Emissions-
rechte für den Stromsektor vollständig im Wege der Versteigerung vergeben.

Für die anderen Sektoren (Industrieanlagen) ist eine Übergangsregelung vorge-
sehen, wonach im Jahr 2013 zunächst 80 Prozent der Menge an Zertifikaten
kostenfrei zugeteilt werden soll; in den Folgejahren soll der Versteigerungsan-
teil schrittweise erhöht werden. Die übergangsweise erfolgende entgeltfreie Zu-
teilung der Zertifikate soll nach der Methode des „Benchmarking“ erfolgen.

Für Anlagen in energieintensiven Industriesektoren, die intensivem weltweiten
Wettbewerb ausgesetzt sind und daher die Kosten für die Ersteigerung von Zer-
tifikaten nicht überwälzen können, bestünde das Risiko von Produktionsverla-
gerungen in Staaten außerhalb des Emissionshandelssystems. Um diese Verla-
gerung („Carbon Leakage“) zu vermeiden, sieht der Entwurf für die

betreffenden Industriesektoren Sonderregelungen vor. Danach dürfen diesen
Sektoren im Jahr 2013 und in jedem der Folgejahre bis 2020 Zertifikate in
Höhe bis zu 100 Prozent der Menge weiterhin kostenfrei zugeteilt werden.
Neben den unmittelbaren Auswirkungen des Emissionshandel ermöglicht es
die Richtlinie auch, energieintensiven Industrien einen Ausgleich zu gewäh-
rend, falls und soweit die Vergabe von Emissionsrechten im Versteigerungsver-
fahren Auswirkungen auf den Strompreis haben sollte. Die Antwort auf die

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Frage, ob dies tatsächlich zu erwarten ist, hängt von einer Vielzahl von Voraus-
setzungen ab. Jedenfalls werden für diesen Fall gegenwärtig konkrete Regelun-
gen für Kompensationszahlungen zugunsten energieintensiver Branchen erar-
beitet.

Die Sektoren, in denen „Carbon Leakage“ zu erwarten ist und somit Sonder-
regelungen greifen können, werden auf der Grundlage der Kriterien der Richt-
linie bis zum 30. Juni 2010 und dann alle drei Jahre erneut von der Kommission
ermittelt. Dabei ist zu beachten, dass es bei dieser Ausführung der Richtlinie
Ermessensspielräume gibt, etwa wie Branchen abgegrenzt bzw. zusammenge-
fasst werden. Dies kann für einzelne Unternehmen zu sehr unterschiedlichen
Ergebnissen führen, denn die Regelungen der neuen Emissionshandelsrichtlinie
sind dahingehend recht unbestimmt. Die Ausführung der Richtlinie ist inhalt-
lich somit durchaus politisch.

Beachtlich ist dabei, dass die Kommission bei der Festlegung von Benchmarks
und Sonderregelungen nicht allein handelt. Vielmehr sollen entsprechende
Festlegungen auf europäischer Ebene im Wege des Systems der Verwaltungs-
und Expertenausschüsse unter Vorsitz der EU-Kommission erfolgen („Komito-
logie“). Problematisch am Komitologieverfahren ist unter anderem, dass die
auf diesem Wege beschlossenen Maßnahmen wie Verwaltungsentscheidungen
wirken, wobei ein Rechtsschutz der Betroffenen jedoch nur bei Einzelfallent-
scheidungen gewährleistet ist. Die Zusammensetzung der Ausschüsse und der
Verfahrensablauf gelten allgemein als wenig transparent. Außerdem sehen die
Komitologieverfahren keine Anhörung von Verbänden oder anderen betroffe-
nen Kreisen vor.

Das Komitologieverfahren bedeutet schließlich, dass die Bundesregierung an
den Entscheidungen mitwirkt. Die Bundesregierung trägt somit politische Ver-
antwortung für Fragen wie die Branchenabgrenzung und somit für die konkre-
ten Auswirkungen der Richtlinie auf diverse energieintensive Unternehmen in
der Bundesrepublik Deutschland.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche der energieintensiven Industrien in der Bundesrepublik Deutschland,
wie beispielsweise die chemische Industrie, die Stahl-, Nichteisenmetall-,
Baustoff-, Glas- und Papierindustrie, sieht die Bundesregierung aus welchen
Gründen als wichtige, dem internationalen Wettbewerb ausgesetzte ener-
gieintensive Industriebranchen an („exposed sectors“)?

2. Wie viele Arbeitsplätze sind in der Bundesrepublik Deutschland in diesen
energieintensiven Industrien und in der damit verbundenen weiterverarbei-
tenden Industrie von der weiteren Ausgestaltung der noch offenen Regelun-
gen des Emissionshandels betroffen?

3. Welche im Zusammenhang mit dem Emissionshandel bedeutsamen Ent-
scheidungen werden im Einzelnen in konkret jeweils welcher Art von Komi-
tologieverfahren getroffen (Beratungsverfahren, Verwaltungsverfahren und
einfaches bzw. kontrolliertes Regelungsverfahren), und was zeichnet die
jeweiligen Verfahren hinsichtlich der Beteiligungs- und Kontrollmöglich-
keiten von Rat und Parlament sowie hinsichtlich der Mitwirkungsrechte be-
troffener Kreise aus?

4. Wie bewertet die Bundesregierung den Sachverhalt, dass die eingangs ge-
nannten Entscheidungen zur künftigen Ausgestaltung des Emissionshandels
im Komitologieverfahren erfolgen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12494

5. Welche konkreten Ziele verfolgt die Bundesregierung bei der Begleitung
des Komitologieverfahren auf europäischer Ebene insbesondere im Hin-
blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrien in der
Bundesrepublik Deutschland, und auf welche Weise gedenkt die Bundes-
regierung die davon berührten Interessen wahrzunehmen bzw. zu wahren?

6. Welche unterschiedlichen Branchenabgrenzungen im Blick auf die Sonder-
regelungen für energieintensive Branchen werden derzeit von der Kom-
mission oder den Mitgliedstaaten vertreten?

7. Liegen der Kommission und den Mitgliedstaaten alle erforderlichen Daten
für die Definition der „exposed sectors“ sowie der „Benchmarks“ vor, oder
müssen von den Unternehmen – ggf. welche – Daten neu erhoben werden?

8. Welche „Benchmarks“ wird die Bundesregierung, wie von der Richtlinie
gefordert, in den Diskussionsprozess einbringen?

9. Welche Maßnahmen erwägt die Bundesregierung, um Strompreiserhöhun-
gen für energieintensive Unternehmen – wie von der Richtlinie vorgesehen –
ggf. auf nationaler Ebene auszugleichen, und was sind die Vorzüge bzw.
Nachteile der betreffenden Maßnahmen?

10. Für welche Wirtschaftsbereiche soll eine Kompensation unter jeweils wel-
chen Bedingungen vorgesehen werden?

11. Welche konkreten Vorstellungen hat die Bundesregierung darüber, auf wel-
che Weise Kompensationszahlungen für die indirekten Belastungen be-
rechnet werden sollen?

12. Auf welche Weise sollen nach Auffassung der Bundesregierung jene Anla-
gen identifiziert werden, die für eine Kompensation in Betracht kommen?

13. Ab wann wird eine Kompensation voraussichtlich erfolgen?

14. Welche Schritte plant die Bundesregierung, um eine nationale Kompensa-
tionsregelung beihilferechtlich abzusichern?

15. Was unternimmt die Bundesregierung, um kurzfristig Planungssicherheit
für die betroffenen Unternehmen zu schaffen und einen „Investitions-
Attentismus“ zu vermeiden?

16. Soll die betroffene Industrie nach Auffassung der Bundesregierung in den
Prozess der Umsetzung der Emissionshandelsrichtlinie einbezogen wer-
den?

Wenn nein, weshalb nicht, und wenn ja, auf welche Weise soll dies erreicht
bzw. sichergestellt werden?

17. Wäre es nach Einschätzung der Bundesregierung mit den durch die Emis-
sionshandelsrichtlinie vorgegebenen Spielräumen vereinbar, wenn bei den
Kriterien zu „exposed sectors“ nicht nur die Handelsintensität der betref-
fenden Güter auf der Grundlage von Import- und Exportströmen zugrunde
gelegt würde, sondern – insbesondere bei der energieintensiven Herstel-
lung chemischer Grundstoffe – auch die Relation der Kosten einer Herstel-
lung in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zum Welthandels-
preis berücksichtigt würde, und wenn ja, wie bewertet die Bundesregie-
rung diesen Vorschlag?

Berlin, den 24. März 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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