BT-Drucksache 16/12394

Heterosexuelle Männer sowie homosexuelle Frauen und Männer als Opfer "arrangierter" Ehen bzw. von Zwangsverheiratungen

Vom 23. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12394
16. Wahlperiode 23. 03. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Josef Philip
Winkler, Monika Lazar, Jerzy Montag, Silke Stokar von Neuforn und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Heterosexuelle Männer sowie homosexuelle Frauen und Männer als Opfer
„arrangierter“ Ehen bzw. von Zwangsverheiratungen

Von „arrangierten“ Ehen bzw. von Zwangsverheiratungen sind in Deutschland
zum ganz überwiegenden Teil Frauen betroffen. Aber immer wieder werden
hierzulande auch heterosexuelle Männer bzw. homosexuelle Frauen und Män-
ner dazu gezwungen, entgegen ihren individuellen Wünschen zu heiraten. Auch
sie können demnach Opfer von Zwangsehen werden.

Viele der heterosexuellen Männer bzw. der homosexuellen Frauen und Männer,
die gezwungenermaßen verheiratet werden sollen, sind an Leib und Leben be-
droht bzw. sozial existentiell gefährdet.

Dieses bedauerliche Faktum ist – ausweislich der vom Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Jahr 2007 herausgegebe-
nen Publikation „Zwangsverheiratung in Deutschland“ – eine Forschungslücke.

So gibt es zur Situation von jungen Lesben, Schwulen und heterosexuellen
Männern in diesem Kontext bislang keine gesicherten statistischen Daten. Ex-
emplarisch lässt sich nur auf entsprechende Erfahrungsberichte von Beratungs-
stellen verweisen. So waren z. B. 14 Prozent der Personen, die sich 2007/2008
hilfesuchend an die Onlineberatung des Mädchenhauses Bielefeld gewandt hat-
ten, 28 junge Männer (www.zwangsheirat-nrw.de/pages/news.html).

Eine spezifische Betroffenengruppe sind homosexuelle Frauen und Männer. Sie
werden von ihren Familien in heterosexuelle Ehen genötigt. Für sie stellt der
familiäre Druck auf die heterosexuelle Ehe einen Zwang an sich dar (vgl.
hierzu den Beitrag von Anne Thiemann in dem o. g. Forschungsband „Zwangs-
verheiratung im Kontext gleichgeschlechtlicher Lebensweisen. Erfahrungen
aus der Beratungsarbeit“).

Es bedarf zum Schutze dieser Menschen dringend fachlich qualifizierter, inter-
kultureller Präventions-, Beratungs- und Schutzangebote. Diese sollten auf die
spezifischen Bedürfnisse der weiblichen, aber auch der männlichen bzw. der
schwulen und lesbischen Betroffenen zugeschnitten sein, damit umgehend und
adäquat reagiert werden kann.

Benötigt werden zudem besondere Sensibilisierungs- und Aufklärungskampag-
nen. Hierzu gehört auch eine gezielte Aus-, Fort- und Weiterbildung von Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern der Familienberatungsstellen, von Lehrerinnen
und Lehrern und von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern darüber, dass
Mädchen und Frauen – aber eben auch heterosexuelle Männer sowie homose-
xuelle Frauen und Männer – in Deutschland von „arrangierten“ Ehen bzw. von
Zwangsehen bedroht sind.

Drucksache 16/12394 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die im Februar 2009 ebenfalls vom BMFSFJ herausgegebene Handreichung
„Zwangsverheiratung bekämpfen – Betroffene wirksam schützen“ kommt auf
Seite 41 zu der diesbezüglich ernüchternden Feststellung: „Spezielle Schutz-
einrichtungen gibt es bisher weder für hetero- noch homosexuelle Männer noch
für Paare“.

Dies ist deswegen verwunderlich, weil die zuständige Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, im Jahr 2007
(in ihrem Vorwort zu dem o. g. Forschungsband ihres Hauses) noch vollmundig
angekündigt hatte, künftig bei der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen
„stärker auch die Rolle der Männer zu berücksichtigen“ und auch für diese
Männer „wirksamen Schutz [zu] gewährleisten“.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, in welchem Ausmaß ho-
mosexuelle Männer und Frauen bzw. heterosexuelle Männer in Deutschland
von „arrangierten“ Ehen bzw. von Zwangsverheiratungen betroffen sind?

2. Wie viele Strafverfahren in Deutschland hatten nach Kenntnis der Bundesre-
gierung seit dem Jahr 2005 eine Zwangsverheiratung von Männern zum Ge-
genstand?

In wie vielen Fällen kam es diesbezüglich zu einer rechtskräftigen Verurtei-
lung der Täter?

3. In wie vielen Strafverfahren in Deutschland ging es nach Kenntnis der Bun-
desregierung seit dem Jahr 2005 um die Zwangsverheiratung von homo-
sexuellen Männern bzw. Frauen?

4. War der Umstand, dass in Deutschland auch heterosexuelle Männer bzw.
Schwule und Lesben in Deutschland von „arrangierten“ Ehen bzw. von
Zwangsverheiratungen betroffen sind, Bestandteil des Nationalen Integra-
tionsplans?

Wenn ja, inwiefern?

Wenn nein, warum nicht?

5. Hat die Bundesregierung etwas unternommen, um die diesbezügliche For-
schungslücke (z. B. durch eine Hell- und Dunkelfelduntersuchung) zu
schließen?

Wenn ja, was hat die Bundesregierung, mit welchem Ergebnis unternom-
men?

Wenn nein, warum nicht?

6. In welchen Bundesländern bzw. durch welche Nichtregierungsorganisationen
(NROs) wurden – nach Kenntnis der Bundesregierung – seit 2005 Sensibili-
sierungs- und Aufklärungskampagnen durchgeführt bezüglich der Tatsache,
dass Mädchen und Frauen – aber eben auch heterosexuelle Männer sowie
homosexuelle Frauen und Männer – in Deutschland von „arrangierten“ Ehen
bzw. von Zwangsehen bedroht sind?

Hat die Bundesregierung diese Sensibilisierungs- und Aufklärungskampag-
nen mit unterstützt, bzw. hat die Bundesregierung konkrete Pläne, derartige
Kampagnen zu unterstützen, und wenn nein, warum nicht?

7. In welchen Bundesländern bzw. durch welche NROs wurde – nach Kenntnis
der Bundesregierung – seit 2005 gezielte Aus-, Fort- und Weiterbildung von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Familienberatungsstellen, von Leh-
rerinnen und Lehrern und von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern
durchgeführt, bezüglich der Tatsache, dass Mädchen und Frauen – aber eben

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12394

auch heterosexuelle Männer sowie homosexuelle Frauen und Männer – in
Deutschland von „arrangierten“ Ehen bzw. von Zwangsehen bedroht sind?

Hat die Bundesregierung diese Bildungsangebote mit unterstützt, bzw. hat
die Bundesregierung konkrete Pläne, derartige Kampagnen zu unterstützen,
und wenn nein, warum nicht?

8. Hat die Bundesregierung seit 2007 begonnen, fachlich qualifizierte, inter-
kulturelle Präventions-, Beratungs- und Schutzeinrichtungen für hetero-
sexuelle Männer bzw. für homosexuelle Frauen und Männer (respektive für
hetero- und homosexuelle Paare), die in Deutschland von „arrangierten“
Ehen bzw. von Zwangsehen bedroht sind, mit zu initiieren, zu koordinieren
bzw. finanziell zu unterstützen, und wenn nein, warum nicht?

Inwiefern hat die Bundesregierung bei ihren Maßnahmen gegen Zwangsver-
heiratungen die Erfahrungen und Fachkompetenz des Lesben- und Schwu-
lenverbandes in Deutschland (LSVD) oder anderer Lesben- und Schwulen-
organisationen mit einbezogen?

Berlin, den 23. März 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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