BT-Drucksache 16/12345

Entwurf eines Gesetzes zur Herabsetzung des Wahlalters im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz

Vom 19. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12345
16. Wahlperiode 18. 03. 2009

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Britta
Haßelmann, Krista Sager, Grietje Staffelt, Ute Koczy, Jerzy Montag, Alexander
Bonde, Manuel Sarrazin, Josef Philip Winkler, Omid Nouripour, Thilo Hoppe, Silke
Stokar von Neuforn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Herabsetzung des Wahlalters im Bundeswahlgesetz
und im Europawahlgesetz

A. Problem

Jugendliche sind Trägerinnen und Träger eigener demokratischer Grundrechte.
Im Hinblick auf das demokratische Prinzip müssen sie ihre Grundrechtsposition
bereits zu dem Zeitpunkt ausüben können, zu dem sie die hierfür erforderliche
Einsichtsfähigkeit besitzen. Die insoweit bisher für die Ausübung des aktiven
Wahlrechtes geltende Grenze der Vollendung des 18. Lebensjahres ist zu hoch
angesetzt. Denn Jugendliche verfügen regelmäßig bereits zu einem früheren
Zeitpunkt über die Fähigkeit, sich eine eigene politische Meinung zu bilden. Be-
leg hierfür ist auch, dass die Rechtsordnung Jugendlichen bereits deutlich vor
Erreichung der Volljährigkeit die Möglichkeit gibt, umfassend Entscheidungen
im Bereich ihrer Religionsausübung zu treffen (siehe Gesetz über die religiöse
Kindererziehung).

B. Lösung

Die bisher im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz für die Ausübung
des aktiven Wahlrechtes festgesetzte Grenze der Vollendung des 18. Lebensjah-
res wird maßvoll auf das 16. Lebensjahr herabgesetzt. Die verfassungsrecht-
lichen Voraussetzungen hierfür schafft der gleichzeitig eingebrachte Gesetzent-
wurf zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 38).

C. Alternativen

Andere Lösungsmöglichkeiten zur Stärkung des demokratischen Prinzips sind
nicht ersichtlich. Insbesondere ist das sogenannte Kinder-, Eltern- bzw. Fami-
lienwahlrecht keine Lösung. Denn es stärkt nicht die Rechte der Jugendlichen,

sondern die Stimmmacht der Eltern. Damit verstößt es gegen den Grundsatz der
Gleichheit der Wahl.

D. Kosten

Keine

Drucksache 16/12345 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Herabsetzung des Wahlalters im Bundeswahlgesetz
und im Europawahlgesetz

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Bundeswahlgesetzes

Das Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), zuletzt ge-
ändert durch …, wird wie folgt geändert:

In § 12 Absatz 1 Nummer 1 wird das Wort „achtzehnte“
durch das Wort „sechzehnte“ ersetzt.

Artikel 2

Änderung des Europawahlgesetzes

Das Europawahlgesetz in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 8. März 1994 (BGBl. I S. 423, 555), zuletzt ge-
ändert durch …, wird wie folgt geändert:

Berlin, den 19. März 2009

Renate Künast, Fritz Kuh
§ 6 wird wie folgt geändert:

In Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3 Nummer 1 wird jeweils
das Wort „achtzehnte“ durch das Wort „sechzehnte“ ersetzt.

Artikel 3

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2010 in Kraft.

n und Fraktion

sein wie der der Jüngeren. Zur Ermöglichung eines fairen
wohnende Unionsbürger gelten.
Interessenausgleichs zwischen den Generationen ist eine
Absenkung des Wahlalters deshalb sinnvoll und notwendig.
Die Senkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre erweitert

Zu Artikel 3

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Als Zeit-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12345

Begründung

A. Allgemeines

Jugendliche sind Trägerinnen und Träger eigener demokrati-
scher Rechte, die gewährleistet und deren tatsächliche Um-
setzung gefördert werden müssen. Der nachhaltigste und ele-
mentarste Weg zu einer stärkeren Partizipation und zu einer
breiteren politischen Teilhabe in einer Demokratie ist das
Wahlrecht. Ein früheres Wahlrecht ist ein klares Signal unse-
rer Gesellschaft an die junge Generation, dass sie von zentra-
len politischen Zukunftsentscheidungen nicht weiterhin aus-
geschlossen wird.

Aufgrund der heute viel früher im Lebenslauf einsetzenden
Jugendphase stellt sich zunehmend die Frage, ob und in
welchem Umfang das Wahlrecht auf allen politischen Ebe-
nen – also auch auf der bundespolitischen – vorverlagert
werden sollte. Ergebnisse der Jugendsozialisations- und Ent-
wicklungsforschung belegen, dass die Selbständigkeit Ju-
gendlicher durch veränderte Bedingungen des Aufwachsens
zugenommen hat. Jugendliche sind beispielsweise in ihren
Familien zunehmend in Aushandlungsprozesse einbezogen
und werden im Zuge gesellschaftlicher Umbrüche immer
früher mit Entscheidungssituationen konfrontiert. Jugend-
liche sind daneben die Generation, die sich durch die höchste
Engagementbereitschaft auszeichnet und sich überdurch-
schnittlich häufig zivilgesellschaftlich und bürgerschaftlich
engagiert. Sie zeigen durch ihre Mitarbeit in Jugendverbän-
den, Initiativen und anderen Beteiligungsformen ihre Ein-
satzbereitschaft für die zukunftsfähige Entwicklung unserer
Gesellschaft. Es bestehen daher keine Zweifel, dass Jugend-
liche von ihrer sozialen Kompetenz, ihrer Reife und ihrer in-
tellektuellen Urteilsfähigkeit her früher als mit 18 Jahren
politisch entscheidungsfähig sind. Daher ist es nicht be-
gründbar, warum den 16- und 17-jährigen Bürgerinnen und
Bürgern das Wahlrecht vorenthalten wird. Die Berechtigung
zur Beteiligung an öffentlichen Wahlen sollte deswegen
nicht länger an das heutige Volljährigkeitsalter von 18 Jahren
gebunden werden, sondern auch 16- und 17-Jährigen ermög-
licht werden.

Eine zentrale Herausforderung der alternden und schrump-
fenden Gesellschaft ist es, einen fairen Interessenausgleich
zwischen den Generationen zu schaffen. Die Interessen
nachfolgender Generationen werden jedoch heute häufig
ignoriert und strukturell vernachlässigt. Im Zuge des demo-
grafischen Wandels könnte sich diese Fehlentwicklung wei-
ter verschärfen: Junge Menschen werden in unserer Gesell-
schaft immer mehr zur Minderheit. Die Generationenschich-
tung wandelt sich in den kommenden Jahren und Jahr-
zehnten gravierend. Bereits im kommenden Jahr werden
erstmals weniger Jugendliche unter 20 Jahren als Menschen
über 65 Jahren in Deutschland leben. Im Jahr 2050 wird der
Anteil der Älteren in der Gesellschaft fast doppelt so hoch

kultur ihnen gegenüber ist unangemessen, Jugendliche ver-
dienen stattdessen das Vertrauen der älteren Generationen.

Jede Wahlaltersgrenze ist politisch festzulegen und bedarf
einer gesellschaftlichen und politischen Diskussion, da es
eine objektiv messbare „Reife zur Wahl“ nicht gibt. Dieses
Problem kann das immer wieder diskutierte Familienwahl-
recht oder „Wahlrecht ab 0“ keinesfalls lösen. Ein durch die
Eltern ausgeübtes Stellvertreter-Wahlrecht ist ohne die Ver-
letzung elementarer demokratischer Rechte nicht umsetzbar.
Es widerspricht demokratischen Grundsätzen wie etwa dem
der Gleichheit der Wahl. Die Wahlentscheidung muss per-
sönlich getroffen werden. Der politische Wille ist nicht über-
tragbar. Nur die Absenkung des selbst ausgeübten aktiven
Wahlalters trägt zur Verwirklichung und Stärkung der demo-
kratischen Rechte Jugendlicher bei.

Ziel muss es sein, dass Jugendliche selbst früher wählen kön-
nen – nicht ihre Eltern je nach Kinderzahl. Unabhängig da-
von, dass ein überwiegender Teil der Jugendlichen reif für
politische Entscheidungen ist, bedarf es bei allen Jugend-
lichen – insbesondere den politikferneren – einer Verstär-
kung der politischen Bildung. Die Absenkung des Wahl-
alters muss daher durch verbesserte politische Bildung in
Schulen, Jugendeinrichtungen, Elternhäusern und Medien
flankiert werden. Der Bedarf und das Interesse an qualifi-
zierten Informationen über die Funktionsweisen unseres de-
mokratischen Systems sind bereits heute groß und werden
mit einem früheren Wahlrecht bei Jugendlichen weiter stei-
gen. Das frühere Wahlrecht ist zudem von weiteren Maßnah-
men zur politischen Beteiligung von Kindern und Jugend-
lichen auf allen politischen Ebenen zu begleiten (siehe
Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Partizi-
pation von Kindern und Jugendlichen stärken – mehr Kin-
der- und Jugendfreundlichkeit durch eine neue Beteiligungs-
kultur“, Bundestagdrucksache 16/3543 vom 22. November
2006). Die Erweiterung der Wahlrechtsmöglichkeiten für Ju-
gendliche ist somit nicht nur ein Gewinn an Selbstbestim-
mung und Teilhabechancen, sondern trägt auf diese Weise
zur Verbesserung und Belebung der demokratischen Kultur
der gesamten Gesellschaft bei.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1

Bei Bundestagswahlen wird das Wahlalter für das aktive
Wahlrecht auf die Vollendung des 16. Lebensjahres herabge-
senkt.

Zu Artikel 2

Die Herabsetzung des Wahlalters soll auch bei Europawah-
len und hier gleichermaßen für Deutsche und in Deutschland
die demokratischen Teilhabemöglichkeiten Jugendlicher um
einen grundlegenden und essenziellen Bereich. Misstrauens-

punkt des Inkrafttretens wurde bewusst ein Termin nach den
Wahlen dieses Jahres gewählt; dies vor allem, um den Trä-

Drucksache 16/1234 destag – 16. Wahlperiode

5 – 4 – Deutscher Bun

gern der Bildungsarbeit, den Schulen, Jugendeinrichtungen
und auch den Betroffenen selbst eine hinreichende Zeit zu
geben, um sich auf die neu auf sie zukommende Verantwor-
tung vorzubereiten. Im Übrigen soll das Gesetz erst nach der
erforderlichen Verfassungsänderung in Kraft treten. Im Ver-
fahren ist sicherzustellen, dass auch die Verkündung erst
nach der Verfassungsänderung erfolgt (vgl. BVerfGE 32,
199, 212; 34, 9, 24 f.).

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