BT-Drucksache 16/12344

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 38)

Vom 19. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12344
16. Wahlperiode 18. 03. 2009

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Britta
Haßelmann, Krista Sager, Grietje Staffelt, Ute Koczy, Jerzy Montag, Alexander
Bonde, Manuel Sarrazin, Josef Philip Winkler, Omid Nouripour, Thilo Hoppe,
Silke Stokar von Neuforn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 38)

A. Problem

Jugendliche sind Trägerinnen und Träger eigener demokratischer Grundrechte.
Im Hinblick auf das demokratische Prinzip müssen sie ihre Grundrechtsposition
bereits zu dem Zeitpunkt ausüben können, zu dem sie die hierfür erforderliche
Einsichtsfähigkeit besitzen. Die insoweit bisher für die Ausübung des aktiven
Wahlrechtes geltende Grenze der Vollendung des 18. Lebensjahres ist zu hoch
angesetzt. Denn Jugendliche verfügen regelmäßig bereits zu einem früheren
Zeitpunkt über die Fähigkeit, sich eine eigene politische Meinung zu bilden. Be-
leg hierfür ist auch, dass die Rechtsordnung Jugendlichen bereits deutlich vor
Erreichung der Volljährigkeit die Möglichkeit gibt, umfassend Entscheidungen
im Bereich ihrer Religionsausübung zu treffen (siehe Gesetz über die religiöse
Kindererziehung).

B. Lösung

Die bisher in der Verfassung für die Ausübung des aktiven Wahlrechtes fest-
gesetzte Grenze der Vollendung des 18. Lebensjahres wird maßvoll auf das
16. Lebensjahr herabgesetzt. Zur erforderlichen einfachgesetzlichen Umsetzung
dieser Grundgesetzänderung wird parallel zum vorliegenden Entwurf ein Ände-
rungsvorschlag zur Änderung des Bundeswahlgesetzes eingebracht.

C. Alternativen

Andere Lösungsmöglichkeiten zur Stärkung des demokratischen Prinzips sind
nicht ersichtlich. Insbesondere ist das sogenannte Kinder-, Eltern- bzw. Fami-
lienwahlrecht keine Lösung. Denn es stärkt nicht die Rechte der Jugendlichen,

sondern die Stimmmacht der Eltern. Damit verstößt es gegen den Grundsatz der
Gleichheit der Wahl.

D. Kosten

Keine

Drucksache 16/12344 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 38)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Absatz 2 des Grund-
gesetzes ist eingehalten:

Artikel 1

Änderung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in
der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1,
veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch
… wird wie folgt geändert:

In Artikel 38 Absatz 2 wird das Wort „achtzehnte“ durch das
Wort „sechzehnte“ ersetzt.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am 31. Dezember 2009 in Kraft.

Berlin, den 19. März 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Interessenausgleichs zwischen den Generationen ist eine
Absenkung des Wahlalters deshalb sinnvoll und notwendig.

Wahlen dieses Jahres gewählt; dies vor allem, um den Trä-
gern der Bildungsarbeit, den Schulen, Jugendeinrichtungen
Die Senkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre erweitert
die demokratischen Teilhabemöglichkeiten Jugendlicher um

und auch den Betroffenen selbst eine hinreichende Zeit zu
geben, um sich auf die neu auf sie zukommende Verantwor-
Begründung

A. Allgemeines

Jugendliche sind Trägerinnen und Träger eigener demokra-
tischer Rechte, die gewährleistet und deren tatsächliche Um-
setzung gefördert werden müssen. Der nachhaltigste und ele-
mentarste Weg zu einer stärkeren Partizipation und zu einer
breiteren politischen Teilhabe in einer Demokratie ist das
Wahlrecht. Ein früheres Wahlrecht ist ein klares Signal unse-
rer Gesellschaft an die junge Generation, dass sie von zentra-
len politischen Zukunftsentscheidungen nicht weiterhin aus-
geschlossen wird.

Aufgrund der heute viel früher im Lebenslauf einsetzen-
den Jugendphase stellt sich zunehmend die Frage, ob und
in welchem Umfang das Wahlrecht auf allen politischen
Ebenen – also auch auf der bundespolitischen – vorver-
lagert werden sollte. Ergebnisse der Jugendsozialisations-
und Entwicklungsforschung belegen, dass die Selbständig-
keit Jugendlicher durch veränderte Bedingungen des Auf-
wachsens zugenommen hat. Jugendliche sind beispielsweise
in ihren Familien zunehmend in Aushandlungsprozesse ein-
bezogen und werden im Zuge gesellschaftlicher Umbrüche
immer früher mit Entscheidungssituationen konfrontiert.
Jugendliche sind daneben die Generation, die sich durch die
höchste Engagementbereitschaft auszeichnet und sich über-
durchschnittlich häufig zivilgesellschaftlich und bürger-
schaftlich engagiert. Sie zeigen durch ihre Mitarbeit in
Jugendverbänden, Initiativen und anderen Beteiligungsfor-
men ihre Einsatzbereitschaft für die zukunftsfähige Entwick-
lung unserer Gesellschaft. Es bestehen daher keine Zweifel,
dass Jugendliche von ihrer sozialen Kompetenz, ihrer Reife
und ihrer intellektuellen Urteilsfähigkeit her früher als mit
18 Jahren politisch entscheidungsfähig sind. Daher ist es
nicht begründbar, warum den 16- und 17-jährigen Bürgerin-
nen und Bürgern das Wahlrecht vorenthalten wird. Die Be-
rechtigung zur Beteiligung an öffentlichen Wahlen sollte
deswegen nicht länger an das heutige Volljährigkeitsalter
von 18 Jahren gebunden werden, sondern auch 16- und
17-Jährigen ermöglicht werden.

Eine zentrale Herausforderung der alternden und schrump-
fenden Gesellschaft ist es, einen fairen Interessenausgleich
zwischen den Generationen zu schaffen. Die Interessen
nachfolgender Generationen werden jedoch heute häufig
ignoriert und strukturell vernachlässigt. Im Zuge des demo-
grafischen Wandels könnte sich diese Fehlentwicklung
weiter verschärfen: Junge Menschen werden in unserer Ge-
sellschaft immer mehr zur Minderheit. Die Generationen-
schichtung wandelt sich in den kommenden Jahren und Jahr-
zehnten gravierend. Bereits im kommenden Jahr werden
erstmals weniger Jugendliche unter 20 Jahren als Menschen
über 65 Jahren in Deutschland leben. Im Jahr 2050 wird der
Anteil der Älteren in der Gesellschaft fast doppelt so hoch
sein wie der der Jüngeren. Zur Ermöglichung eines fairen

kultur ihnen gegenüber ist unangemessen, Jugendliche ver-
dienen stattdessen das Vertrauen der älteren Generationen.

Jede Wahlaltersgrenze ist politisch festzulegen und bedarf
einer gesellschaftlichen und politischen Diskussion, da es
eine objektiv messbare „Reife zur Wahl“ nicht gibt. Dieses
Problem kann das immer wieder diskutierte Familienwahl-
recht oder „Wahlrecht ab 0“ keinesfalls lösen. Ein durch die
Eltern ausgeübtes Stellvertreter-Wahlrecht ist ohne die Ver-
letzung elementarer demokratischer Rechte nicht umsetzbar.
Es widerspricht demokratischen Grundsätzen wie etwa dem
der Gleichheit der Wahl. Die Wahlentscheidung muss per-
sönlich getroffen werden. Der politische Wille ist nicht über-
tragbar. Nur die Absenkung des selbst ausgeübten aktiven
Wahlalters trägt zur Verwirklichung und Stärkung der demo-
kratischen Rechte Jugendlicher bei.

Ziel muss es sein, dass Jugendliche selbst früher wählen kön-
nen – nicht ihre Eltern je nach Kinderzahl. Unabhängig da-
von, dass ein überwiegender Teil der Jugendlichen reif für
politische Entscheidungen ist, bedarf es bei allen Jugend-
lichen – insbesondere den politikferneren – einer Verstär-
kung der politischen Bildung. Die Absenkung des Wahl-
alters muss daher durch verbesserte politische Bildung in
Schulen, Jugendeinrichtungen, Elternhäusern und Medien
flankiert werden. Der Bedarf und das Interesse an qualifi-
zierten Informationen über die Funktionsweisen unseres de-
mokratischen Systems sind bereits heute groß und werden
mit einem früheren Wahlrecht bei Jugendlichen weiter stei-
gen. Das frühere Wahlrecht ist zudem von weiteren Maßnah-
men zur politischen Beteiligung von Kindern und Jugend-
lichen auf allen politischen Ebenen zu begleiten (siehe
Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Partizi-
pation von Kindern und Jugendlichen stärken – mehr Kin-
der- und Jugendfreundlichkeit durch eine neue Beteiligungs-
kultur“, Bundestagsdrucksache 16/3543 vom 22. November
2006). Die Erweiterung der Wahlrechtsmöglichkeiten für Ju-
gendliche ist somit nicht nur ein Gewinn an Selbstbestim-
mung und Teilhabechancen, sondern trägt auf diese Weise
zur Verbesserung und Belebung der demokratischen Kultur
der gesamten Gesellschaft bei.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1

Das Wahlalter für das aktive Wahlrecht wird auf die Voll-
endung des 16. Lebensjahres herabgesenkt.

Zu Artikel 2

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Als Zeit-
punkt des Inkrafttretens wurde bewusst ein Termin nach den
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12344
einen grundlegenden und essenziellen Bereich. Misstrauens- tung vorzubereiten.

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