BT-Drucksache 16/12297

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 19./20. März 2009 in Brüssel und zum G-20-Gipfel am 2. April 2009 in London

Vom 18. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12297
16. Wahlperiode 18. 03. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Jürgen Trittin, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Ute Koczy,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid,
Winfried Hermann, Thilo Hoppe, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei,
Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Rainder Steenblock,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat am 19./20. März 2009 in Brüssel und
zum G-20-Gipfel am 2. April 2009 in London

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bilanz der EU-Energieaußenpolitik ist ernüchternd. Zwar haben sowohl die
deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007 als auch die tschechische EU-Ratspräsi-
dentschaft 2009 Energieaußenpolitik hoch auf die Tagesordnung gesetzt. Aber
beiden ist es nicht gelungen, ein zukunftsfähiges Konzept vorzulegen. Die dies-
jährige Überprüfung des im März 2007 angenommenen „Aktionsplans für eine
Energiepolitik für Europa“ und die „Zweite strategische Analyse der Energie-
politik“ auf dem Frühlingsgipfel der EU-Regierungschefs am 19./20. März 2009
ist die Gelegenheit, umzusteuern. Der Deutsche Bundestag setzt sich mit Nach-
druck dafür ein, dass diese Gelegenheit genutzt wird.

Europäische Energieaußenpolitik wird immer noch reduziert auf Gasrohre, Öl-
pipelines und den Import von Uran in die EU. Gestritten wird darum, welche
Pipelines von der EU subventioniert werden. Erneuerbare Energien und Ener-
gieeffizienz finden in den Außenbeziehungen der EU kaum statt. Das greift viel
zu kurz. Die EU muss dringend umsteuern.

Alles andere wäre fatal. Eine sichere Energieversorgung gibt es nicht für
Deutschland oder die EU allein. Energie, Sicherheit und Gerechtigkeit bekom-
men wir nur, wenn wir auf der ganzen Welt zusammenarbeiten für eine Ener-
giewende. Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Energieeinsparung – das
sind die drei „E“ für eine Energiepolitik mit Zukunft. Ohne eine kohärente
Energieaußenpolitik, untrennbar verbunden mit Klima-, Entwicklungs- und
Menschenrechtspolitik, werden wir die globalen Herausforderungen des Klima-
wandels und der Rohstoffkrise, weltweiter Armut und Ausgrenzung, des neuen
Rüstungswettlaufs und weltweiter nuklearer Aufrüstung nicht bewältigen kön-

nen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

auf dem Gipfel und im Anschluss

1. sich für eine umfassende Energieaußenpolitik der EU einzusetzen, die Ener-
gie in alle Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik, Außenwirtschafts-

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politik, Entwicklungspolitik, Menschenrechtspolitik sowie internationaler
Klima- und Umweltpolitik integriert und bilaterale, regionale wie multilate-
rale Energiebeziehungen in den Dienst einer globalen Energiewende stellt –
für Energie, Sicherheit, Gerechtigkeit;

2. sich für eine Revision der bilateralen und regionalen Energiezusammenarbeit
der EU einzusetzen: für erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Energie-
einsparung;

3. dafür einzutreten, dass die EU vorangeht für durchsetzungskräftige Institu-
tionen, die Liefer-, Transit- und Verbraucherländer an einen Tisch bringen:
im Zuge der Reform der Vereinten Nationen, durch Umbau der Internationa-
len Energie-Agentur (IEA) und Weiterentwicklung der Europäischen
Energiecharta;

4. sich dafür einzusetzen, dass die EU den Aufbau der neuen Internationalen
Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) umfassend unterstützt;

5. dafür einzutreten, dass die EU Schluss macht mit ihren anachronistischen
Vereinbarungen über nukleare Zusammenarbeit, die unter dem Deckmantel
der Energiesicherung zu massiver nuklearer Proliferation beitragen und so
Frieden und Sicherheit gefährden;

6. eine ökologische Energieaußenpolitik der EU einzufordern, deren Leitlinie
ein konsequenter Klimaschutz ist, die durch die Ausrichtung auf erneuerbare
Energien, Energieeffizienz und Energieeinsparung die Nachfrage senkt und
so zu einem schonenden und nachhaltigen Umgang mit Ressourcen beiträgt;

7. eine verantwortliche Energieaußenpolitik der EU aktiv mitzugestalten, die
gegen den Ressourcenfluch kämpft und sich für Transparenz, gute Regie-
rungsführungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in den Ex-
portländern einsetzt;

8. in der EU dafür einzutreten, dass alle EU-Partner die Initiative für Trans-
parenz in der Rohstoffwirtschaft (EITI) unterstützen.

Berlin, den 18. März 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Rohstoffkrise und Klimawandel, globale Ungerechtigkeit, weltweite Armut und
Ausgrenzung, neuer Rüstungswettlauf und weltweite nukleare Aufrüstung zäh-
len zu den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Um diese Heraus-
forderungen angehen zu können, brauchen wir eine moderne Energieaußenpoli-
tik, die Energie in alle Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik, Außenwirt-
schaftspolitik, Entwicklungspolitik, Menschenrechtspolitik sowie internationale
Klima- und Umweltpolitik integriert. Von einem solchen umfassenden Konzept
ist die EU weit entfernt. Energieaußenpolitik wird reduziert auf Außenwirt-
schaftsförderung und die kurzfristige Absicherung von Importen. Ziel von Part-
nerschafts- und Kooperationsabkommen der EU mit anderen Staaten und Regio-
nen ist in erster Linie die Sicherung von Öl-, Gas- und Uranimporten in die EU.
Erneuerbare Energien und Energieeffizienz spielen kaum eine Rolle, obwohl ge-
rade da ein immenses Potenzial für Energiesicherheit ausgeschöpft werden
könnte – nicht nur in Osteuropa.

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Schlüssel für langfristige Energiesicherheit ist die Maxime „Weg vom Öl“, weg
von fossilen Energiequellen – ohne neue nukleare Risiken zu schaffen. Billiges
Öl und Gas werden immer mehr der Vergangenheit angehören und nur erneuer-
bare Energien werden langfristig bezahlbar sein. Darauf muss sich die EU recht-
zeitig vorbereiten. Das passiert nicht. Statt Außenpolitik in den Dienst einer
Energiewende zu stellen, hält die EU an alten Rezepten für fossile Energieträger
und Atomkraft fest. Mit der einseitigen Ausrichtung ihrer Zentralasienstrategie
auf Öl, Gas und Uran hat die Bundesregierung während ihrer EU-Ratspräsident-
schaft 2007 diesen Weg in die Sackgasse mit befördert.

Mit ihrem vielfältigen Netz bilateraler und regionaler Zusammenarbeit hat die
EU ein immenses Potenzial, um eine Energiewende konkret voranzutreiben. Die
Bundesregierung muss eine politische Offensive in Brüssel starten, die alle
Strukturen der EU für Energiezusammenarbeit mit anderen Staaten und Regio-
nen in den Dienst einer Energiewende stellt: die Energiegemeinschaft Südost-
europa, die Europäische Nachbarschaftspolitik Ost (ENP Ost), die Union für das
Mittelmeer (ENP Süd), der Energiedialog mit Russland, die Partnerschafts- und
Kooperationsabkommen sowie bilateralen Aktionspläne mit Armenien, Aser-
baidschan, Georgien und Moldau, die Schwarzmeerkooperation, die EU-Baku-
Initiative, die EU-Zentralasienstrategie, die Memoranda über Zusammenarbeit
im Energiebereich mit Kasachstan und Turkmenistan, der hochrangige EU-
OPEC-Dialog, die Euro-Mediterrane Energiezusammenarbeit, die Assoziations-
abkommen und Aktionspläne mit Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Marokko,
der Palästinensischen Autonomiebehörde und Tunesien, das Assoziationsab-
kommen mit Algerien und das Kooperationsabkommen mit Syrien, die strate-
gische Partnerschaft und konkretisierte Energiepartnerschaft der EU und Afrika,
die Ministerkonferenzen der EU, Lateinamerikas und der Karibik (LAK), die Zu-
sammenarbeit der EU mit dem Karibischen Forum (CARIFORUM), der reguläre
Dialog der EU mit Brasilien über Energiepolitik, die Zusammenarbeit mit China
und Indien, die Kooperationsmechanismen der Zusammenarbeit der EU mit den
USA.

Um politisches Engagement für eine weltweite Energiewende zu stärken, muss
die EU Netzwerke wie REN21 (Renewable Energy Policy Network for the 21st
Century) und REEEP (Renewable Energy & Energy Efficiency Partnership) stär-
ker unterstützen. Die EU muss den Aufbau der neuen Internationalen Agentur für
Erneuerbare Energien (IRENA) umfassend unterstützen – politisch, personell
und finanziell.

Globale Probleme können wir nur global lösen. Nur wenn wir die weltweiten
Energiebedürfnisse mit im Blick haben, können wir unseren eigenen Lebens-
standard sichern und weltweit die Armut durch Entwicklung bekämpfen. Die
Vereinten Nationen (VN) spielen dabei eine zentrale Rolle. Weltweit engagieren
sich die VN für die Energiewende. Diese Arbeit muss die EU stärker unterstüt-
zen. Die EU sollte neue Impulse dafür setzen, das VN-Umweltprogramm
(UNEP) aufzuwerten zu einer Umweltorganisation (UNEO), die auch im Ener-
giebereich Verantwortung übernimmt. Clubs von Industriestaaten oder Blöcke
energiereicher Länder können nichts bewegen. Liefer-, Transit- und Verbrau-
cherländer müssen an einen Tisch. Dafür brauchen wir durchsetzungskräftige
Organisationen. Die Internationale Energie-Agentur (IEA) wird von westlichen
Industrieländern dominiert. Ziel muss sein, die IEA zu einer Organisation um-
zubauen, die die Energiebelange aller Staaten zusammenführt und auch armen
Ländern, die besonders unter der Ressourcenkrise leiden, eine Stimme gibt. Das
wird nur gelingen, wenn die EU auf allen Ebenen ihr ganzes politisches Gewicht
dafür in die Waagschale legt. Der in der „Zweiten strategischen Analyse der
Energiepolitik“ betonte Dialog der EU mit den OPEC-Staaten kann dafür mit
den Weg bereiten, reicht aber nicht aus. Die Europäische Energiecharta bringt in

ihrer aktuellen Ausgestaltung vor allem Verbraucherländer zusammen. Auch in

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deren Interesse müssen wir neue Wege finden, die Liefer- und Transitländer in
die Energiecharta wirksam einzubeziehen.

Statt zukunftsfähige neue Energietechnologien und Energieeffizienz voranzu-
treiben verirrt sich die EU in nuklearen Planspielen. Beispiel ist der unter deut-
scher EU-Ratspräsidentschaft vorbereitete reguläre Dialog der EU mit Brasilien
und die Verlängerung des deutsch-brasilianischen Atomvertrags im Mai 2008.
Atomkraft ist für den Energiemix Brasiliens vollkommen unbedeutend. Unter
dem Deckmantel von Energieversorgungssicherheit feuern solche Verträge die
nukleare Proliferation an und konterkarieren sonstiges Engagement gegen
Atomkraft.

Unsere Abhängigkeit von Öl, Gas und Uran ist weltweit für verheerende Um-
weltzerstörung und soziale Missstände verantwortlich. Die Gier nach Roh-
stoffen bedroht den artenreichsten Regenwald im Amazonas und die Lebens-
räume der indigenen Völker. In Russland und der ehemaligen Sowjetunion hat
die Öl-, Gas- und Uranförderung ganze Landstriche verwüstet. 15 Prozent der
Fläche Russlands sind ökologisches Notstandsgebiet, mehr als eine Million
Quadratkilometer sind radioaktiv verseucht und die Zerstörungen gehen – wie
auf Sachalin oder in Westsibirien – weiter. Nur eine globale Energiewende kann
Umwelt und Menschen auf diesem Planeten schützen. Die EU muss sich endlich
für Nachhaltigkeitsstandards für fossile Energien einsetzen, die schlimmste
Schäden und Katastrophen vermeiden helfen.

Es ist paradox: Ressourcenreichtum erweist sich immer wieder als Ressourcen-
fluch: Öl, Gas und Uran sind Konfliktrohstoffe. Mit steigenden Einnahmen aus
dem Rohstoffgeschäft wächst in vielen Staaten auch die Armut. In Staaten wie
Nigeria, Tschad, Sudan, Ecuador, Peru oder Turkmenistan hat der Ressourcen-
reichtum statt Wohlstand für alle nur Korruption, Demokratiedefizite, Schulden,
Ausbeutung und Umweltzerstörung gefördert. Hat ein Land Öl, Gas oder Uran
zu bieten, legt auch die EU mit ihrer aktuellen Politik andere Maßstäbe bei
Demokratie und Menschenrechten an. Auch da muss die EU umsteuern und eine
verantwortliche Energieaußenpolitik betreiben im Dienste von guter Regie-
rungsführung, Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Die EU
muss endlich Instrumente wie die Extractive Industries Transparency Initiative
(EITI) unterstützen. Nur durch Transparenz und Kontrolle kann gewährleistet
werden, dass die Einnahmen aus dem Rohstoffbereich für nachhaltige Entwick-
lung eingesetzt werden. Parallel muss die Bevölkerung unterstützt und befähigt
werden, Kontrolle auszuüben.

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