BT-Drucksache 16/12295

Altersrente - Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zurücknehmen

Vom 18. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12295
16. Wahlperiode 18. 03. 2009

Antrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Lothar Bisky,
Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Katja Kipping, Elke Reinke, Dr. Ilja Seifert, Frank
Spieth, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Altersrente – Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zurücknehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise wird zu einem drastischen An-
stieg der Erwerbslosigkeit führen. Berufsanfängerinnen und Berufsanfängern
wird der Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt, Älteren droht vermehrt die Entlas-
sung. Die geplante Heraufsetzung des Renteneintrittsalters wird die Situation
auf dem Arbeitsmarkt in der sich zuspitzenden Krise gravierend verschärfen.
Die Krise wird damit auf jüngere und ältere Beschäftigte abgewälzt.

Bereits vor der Krise entbehrte die Rente erst ab 67 Jahren jeder arbeitsmarkt-
politischen Rationalität, wie ein neues Gutachten des Deutschen Gewerkschafts-
bundes (DGB) belegt. Bereits vor der Krise fehlten ausreichend Arbeitsplätze
für Ältere, so dass das faktische Renteneintrittsalter weit unter dem derzeit noch
geltenden gesetzlichen Rentenalter von 65 Jahren liegt. Bereits heute geht mehr
als die Hälfte der Beschäftigten mit Abschlägen in Rente. Nur eine verschwin-
dende Minderheit schafft den Übergang in den Ruhestand aus einer sozialver-
sicherungspflichtigen Beschäftigung. Dieser Trend wird sich durch die Krise
enorm verstärken. Hinzu kommt, dass in den nächsten Jahren die geburtenstar-
ken Jahrgänge in die Späterwerbsphase eintreten, was die Lage auf dem Arbeits-
markt weiter verschärfen wird. Vor diesem Hintergrund wird die Erhöhung des
Rentenalters für die Mehrheit der Beschäftigten erhöhte Arbeitslosigkeit im Alter
und eine geringere Rente durch vermehrte Abschläge bedeuten. Die Rente erst
ab 67 Jahren ist damit eine Rentenkürzung, die Altersarmut vorprogrammiert.

Die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf 67 Jahre ist sozialpolitisch un-
verantwortlich und arbeitsmarktpolitisch widersinnig. Sie ist einzig und allein
ein Instrument zur Deckelung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung durch
verdeckte Rentenkürzungen. Dabei bringt die Rente ab 67 Jahren kaum etwas
für die finanzielle Stabilität der Rentenversicherung – eine Entlastung um 0,3 bis
maximal 0,5 Beitragssatzprozentpunkte ist möglich. Sie verursacht aber enorme
soziale Probleme. Eine überragende Mehrheit in der Bevölkerung weiß um die

Widersinnigkeit dieser Regelung und will, dass die Rente auch zukünftig ab
Vollendung des 65. Lebensjahres ohne Abschläge gezahlt wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, um die mit dem Altersgrenzenanpassungs-
gesetz und dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz beschlossene Anhebung des

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gesetzlichen Regelalters für eine abschlagsfreie Altersrente bzw. Beamten-
pension auf 67 Jahre sowie der Altersgrenzen für andere Rentenarten umgehend
zurückzunehmen.

Berlin, den 17. März 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Voraussetzungen für die Einführung der Rente erst ab 67 Jahren stimmen
nicht und die Folgen sind nicht akzeptabel. Dies macht der erste gemeinsame
Monitoringbericht von Gewerkschaften und Sozialverbänden deutlich, in dem
die wissenschaftlichen Befunde zur Arbeitsmarktlage Älterer, ihren Chancen bis
zur Rente zu arbeiten und ihrem Auskommen im Alter zusammen getragen sind
(DGB/DPWV/SoVD/VdK/VS 2008: Die Rente mit 67. Die Voraussetzungen
stimmen nicht! Erster Monitoringbericht des Netzwerks für eine gerechte
Rente). Die überwiegende Zahl der Beschäftigten hat nicht einmal die Chance,
bis zum derzeitigen Rentenalter von 65 Jahren zu arbeiten. Das faktische Ren-
teneintrittsalter liegt mit weniger als 63 Jahren noch immer weit von der derzei-
tigen Regelaltersgrenze entfernt. Laut einer Studie des Instituts für Arbeits-
markt- und Berufsforschung sind mit 64 Jahren – also kurz vor dem regulären
Renteneintritt – nur 5 Prozent der Männer (Ost und West) sowie 3 Prozent der
Frauen im Westen und lediglich ein Prozent der Frauen im Osten Deutschlands
noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt (IAB-Kurzbericht 25/2007, S. 3).
Insgesamt schaffen nur gut 17 Prozent der Beschäftigten den Übergang in den
Ruhestand aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (Erster
Monitoringbericht, S. 30). Mehr als die Hälfte der Beschäftigten muss bereits
heute empfindliche Abschläge in Kauf nehmen. Die Zahl derer, die durch Ab-
schläge betroffen sind, würde durch die Rente erst ab 67 Jahren noch zunehmen.
Die Abschläge würden deutlich höher ausfallen und in vielen Fällen zu Armuts-
renten führen.

Die steigenden Beschäftigungsquoten Älterer, die die Bundesregierung zur Un-
termauerung der Vertretbarkeit ihrer Politik heranzieht, sind zu einem guten Teil
nicht auf arbeitsmarktpolitische Erfolge, sondern auf demografische Effekte zu-
rückzuführen. Denn die geburtenstarken Jahrgänge treten gegenwärtig in die
Späterwerbsphase ein. Auch sind die Daten nach Meinung von Expertinnen und
Experten methodisch fragwürdig erhoben und überzeichnen die Zunahme der
Beschäftigung Älterer (Erster Monitoringbericht, S. 15/16).

Die Arbeitslosigkeit Älterer ist nach wie vor sehr hoch. Sie droht durch die
Finanz- und Wirtschaftskrise weiter zu steigen, weil gerade Ältere häufig in
prekären Arbeitsverhältnissen wie Leiharbeit beschäftigt sind, die in der Krise
am schnellsten abgebaut werden. Bereits im vergangenen Jahr hat die Bundes-
regierung allerdings eine neue Regelung beschlossen, mit der die Arbeitslosig-
keit Älterer kleingerechnet wird. Demnach gelten Langzeiterwerbslose über
58 Jahre nicht mehr als arbeitslos, wenn sie ein Jahr Arbeitslosengeld II bezogen
und in dieser Zeit kein Angebot für eine sozialversicherungspflichtige Beschäf-
tigung erhalten haben. Arbeitslosigkeit ist für Ältere häufig gleichbedeutend mit
Langzeitarbeitslosigkeit, weil viele Betriebe keine Älteren mehr einstellen. Im
Hartz-IV-Bezug erwerben die Betroffenen einen sehr geringen Rentenanspruch
von 2,19 Euro monatlich. Sie müssen ihr für das Alter Erspartes weitgehend auf-

brauchen und mit 63 Jahren mit Abschlägen in Rente gehen.

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Die Arbeitsmarktlage Älterer wird sich durch die Heraufsetzung des Renten-
alters gravierend verschärfen. Der erhöhte Arbeitsangebotszwang wird von einem
erheblichen Teil der Beschäftigten nicht realisiert werden können. Bereits vor
der Krise hatte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus-
gerechnet, dass 1,2 bis drei Millionen Arbeitsplätze fehlen, wenn die Rente ab
67 Jahren wie geplant eingeführt wird (IAB-Kurzbericht 16/2006). Die viel be-
schworene demografische Entlastung des Arbeitsmarktes findet also nicht statt.
Stattdessen muss noch auf längere Sicht – und vor dem Hintergrund der schwe-
ren Wirtschaftskrise in besonderem Maße – mit einer deutlichen Unterbeschäf-
tigung gerechnet werden. Diese betrifft jüngere und ältere Menschen. Den Jun-
gen wird der Eintritt in den Arbeitsmarkt verwehrt, Ältere werden verstärkt aus
dem Arbeitsmarkt oder in prekäre Beschäftigung gedrängt. Viele sehen sich un-
ter diesen Bedingungen zur Frühverrentung mit hohen Abschlägen gezwungen.
Der Verdrängungsdruck am Arbeitsmarkt wird sich in den kommenden Jahren
noch verschärfen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in die Späterwerbsphase
eintreten. Die Betroffenen können dann auch das durch den Gesetzgeber herbei-
geführte Sinken des Rentenniveaus nicht durch längeres Arbeiten kompensie-
ren. Im Gegenteil potenzieren sich die Probleme bei ihnen. Von dieser Verdrän-
gung werden Menschen mit gesundheitlichen Problemen sowie gering Qualifi-
zierte und gering Verdienende besonders betroffen sein.

Sozial- und arbeitsmarktpolitisch ist die Rente erst ab 67 Jahren aus den genann-
ten Gründen nicht zu vertreten. Die Bundesregierung erweckt derzeit jedoch
nicht den Eindruck, als würde sie die erschreckenden Befunde und die gewich-
tigen Einwände ernst nehmen. Es steht zu befürchten, dass die so genannte
Überprüfungsklausel nach § 154 Abs. 4 SGB VI, nach der die Bundesregierung
alle vier Jahre (erstmals 2010) zu überprüfen hat, ob „die Anhebung der Regel-
altersgrenze unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage sowie der wirtschaft-
lichen und sozialen Situation älterer Arbeitnehmer weiterhin vertretbar ist“, ein
zahnloser Tiger bleibt – zumal darin keine klaren Überprüfungsvorgaben und
-indikatoren festgehalten sind.

Selbst zur Stabilisierung der Finanzierungsbasis der gesetzlichen Rentenver-
sicherung ist die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf 67 Jahre nicht ge-
eignet, denn sie bringt allenfalls eine Entlastung um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte.
Dagegen könnte mit der Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversiche-
rung zu einer Erwerbstätigenversicherung, in die auch künftige Beamtinnen und
Beamte und Selbständige einzahlen, in den nächsten Jahren ein zusätzliches Bei-
tragssatzvolumen von 1,74 Prozent erreicht werden (Böcklerimplus 18/2008:
Alterssicherung für alle Erwerbstätigen). Rund 17 Mrd. Euro könnten damit in
die Rentenkasse gespült werden. Die Weiterentwicklung der gesetzlichen Ren-
tenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung stellt damit zusammen mit
der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Stärkung sozialversicherungs-
pflichtiger Beschäftigung sowie der Wiederherstellung der paritätischen Finan-
zierung der Alterssicherung eine weitaus geeignetere und sozial gerechtere
Maßnahme dar, um die Alterung der Gesellschaft zu bewältigen und die Finan-
zierung der gesetzlichen Rente auf eine sichere Basis zu stellen, als die Anhe-
bung des gesetzlichen Rentenalters auf 67 Jahre. Diesem Ziel dient auch die
Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze bei gleichzeitiger Abflachung der
damit verbundenen Rentensteigerungen.

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