BT-Drucksache 16/12294

Industriepolitische Kehrtwende - Zukunftsfonds für Industrieinnovation und Beschäftigungssicherung

Vom 18. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12294
16. Wahlperiode 18. 03. 2009

Antrag
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Kornelia Möller, Dr. Herbert Schui,
Dr. Axel Troost, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Industriepolitische Kehrtwende – Zukunftsfonds für Industrieinnovation und
Beschäftigungssicherung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die globale Wirtschaftskrise hat die industriellen Branchen voll erfasst. In der
Europäischen Union (EU) sind im Vergleich zum Vorjahr der Export industrieller
Güter um 12 Prozent, die industrielle Produktion um mehr als 8 Prozent und die
Automobilproduktion um 20 Prozent eingebrochen. Die Ankündigung großer
deutscher Unternehmen in diesem Jahr auf Kündigungen zu verzichten, ist
schon jetzt Makulatur. So hat die ThyssenKrupp AG trotz Gewinnen und Divi-
dendenzahlung unter Umgehung der Mitbestimmungsrechte Entlassungen an-
gekündigt. Mehr und mehr Unternehmen, insbesondere in der Zulieferindustrie,
melden Insolvenz an. Selbstverpflichtungen können verbindliche Rahmenset-
zungen und ein entschlossenes Handeln der Politik nicht ersetzen.

Die Politik der Bundesregierung trägt für die Entwicklung eine klare Mitverant-
wortung. Die Wirtschaftspolitik hat in den letzten Jahrzehnten einseitig auf die
Exportorientierung der Industrie und eine Ausweitung der Weltmarktanteile
gesetzt. Dieser schädliche Standortwettbewerb wurde zu Lasten der Beschäftigten
ausgetragen, hat zum Aufbau von Überkapazitäten geführt und durch sinkende
Realeinkommen die Binnennachfrage ruiniert. Die Orientierung am Shareholder
Value hat die Innovationsfähigkeit verkümmern lassen.

Die dramatische Zuspitzung der Krise in den Kernbereichen der deutschen Wirt-
schaft erfordert eine industriepolitische Kehrtwende. Einzelfalllösungen für
Opel oder Schäffler reichen bei weitem nicht aus. Der langfristige Erhalt indus-
trieller Strukturen erfordert einen gezielten Einsatz öffentlicher Investitionen
und branchenspezifische aber auch branchenübergreifende industriepolitische
Maßnahmen. Der sozialökologische Strukturwandel muss jetzt eingeleitet wer-
den, um langfristig Arbeitsplätze zu sichern.

Das gegenwärtige Handeln der Bundesregierung wird diesem Anspruch nicht
gerecht und zeigt die industriepolitische Konzeptionslosigkeit: Nach Jahren der
Rekordgewinne verlangen in der Krise immer mehr Unternehmen Hilfen vom

Staat. Neben der kurzfristig wirksamen aber ökologisch fragwürdigen Abwrack-
prämie hat die Bundesregierung ein zusätzliches Bürgschaftsprogramm für
Großunternehmen über 100 Mrd. Euro beschlossen. Verbindliche Gegenleistun-
gen von den Unternehmen verlangt die Bundesregierung aber nicht, weder zum
Schutz der Beschäftigten noch bezüglich der zukünftigen Geschäftspolitik der
Unternehmen.

Drucksache 16/12294 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Ausweitung des Bürgerschaftsrahmens soll lediglich die Kreditzurückhal-
tung der Privatbanken ausgleichen. Das macht vor allem das Scheitern des Ban-
kenrettungspakets deutlich. Trotz Milliardenschutzschirm kommen die Banken
ihrer Aufgabe der Kreditversorgung nach wie vor nicht nach.

Das Programm der Bundesregierung ist außerdem mit keinerlei Kapitalbeteili-
gungen verbunden und verzichtet darauf, die Geschäftspolitik der Unternehmen
zu beeinflussen. Es birgt die Gefahr von Mitnahmeeffekten. Vor allem ist es mit
keiner sozialökologischen Lenkungswirkung verbunden, sondern geht davon
aus, dass eine kurzfristige Überbrückung ausreicht, die Probleme der Krise zu
lösen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Zukunftsfonds für Industrieinnovation und Beschäftigungssicherung ein-
zurichten.

● Der Zukunftsfonds bündelt öffentliche Kredite, Subventionen und Beteili-
gungen an Industrieunternehmen.

● Ziel des Fonds ist es, die Produktion auf energie- und rohstoffeffiziente Ver-
fahren und Produkte umzustellen und neue Qualitätsprodukte zu entwickeln.
Der Abbau von Überkapazitäten und von umweltfeindlicher Produktion
muss ausgeglichen werden durch Wertschöpfung in gesellschaftlich sinnvol-
len Bereichen, damit es nicht zu Arbeitslosigkeit kommt. Dazu zählen z. B.
neue Verkehrssysteme, eine ökologische Energieversorgung oder ressourcen-
schonende Produkte.

● Die Gewährung von öffentlichen Geldern ist an klare Bedingungen zur Be-
schäftigungssicherung und zur ökologischen Innovation zu knüpfen. Hilfen
sind nur als öffentliche und Belegschaftsbeteiligung mit Einfluss auf die Ge-
schäftspolitik zu gewähren. Sie sind mit weitgehenden Mitbestimmungsrech-
ten von Betriebsräten und Gewerkschaften zu verbinden. Soziale Kriterien
wie Ausbildungsplätze, Barrierefreiheit und Frauenförderung sind zu berück-
sichtigen.

● Der Zukunftsfonds soll über eine Anleihe finanziert werden. Statt weiter
Dividenden und Boni auszuschütten, sollen die Unternehmen diese in Form
einer Sonderabgabe in den Fonds einzahlen. Bund und Länder beteiligen sich
an der Finanzierung. Erträge aus den Projekten des Fonds werden wieder
dem Fonds zugeführt, um damit weitere Projekte zu fördern.

● Ein Teil des Fonds wird für die Länder und Kommunen bereitgestellt. Die
Vergabe und Durchführung wird in jeder Kommune, in jedem Bundesland
wie auch auf Bundesebene durch ein Gremium aus Vertretern der öffent-
lichen Hand unter Beteiligung von gesellschaftlichen Gruppen wie Gewerk-
schaften, Umweltorganisationen, Handwerkskammern und Arbeitgeberver-
bänden, der KfW Bankengruppe und den Sparkassen demokratisch kontrol-
liert.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung und für den Ausbau der betrieblichen
und Unternehmensmitbestimmung zu veranlassen:

● Das Synchronisationsverbot für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter muss
wieder eingeführt, der Arbeitsvertrag darf nicht auf den ersten Einsatz in
einem Entleihbetrieb befristet werden.

● Der Kündigungsschutz von Beschäftigten muss gestärkt, ein Verbandsklage-

recht für die zuständigen Gewerkschaften muss eingeführt werden. Kündi-
gungen bei positiver Ertragslage sind zu verbieten.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12294

● Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung und zum Interessensausgleich
werden zu einer echten Mitbestimmung erweitert. Die paritätische Mitbe-
stimmung wird bei allen wesentlichen wirtschaftlichen, sozialen und perso-
nellen Angelegenheiten in Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten ein-
geführt.

● Mitbestimmungspflichtig werden künftig auch Kapitalerhöhungen und
Aktienrückkäufe, Verlegungen, Schließungen oder der Verkauf von Betriebs-
teilen. Weitreichende Entscheidungen sind mit Belegschaftsabstimmungen
zu verbinden.

● Die Einrichtung von Transfergesellschaften wird wieder auf zwei Jahre ver-
längert, um auch längerfristige Qualifizierungen zu ermöglichen, die auf eine
Anschlussbeschäftigung in anderen Branchen oder Tätigkeitsfeldern ausge-
richtet sind. Transfergesellschaften dürfen für dort Beschäftigte nicht mit
Lohneinbußen einhergehen.

Berlin, den 17. März 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Krise zeigt deutlich: In Deutschland sind wesentliche Industriezweige und
die damit verbundenen Arbeitplätze von Exporterfolgen und damit dem Kampf
um Weltmarktanteile abhängig. Maßgeblich für den dramatischen Einbruch der
Konjunktur sind aktuell die stark rückläufigen Auftragseingänge aus dem Aus-
land vor allem bei Investitionsgütern. Durch die hausgemachten Probleme des
Standorts Deutschland – die einseitige Exportorientierung und die langjährige
Schwäche des Binnenmarkts – sind wir besonders anfällig und betroffen vom
Abschwung der Haupthandelspartner.

Die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung hat diesen schädlichen
Verdrängungswettbewerb und die Konzentrationsprozesse durch ihre Politik der
globalen Liberalisierung der Güter- und Dienstleistungsmärkte, eine Vernach-
lässigung der öffentlichen Nachfrage, eine Deregulierung des Arbeitsmarktes
und eine Schwächung des Tarifsystems erst ermöglicht. Durch die Förderung
der Kapitalmarktorientierung der Industrie hat sie auch zukunftsfähige Indus-
triearbeitsplätze blockiert.

In diesem schädlichen Wettlauf um niedrige Löhne und Exporterfolge auf Kos-
ten anderer Volkswirtschaften wurden nicht zuletzt in der Automobilindustrie
Arbeitsbedingungen flexibilisiert und Arbeitnehmerrechte geschliffen, Über-
kapazitäten aufgebaut und ökologische Produktinnovationen blockiert. Perso-
nalabbau und Standortschließungen sowie ein beschleunigter Konzentrations-
prozess sind absehbar und werden durch Maßnahmen der Bundesregierung
gestützt.

Die Reregulierung des Arbeitsmarktes, die Ausweitung der Mitbestimmung und
wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Stützung der privaten und öffentlichen
Nachfrage müssen durch eine industriepolitische Kehrtwende unterstützt wer-
den. Den industriepolitischen Maßnahmen der Bundesregierung fehlt eine klare
Zukunfts- und Binnenmarktorientierung. Der Einsatz öffentlicher Gelder muss
mit einer Lenkungswirkung von Investitionen in den ökologischen Umbau und
der Sicherung bzw. der Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden werden. Durch

den Zukunftsfonds für Industrieinnovation und Beschäftigungssicherung wird
ein Instrument geschaffen, das die bisherige Innovationsförderung ersetzt.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.