BT-Drucksache 16/12095

Ordnungspolitische Leitplanken nicht einreißen - Einstieg in die Staatswirtschaft stoppen

Vom 3. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12095
16. Wahlperiode 03. 03. 2009

Antrag
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß,
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Dr. Erwin Lotter, Horst
Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Frank
Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Daniel
Volk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Ordnungspolitische Leitplanken nicht einreißen – Einstieg in die Staatswirtschaft
stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Schutz des Privateigentums und die Vertragsfreiheit sind konstituierende
Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Enteignungsgesetze erschüttern
das Vertrauen in diese Grundprinzipien. Staatliche Beteiligungen an Privatunter-
nehmen unterhöhlen das Fundament der sozialen Marktwirtschaft. Sie führen zu
unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen und schmälern mittel- und langfristig
die Wachstums- und Beschäftigungsmöglichkeiten in Deutschland.

Das Handeln der Bundesregierung ist zunehmend rückwärtsgewandt. Es orien-
tiert sich am Status-quo-Interesse von Verbänden oder an raschen medienwirk-
samen Augenblickslösungen. Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung rea-
giert auf Fehlentwicklungen kurzatmig, konzeptionslos, interventionistisch und
widersprüchlich.

Die soziale Marktwirtschaft ist das gesellschaftspolitische Gegenmodell zum
Obrigkeits- und Interventionsstaat, zur Herrschaft der Bürokraten, zur Privile-
giengesellschaft, zu Etatismus und umfassender Staatsfürsorge. Ihre Bedeutung
reicht weit über die ökonomischen Aspekte der wirtschaftlichen Effizienz
hinaus. Sie ist komplementärer Teil jeder freiheitlichen Gesellschaftsordnung.
Freiheit ist unteilbar.

Zu einer freiheitlichen Gesellschaft gehört eine freiheitliche Wirtschaftsordnung
und umgekehrt. In der sozialen Marktwirtschaft sind es nicht die Wünsche der
Obrigkeit oder der Bürokratie, die befriedigt werden, sondern die Wünsche der

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Verbraucher, die mit ihren Kaufentscheidungen nach ihren Präferenzen über den
Mechanismus des Marktes Produktion und Absatz der Volkswirtschaft steuern.
Eine freiheitliche Wirtschaftsordnung fördert die Erfüllung der individuellen
Bedürfnisse und Wünsche in bestmöglicher Weise.

Die massive Staatsbeteiligung im Finanzsektor kann nur durch die krisenhafte
Ausnahmesituation der Weltwirtschaft begründet werden. Die Eingriffsmög-
lichkeiten, die durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz geschaffen wurden,
können nur mit der zentralen Bedeutung des Finanzsektors für das gesamte
Wirtschaftsgeschehen gerechtfertigt werden. Diese dürfen ausschließlich bei
systemrelevanten Instituten angewandt werden. Ziel der Sanierungsmaßnahmen
muss es sein, den Finanzsektor wieder funktionsfähig zu machen. Sobald sich
dies abzeichnet, sind die ergriffenen Maßnahmen sukzessive rückgängig zu
machen.

Angesichts der besonderen Bedrohung durch systemische Risiken stellt die
Bundesregierung Verstaatlichungen im Bankensektor als unumgänglich dar.
Dass die Bundesregierung dabei vor Enteignungen nicht zurückschreckt, ist
weder ordnungspolitisch noch gesellschaftspolitisch vertretbar. Dem schlei-
chenden Systemwechsel hin zur kapitalistischen Staatswirtschaft muss Einhalt
geboten werden.

Mit den erwogenen Eingriffen in die Realwirtschaft reißt die Bundesregierung
weitere ordnungspolitische Leitplanken ein. Maßnahmen wie Staatsbeteiligun-
gen oder Staatskredite bei Einzelunternehmen der Privatwirtschaft stellen einen
fundamentalen Eingriff in das wettbewerbliche Marktgeschehen dar. Schon die
Gewährung von staatlichen Bankkrediten für Unternehmen der Realwirtschaft
ist ordnungspolitisch gefährlich. Direkte Staatsbeteiligungen an Unternehmen
der Realwirtschaft müssen unter allen Umständen unterbleiben. Der Staat ist
nicht der bessere Unternehmer.

Anders als bei großen Kreditinstituten, die in Schieflage geraten, geht von den
jetzt begünstigten Unternehmen zunächst kein systemisches Risiko aus. Anders
als bei der befürchteten Kreditklemme ist nicht mit Versorgungsengpässen zu
rechnen, wenn ein einzelner Produzent von Waren oder Dienstleistungen ausfal-
len würde. Im Gegenteil: Die derzeit im Fokus stehenden Unternehmen der Au-
tomobilindustrie oder deren Zulieferer stehen aus anderen Gründen unter Druck.
Es gibt unübersehbare Überkapazitäten auf den Märkten. Managementfehler, die
etwa in der falschen Produktpolitik oder in unrealistischen Expansionsplänen be-
gründet sind, sind einer der Gründe für die strukturellen Schwierigkeiten. Die Dro-
hungen von Unternehmensleitung oder Gewerkschaftsfunktionären mit Arbeits-
platzverlusten sind genauer zu hinterfragen. Sie dürfen nicht mit dem Schicksal
von Menschen spielen, um ihre eigenen Machtinteressen durchzusetzen.

Der umfassend angelegte, nicht auf bestimmte Branchen oder Gegebenheiten
bezogene „Deutschlandfonds“ wirft allein wegen seines immensen Volumens
große Probleme auf. Bei einer massiven Inanspruchnahme des Programms be-
einflusst der Bund in einem nie dagewesenen Maße die Wettbewerbsverhält-
nisse auf Güter- und Dienstleistungsmärkten.

Insbesondere die erwogenen Kredite für Großunternehmen stellen eine neue
Qualität dar. Hier wird der industriepolitischen Einflussnahme eine neue Tür
geöffnet. Es wird im Einzelfall schwer zu beurteilen sein, ob ein Unternehmen
wegen der Finanzkrise oder wegen anderer Gegebenheiten (Managementfehler,
mangelnde Wettbewerbsfähigkeit) in die Schieflage gekommen ist. Es besteht
die Gefahr, dass unter den Rettungsschirm auch Unternehmen flüchten werden,
die aus anderen Gründen nicht mehr wettbewerbsfähig sind, etwa weil sie sich
bei Fusionsvorhaben übernommen haben.

Die schädlichen Wirkungen vieler Subventionen sind unbestritten. Subven-
tionen haben immer auch Rückwirkungen auf den politischen Prozess, weil sie

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Partikularinteressen Chancen eröffnen, sich Privilegien zu verschaffen. Die Ver-
gabe von Subventionen richtet sich oft nicht nach volkswirtschaftlichen oder
sozialen Kriterien der zeitlich befristeten und degressiven Abfederung struk-
tureller Anpassungsprozesse, sondern nach der ökonomischen oder politischen
Macht, die aufgeboten werden kann.

Wie für alle staatlichen Beihilfen gilt auch für den sogenannten Deutschland-
fonds: Der Staat gewährt Einzelunternehmen Vorteile und greift damit empfind-
lich in das Marktgeschehen ein. Dies benachteiligt unmittelbar die Wettbewer-
ber und damit die Volkswirtschaft im Ganzen. Es werden falsche Anreize
gesetzt, Produktionsstrukturen verzerrt und Prozesse struktureller Anpassungen
verlangsamt oder sogar verhindert.

Schließlich werden die nicht begünstigten Teile der Wirtschaft, also vor allem
der Mittelstand, mit der Aufbringung der Mittel belastet und damit in ihrer
Dynamik behindert. Zudem verteuert die hohe Abgabenquote zusätzlich den
Faktor Arbeit und ist damit zugleich einer der Gründe für die hohe Arbeitslosig-
keit. So wird der Abgaben-, Subventions- und Sozialstaat selbst zum Verur-
sacher von Arbeitslosigkeit – eine Teufelsspirale der sozialen Ungerechtigkeit.
Sie fördert zudem die Schattenwirtschaft, die wiederum die finanziellen Grund-
lagen des Sozialstaates aushöhlt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● Enteignungen von Banken oder Wirtschaftsunternehmen auszuschließen,

● keine weiteren direkten oder indirekten Staatsbeteiligungen an Wirtschafts-
unternehmen einzugehen,

● in drei Monaten einen Plan zum Ausstieg aus der Staatswirtschaft vorzu-
legen.

Berlin, den 3. März 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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