BT-Drucksache 16/11751

Rechtliche Grundlagen für die Einführung von CCS-Technologien unverzüglich schaffen

Vom 28. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11751
16. Wahlperiode 28. 01. 2009

Antrag
der Abgeordneten Horst Meierhofer, Gudrun Kopp, Michael Kauch, Angelika
Brunkhorst, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann,
Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Hellmut Königshaus, Heinz Lanfermann,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Markus
Löning, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Frank
Schäffler, Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Daniel Volk,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

Rechtliche Grundlagen für die Einführung von CCS-Technologien unverzüglich
schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Technologien zur Abtrennung und Ablagerung von CO2 (Carbon Capture and
Storage – CCS) sind von herausragender Bedeutung für die Energie- und Klima-
politik (siehe dazu den Antrag der Fraktion der FDP „Potenziale der Abtrennung
und Ablagerung von CO2 für den Klimaschutz nutzen“ vom 25. April 2007,
Bundestagsdrucksache 16/5131) sowie den gemeinsamen Bericht der Bundes-
ministerien für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (BMU) sowie Bildung und Forschung (BMBF) „Entwick-
lungsstand und Perspektiven von CCS-Technologien in Deutschland“ vom
19. September 2007). Betont wird dies auch in dem Bericht des britischen Kli-
maökonomen Nicholas Stern, wonach fossile Energieträger noch 2050 die
Hauptsäule der weltweiten Energieversorgung bilden werden. Der so genannte
Stern-Report weist ausdrücklich darauf hin, dass ein umfangreiches CCS welt-
weit dringend erforderlich sei, um die fortgesetzte Verwendung fossiler Brenn-
stoffe weiterhin zulassen zu können, ohne die Atmosphäre zu schädigen. Diese
Einschätzung wird auch vom Intergovernmental Panel on Climate Change

(IPCC) und der Internationalen Energieagentur (IEA) geteilt. CCS-Technolo-
gien stellen demnach eine Schlüsseltechnologie für die globale klimafreundliche
Energieversorgung dar.

Diese Feststellung gilt mit Nachdruck auch für Deutschland, wo die Stromerzeu-
gung unter Verfeuerung von Kohle einen maßgeblichen Anteil an der Energie-
versorgung hat (46 Prozent der Stromerzeugung in 2007) und auf absehbare Zeit
weiterhin haben wird. Gelegentlich zu vernehmenden Stimmen, welche im Ge-

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gensatz dazu für die weitere Verstromung von Kohle in Deutschland ein soge-
nanntes „Moratorium“ fordern, erteilt auch der Rat für Nachhaltige Entwicklung
eine klare Absage, weil derartige Forderungen die Bedeutung der Kohleverstro-
mung auf weltweiter Ebene verkennen. Zutreffend stellt der Nachhaltigkeitsrat
fest, dass Deutschlands Nachhaltigkeitsstrategie gegenüber der Welt nicht mit
gespaltener Zunge reden dürfe, nämlich zu Hause ein Kohlemoratorium zu for-
dern, wohl wissend, dass global für viele Länder kein Weg an der Kohlenutzung
vorbeiführt. Die damit verbundene zentrale Herausforderung für den Klima-
schutz ist offensichtlich, weil schon heute 72 Prozent der weltweiten CO2-Emis-
sionen in der Stromerzeugung verursacht werden. CCS-Technologien haben das
Potenzial, einen unverzichtbaren Beitrag zur Sicherheit der Energieversorgung
und zur Unabhängigkeit von den volatilen Öl- und Gasmärkten zu leisten. Nur
wenn der nationale Gesetzgeber Rechtssicherheit schafft, werden weitere For-
schungsvorhaben unternommen und Investitionen in den Bau und Betrieb sol-
cher Anlagen getätigt werden.

Bei der weiteren Konkretisierung der rechtlichen Grundlagen für die Einführung
von CCS-Technologien muss bewusst bleiben, dass CCS nicht auf kohlespezifi-
sche Technologien beschränkt ist, sondern die Abscheidung von CO2 aus allen
kohlenstoffhaltigen Energieträgern (Kohle, Gas, Öl, Holz etc.) ermöglicht.
Überdies kann durch den Einsatz von CCS in Biomassekraftwerken CO2 prinzi-
piell sogar wieder aus der Atmosphäre entfernt werden.

Die zukünftigen Pfade technologischer Entwicklung sind dabei derzeit nicht
verlässlich abzuschätzen. Das regulatorische Umfeld für CCS-Technologien
muss deshalb hinreichend flexibel und technologieoffen gehalten werden, um
mögliche zukünftige technische Optionen nicht zu behindern und innovative
Verfahren ggf. nicht zu benachteiligen. Dies gilt auch mit Blick auf die Verwen-
dung von CO2 als Rohstoff bzw. als Produktionsfaktor (siehe dazu den Antrag
der Fraktion der FDP vom 4. Juni 2008 „Barrieren für die Einführung der CCS-
Technologie überwinden – Voraussetzungen für einen praktikablen und zu-
kunftsweisenden Rechtsrahmen schaffen“, Bundestagsdrucksache 16/9454).

Angesichts der finanziellen Aufwendungen für den Bau von Transportleitungen
und Speichern sowie des planerischen und administrativen Aufwands für solche
Projekte ist absehbar, dass Transportleitungen und Speicher zumindest faktisch
ein natürliches Monopol darstellen werden. Der Zugang zu solchen Einrichtun-
gen muss daher gemäß der Richtlinie in transparenter und diskriminierungs-
freier Weise so gewährt werden, dass die CCS-Technologie nicht zu einem
Marktzugangshindernis wird und die wettbewerblichen Strukturen auf den
Energiemärkten weiter verschlechtert. Anders als in allen durch Marktöffnung
liberalisierten Netzindustrien geht es bei der CCS-Technologie nicht um den
Zugang zu vorhandenen Transportnetzen oder Speichern; vielmehr stehen diese
erst vor der Errichtung. Der Gesetzentwurf sollte daher Regeln enthalten, die
nicht nur an dem Zugang von Wettbewerbern zu der fertigen Transportleitung
bzw. dem Speicher orientiert sind, sondern Wettbewerbern bereits in der Projek-
tierungs- und Planungsphase die Möglichkeit eröffnen, sich an dem Vorhaben zu
beteiligen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– schnellstmöglich ein Gesetz zur Schaffung der rechtlichen Grundlagen für
die Einführung von CCS-Technologien vorzulegen; damit könnten nach An-
gaben der Energieversorgungsunternehmen sofort Investitionsvorhaben in
Milliardenhöhe ausgelöst werden;

– alle Voraussetzungen zu schaffen, damit die von der EU, im Energie- und Kli-
mapaket genannten und für diesen Zweck bereitgestellten Mittel genutzt wer-

den können;

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– ein hohes Schutzniveau für Gesundheit und Umwelt so vorzugeben, dass die
Einführung der neuen CCS-Technologie und die mit ihr verbundenen Inves-
titionen so rasch wie möglich zulässig sind und gefördert werden;

– sich dabei am Grundsatz einer weitestgehenden 1:1-Umsetzung des EU-
Rechts bzw. der CCS-Richtlinie zu orientieren;

– im Rahmen eines nationalen CCS-Gesetzes dafür zu sorgen, dass bei der
Anwendung von CCS-Technologien ein Höchstmaß an Sicherheit gewähr-
leistet ist und eine möglichst breite Akzeptanz in der Bevölkerung gefunden
und gefördert wird, und dabei im Detail zu regeln, dass

● bei der Durchführung von Planfeststellungsverfahren genau eine länder-
übergreifende zentrale Behörde zuständig ist (Bundesverwaltung),

● eine Trennung zwischen dem Oberflächeneigentum und dem Eigentum
der Speicherstätten stattfindet,

● die Errichtung von CCS-Anlagen nicht durch die in Deutschland bekann-
termaßen langwierigen und aufwendigen Verfahren unnötig verzögert
wird,

● hinsichtlich aller technischen Details der jeweilige Stand der Technik
maßgeblich ist und dazu im Gesetz nicht mehr als die unbedingt notwen-
digen Vorgaben zu machen, und die Weiterentwicklung der technischen
Regeln aufgrund neuer Erkenntnisse mit Hilfe der Einrichtung eines Fach-
ausschusses zu ermöglichen, dem auch Vertreter der Wissenschaft ange-
hören,

● die Deckungsvorsorge in einem sachgerechten Umfang durch die Haftung
des Betreibers mit seinem Vermögen auch ohne eine separate Versiche-
rungspflicht als Option zuzulassen,

● für den Fernleitungsbau zum Transport vom CO2 Artikel 7 des Gesetzes
zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben
Anwendung findet;

– in einem solchen CCS-Gesetz die Nichtanwendbarkeit des Abfallbegriffs und
des Wasserhaushaltsgesetzes auf Kohlendioxid, das in unterirdischen Forma-
tionen gespeichert wird, festzulegen, CO2 unter Umständen auch Rohstoff
oder Produktionsfaktor sein kann;

– die in Artikel 18 der CCS-Richtlinie vorgesehene Möglichkeit des Betreibers
von Lagerstätten, den Nachweis zu erbringen, dass das Kohlendioxid voll-
ständig und dauerhaft zurückgehalten wird, nicht im deutschen Umsetzungs-
gesetz auszuschließen, weil anderenfalls eine hohe Hürde gegen die Errich-
tung von Kohlendioxid-Speicherstätten geschaffen würde;

– im CCS-Gesetz den Betreibern von CO2-Abscheideanlagen die Möglichkeit
einzuräumen, das gewonnene CO2 auch einer Nutzung als Rohstoff in che-
mischen oder biologischen Prozessen als Industriegas zuzuführen, einem
„Vermeidungsnachweis“ eine deutliche Absage zu erteilen, und für derartige
Verwendungen keinen leitungsgebundenen Transport vorzuschreiben;

– alle Verfahrensschritte im Zusammenhang mit der Abscheidung, dem Trans-
port und der Speicherung bis hin zur endgültigen Ablagerung gemeinsam in
einem Gesetz zu regeln;

– zu gewährleisten, dass die Sicherheitsstandards, an denen die Genehmigung
für Transport und Speicherung zu messen ist, an vergleichbaren Technolo-
gien und Gefahrenpotenzialen orientiert sind. Die CCS-Technologie kann,
auch wenn sie neuartig ist, bei Transport und Speicherung mit Hilfe bekann-

ter technischer Mittel beherrscht werden. Die zu treffenden Regelungen kön-

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nen sich deshalb beispielsweise an den für die Speicherung bzw. Weiterlei-
tung von Erdgas bereits bestehenden Regelungen orientieren;

– im Rahmen der durch die europäische CCS-Richtlinie verbliebenen Möglich-
keiten in jeder Hinsicht möglichst weitgehende Technologieoffenheit zu
wahren;

– der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe die Kompetenz zur
Erstellung eines Kohlendioxidspeicherplans zu übertragen;

– bei der Festlegung der rechtlichen Grundlagen von vornherein hinreichend zu
berücksichtigen, dass

● CCS-Technologien nicht auf kohlespezifische Anwendungen beschränkt
sind, sondern die Abscheidung von CO2 aus allen kohlenstoffhaltigen
Energieträgern und prinzipiell auch den Einsatz in Biomassekraftwerken
enthalten, um CO2 ggf. wieder aus der Atmosphäre zu entfernen,

● die europäische CCS-Richtlinie einen diskriminierungsfreien Zugang zu
CO2-Transportnetzen und Speichern vorschreibt. Für eine geeignete wei-
tere Abstimmung auf europäischer Ebene ist deshalb zu sorgen;

– mit Blick auf die zu errichtende Infrastruktur bei den vorzugebenden Rege-
lungen zu berücksichtigen, dass Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen
Kraftwerken und Lagerstätten nicht zielführend sind. Vielmehr ist eine zen-
trale Transportinfrastruktur zwischen den CO2-Emissionsquellen und den
Lagerstätten aufzubauen. Wettbewerbern muss bereits in der Projektierungs-
und Planungsphase die Möglichkeit eröffnet werden, sich an den Vorhaben
zu beteiligen;

– Nicht-Industrieländern den Zugang zu CCS-Technologien auch in finanziel-
ler Hinsicht zu erleichtern und zu diesem Zweck auf internationaler Ebene
darauf zu drängen, dass Investitionen in CCS-Technologien so schnell wie
möglich in den Mechanismus für umweltweltverträgliche Entwicklung des
Kyotoprotokolls (Clean Development Mechanism – CDM) aufgenommen
werden, damit auf dieser Grundlage CO2-Reduktionen aus CCS-Projekten in
Nicht-Industrieländern auf die Emissionen in den OECD-Ländern (OECD:
Organization for Economic Cooperation and Development) angerechnet wer-
den können;

– eine Überleitungsregelung zu treffen, wonach die Ergebnisse aus bereits ein-
geleiteten Verfahren sowie laufenden und genehmigten Projekten in das
CCS-Gesetz und die dort geregelten Verfahren übernommen werden können;

– spätestens im Rahmen der Revision der CCS-Richtlinie (Artikel 35a) auf eine
im Sinne der hier vorgetragenen Argumente sachgerechte Anpassung der
Richtlinie hinzuwirken, soweit sich dies im Eindruck weiterer Erfahrungen
als erforderlich erweist.

Berlin, den 27. Januar 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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