BT-Drucksache 16/11748

Sozialen Absturz von Erwerbslosen vermeiden - Vermögensfreigrenzen im SGB II anheben

Vom 28. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11748
16. Wahlperiode 28. 01. 2009

Antrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Katja Kipping, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert,
Frank Spieth, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Sozialen Absturz von Erwerbslosen vermeiden – Vermögensfreigrenzen im SGB II
anheben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit der Einführung von Hartz IV droht Erwerbslosen der schnelle und brutale
soziale Absturz. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld I wurde verkürzt. Die Ar-
beitslosenhilfe wurde abgeschafft. Arbeitslosengeld II erhalten Erwerbslose, die
keinen ausreichenden Anspruch auf Arbeitslosenversicherungsleistungen ha-
ben, lediglich, wenn sie zuvor ihre Ersparnisse aufgebraucht und andere materi-
elle Lebensgüter reduziert oder abgeschafft haben. Eine drastische und rapide
Verarmung ist demnach für zunehmend mehr Erwerbslose die Voraussetzung für
soziale Unterstützung. Auch Erwerbstätige, denen nur Hungerlöhne gezahlt
werden, erhalten eine aufstockende Existenzabsicherung nur, wenn sie den
gleichen Abbau vorgenommen haben. Dieser unwürdige Zustand, der den zu ge-
ringen Vermögensfreibeträgen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II)
geschuldet ist, muss umgehend beendet werden. Eine Anhebung der Vermö-
gensfreigrenzen wäre zudem ein Beitrag gegen die vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung e. V. (DIW) berichtete zunehmende Polarisierung der Ver-
mögensentwicklung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

bei der Berücksichtigung des Vermögens nach § 12 Absatz 2 SGB II einen
Grundfreibetrag in Höhe von 20 000 Euro anzusetzen. Diese Vermögens-
freigrenze gilt pauschal für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft unabhängig
vom Alter.

Berlin, den 27. Januar 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Drucksache 16/11748 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Begründung

Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer (DIW Wochenbericht 4/2009,
S. 54 ff.). Das reichste Zehntel der Gesamtbevölkerung verfügt über mehr als
60 Prozent des gesamten Vermögens, wohingegen mehr als zwei Drittel kein
oder lediglich ein geringes Nettovermögen besitzen. Die Entwicklung der Net-
tovermögen zeigt, dass der Anteil des obersten Dezils auf Kosten aller anderen
Dezile wächst.

Ein zentraler Faktor bei der Vermögensentwicklung ist das Eintreten von Er-
werbslosigkeit und deren sozialpolitischen Absicherung. Die Hartz-Reformen
haben zu einer massiven Verschlechterung der sozialen Lage der Erwerbslosen
geführt. Insbesondere die Einführung von Hartz IV trägt erheblich zu der Ver-
stärkung der sozialen Ungleichheit bei (Irene Becker/Richard Hauser, Vertei-
lungseffekte der Hartz-IV-Reform: Ergebnisse von Simulationsanalysen, Berlin
2006; DIW Wochenbericht 50/2007). Auch auf die Vermögensverteilung wirkt
sich die Hartz-Reform aus, wie das DIW in dem Wochenbericht 4/2009 gezeigt
hat. So heißt es in dem Bericht: „Personen mit längerer Arbeitslosigkeitserfah-
rung […] verloren im Durchschnitt über 4 000 Euro und somit über zehn Prozent
ihres ohnehin schon geringen Vermögens im Jahr 2002“ (DIW Wochenbericht
4/2009, S. 66). Besonders ausgeprägt zeigt sich dieser Zusammenhang bei dem
Vermögensrückgang in den mittleren Altersgruppen in Ostdeutschland. Die For-
scher des DIW belegen diesen Zusammenhang mit ihren Daten und weisen auch
auf den zentralen Mechanismus der Verarmung hin: sie argumentieren, dass die
Regelungen des SGB II „zu einem stärkeren Entsparen im Falle von Arbeits-
losigkeit beigetragen haben, da eigenes Vermögen zunächst aufgezehrt werden
muss, bevor diese staatliche Unterstützung in Anspruch genommen werden
kann.“ (DIW Wochenbericht 4/2009, S. 62).

Die Freibetragsregelung für Vermögen im SGB II hat für die soziale Absiche-
rung von Erwerbslosen eine zentrale Bedeutung, weil durch die Hartz-Reformen
die Zuständigkeit für die Absicherung des sozialen Risikos Arbeitslosigkeit von
der Arbeitslosenversicherung zu der Fürsorgeleistung Hartz IV verschoben
wurde (DIW Wochenbericht 43/2008, S. 681). Ende 2008 war nach Daten der
Bundesagentur für Arbeit lediglich noch ein Drittel der Arbeitslosen durch die
Arbeitslosenversicherung abgesichert, zwei Drittel der Arbeitslosen dagegen
auf Hartz IV angewiesen.

Die Erhöhung der Freibetragsgrenzen beim Vermögen ist daher eine sozialpoli-
tische Notwendigkeit, die einer rapiden und drastischen Verarmung entgegen-
wirkt und einen Beitrag leistet zu einer egalitäreren Verteilung der Vermögen in
Deutschland.

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