BT-Drucksache 16/11673

HIV/AIDS -Forschung vorantreiben

Vom 21. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11673
16. Wahlperiode 21. 01. 2009

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, Uwe Barth, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike
Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter
Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Erwin Lotter, Horst Meierhofer,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Gisela Piltz, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto
Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Daniel Volk,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

HIV/AIDS-Forschung vorantreiben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In den vergangenen 25 Jahren hat sich das Humane Immundefizienz-Virus
(HIV) pandemieartig ausgebreitet. Es ist die Ursache von Acquired Immune-
Deficiency Syndrome (AIDS), einer derzeit noch unheilbaren Immunschwä-
chekrankheit.

Weltweit steigt die Infektionsrate weiter an. Allein im Jahr 2007 infizierten sich
2,7 Millionen Menschen neu. Nach Schätzungen von United Nations Pro-
gramme on HIV/AIDS (UNAIDS) haben sich allein in Osteuropa und Zentral-
asien im Jahr 2006 270 000 Menschen neu infiziert; das bedeutet eine Steige-
rung um 70 Prozent gegenüber 2004. Auch in Westeuropa und Deutschland hat
sich die Zahl der Neuinfektionen mit dem HI-Virus erhöht. In Deutschland
wurden nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin so viele neue
HIV-Infektionen registriert wie noch nie seit Beginn der differenzierten Erfas-
sung im Jahr 1993. Die Zahl der gesicherten HIV-Neuinfektionen stieg 2006
um 4 Prozent auf 2 611 an. Seit 2001 hat die Zahl der neu diagnostizierten HIV-
Infektionen damit um 81 Prozent zugenommen. In Deutschland leben derzeit

rund 56 000 HIV-Infizierte.

Gelingt der Forschung in den nächsten Jahren nicht der entscheidende Durch-
bruch bei Prävention und Therapie dieser Immunschwächekrankheit, wird
HIV/AIDS in vielen Regionen weltweit zu einem alle Lebensbereiche durch-
dringenden gesellschaftlichen Problem werden. Die Immunschwäche wird
nach einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis zum Jahr

Drucksache 16/11673 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2030 zur schlimmsten Infektionskrankheit und gefährdet die Entwicklungsziele
der Vereinten Nationen.

Die deutsche Forschung zu HIV/AIDS hat sich in den vergangenen Jahren
grundlegend weiterentwickelt. Nicht zuletzt die Isolierung des AIDS-Erregers
HIV durch die Franzosen Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier (beide
Medizin-Nobelpreisträger 2008) brachte einen ersten Durchbruch hierzulande
und führte zum besseren Verständnis der Biologie dieser Erkrankung. Doch die
Hoffnung auf einen Impfstoff bleibt bis heute unerfüllt.

Deutschland hat es sich zur zentralen Aufgabe gemacht, die Ausbreitung von
HIV/AIDS zu verhindern. Die Bundesregierung hat auf der Grundlage des im
Jahr 2005 beschlossenen HIV/AIDS-Bekämpfungsstrategie einen Aktionsplan
bis zum Jahr 2010 mit sieben Aktionsfeldern erarbeitet. Den Kern deutscher
HIV/AIDS-Bekämpfungspolitik bilden nach wie vor Aufklärung und Präven-
tion.

Doch damit ist es nicht getan. Ein Hauptaugenmerk muss – stärker als bislang
geschehen – auf die Forschung und die Entwicklung neuer Therapieformen zur
Heilung dieser Krankheit im Rahmen einer modernen regenerativen Medizin
und dem Zusammenbringen von medizinischer Forschung und Therapie
(Translationsmedizin) gerichtet werden. Die Forschungsanstrengungen der auf
diesem Gebiet tätigen Wissenschaftler müssen durch eine gezielte Programm-
und Projektförderung – viel besser als bisher geschehen – unterstützt werden.

Grund zu einem verhaltenen Optimismus gaben jüngste Veröffentlichungen
von Forschungsergebnissen des Max-Planck-Instituts für Molekulare Zellbiolo-
gie und Genetik in Dresden und der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Uni-
versitätsklinikum Benjamin Franklin, durch ein Team des Direktors der Medi-
zinischen Klinik III, Prof. Dr. med. Dr. h. c. Eckhard Thiel. Letzterem gelang
es, durch eine Übertragung von mutierten, HIV-resistenten Stammzellen einen
AIDS-Kranken zu heilen. Auch nach über 22 Monaten ist kein HIV bei dem
entsprechenden Patienten nachweisbar. Das begründet eine vorsichtige Hoff-
nung auf eine AIDS-Therapie, die nicht nur auf Eindämmung der Virenvermeh-
rung setzt, sondern deren Elimination und damit auf eine Heilung der Immun-
schwäche. Würden die Ansätze aus Dresden und Berlin zu einer Therapie
entwickelt werden können, wäre eine – wenngleich aufwändige – Behandlung
möglich. Im Vergleich zu den Kosten der bisher üblichen (hochaktiven) antire-
troviralen Therapie, die leicht mehr als 15 000 Euro im Jahr betragen können,
wäre eine solche heilende Behandlung deutlich preiswerter.

Ein Motor für Forschungen ist das Kompetenznetz HIV/AIDS, das seit 2002
finanziell vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter-
stützt wird. Es ist inzwischen zum Partner europäischer und internationaler
Forschungskonsortien geworden. In diesem Netzwerk, dessen Zentrale an der
Ruhr-Universität Bochum bei Prof. Dr. med. Norbert H. Brockmeyer, Klinik
für Dermatologie und Allergologie, angesiedelt ist, wird eine große Bandbreite
wissenschaftlicher Fragestellungen zu HIV/AIDS bearbeitet.

Bis Ende 2007 wurden knapp 15 Mio. Euro für dieses Netzwerk zur Verfügung
gestellt. Die Förderung läuft allerdings aus! Unter dem Dach des Netzes wer-
den Forschungsprojekte bearbeitet, deren Ergebnisse möglichst schnell in die
praktische Anwendung einfließen sollen. Vernetzt sind Forschungsinstitute mit
Universitätskliniken, Krankenhäusern, niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten
sowie der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. Die mehr als 13 000 Datensätze einer
Patientenkohorte, die im Kompetenznetz gepflegt werden, ergänzen das Melde-
register am RKI und könnten auch weiterhin eine zentrale Rolle in der HIV-
Forschung spielen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11673

Durch die unterschiedlichen Forschungsansätze, die vor allem die Leibniz-Ge-
meinschaft (Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Hamburg und Hein-
rich-Pette-Institut für Experimentelle Virologie und Immunologie an der Uni-
versität Hamburg) auf diesem Gebiet verfolgen, konnten bisher neue und
alternative Therapieansätze aufgezeigt und kompetitiv in medizinische und
pharmazeutische Konzepte umgearbeitet werden. Vielfältige Beispiele der bis-
her erzielten wissenschaftlichen Erfolge in diesem Bereich belegen, dass hier
vor allem in der letzten Zeit entscheidende Fortschritte in Bezug auf Behand-
lungsalternativen und Heilungsverfahren von HIV-Infektionen erreicht worden
sind. Eine langfristige finanzielle Förderung der vor allem anwendungsorien-
tierten Grundlagenforschung ist unumgänglich, um den zukünftigen Herausfor-
derungen, die die HIV/AIDS-Thematik an unsere Gesellschaft stellen, nachhal-
tig zu begegnen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Grundzüge für einen neuen Aktionsplan HIV/AIDS mit entsprechenden
wichtigen Aktionsfeldern für weitere fünf Jahre zu erarbeiten,

2. die medizinische und biomedizinische Grundlagenforschung als Basis für
die Entwicklung neuer HIV/AIDS-Therapieverfahren im Rahmen eines natio-
nalen Gesundheitsforschungsprogramms nachhaltig und intensiv zu unter-
stützen,

3. das Kompetenznetz HIV/AIDS weiter durch das BMBF zu fördern, da heute
noch nicht absehbar ist, ob es aus eigener Kraft unter Eigeneinwerbung von
Forschungsmitteln seine Arbeit fortsetzen kann,

4. die Forschung auf dem Gebiet der regenerativen Medizin, insbesondere die
Transplantationsmedizin mit mutierten Stammzellen weiter zu stärken,

5. forschungsintensive frühe klinische Studien besser zu fördern (im Rahmen
einer koordinierten Translationsforschung), um die Entwicklung von Heil-
methoden gegen HIV/AIDS in der Praxis weiter auszubauen,

6. Forschungsergebnisse aus der Grundlagenforschung (Stammzellforschung
und der Genforschung) auf ihre klinische Eignung durch entsprechende
Programme zu prüfen (Validierung),

7. das fortlaufende Erheben und Auswerten von Daten von Betroffenen mit
HIV/AIDS unter strenger Wahrung der Freiwilligkeit fortzuführen, um so
die Möglichkeit zu schaffen, dringende Fragen in der Forschung, Versor-
gung und zum Verständnis der Erkrankung allgemein und damit zur Be-
kämpfung des weltweiten AIDS-Problems zu beantworten.

Berlin, den 20. Januar 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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