BT-Drucksache 16/11562

Zukünftige völkerrechtliche Ausgestaltung des Gesundungsaufenthalts von Tschernobyl-Kindern aus Belarus in Deutschland

Vom 5. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11562
16. Wahlperiode 05. 01. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander
Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Irmingard Schewe-Gerigk, Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zukünftige völkerrechtliche Ausgestaltung des Gesundungsaufenthalts von
Tschernobyl-Kindern aus Belarus in Deutschland

Nach zwei Fällen von Kindern, die sich 2006 und im August 2008 weigerten,
nach einem Erholungsurlaub im Rahmen der Initiativen für Tschernobyl-Kinder
nach Belarus zurückzukehren, erließ der Präsident von Belarus, Alexander
Lukaschenko, am 13. Oktober 2008 den Erlass Nr. 555, der fortan die Ausreise
für minderjährige Bürger der Republik Belarus zum Zweck der Gesundung nur
noch in solche Staaten erlaubt, die mit Belarus ein völkerrechtliches Ab-
kommen über die Rahmenbedingungen der Gesundung von Kindern auf Grund
unentgeltlicher Hilfe abgeschlossen haben. Da ein solches Abkommen zu die-
sem Zeitpunkt lediglich mit Italien abgeschlossen worden war, kam der Aus-
tausch im Rahmen der Tschernobyl-Initiativen weltweit faktisch zum erliegen.
Laut Auskunft der Berliner Botschaft der Republik Belarus wurde dem Aus-
wärtigen Amt im September 2008 von belarussischer Seite ein Entwurf über
ein Regierungsabkommen zum Austausch von Tschernobyl-Kindern zur Prü-
fung der Möglichkeit eines Abschlusses übergeben.

Während die irische Regierung am 11. Dezember 2008 verlautbarte, bald ein
solches Abkommen mit Belarus zu unterzeichnen und damit den Besuch von
Kindern aus Belarus über die Weihnachtsfeiertage bei irischen Gastfamilien zu
ermöglichen, forderten am 15. Dezember 2008 christdemokratische Abgeord-
nete des niederländischen Parlaments ihre Regierung auf, sich innerhalb der EU
für Reisebeschränkungen gegen belarussische Funktionäre einzusetzen, die
wegen des Fehlens eines Regierungsabkommens mit den Niederlanden den
Besuch belarussischer Tschernobyl-Kinder bei niederländischen Gastfamilien
über Weihnachten verhinderten.

Am 5. Dezember 2008 wandte sich der Arbeitskreis Humanitäre Projekte e. V. in
einem Schreiben an den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Dr. Norbert
Lammert, mit der Bitte, den Abschluss des dem Auswärtigen Amt vorliegenden

Abkommens zur Regelung des Austauschs der Tschernobyl-Kinder von Parla-
mentsseite zu befördern und dadurch die für 2009 geplanten Gesundungsaufent-
halte der belarussischen Kinder zu ermöglichen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft
Den Kindern von Tschernobyl in Deutschland e. V. äußerte in einem Schreiben
vom 28. November 2008 die Befürchtung, der von belarussischer Seite vorge-
legte Entwurf eines Abkommens mit Deutschland fordere die „Verstaatlichung“
sowohl der belarussischen als auch der deutschen Partner des bislang vollständig

Drucksache 16/11562 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

auf zivilgesellschaftlichen Organisationen fußenden Erholungsaustauschs der
Tschernobyl-Kinder. Die Bundesarbeitsgemeinschaft äußerte weiterhin den Ver-
dacht, der Versuch der Ausweitung der staatlichen Kontrolle auf den Erholungs-
austausch der Tschernobyl-Kinder sei dem Anliegen geschuldet, über staatliche
Kontrolle Proteste von zivilgesellschaftlich organisierten Tschernobylgruppen in
Belarus gegen den geplanten Bau eines ersten Kernkraftwerks in Lande im Vor-
feld zu unterbinden. Weiterhin machen sie auf den für sie unerträglichen Zustand
aufmerksam, wonach seit Aussetzung der Reisebeschränkungen durch die EU im
Oktober 2008 für belarussische Funktionäre diese nun wieder in die EU reisen
könnten, den Tschernobyl-Kindern dies jedoch von eben jenen belarussischen
Funktionären verweigert würde.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Erholungsreisen von Tschernobyl-
Kindern nach Deutschland im Hinblick auf humanitäre Versorgung, zivil-
gesellschaftliches Engagement und Völkerverständigung?

2. Wie viele der geplanten Reisen von Tschernobyl-Kinder nach Deutschland
konnten nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem 13. Oktober 2008
wegen des belarussischen präsidialen Erlasses Nr. 555 nicht stattfinden?

3. Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung Absagen von über die Weih-
nachtsferien geplanten Reisen von Tschernobyl-Kindern nach Deutschland
wegen eines fehlenden Abkommens mit Belarus?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Entscheidung des belarussischen
Präsidenten, Tschernobyl-Kinder nur noch in Länder reisen zu lassen, die
mit Belarus ein Abkommen zur Regelung der Erholungsreisen abgeschlos-
sen haben, insbesondere im Hinblick auf die am selben Tag von der EU be-
schlossene Dialogpolitik gegenüber Belarus, die mit der zeitweiligen Auf-
hebung der Reisebeschränkungen für den größten Teil belarussischer
Funktionäre verbunden war?

5. Beabsichtigt die Bundesregierung, mit Belarus ein Abkommen gemäß Er-
lass Nr. 555 des belarussischen Präsidenten zu schließen, wenn ja, warum,
wenn nein, warum nicht?

6. Welche Chancen sieht die Bundesregierung, ohne ein Abkommen mit
Belarus Erholungsreisen für Tschernobyl-Kinder auch im kommenden Jahr
zu ermöglichen?

7. Seit wann liegt der Bundesregierung der belarussische Entwurf für ein Ab-
kommen über die Regelung des Erholungsurlaubs der Tschernobyl-Kinder
in Deutschland vor?

8. Was beinhaltet der von belarussischer Seite vorgelegte Entwurf für ein Ab-
kommen mit Deutschland?

9. Wie wertet die Bundesregierung den von der belarussischen Seite vorge-
legten Entwurf?

10. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung von Tschernobyl-Kinder-Orga-
nisationen, dass das Bestehen der belarussischen Regierung auf Abkommen
zur Regelung der Erholungsreisen auf eine Ausweitung der staatlichen
Kontrolle der zivilgesellschaftlich Organisationen der Tschernobyl-Hilfe
abziele, und sieht die Bundesregierung hier einen Zusammenhang mit den
Plänen der belarussischen Regierung für den Bau eines ersten Kernkraft-
werks in Belarus?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11562

11. Wie ist der Stand der Verhandlungen über den vorgelegten Entwurf, und
was sind die Gründe für die bislang nicht erzielte Unterzeichnung eines
Abkommens?

12. Sind nach Ansicht der Bundesregierung die für 2009 geplanten Erholungs-
reisen von Tschernobyl-Kindern nach Deutschland wegen eines bislang
fehlenden Abkommens mit Belarus gefährdet?

Berlin, den 5. Januar 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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