BT-Drucksache 16/11441

Finanzmärkte besser regulieren - Krisen künftig verhindern

Vom 17. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11441
16. Wahlperiode 17. 12. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Nicole Maisch, Christine Scheel, Britta
Haßelmann, Kerstin Andreae, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken,
Sylvia Kotting-Uhl, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk,
Rainder Steenblock, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Finanzmärkte besser regulieren – Krisen künftig verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit mehr als einem Jahr befinden sich die internationalen Finanzmärkte in einer
schweren Krise. Auch den deutschen Finanzplatz hat es mit voller Wucht er-
fasst. Die Stützung der Mittelstandsbank IKB im Juli vergangenen Jahres war
nur der Auftakt beispielloser staatlicher Rettungsaktionen für den deutschen
Bankensektor, die mit dem Milliardenpaket für die Hypo Real Estate AG und der
Einsetzung des staatlichen Finanzmarktstabilisierungsfonds mit einem Volumen
von fast 500 Mrd. Euro einen – zumindest vorläufigen – Höhepunkt erreicht ha-
ben. Ungebremste Spekulationen auf den Rohstoff- und Nahrungsmittelmärkten
haben die Lebensbedingungen von Millionen Menschen in den Entwicklungs-
und Schwellenländern verschlechtert. Sie müssen dadurch einen noch größeren
Teil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. Auch das ist eine Folge
fehlender Regulierung der internationalen Finanzmärkte.

Jahrelang haben sich Finanzinstitute und Wirtschaftsverbände, aber vor allem
auch CDU, CSU und FDP gegen bessere Regulierungen der Finanzmärkte ge-
wehrt und sie als überflüssige staatliche Eingriffe abgelehnt. Der Steuerzahler
erhält jetzt die Rechnung: Während die enormen Gewinne selbstverständlich
privatisiert wurden, soll der Staat für die Verluste aufkommen. Die bisherigen
internationalen und nationalen Regeln waren offensichtlich nicht ausreichend,
um diese Krise zu verhindern.

Der staatliche Finanzmarktstabilisierungsfonds ist eine Rettungsmaßnahme für
den aktuellen Notfall. Der Staat gibt damit Milliardenbeträge an Banken, die
noch immer nach den alten Regeln des Finanzmarkts arbeiten. So kann es nicht
weitergehen. Für die Zukunft muss der Gesetzgeber sicherstellen, dass derartige
Ad-hoc-Maßnahmen nicht mehr notwendig sind. Das geht nur, wenn die Finanz-
märkte neue Regeln bekommen. Regulierungs- und Verantwortungslücken müs-

sen endlich geschlossen werden. Eine neue Finanzmarktverfassung ist nötig und
sie muss auf allen Ebenen gelten: national, EU-weit und international. Dabei
müssen sich alle Maßnahmen an folgenden Kernpunkten orientieren: Stabilität,
Verbraucherschutz und Ökologie.

Nur stabile Märkte verdienen das Vertrauen der Anlegerinnen und Anleger und
sind verlässlicher Teil einer funktionierenden Marktwirtschaft. Anders als bisher

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sollen künftig alle Akteure auf den Finanzmärkten – die Banken und die Anle-
gerinnen und Anleger – wissen, was in den von ihnen gekauften Produkten drin
ist. Sie sollen so die Verantwortung für ihr Investment wahrnehmen können.

In der Vergangenheit ist Finanzmarktpolitik in Deutschland meist als Finanz-
industriepolitik missverstanden worden. Die Interessen der Verbraucherinnen
und Verbraucher und die Ökologie haben nur eine untergeordnete Rolle gespielt.
Das rächt sich jetzt.

Die Bundesregierung hat es in den vergangenen Monaten versäumt, das natio-
nale und internationale Instrumentarium auf die Finanzmarktturbulenzen auszu-
richten, obwohl die Krise bereits seit Juni 2007 ihre Wirkung zeigt. Stattdessen
hat sie noch vor Kurzem behauptet, die Erschütterungen würden Deutschland
nicht erfassen, der Bankensektor sei sicher. Das hat sich als großer Irrtum erwie-
sen, für den jetzt die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit Milliardenpaketen
bezahlen müssen. Auch auf EU-Ebene hat sie es versäumt, rechtzeitig für Me-
chanismen zur Krisenintervention zu sorgen. Mit schnell einberufenen Gipfeln
versuchen jetzt die EU-Staaten Schlimmeres zu verhindern. Ein koordiniertes
und präventives Vorgehen sieht anders aus. Auch hierfür braucht es neue Ant-
worten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb von der Bundesregierung, ent-
sprechende Regelungen vorzulegen, mit denen sich folgende Ziele erreichen
lassen:

1. Mehr Verbraucherschutz auf Finanzmärkten für mehr Vertrauen

Verbraucherschutz steht ganz oben auf der politischen Agenda zur Stabilisie-
rung der Finanzmärkte. Denn ohne das Vertrauen der Verbraucherinnen und Ver-
braucher können die Finanzmärkte nicht funktionieren und erfüllen nicht ihren
Zweck. Die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat dazu bereits
ein umfassendes Konzept vorlegt, welches in ihrem Antrag „Verbraucherschutz
auf den Finanzmärkten stärken“ auf Bundestagsdrucksache 16/11205 vom
3. Dezember 2008 im Detail ausgeführt ist.

2. Bessere Regulierung für mehr Stabilität auf den Finanzmärkten

Auf nationaler Ebene muss die Finanzmarktaufsicht erheblich verbessert wer-
den. Sie muss unabhängiger und schlagkräftiger werden.

An erster Stelle steht die Aufsichtskompetenz: Regulierungslücken müssen ge-
schlossen werden. Alle Bankgeschäfte – auch die, die über Zweckgesellschaften
laufen – müssen in die Aufsicht einbezogen werden. Es darf keine Risikoaus-
lagerung der Finanzinstitute geben, von denen die Bundesanstalt für Finanz-
dienstleistungsaufsicht (BaFin) nichts weiß und gegen die sie nicht angehen
kann. Die BaFin muss einen größeren Aktionsradius in der Aufsicht erhalten
und gleichzeitig mehr Verantwortung übernehmen. Es kann nicht sein, dass sie
vor bestimmten Bankenaktivitäten die Augen verschließt oder gar verschließen
muss, weil diese angeblich in eine „Aufsichtslücke“ hineinfallen. Auch soll die
BaFin von der Bundesbank die alleinige Zuständigkeit und endgültige Kompe-
tenz für die Bankenaufsicht übernehmen, während die Bundesbank alle für die
Geldpolitik notwendigen Informationen erhält. Darüber hinaus muss die BaFin
künftig auch den Verbraucherschutz als Kernaufgabe wahrnehmen und sich
nicht nur um die Finanzbranche kümmern.

Damit die BaFin ihrem erweiterten Aufgabenspektrum gerecht werden kann,
muss auch die Aufsichtsstruktur verbessert werden. Die BaFin muss personell
und finanziell besser ausgestattet werden. Es kann nicht sein, dass die wichtigste
deutsche Aufsichtsbehörde regelmäßig auf externe Expertise angewiesen ist und

so durch Reibungsverluste wichtige Informationen verloren gehen. Auch soll

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der Präsident der BaFin, anstatt bisher vom Bundesministerium der Finanzen in
einem nichtöffentlichen Verfahren, künftig in einem transparenten Prozess be-
stellt werden. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, wie der Posten
des obersten deutschen Finanzaufsehers besetzt wird. Der Verwaltungsrat der
BaFin muss verkleinert und stärker mit unabhängigen Expertinnen und Experten
– auch aus dem Verbraucherschutzbereich – besetzt werden. Nur dann ist dieses
Gremium handlungsfähig und kann seine Aufgabe kompetent erfüllen.

Um weitere Schlussfolgerungen für eine bessere Funktionsfähigkeit der Auf-
sicht zu ziehen, ist ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss „Finanz-
marktkrise“ notwendig, der sich sachlich und umfassend mit den Missständen
und vor allem damit befasst, wie diese künftig vermieden werden können.

Das Management der Banken muss sich mäßigen. Der Staat muss dazu die not-
wendigen Rahmenbedingungen schaffen, die längst überfällig sind. Die zivil-
rechtliche Haftung derjenigen Manager, die für Inhalt und Verbreitung der rele-
vanten Kapitalmarktinformationen verantwortlich sind, muss gesetzlich festge-
legt werden. Die Zahl der Aufsichtsratsmandate muss gesetzlich auf maximal
fünf pro Person beschränkt werden. Der direkte Wechsel vom Vorstand in den
Aufsichtsrat soll künftig unmöglich sein. Die Politik muss Exzessen bei Mana-
gergehältern einen Riegel vorschieben. Das Vorstandsgehälteroffenlegungs-
gesetz muss entsprechend weiterentwickelt werden. Die Anreizstrukturen müs-
sen sich stärker an langfristigen und nachhaltigen Unternehmenszielen ausrich-
ten.

Auf europäischer Ebene soll sich die Bundesregierung für folgende Maßnahmen
einsetzen:

● Auf EU-Ebene soll eine Finanzumsatzsteuer eingeführt werden, um die
Finanzmärkte zu stabilisieren und den Finanzsektor an der Finanzierung des
Gemeinwohls zu beteiligen. Durch diese Steuer wird das Tempo auf den
Finanzmärkten reduziert und werden die Kursausschläge nach oben und
unten verringert.

● Die Eigenkapitalvorschriften für die Banken, das Regelwerk Basel II, sollen
überarbeitet und verschärft werden, um Regulierungslücken zu schließen.
Kern dieser Überarbeitung sollen Eigenkapitalvorschriften für Hedgefonds,
Private Equity und Zweckgesellschaften sein. Damit verlagert sich das Ri-
siko der Akteure wieder in den eigenen Bereich, ein behutsamerer Umgang
mit den anvertrauten Anlegergeldern und stabilere Märkte sind die Folge.
Gleiches muss für andere Sektoren der Finanzwirtschaft wie z. B. für die Ver-
sicherungen folgen: Das Regelwerk Solvency II wird gerade auf EU-Ebene
verhandelt und muss die Schlussfolgerungen aus der Finanzkrise entspre-
chend berücksichtigen.

● Die nationalen Aufsichtsbehörden müssen sich besser als bisher koordinieren
und zu einem europäischen System der Finanzaufsicht weiterentwickeln. In
einem völlig integrierten Finanzbinnenmarkt kann es nicht sein, dass grenz-
überschreitend tätige Finanzinstitute national beaufsichtigt werden. Sie brau-
chen eine EU-weite Aufsicht. Im Notfall muss sichergestellt sein, dass die
Maßnahmen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten nicht kontraproduktiv sind
und Absicherungsaktivitäten nicht zu einem schädlichen Wettlauf zwischen
den Staaten führen.

● Bringen Banken verbriefte Kredite auf den Markt, dann sollen sie mindestens
10 Prozent dieser Kredite in den eigenen Büchern halten müssen. Das führt
zu einem umsichtigeren Umgang der Banker im Kredithandel als bisher.

● Die EU-Mitgliedstaaten müssen sich auf geordnete Verfahren einigen, um
mit drohenden grenzüberschreitenden Systemrisiken bei Banken und Versi-

cherungen einheitlich umgehen zu können. Zwar haben die spontan erfolgten

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Kooperationen in den aktuellen Fällen zumindest bisher funktioniert. Doch
sollte die EU mit Mitgliedstaaten, Europäischer Zentralbank und nationalen
Notenbanken künftig nicht mehr so unvorbereitet und spontan handeln müs-
sen.

Auf internationaler Ebene soll sich die Bundesregierung für verbindliche Ver-
kehrsregeln für den Finanzmarkt einsetzen.

● Bei den Ratingagenturen sind die Interessenkonflikte, ungeeignete Pseudo-
bewertungen und zyklisches Verhalten zu verhindern. Die Konstruktion von
Finanzprodukten und die Bewertung derselben müssen getrennt erfolgen.

● Gleiches gilt für Hedgefonds und andere unregulierte Finanzmarktakteure.

● Notwendig ist außerdem eine verstärkte internationale Zusammenarbeit, die
Regulierungsoasen wirksam ausbremst und so den Wettbewerb nach unten
bei der Finanzmarktregulierung stoppt.

3. Stärkere Orientierung der Finanzmärkte am Prinzip der Nachhaltigkeit

Bisher sind die Finanzmärkte von Verantwortungslosigkeit geprägt. Geschaut
wird fast nur auf die höchste Rendite. Versprechen von 25 Prozent Rendite
haben mit dazu beigetragen, dass die Märkte nun am Abgrund stehen. Solche
Profite können nicht nachhaltig erwirtschaftet werden ohne an anderer Stelle
Schaden zu verursachen. Verantwortungsvolles Investment sieht anders aus. Es
nimmt ökologische, soziale und ethische Aspekte der Anlageentscheidung in
den Blick. Eine neue Finanzmarktverfassung muss dafür sorgen, dass Menschen
ihrer Verantwortung gerecht werden können. Dazu gehört, dass transparent
wird, wohin das Geld fließt und womit die Rendite erwirtschaftet wird. Informa-
tionspflichten für Vermögensverwalter und Unternehmen sollen die Anleger in
die Lage versetzen, ihr Investment an sozialen, ethischen und ökologischen Kri-
terien auszurichten. Solche staatlich ermöglichte Transparenz versetzt die An-
legerinnen und Anleger erst in die Lage, verantwortungsvoll zu investieren.

Die öffentliche Hand soll hier Vorbild sein. Öffentliche Gelder, beispielsweise
als Rückstellungen der gesetzlichen Rentenversicherungen, Gelder der Bundes-
anstalt für Arbeit oder Pensionsfonds im öffentlichen Eigentum, sollen nur nach
festgelegten Nachhaltigkeitskriterien angelegt werden dürfen. Solche an sozia-
len, ethischen und ökologischen Aspekten orientierte Kriterien beinhalten bei-
spielsweise das Verbot, in Unternehmen zu investieren, die Kinderarbeit zulas-
sen oder Geld in Rüstungsunternehmen oder Kohlkraftwerke zu stecken. Auch
der öffentlich-rechtliche Bankensektor ist hierbei gefragt. Gemeinwohlorientie-
rung verpflichtet zur Nachhaltigkeit beim Bankgeschäft.

Berlin, den 17. Dezember 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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