BT-Drucksache 16/11439

Einsatzmoratorium und Ächtung von DU-Munition vorantreiben

Vom 17. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11439
16. Wahlperiode 17. 12. 2008

Antrag
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln),
Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo
Hoppe, Ute Koczy, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einsatzmoratorium und Ächtung von DU-Munition vorantreiben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Beim Einsatz von Munition aus abgereichertem Uran – depleted uranium
(DU) – entstehen an und in den Zielen toxische Stäube, die bei ungeschütz-
ten Personen toxische und gegebenenfalls radiologische Schädigungen
hervorrufen können. Abgereichertes Uran ist ein nur leicht radioaktives
aber stark giftiges Schwermetall. Wenn es vom Körper in größeren Men-
gen aufgenommen wird, kann es Schädigungen, besonders der Nieren, der
Knochen und des Blutes, hervorrufen. Die Schwere der Schädigungen und
vor allem die langfristigen gesundheitlichen Folgen des Einsatzes von DU-
Munition sind aufgrund fehlender wissenschaftlicher Langzeitstudien un-
klar.

2. Der Einsatz von Munition aus abgereichertem Uran führt aufgrund der unge-
klärten Folgen für Mensch und Umwelt immer wieder zu Verunsicherungen,
Spekulationen und setzt Soldaten und Zivilisten einer nicht auszuschließen-
den Gesundheitsgefahr aus. Es bedarf daher dringend objektiver öffentlicher
Aufklärung und verlässlicher internationaler Langzeitforschung, um Klarheit
in die Frage über die gesundheitlichen Folgen von DU-Munition zu bringen.

3. Solange eine gesundheitliche Gefährdung von Soldaten und vor allem Zivilis-
ten, gerade auch nach Abschluss von Kampfhandlungen, nicht mit großer
Sicherheit ausgeschlossen werden kann, muss – auch aus völkerrechtlicher
Sicht – von einem Einsatz der Munition abgesehen werden. Viele Staaten – auch
Deutschland – verzichten bewusst auf die Verwendung von DU-Munition.
International wächst die Bereitschaft, ein Einsatzmoratorium zu unterstützen
bzw. DU-Munition gänzlich zu ächten. An diesen Bemühungen soll sich die
Bundesregierung verstärkt beteiligen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die Öffentlichkeit über die Risiken und Folgen von abgereicherter Uran-
munition aufzuklären und das Parlament über die Erkenntnisse der Bundes-
regierung bezüglich der jüngsten wissenschaftlichen Forschungen sowie der
Debatten im Rahmen der Vereinten Nationen zu unterrichten;

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2. sich dafür einzusetzen, dass kontaminierte Gebiete im In- und Ausland – ins-
besondere im Irak und im Kosovo – wo DU-Munition eingesetzt wurde,
unverzüglich ausgewiesen und entgiftet werden;

3. im Rahmen der Europäischen Union und in der NATO darauf zu drängen,
dass von den Bündnispartnern ab sofort ein Moratorium für die Verwendung
von Waffen mit abgereichertem Uran verhängt wird;

4. sich international – insbesondere im Rahmen der Vereinten Nationen (VN) –
dafür einzusetzen, dass unabhängige internationale Untersuchungen zu den
mittelfristigen und langfristigen Gesundheits- und Umweltauswirkungen von
DU-Munition in Auftrag gegeben und die Ergebnisse veröffentlicht werden;

5. in Anerkennung des völkerrechtlichen Vorsorgeprinzips (precautionary
principle) die Verwendung und Herstellung von Waffen, die abgereichertes
Uran enthalten, national zu ächten und die Lagerung, den Verkauf und
Ankauf, die Lieferung und den Transit dieser konventionellen Waffensys-
teme in Deutschland zu verbieten;

6. sich weltweit für ein Verbot der Verwendung, Produktion und Beschaffung
von Munition mit abgereichertem Uran einzusetzen und in Anlehnung an den
Ottawa- und den Oslo-Prozess eine Führungsrolle bei der Aushandlung eines
internationalen Abkommens bzw. bei der Erarbeitung eines weiteren Proto-
kolls zur VN-Konvention über bestimmte konventionelle Waffen zu überneh-
men.

Berlin, den 17. Dezember 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

1. Rund 20 Staaten besitzen DU-Munition. Geschosse aus abgereichertem
Uran wurden in verschiedenen Konflikten als Munition gegen harte Ziele
sowie in gehärteten Abwehrschilden gegen Raketen- und Artillerieangriffe
eingesetzt. So geschehen u. a. im Golfkrieg (1991), den Konflikten im ehe-
maligen Jugoslawien (1994 bis 1995, 1999) sowie im Irak (2003).

Abgereichtes Uran besteht typischerweise zu 99,8 Prozent aus Uran-238, das
am wenigsten radioaktive Uran-Isotop, und zu knapp 0,2 Prozent aus Uran-
235 und enthält kein Uran-234 mehr. Wird es nicht aus natürlichem Uran,
sondern aus abgebrannten Brennelementen von Atomkraftwerken gewon-
nen, kann es auch Spuren von dem höchstgiftigen Plutonium-239 enthalten.
Beim Aufprall von Uranmunition auf Hartgegenstände entzündet sich der
Uranstaub und es entstehen Uranpartikel und Uranoxide, die als Schwebeteil-
chen (Aerosole) und Stäube in Nanogröße in die Umgebungsluft und ins
Grundwasser gelangen. Eingeatmete oder über Nahrung oder Wunden auf-
genommene Uranteilchen können aufgrund ihrer Winzigkeit sehr lange im
Körper verbleiben und wirken von innen auf ihn ein.

2. Seit Jahren gibt es eine Auseinandersetzung um die langfristigen Risiken und
gesundheitlichen Folgen des Einsatzes von Munition aus abgereichertem
Uran. Studien und Gutachten, wie beispielsweise im Auftrag der IAEO (In-
ternationale Atomenergie Organisation), UNEP (United Nations Environ-
ment Programme), WHO (World Health Organization) oder von einzelnen

Ländern, Streitkräften und Instituten, kommen zu unterschiedlichen, teils
widersprüchlichen Ergebnissen bezüglich der toxischen und radiologischen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11439

Auswirkungen der beim Aufprall entstehenden Uranpartikel und Uranoxide.
Primäre Gefahr ist vor allem die chemotoxische Wirkung von Uran als
Schwermetall, die bei höheren Dosen zu einer Schwermetallvergiftung und
bei niedrigen u. U. zu Nierenschädigungen führen kann. Über die weitere
chemische und radiologische Toxizität und damit die gesundheitlichen und
ökologischen Auswirkungen der feinen Uranpartikel herrscht jedoch auf-
grund fehlender verlässlicher wissenschaftlicher Langzeitstudien nach wie
vor Unklarheit. Während einige Studien schwere toxische Schädigungen
sowie ein erhöhtes Risiko von Leukämie- bzw. Krebserkrankungen und
genetischen Veränderungen bestätigen, verneinen andere einen kausalen Zu-
sammenhang.

3. Die Unklarheit über die gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen
von Munition aus abgereichertem Uran führt zu einer enormen Verunsiche-
rung in der Bevölkerung sowie bei Zivilisten und Militärangehörigen, die in
den betreffenden Regionen zum Einsatz kommen. Einige Wissenschaftler
und Journalisten warnen, wie z. B. im Rahmen des Irakeinsatzes, mit dras-
tischen Bildern vor den Folgen des Einsatzes von DU-Munition. Während öf-
fentlich von vielen Staaten eine gesundheitliche Gefahr ausgeschlossen wird,
weisen interne militärische Handbücher und Leitfäden auf eine Gefährdung
durch DU-Munition hin und empfehlen Schutzmaßnahmen.

4. Die ungeklärte Kausalität zwischen dem Einsatz von DU-Munition und
Krankheits- bzw. Todesfällen wirft völkerrechtliche Probleme auf. Zwar gibt
es bislang im Völkerrecht keine expliziten, vertraglichen Bestimmungen, die
– etwa in Form eines Protokolls zum VN-Waffenübereinkommen – den
Einsatz von Uranmunition verbieten. Zu berücksichtigen sind jedoch das
Verbot von Kampfmitteln, deren Wirkung nicht begrenzt werden kann und
die damit militärische Ziele und Zivilpersonen unterschiedslos treffen kön-
nen (Art. 51 Nummer 4 Buchstabe c des Zusatzprotokolls zu den Genfer
Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler
bewaffneter Konflikte [Protokoll I] – ZP I), das Verbot von Waffen, die über-
flüssige Verletzungen und unnötiges Leiden verursachen (Art. 35 Nummer 1
ZP I) sowie der gewohnheitsrechtliche Grundsatz der Proportionalität und
das Vorsorgeprinzip (precautionary principle), das auch schwere Umwelt-
schäden umfasst. Gemäß der Regel 44 des Internationalen Komitees vom
Roten Kreuz zum Völkergewohnheitsrecht schränken mangelnde wissen-
schaftliche Erkenntnisse bezüglich der Umwelteinwirkungen dieses Vorsor-
geprinzip nicht ein.

Da eine gesundheitliche Schädigung durch Uranpartikel bisher nicht ausge-
schlossen werden kann und aufgrund der Verstreuung der Schwebeteilchen
gerade nicht zwischen Kombattanten und Zivilisten unterschieden werden
kann, sind die Bedenken berechtigt, dass der Einsatz von DU-Munition ge-
gen das humanitäre Völkerrecht verstößt. Gemäß Art. 1 des Genfer Abkom-
mens zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaff-
neten Kräfte im Felde verpflichten sich die Vertragsparteien, die Verträge
unter allen Umständen einzuhalten und ihre Einhaltung durchzusetzen. Das
heißt, auch ein Staat ohne DU-Waffenbesitz kann und muss alles dafür tun,
dass ein völkerrechtswidriger Einsatz von Uranmunition unterbleibt.

5. Verschiedene internationale Institutionen und Organisationen haben sich an-
gesichts der ungeklärten Auswirkung und der damit verbundenen völker-
rechtlichen Problematik gegen den Einsatz von DU-Munition ausgespro-
chen:

● Der Unterausschuss für Menschenrechte der Vereinten Nationen betonte
in seinen Resolutionen 1996/16 sowie 1997/36, dass der Einsatz von

Waffen mit abgereichertem Uran ein Verstoß gegen die Achtung der
Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht sei.

Drucksache 16/11439 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
● Der Generalsekretär der Vereinten Nationen brachte anlässlich des Inter-
nationalen Tags für die Verhütung der Ausbeutung der Umwelt in Kriegen
und bewaffneten Konflikten (6. November 2002) seine Besorgnis über
DU-Munition zum Ausdruck.

● In der Resolution A/RES/62/30 der Generalversammlung der Vereinten
Nationen, angenommen auch mit der Stimme Deutschlands am 5. Dezem-
ber 2007, wird die erhebliche Besorgnis über die Gesundheitsgefahren bei
der Verwendung von abgereichertem Uran in Waffen zum Ausdruck ge-
bracht. In ihren in Bezug auf die Resolution eingereichten Stellung-
nahmen (A/63/170) fordern verschiedene Länder ein Moratorium bzw. ein
Verbot des Einsatzes von DU-Munition. In der darauffolgenden Resolu-
tion A/RES/63/54 vom 2. Dezember 2008 fordert die Generalversamm-
lung die WHO, IAEO und UNEP auf, ihre Berichte zu den gesundheit-
lichen Folgen und Umweltauswirkungen in enger Zusammenarbeit mit
betroffenen Staaten zu aktualisieren.

● Belgien ächtet in Anerkennung des Prinzips der Vorsicht die Verwendung
und Herstellung von Waffen, die abgereichertes Uran enthalten (veröffent-
licht im Moniteur belge, 20. Juli 2007). Das Gesetz tritt 2009 in Kraft.
Costa Rica und Neuseeland bereiten derzeit ähnliche Gesetze vor.

● Seit 2001 fordert das Europäische Parlament wiederholt die Abfassung
eines Moratoriums über die Verwendung von Uranwaffen. Neuerdings
wurden diese Aufrufe dringlicher als Forderungen nach einer totalen
Ächtung formuliert (Entschließung des Europäischen Parlamentes vom
22. Mai 2008).

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