BT-Drucksache 16/11424

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung -16/11337, 16/11416- Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union vom 10. November 2008

Vom 17. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11424
16. Wahlperiode 17. 12. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Kerstin Müller (Köln),
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 16/11337, 16/11416 –

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation
Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf
Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und
der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008,
1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008 und
nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in
Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der
Europäischen Union vom 10. November 2008

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Piraterie am Horn von Afrika ist ein wachsendes und ernstzunehmendes
Problem. Die Zahl und die Bedrohlichkeit der Übergriffe haben in den ver-
gangenen Monaten deutlich zugenommen. Die Entführungen und Lösegeld-
erpressungen auf See stellen eine neue Dimension organisierter Kriminalität
dar.

Es gibt ein kollektives Sicherheitsinteresse der Weltgemeinschaft diesem
Treiben Einhalt zu gebieten und die Sicherheit des Seeverkehrs wieder her-
zustellen. Die Bemühungen der Vereinten Nationen und die Beteiligung di-
verser Staaten unterstreichen dies. Übergriffe auf Schiffe des Welternäh-
rungsprogramms, die zu einem großen Teil die humanitäre Versorgung der
Menschen in Somalia sicherstellen, waren Auslöser für die Aktivitäten des

Sicherheitsrates und einzelner Staaten. Vorrangiger Auftrag der EU-Mission
Atalanta ist der Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms.

Die Alternative zu einer international koordinierten Herangehensweise, wie
sie die EU-Operation Atalanta darstellt, wäre die unilaterale Absicherung
von Handelswegen durch einzelne Staaten oder die schleichende Privatisie-
rung der Sicherheit auf Seewegen. Nichtstun ist keine verantwortbare Option.

Drucksache 16/11424 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Die völkerrechtlichen Voraussetzungen für eine deutsche Beteiligung sind er-
füllt. Es gibt die Befugnisse gemäß des Seerechtsübereinkommens Arti-
kel 100 ff. entsprechende Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen und eine Gemeinsame Aktion der EU. Damit ist nach Artikel 24
Abs. 2 des Grundgesetzes ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich
möglich.

Klärungsbedarf gibt es vor allem hinsichtlich der innerstaatlichen Eingriffs-
grundlage für Festnahmen, Festhalten, Anwendung unmittelbaren Zwangs
und Überstellungen sowie bei der Gewährleistung einer mandats- und grund-
rechtskonformen Strafverfolgung in der Praxis. Angesichts der Menschen-
rechtslage in den Nachbarstaaten ist von einer Überstellung an Drittstaaten
abzusehen.

Für die Zukunft ist für die Strafverfolgung von Piraten die Einrichtung eines
internationalen Strafgerichtshofes der Vereinten Nationen, z. B. beim Inter-
nationalen Seegerichtshof in Hamburg, anzustreben.

3. Der Deutsche Bundestag nimmt zur Kenntnis, dass vor dem Hintergrund der
Größe des Einsatzgebietes und den der EU-Mission bereitgestellten Kräften
die Wirksamkeit und Reichweite des Einsatzes begrenzt ist.

Mit der ausnahmsweisen Übernahme der aktiven Schutzverantwortung für
einzelne Schiffe übernimmt die Bundesregierung auch eine Mitverantwor-
tung dafür, für wen oder was die Soldaten im Auftrag des Deutschen Bundes-
tages einem erhöhten Einsatzrisiko unterzogen werden.

Bereits bisher hat die Präsenz von OEF-Kräften am Horn von Afrika nicht
verhindern können, dass es zu erfolgreichen Piratenübergriffen in der Region
kam. Umso wichtiger ist es, die Ressourcen zu bündeln und Reibungsverluste
zu vermeiden.

4. Der Deutsche Bundestag sieht in der offen zur Schau getragenen Konkurrenz
zwischen NATO und EU und dem Nebeneinander von EU-Atalanta, OEF-
oder weiteren Missionen der NATO eine Schwächung der Wirksamkeit. Des-
halb plädiert der Deutsche Bundestag dafür, die maritimen Kräfte und Fähig-
keiten der NATO- und EU-Partner am Horn von Afrika unter dem Dach der
EU zu bündeln und einheitlichen Einsatzregeln und einem zentralen Kom-
mando zu unterstellen.

5. Die von der Bundesregierung beabsichtigte bedarfsorientierte Änderung des
Unterstellungsverhältnisses der deutschen OEF-Kräfte am Horn von Afrika
ist kein geeignetes Verfahren zur Wahrung von Mandatsklarheit und Man-
datswahrheit. Eine Obergrenze von 1 400 Soldatinnen und Soldaten ist nicht
nachvollziehbar, zumal die EU insgesamt nur von etwa 1 200 Kräften aus-
geht. Der Deutsche Bundestag plädiert daher dafür, die deutschen OEF-
Kräfte grundsätzlich der EU-Operation Atalanta zur Verfügung zu stellen.

6. Zur Bekämpfung der Ursachen und kriminellen Netzwerke der Piraten muss
erkennbar mehr getan werden. Dies muss auch die Fischerei- und Müllentsor-
gungspolitik der EU- und anderer Staaten vor der Küste Somalias beinhalten.
Die bisher eingeleiteten Maßnahmen sind nicht geeignet, dass ein Einsatz am
Horn von Afrika auf absehbare Zeit mit Erfolg beendet werden kann.

7. Der Deutsche Bundestag erinnert daran, dass es dringend geboten ist, die Un-
terrichtung zu verbessern und Prüfkriterien zu entwickeln, an Hand derer die
Bundesregierung die wesentlichen Ziele, Grundlagen und Mittel klar struktu-
riert und offen darlegt. Dadurch wird auch eine spätere Evaluation und Be-
wertung des Einsatzes erleichtert. In diesem Zusammenhang verweist der
Deutsche Bundestag auf die niederländische Unterrichtungspraxis und den

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Prüfkriterien für Aus-
landseinsätze der Bundeswehr entwickeln – Unterrichtung und Evaluation
verbessern“ (Bundestagsdrucksache 16/6770).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11424

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sicherzustellen, dass der Einsatz der deutschen Kräfte jederzeit auf einer
zweifelsfreien und klaren rechtlichen Grundlage stattfindet und die Strafver-
folgung in der Praxis mandats- und grundrechtskonform erfolgt;

2. die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofs der Vereinten Natio-
nen zur Verfolgung von Piraterie voranzutreiben;

3. sicherzustellen, dass der Bundestag bei signifikanten Änderungen, z. B.
durch neue Resolutionen des Sicherheitsrates, in angemessener Art und
Weise befasst wird;

4. die deutschen OEF-Kräfte am Horn von Afrika dauerhaft der Operation
Atalanta zu unterstellen und darauf hinzuwirken, dass dies auch andere
maritime Partnerstaaten in der Region tun;

5. sich stärker für die Beseitigung der Ursachen der Piraterie einzusetzen und
dabei auch die Mitverantwortung Dritter, z. B. durch die Fischerei und Müll-
entsorgung, zu berücksichtigen;

6. der umfassenden humanitären Schutzverantwortung gerecht zu werden und
sich aktiver und nach Kräften in Regionen mit schwersten Menschenrechts-
verletzungen, wie z. B. im Kongo, im Sudan oder in Somalia, zu engagieren;

7. den Bundestag früher und umfassender zu informieren und einzubeziehen so-
wie – analog dem niederländischen Beispiel – an Hand eines Überprüfungs-
rahmens die Grundlagen, Ziele und Mittel eines Einsatzes besser als bisher
und allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages darzulegen.

Berlin, den 17. Dezember 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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