BT-Drucksache 16/11423

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung -16/11337, 16/11416- Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union vom 10. November 2008

Vom 17. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11423
16. Wahlperiode 17. 12. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Dr. Lothar Bisky, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Dr. Hakki Keskin,
Michael Leutert, Wolfgang Neskovic, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich und der
Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 16/11337, 16/11416 –

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation
Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage
des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und der
Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008 und
1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 10. November 2008

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Frieden und Stabilität innerhalb Somalias, die Stärkung der staatlichen Instituti-
onen, wirtschaftliche Entwicklung sowie die Achtung der Menschenrechte und
der Rechtstaatlichkeit sind notwendige Vorraussetzungen für eine Beendigung
der Seeräuberei und der bewaffneten Raubüberfälle auf See vor der Küste
Somalias. Um eine dauerhafte Eindämmung der Piraterie zu ermöglichen, müs-
sen die ihr zugrunde liegenden strukturellen Ursachen behoben werden. Der seit
fast 20 Jahren andauernde Bürgerkrieg, das Fehlen staatlicher Institutionen
(z. B. einer Küstenwache) und einer funktionierenden Gerichtsbarkeit, die Ver-
armung weiter Teile der Bevölkerung sowie Überfischung und illegaler Fisch-
fang durch internationale Fangflotten begünstigen die Attraktivität illegaler Ein-
kommensquellen, zu denen neben Piraterie auch Waffenschmuggel gehört. Es
liegt auf der Hand, dass eine Lösung dieser Probleme nur unter Einbeziehung
aller Akteure in Somalia erreicht werden kann. Gleichzeitig verschärfen die Prä-

senz äthiopischer Truppen, die Angriffe im Rahmen der Operation Enduring
Freedom (OEF) und die einseitige Unterstützung der somalischen Übergangs-
regierung durch die internationale Gemeinschaft den Konflikt und haben maß-
geblich zu der Verschlechterung der Sicherheitslage und der Radikalisierung der
Konfliktparteien beigetragen.

Drucksache 16/11423 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die auf Grundlage der UN-Resolutionen 1816 (2008) vom 2. Juni 2008,
1838 (2008) vom 7. Oktober 2008 und 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008 von
der EU am 10. November 2008 beschlossene Militärmission Atalanta führt in
die falsche Richtung. Gemeinsam mit der Operation Enduring Freedom und
dem NATO-Militäreinsatz Operation Allied Provider treibt sie die Militarisie-
rung der Seesicherheit voran, um unter dem Deckmantel der Pirateriebekämp-
fung eine weit reichende militärische Kontrolle der Seewege auszubauen. Das
Piraterieproblem vor Somalia kann militärisch jedoch nicht einmal kurzfristig
behoben werden. Das Einsatzgebiet ist für eine flächendeckende Überwachung
viel zu groß, eine Identifizierung von Piratenschiffen ist kaum möglich, weder
aus der Luft noch von See aus. Obwohl der Golf von Aden im Rahmen der Ope-
ration Enduring Freedom bereits seit sechs Jahren überwacht wird und die dort
eingesetzten Kriegsschiffe in den letzten Monaten auch aktiv gegen Piraterie
vorgingen, konnten keine nennenswerten Erfolge verzeichnet werden. Gerade
die Schwierigkeit der Identifizierung von Piraten bzw. Piratenschiffen hat
bereits zu fatalen Ereignissen geführt, wie das Beispiel des von der indischen
Marine versenkten thailändischen Frachters am 18. November 2008 zeigt, bei
dem mindestens ein Besatzungsmitglied zu Tode kam, 14 weitere vermisst wer-
den.

Der Umgang der Staaten mit dem gegenwärtigen Piraterieproblem vor der Küste
Somalias weist deutlich auf die bisherigen Versäumnisse der internationalen Ge-
meinschaft bei der Bekämpfung der Kriminalität zur See hin. Die bestehenden
internationalen Rechtsinstrumente wie das Seerechtsübereinkommen der Ver-
einten Nationen von 1982 und das Übereinkommen zur Bekämpfung wider-
rechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt von 1988 sind
bis heute von zahlreichen Staaten nicht ratifiziert worden. Darüber hinaus sind
die bestehenden Vereinbarungen über ein kollektives Sicherheitssystem in den
internationalen Gewässern unter der Führung der UNO unzureichend für eine
angemessene Bekämpfung der Piraterie und müssen umfassend weiterent-
wickelt werden.

Eine Beteiligung der Bundeswehr an Einsätzen zur Bekämpfung der Piraterie ist
nicht mit den gesetzlichen Bestimmungen in Einklang zu bringen. Das für Fra-
gen der Piraterie maßgebliche völkerrechtliche Dokument, das Seerechtsüber-
einkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen von 1982, definiert Piraterie als pri-
vate, nicht einem Staat zuzuordnende, kriminelle Handlung. Auch nach deut-
schem Recht fällt Piraterie in den Bereich der Kriminalität, für deren Bekämp-
fung ausschließlich die Bundespolizei zuständig ist. Eine Bekämpfung der
Piraterie ist daher nur durch die Bundespolizei, die über die notwendigen Mittel
und Fähigkeiten verfügt, diese polizeiliche Aufgabe zu erfüllen, zulässig. Die
strikte Trennung von Polizei- und Militäraufgaben, die in Artikel 87a des Grund-
gesetzes geregelt ist, wird auch dann nicht in Frage gestellt, wenn der Einsatz
auf Artikel 24 Abs. 2 des Grundgesetzes gestützt wird. Artikel 24 Abs. 2 des
Grundgesetzes ermöglicht den Einsatz bewaffneter Streitkräfte nur im Rahmen
eines Systems kollektiver Sicherheit. Bei der EU handelt es sich jedoch nicht um
ein solches System. Außerdem liegen auch die Voraussetzungen des Kapitels
VII der UN-Charta nicht vor, da es sich bei Piraterie weder um eine Friedens-
bedrohung bzw. einen Friedensbruch noch eine Angriffshandlung gegen einen
oder mehrere Staaten handelt. Die Bundesregierung hat es trotz dieser völker-
rechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken versäumt, den Abgeordneten
des Deutschen Bundestages eine rechtliche Bewertung vorzulegen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich anstelle einer Beteiligung an der Militärmission Atalanta für die Einrich-
tung einer zeitlich begrenzten internationalen Küstenwache unter Beteiligung

der Staaten der Region und unter der Führung der UNO und der Afrikani-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11423

schen Union (AU) einzusetzen und diese durch Bereitstellung von Polizei-
kräften sowie materieller und finanzieller Mittel zu unterstützen. Hierbei
muss sichergestellt sein, dass die somalischen Autoritäten an allen Maßnah-
men beteiligt sind;

2. keine deutschen Streitkräfte für den Kampf gegen Piraterie bereitzustellen,
weder im Rahmen der EU-Militärmission Atalanta, der NATO, noch im Rah-
men der Operation Enduring Freedom, sondern die Pirateriebekämpfung der
dafür zuständigen Bundespolizei zu überlassen und die dafür notwendigen
Voraussetzungen zu schaffen;

3. sich für eine Beendigung der militärischen Intervention in Somalia einzu-
setzen. Dies beinhaltet einen sofortigen und vollständigen Abzug der noch in
Somalia befindlichen äthiopischen Truppen und die Einstellung von Angrif-
fen der USA und anderer OEF-Staaten auf das somalische Festland ebenso
wie die Verhinderung einer weiteren militärischen Intervention bzw. einer
Ausdehnung der Pirateriebekämpfung auf das somalische Festland;

4. die Aufnahme von Verhandlungen zwischen allen politischen Akteuren des
Landes zu unterstützen und Initiativen zu entwickeln, die auf die Bildung
einer repräsentativen somalischen Regierung ausgerichtet sind. In diesen
Prozess müssen auch die Regime von Puntland und Somaliland eingebunden
werden und die Unterstützerstaaten dieser Regime zu einer kooperativen
Politik bewegt werden. Gleichzeitig müssen Hilfs- und Wiederaufbaupro-
gramme entwickelt und umgesetzt werden, um das Land wirtschaftlich, poli-
tisch und sozial zu stabilisieren, den Zugang der Bevölkerung zu Nahrung
und Bildung sowie eine Rückkehr der Binnenflüchtlinge zu ermöglichen;

5. im Rahmen der Europäischen Union und der UNO ist dafür Sorge zu tragen,
dass die illegal in den somalischen Gewässern fischenden Flotten unverzüg-
lich die Territorialgewässer verlassen und zumindest vorübergehend restrik-
tive Fangquoten für den Indischen Ozean zu vereinbaren, um die völlig über-
fischten Gewässer zu regenerieren. Darüber hinaus müssen Initiativen zur
Reintegration ehemaliger Fischer ergriffen und im Rahmen der Entwick-
lungszusammenarbeit Programme zur Modernisierung der somalischen
Fischfangflotte entwickelt werden;

6. Initiativen zu ergreifen, die zu einer Weiterentwicklung des Seerechtsüber-
einkommens und einer Vereinbarung über ein kollektives Sicherheitssystem
in den internationalen Gewässern unter UNO-Führung führen. Weiterhin soll
die UNO aufgefordert und unterstützt werden, unter Einbeziehung der Inter-
nationalen Schifffahrtsorganisation und auf Grundlage des Übereinkommens
zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Seefahrt, die recht-
lichen Grundlagen für die Übertragung der Zuständigkeit für Piratenstraf-
taten auf den Internationalen Seegerichtshof zu sorgen oder eine entspre-
chende internationale Gerichtsbarkeit zu schaffen.

Berlin, den 16. Dezember 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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