BT-Drucksache 16/11388

Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik - Parlamentarische Kontrollmöglichkeiten verbessern

Vom 17. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11388
16. Wahlperiode 17. 12. 2008

Antrag
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Kerstin Müller (Köln), Jürgen Trittin, Claudia Roth (Augsburg), Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe,
Ute Koczy, Omid Nouripour, Manuel Sarrazin, Rainder Steenblock und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik –
Parlamentarische Kontrollmöglichkeiten verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der von den jeweiligen Bundesregierungen vorgetragene Anspruch einer
restriktiven Rüstungsexportpolitik wird immer wieder unzureichend um-
gesetzt. Ein Indikator hierfür ist, dass Deutschland seit vielen Jahren zu den
führenden Rüstungsexportnationen der Welt zählt. Besorgniserregend ist vor
allem, dass deutsche Rüstungsexporte, Zulieferungen stattfinden oder Lizenz-
produkte direkt oder über Dritte in Staaten und Regionen geliefert werden,
in die ein Export nach strenger Auslegung der politischen Grundsätze der
Bundesregierung für Rüstungsexporte bzw. des EU-Verhaltenskodexes für
Waffenausfuhren nicht zulässig ist. Hierzu zählen Ausfuhren nach Pakistan,
Indien, in den Nahen Osten oder Staaten Lateinamerikas.

2. Die gegenwärtige Gesetzeslage, die Entscheidungsstrukturen sowie die Pra-
xis der parlamentarischen Unterrichtung und Beteiligung tragen dazu bei,
dass Deutschland trotz guter Einzelansätze von einer restriktiven und trans-
parenten Rüstungsexportpolitik noch weit entfernt ist und dass die Bundesre-
gierung ohne Mitwirkung des Parlaments Entscheidungen treffen kann, die
von großer friedens- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind. Die einzel-
nen Fraktionen und Ausschüsse des Deutschen Bundestages nehmen ihre
Mitverantwortung für die Rüstungsexportpolitik in sehr unterschiedlichem
Maße – manche gar nicht – wahr. Hier sind Parlamente anderer Länder, wie
z. B. in Schweden, Großbritannien oder den USA, weiter.

3. Im Zeitalter der Globalisierung und der weiteren internationalen Vernetzung
der Rüstungsindustrie sind die globalen Exportregelungen und Exportkon-
trollregime zu verbessern und – z. B. im Bereich privater Sicherheitsunter-

nehmen – weiterzuentwickeln. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass der EU-
Verhaltenskodex für Waffenausfuhren nach zehn Jahren rechtsverbindlichen
Status erhalten hat und dass es bei den Bemühungen um ein internationales
Waffenhandelsabkommen Fortschritte gibt.

Drucksache 16/11388 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Rüstungsexporte künftig stärker unter friedens- und exportkontrollpoliti-
schen Gesichtspunkten zu betrachten, die Federführung dem Auswärtigen
Amt – und hier der Politischen Abteilung – zu übertragen und Entscheidun-
gen im Bundessicherheitsrat nur im Konsens zu treffen;

2. dafür Sorge zu tragen, dass die politischen Grundsätze für Rüstungsexporte
restriktiv angewandt werden und eine restriktive Rüstungsexportpolitik nicht
durch Rüstungskooperationen, Zulieferungen, private Sicherheitsunter-
nehmen oder Produktionsverlagerungen und Lizenznehmer in Drittstaaten
umgangen wird;

3. sich insbesondere im Kleinwaffenbereich national und international für eine
weitere Eindämmung und Kontrolle des legalen und illegalen Handels von
Schusswaffen – inklusive Handfeuer-, Jagd- und Sportwaffen sowie diesbe-
züglicher Munition – einzusetzen;

4. sich im Rahmen der EU für eine überprüfbare Anwendung des EU-Verhal-
tenskodexes einzusetzen und dazu beizutragen, dass sich die Exportpraxis
der EU-Mitgliedstaaten weiter und in eine restriktivere Richtung harmoni-
siert und die Praxis von Offset-Geschäften und Kreditbürgschaften beendet
wird;

5. sich im Rahmen der Verhandlungen für ein internationales Waffenhandels-
abkommen für ein weitreichendes, möglichst restriktives und möglichst um-
fassend verifizierbares Waffenhandelsabkommen einzusetzen;

6. weiterhin im Rahmen von Unterstützungsprogrammen („Outreach“) dazu
beizutragen, dass andere Staaten effiziente Rüstungsexportkontrollregime
aufbauen sowie bei der Demilitarisierung und dem Aufbau eines demokra-
tischen und effizienten Sicherheitssektors unterstützt werden;

7. die tatsächliche Ausfuhr von Rüstungs- und Dual-Use-Gütern statistisch zu
erfassen und offenzulegen, den „Neu für alt“-Grundsatz anzuwenden und
den Endverbleib von Rüstungsausfuhren sicherzustellen;

8. in Anlehnung an Modelle anderer Staaten dafür Sorge zu tragen, dass der
Deutsche Bundestag im Vorfeld von friedens- und sicherheitspolitisch be-
deutsamen Rüstungsausfuhren oder Entscheidungen in geeigneter Weise
konsultiert wird und eine Möglichkeit erhält, seine Auffassung wirksam zur
Geltung zu bringen;

9. die Weitergabe von Rüstungsgütern aus dem Bestand der Bundeswehr nur mit
Zustimmung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages – unter
Mitberatung anderer Ausschüsse – vorzunehmen;

10. den Rüstungsexportbericht weiter zu verbessern und parallel zum Jahresab-
rüstungsbericht vorzulegen.

Berlin, den 17. Dezember 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

1. Auf Rüstungsexporte kann, so lange es Streitkräfte gibt, nur begrenzt verzich-

tet werden. Rüstungskooperationen und Harmonisierungen im Beschaffungs-
bereich können sogar dazu beitragen, dass Überkapazitäten im Rüstungsbe-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11388

reich und der globale Exportdruck weiter abgebaut werden. Rüstungsexporte
dürfen aber nur unter strengen – insbesondere friedens- und rüstungskontroll-
politischen – Kriterien und im Rahmen eines wirksamen Kontrollregimes er-
folgen. Rüstungsproduzenten, Regierung, Parlament und Abgeordnete des
Deutschen Bundestages sind in der Mitverantwortung, dass deutsche Rüs-
tungsgüter nicht missbräuchlich verwendet werden. Dies setzt Transparenz
und Mitwirkungsmöglichkeiten voraus.

2. Die deutsche Rüstungsexportpolitik weist eine Reihe von Defiziten und
Schwachstellen auf. Hierzu gehören:

● Rüstungsexportfragen werden in Deutschland bislang überwiegend nicht
unter Rüstungskontrollgesichtspunkten, sondern unter dem Gesichtspunkt
des freien Handels betrachtet. Nach dem Außenwirtschaftsgesetz haben
die Rüstungsproduzenten für alle Güter, die keine Kriegswaffen im enge-
ren Sinne sind, einen Rechtsanspruch auf die Ausfuhr, der nur in begrün-
deten Einzelfällen beschränkt werden kann. Innerhalb der Bundesregie-
rung ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und
innerhalb des mitentscheidenden Auswärtigen Amts die Wirtschaftsabtei-
lung zuständig.

● Der Bundessicherheitsrat, der inzwischen fast ausschließlich dazu dient,
unter Federführung des Bundeskanzleramtes über die sensitiven und
bedeutsamen Exporte zu entscheiden, behandelt Rüstungsexportfragen als
Geheimsache. Entscheidungen werden, soweit bekannt, nicht nach dem
Konsensverfahren gefällt. Im Gegensatz zu Abgeordneten und Fraktionen
wissen viele Rüstungsunternehmen, wann welche Entscheidungen im
Bundessicherheitsrat anstehen und können entsprechend auf die Verant-
wortlichen einwirken. Mit ihrer Geheimhaltung und Intransparenz trägt
die Bundesregierung dazu bei, dass Rüstungsexporte im Verdacht stehen,
korruptionsanfällige „schmutzige Geschäfte“ zu sein.

● Der Deutsche Bundestag wird – anders als z. T. in anderen Parlamenten –
über anstehende Exportentscheidungen nicht konsultiert. Selbst bei Vor-
gängen, die den Haushalt des Bundes betreffen, wie z. B. Hermeskredit-
bürgschaften oder die Weitergabe von Rüstungsgütern, die der Bundestag
für die Bundeswehr bewilligt hat, wird der Bundestag nicht im Vorfeld um
Zustimmung gebeten. Der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung
gibt erst im Nachhinein und mit erheblicher zeitlicher Verzögerung über
erfolgte Genehmigungen und Ausfuhren oder Bürgschaften für Rüstungs-
lieferungen Auskunft. Parlamentarische Anfragen werden von den Bun-
desministerien in jüngster Vergangenheit nicht in dem gebotenen Maße
beantwortet, die Vorlage und Beratung der Rüstungsexportberichte im
Bundestag verzögert.

● Die tatsächliche Ausfuhr von Rüstungsgütern wird bis heute nicht erfasst
oder hinter Sammelausfuhren verschleiert, der Endverbleib nicht wirksam
überprüft und hehre Grundsätze – wie z. B. Ausmusterung und Vernich-
tung von Überschuss- und Altbeständen (neu für alt) – nicht angewandt.
Die Bundesregierung verzichtet im Rahmen von Kooperationsprogrammen
– im Gegensatz zur US-Regierung – darauf, auf Exportentscheidungen der
Partnernationen Einfluss zu nehmen. Bei manchen Koproduktionen, wie
z. B. dem Eurofighter, teilen sich die Partner die Exportregionen nach
innenpolitischer Durchsetzbarkeit auf. Rüstungsunternehmen umgehen
deutsche Genehmigungsverfahren, in dem sie Partner in Drittländer
suchen.

3. Die Globalisierung durchdringt auch den Rüstungsmarkt. Die Konkurrenz
um Absatzmärkte erhöht dass Risiko, dass die rücksichtslosesten Anbieter

mit den lukrativsten Nebenabsprachen und Sonderzuwendungen den Zu-

Drucksache 16/11388 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
schlag erhalten. Für den internationalen Handel mit Waffen und sicherheits-
politischen Dienstleistungen müssen daher allgemeingültige strenge Min-
deststandards gelten. Wichtig ist, dass andere Staaten und Regierungen bei
der Abrüstung und Kontrolle ihres Sicherheitsapparates und dem Aufbau von
effektiven Rüstungsexportkontrollregimen unterstützt werden.

Vor diesem Hintergrund ist die – auf ehemalige Friedensnobelpreisträger und
Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International oder Oxfam zu-
rückgehende – Initiative für ein internationales Waffenhandelsabkommen zu
begrüßen und mit Nachdruck zu unterstützen. Mit dem EU-Verhaltenskodex
existiert nun seit zehn Jahren ein Ansatz der permanent und in eine grundsätz-
lich positive Richtung weiterentwickelt wurde. Der Prozess muss weiterge-
führt werden und zum Ziel haben, dass die Staaten der EU eine gemeinsame
Rüstungsexportpraxis auf verifizierbarer, möglichst restriktiver und möglichst
transparenter Grundlage entwickeln. Hierbei kommt dem Europaparlament
eine wachsende Bedeutung zu. Es muss darauf hingewirkt werden, dass wett-
bewerbsverzerrende Offset-Geschäfte oder Kreditbürgschaften für Rüstungs-
ausfuhren europaweit abgebaut werden.

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