BT-Drucksache 16/11375

Internationale Ächtung des Söldnerwesens und Verbot der Erbringung militärischer Dienstleistungen durch Privatpersonen und Unternehmen

Vom 16. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11375
16. Wahlperiode 16. 12. 2008

Antrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Dr. Lothar Bisky, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger,
Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert, Dr. Norman Paech, Dr. Ilja Seifert, Alexander
Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Internationale Ächtung des Söldnerwesens und Verbot der Erbringung
militärischer Dienstleistungen durch Privatpersonen und Unternehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit den 1980er Jahren erlebt die Welt die Renaissance des Söldnerwesens. Söld-
ner bzw. private Unternehmen, die im weitesten Sinne militärische Dienste er-
bringen, sind vor allem in den innerstaatlichen Konflikten Afrikas, z. B. in An-
gola, Sierra Leone oder dem Kongo, zur Geißel der Bevölkerung geworden.
Söldner bzw. private Unternehmer prägen aber auch das Bild der militärischen
Interventionen der USA und anderer NATO-Staaten. Im April 2008 hielten sich
nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums gegenüber dem Congressio-
nal Budget Office etwa 160 000 sogenannte zivile Auftragnehmer zur Unterstüt-
zung der etwa 160 000 US-Soldaten im Irak auf. Ingesamt sollen sich etwa
30 000 bewaffnete Sicherheitsdienstleister im Auftrag von US-Ministerien und
der irakischen Regierung dort aufhalten. Auch in Afghanistan geht man neben
den diversen Milizen von wenigstens 30 000 Personen aus, die in dieser Branche
tätig sind. Die Angebotspalette dieser Firmen und ihrer Angestellten reicht von
der Absicherung von Konvois, Sicherung strategischer Rohstoffenklaven bis hin
zur Beteiligung an Hubschrauber Luft-Nah-Unterstützung und zu Kampfeinsät-
zen. Auch die Informationsbeschaffung durch den Betrieb von Aufklärungs-
drohnen oder durch Folter gehört inzwischen zum Repertoire dieser Personen
und Unternehmen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Unternehmen
nicht nur passiv Unterstützungsleistungen erbringen, sondern von Anfang an ein
Faktor bei den militärischen Planungen hinsichtlich der Führung von Kriegen
und militärischen Operationen sind.

Die Auslagerung von militärischen Dienstleistungen einerseits und die Betei-
ligung privatwirtschaftlicher nichtstaatlicher Akteure an bewaffneten Konflikten
andererseits stellen gegenwärtig eine der größten Herausforderungen für das
staatliche Gewaltmonopol und das Völkerrecht dar.

● Die Auslagerung von sicherheitsrelevanten Aufgaben und Kapazitäten an

privatwirtschaftliche Akteure führt dazu, dass der Staat in zunehmendem
Maß das Know-how und die Instrumente zur eigenständigen Gewährleistung
von Sicherheit verliert. Darüber hinaus steht die Privatisierung häufig für
eine stärkere Ungleichverteilung des Zugangs der Bevölkerung zu Sicherheit
und für die Durchsetzung partieller Sicherheitsbedürfnisse auf Kosten der
Allgemeinheit bzw. auf Kosten ärmerer Bevölkerungsgruppen.

● In vielen Regionen hat die ungehinderte – und seit den 1980er Jahren häufig
von internationalen Geldgebern geförderte – Privatisierung der Sicherheit

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den Aufbau eines demokratischen und funktionierenden Sicherheitssektors
verhindert sowie die Eskalation und Fortdauer von bewaffneten Konflikten
begünstigt. Angesichts eines fehlenden durchsetzungsfähigen staatlichen Ge-
waltmonopols beschleunigte sich gerade in den Krisenregionen der Kreislauf
der Privatisierung von Gewalt, so dass auch Hilfsorganisationen inzwischen
in vielen Regionen diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen.

● Die Beteiligung von Privatpersonen und Unternehmen an bewaffneten Kon-
flikten, die veränderte Art und Weise der Kriegsführung und die wachsende
Bedeutung der Informationstechnologien verwischen die völkerrechtliche
Trennlinie zwischen Kombattanten und Zivilisten und tragen zur Deregulie-
rung der Kriegsführung bei. Es ist eine Grauzone entstanden, in der die An-
gestellten dieser Unternehmen Kampf- und Kampfunterstützungsleistungen
erbringen ohne jedoch in die militärische Befehlskette eingebunden zu sein,
eine Uniform einer der Konfliktparteien tragen zu müssen und der militäri-
schen Rechtsprechung zu unterliegen. Zudem existieren keine eindeutigen
Haftungsregelungen für die Taten dieses Personenkreises und der Unterneh-
men. Der Staat kann derzeit nicht zur Rechenschaft für die Taten von Privat-
personen und Unternehmen gezogen werden, genauso wenig wie das Sicher-
heitsunternehmen, welches im Auftrag des Staates die Personen angestellt
hat.

Gerade die NATO-Staaten, die für einen Großteil der weltweiten Aufrüstung
verantwortlich und an der Mehrzahl der internationalen Militärinterventionen
beteiligt sind, sind aufgefordert, ein deutliches Zeichen gegen die weitere Auf-
weichung des staatlichen Gewaltmonopols und für das Völkerrecht zu setzen.
Vor diesem Hintergrund ist die bisherige Untätigkeit und Passivität der Bundes-
regierungen hinsichtlich der Söldner und Unternehmen, die militärische Dienst-
leistungen anbieten, besorgniserregend. Die Bundesregierung hat es bislang ver-
säumt, entschieden gegen das Söldnerwesen und den Export von militärischen
Dienstleistungen vorzugehen. Die Internationale Konvention gegen die Anwer-
bung, den Einsatz, die Finanzierung und die Ausbildung von Söldnern der Ge-
neralversammlung der Vereinten Nationen von 1989 wurde zwar von der Bun-
desregierung unterzeichnet aber noch nicht ratifiziert. Dabei ist es gerade in
Deutschland noch möglich, die rechtlichen Grundlagen für ein umfassendes
Verbot für die Erbringung von militärischen Dienstleistungen durch Unterneh-
men im Ausland zu organisieren. Noch entwickelt sich dieser bedenkliche Wirt-
schaftszweig erst in Deutschland. Man kann aus den Erfahrungen anderer Staa-
ten, wie den USA und Südafrika, lernen und deren Fehler vermeiden. Sicherheit
ist ein öffentliches Gut. Es muss ein zentrales Anliegen von Legislative, Exeku-
tive und Judikative sein, dieses Prinzip wieder zu stärken und die Versäumnisse
der Vergangenheit zu korrigieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Internationale Konvention gegen die Anwerbung, den Einsatz, die Finan-
zierung und die Ausbildung von Söldnern der Generalversammlung der Ver-
einten Nationen von 1989 dem Bundestag zur Ratifizierung vorzulegen und
die deutschen Gesetze entsprechend anzupassen;

2. die Erfassung und Kontrolle aller Unternehmen, die in Deutschland Dienst-
leistungen im Sicherheitssektor anbieten, zu gewährleisten;

3. die Auftragsannahme und Auftragserfüllung durch deutsche Staatsbürger
und Staatsbürgerinnen, durch in Deutschland registrierte Unternehmen und
ihre Angestellten sowie Vermittlungstätigkeiten für militärische Unterstüt-
zungsleistungen im Ausland, u. a. bei der unbewaffneten und bewaffneten
operativen Gefechtsunterstützung, der militärischen Beratertätigkeit und

Ausbildung sowie der militärischen Informationsbeschaffung und Gewähr-
leistung der militärischen Sicherheit, gesetzlich zu verbieten;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11375

4. keine deutschen Streitkräfte zu entsenden, wenn dabei militärisch relevante
Dienstleistungen von privaten Unternehmen übernommen werden;

5. sich auf internationaler Ebene mit dem Ziel der Ächtung des Söldnerwesens
für eine Verbesserung der rechtlichen und politischen Kontrolle und Regulie-
rung von Privatpersonen und Unternehmen einzusetzen, die militärische
Dienstleistungen erbringen.

Berlin, den 16. Dezember 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung
Bislang ist es der internationalen Gemeinschaft nicht gelungen, sich auf ein ein-
heitliches Vorgehen gegen die Firmen und die Angestellten, die militärisch rele-
vante Dienstleistungen erbringen, zu einigen. Zwar wurde als Weiterentwick-
lung von Artikel 47 des I. Zusatzprotokolls zum Genfer Abkommen von 1977
die Internationale Konvention gegen die Anwerbung, den Einsatz, die Finan-
zierung und die Ausbildung von Söldnern 1989 unterzeichnet und 2001 in Kraft
gesetzt. Allerdings haben bislang nur 30 Staaten diese Konvention ratifiziert –
darunter mit Belgien, Italien und Zypern nur drei Staaten der EU. Die interna-
tionalen Bemühungen stagnieren auch deshalb, weil gerade die Streitkräfte der
USA und Großbritanniens sich zunehmend auf Privatunternehmen stützen – ins-
besondere bei den Militärinterventionen. Die derzeitigen Regulierungsinitia-
tiven der USA und Großbritanniens sind daher auch eher als Versuche zu bewer-
ten, für die eigenen Sicherheitsbranchen die Claims auf dem Weltmarkt abzu-
stecken und über das Setzen von Standards andere vom lukrativen Markt in den
USA, Großbritannien und auch der UNO abzuhalten. Beide Staaten werden da-
bei von der International Peace Operations Association (IPOA) unterstützt,
einem Zusammenschluss von etwa 50 überwiegend britischen, südafrikanischen
und US-amerikanischen Sicherheitsunternehmen. Die IPOA betreibt seit mehre-
ren Jahren intensive Lobbyarbeit mit dem Ziel, dass die UNO einzelne Bereiche
oder die Führung einer gesamten Operation an Unternehmen vergeben kann. Für
diese Unternehmen geht es um die Legalisierung und Legitimierung der Arbeits-
beziehungen zu den westlichen Staaten und den internationalen Organisationen.
Langfristige Verträge mit diesen Akteuren würden für die Unternehmen ein
wichtiges Standbein zur Absicherung des Tagesgeschäfts sein.

Es bedarf also dringend neuer Impulse – auch in Deutschland –, diesen Unter-
nehmen rechtlich und politisch Grenzen zu setzen. Die abwartende Haltung der
früheren rot-grünen und der jetzigen Bundesregierung, die beide betonten, kei-
nen Handlungsbedarf zu sehen, öffneten bzw. öffnen den Lobbyisten der militä-
rischen Privatisierung Tür und Tor. Die Sicherheitsbranche boomt auch in
Deutschland – wenn auch der Großteil des auf mehr als 100 Mrd. US-Dollar
geschätzten Sicherheitsmarktes von britischen und US-amerikanischen Unter-
nehmen erwirtschaftet wird. Inzwischen soll es etwa 3 000 Unternehmen mit
wenigstens 170 000 Mitarbeitern geben, die einen geschätzten Umsatz von
4,5 Mrd. Euro erwirtschaften. Allerdings räumte die Bundesregierung auf An-
frage der Fraktion DIE LINKE. im April 2006 ein, dass sie mangels einer Melde-
pflicht nicht weiß, wie viele dieser Unternehmen in Deutschland aktiv sind und
welche Dienstleistungen sie exportieren. Bis heute sieht die Bundesregierung
trotzdem keinen weiteren Regelungsbedarf. Die Vorstöße der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD für eine Regulierung des Marktes für militärische Dienst-
leistungsanbieter sind abzulehnen, da dies zunächst erst einmal eine Legitimie-

rung für die Beteiligung von bewaffneten Zivilpersonen an Konflikten bedeuten
würde. Darüber hinaus ist die Befürwortung eines von den Sicherheitsunterneh-

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men zu entwickelnden unverbindlichen Ehrenkodexes eine völlig untaugliche
und unangebrachte Maßnahme, geht es doch um Fragen von Leben und Tod in
den Einsatzgebieten dieser Unternehmen. Auch hier sollten die Erfahrungen mit
der Rüstungsindustrie und dem Exportverfahren mahnende Beispiele sein. Sich
dieser Erkenntnis zu versperren, heißt die Augen vor der Zukunft zu versperren.

Alles andere als der Aufbau eines effektiven Kontrollsystems für die Sicher-
heitsbranche in Deutschland und ein kategorisches Verbot von Auslandstätigkei-
ten für diese Unternehmen wird der Realität nicht gerecht. Jeder Versuch, in der
Auslandstätigkeit von Sicherheitsdienstleistungsunternehmen hinsichtlich mili-
tärischer und anderer sicherheitsrelevanter Dienstleistungen zu differenzieren,
wird an der komplexen Realität bewaffneter Konflikte scheitern. Die Kontrolle
der Auslandsgeschäfte dieser Unternehmen wird noch viel schwieriger zu ge-
währleisten sein als bei den ohnehin schon problematischen Exportgeschäften
der deutschen Rüstungsunternehmen. Es liegt auf der Hand, dass Menschen und
Know-how über Waffen und die Unterstützung und Durchführung militärischer
Operationen wesentlich schwieriger zu kontrollieren sind als konkrete Gegen-
stände und Produktionsanlagen.

Die Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen der Frak-
tionen DIE LINKE. und FDP weisen bereits auf die engen Grenzen der Trans-
parenz- und Rechenschaftspflicht dieser Unternehmen hin: Auskunftspflichten
werden als Eingriff in die unternehmerischen Freiheiten und die Geschäftsbezie-
hungen gesehen. Dies betrifft auch das unternehmerische Gebaren bei der Auf-
tragserfüllung. Es ist nicht zu erwarten, dass dem Parlament und der Öffentlich-
keit für die Kontrolle der Auftragserfüllung in den Einsatzgebieten durch die
Unternehmen mehr Informationen über die Lage vor Ort zu Verfügung gestellt
werden als bei Auslandseinsätzen der regulären Streitkräfte. Die für militärische
Dienstleistungen eingesetzten Personen werden in der Regel nur für den jewei-
ligen Auftrag anhand der Personalkarteien ausgewählt. Ihre Qualifikationen,
ihre vorherigen Arbeitsverhältnisse, ihre möglichen Vorstrafen können nicht von
unabhängigen Stellen überprüft werden. Zudem zeichnet sich dieser globale
Markt durch drei weitere Aspekte aus, die eine effektive staatliche Regulierung
der Aktivitäten dieser Unternehmen im Ausland erschweren:

1. Schachtelkonstruktionen und Briefkastenfirmen erschweren die tatsächliche
Identifizierung der Verantwortlichen und schränken die Haftbarkeit bei Verstö-
ßen erheblich ein. Die beauftragten Unternehmen wickeln die Aufträge wie-
derum über andere Firmen ab. Das Personal rekrutiert sich aus vielen Nationen
und unterliegt damit vielen unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen.

2. Die Unternehmen benötigen keine permanente Infrastruktur für die Personal-
rekrutierung und das Personalmanagement im Einsatz, so dass je nach Op-
portunität der Firmensitz verlegt werden kann.

3. Die Unternehmen sind in der Regel eng assoziiert mit anderen transnationalen
Rohstoff- und Rüstungskonzernen, z. T. auch als Subunternehmen, so dass ein
vielschichtiges Interessengeflecht die Auftragsumsetzung bestimmen kann.

Die für das Söldnerwesen zuständige Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen
über den Einsatz von Söldnern als Mittel zur Verletzung der Menschenrechte
und zur Behinderung der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Völker“
hat in ihrem Bericht vom Januar 2008 hinsichtlich der privaten Sicherheits- und
Militärfirmen zusammenfassend festgehalten: „Diese neu entstehenden nicht-
staatlichen Körperschaften übersteigen die Macht der Regierungen und erodie-
ren das traditionelle Verständnis von Souveränität und Gewaltmonopol. Private
Sicherheits- und Militärfirmen, deren Hauptziel der Profit ist, bieten keine sta-
bile Basis für langfristige Stabilität“. Diese Bewertung unterstreicht die Not-
wendigkeit, dass die Bundesregierung unverzüglich Maßnahmen zur Verhinde-
rung einer weiteren Erosion des staatlichen Gewaltmonopols und zur Stärkung

des Völkerrechts unternehmen muss.

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