BT-Drucksache 16/11208

zu der Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses als 1. Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 45a Abs. 2 des Grundgesetzes -16/10650- zu dem auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD am 25. Oktober 2006 gefassten Beschluss des Verteidigungsausschusses, sich zum Misshandlungsvorwurf des ehemaligen Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz gegenüber Angehörigen des Kommandos Spezialkräfte im US-Gefangenenlager Kandahar, Afghanistan, als Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 45a Abs. 2 des Grundgesetzes zu konstituieren

Vom 3. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11208
16. Wahlperiode 03. 12. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln),
Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo
Hoppe, Ute Koczy, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des
Verteidigungsausschusses als 1. Untersuchungsausschuss gemäß
Artikel 45a Abs. 2 des Grundgesetzes
– Drucksache 16/10650 –

zu dem auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD am 25. Oktober 2006
gefassten Beschluss des Verteidigungsausschusses, sich zum Misshandlungs-
vorwurf des ehemaligen Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz gegenüber
Angehörigen des Kommandos Spezialkräfte im US-Gefangenenlager Kandahar,
Afghanistan, als Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 45a Abs. 2 des Grund-
gesetzes zu konstituieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Bundesregierung kommt ihren Informationspflichten beim Auslandsein-
satz deutscher Streitkräfte gegenüber dem Deutschen Bundestag nur unzu-
reichend nach. Dies gilt insbesondere – wie der Fall Kurnaz belegt – für den
Einsatz des Kommandos Spezialkräfte (KSK) oder anderer Spezialkräfte der
Bundeswehr.

2. Die Abgeordneten und beteiligten Ausschüsse sind umfassend über alle den
Streitkräfteeinsatz betreffenden Sachverhalte zu unterrichten. Eine Geheim-
haltung von Einzeloperationen – einschließlich der konkreten Verwendung
der KSK oder anderer Spezialkräfte – ist auf ein Minimum zu beschränken.
Sie kommt nur dann und nur solange in Betracht wie der Einsatz selbst oder
beteiligte Personen durch eine öffentliche Behandlung gefährdet wären. Mit
der Reduzierung oder dem Wegfall der Gefährdung fallen auch die Unter-
richtungseinschränkungen.

Drucksache 16/11208 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Die bisherige Unterrichtungspraxis zeigt, dass wesentliche Elemente einer
Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung insti-
tutionalisiert und rechtlich verbindlich verankert werden müssen. Hierfür ist
eine Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes erforderlich. Folgende
Eckpunkte sind dabei zu berücksichtigen:

● Aus dem Antrag der Bundesregierung auf Zustimmung des Parlamentes
zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte muss – wie in der Vergangenheit
üblich – hervorgehen, welche Kräfte – einschließlich der Spezialkräfte
der Bundeswehr – für einen Einsatz vorgesehen sind.

● Die bislang im Begründungsteil zum Parlamentsbeteiligungsgesetz auf-
geführten Unterrichtungsanforderungen nach § 6 des Parlamentsbeteili-
gungsgesetzes, sind im Gesetzesteil zu verankern.

● Über den Einsatz der Spezialkräfte wird der Deutsche Bundestag fort-
während, mindestens alle sechs Monate zusammenfassend unterrichtet.

● Im Rahmen eines nur ausnahmsweise zulässigen vertraulichen Unterrich-
tungsverfahrens sind die Vorsitzenden, die Stellvertretenden Vorsitzenden
sowie die Obleute des Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen
Ausschusses des Deutschen Bundestages zu unterrichten. Auf Wunsch
des Wehrbeauftragten ist dieser in das Unterrichtungsverfahren einzube-
ziehen.

● Auf Antrag von zwei oder mehr Obleuten legt die Bundesregierung wei-
tere einsatzrelevante Informationen vor. Die Obleute sind befugt, im Zu-
sammenhang mit den betreffenden Einsätzen die Anhörung von Personen
zu verlangen. Das Interpellationsrecht jedes Abgeordneten bleibt im Üb-
rigen unberührt.

● Die Obleute sind ermächtigt, die vertraulich erhaltenen Informationen an
die Fraktionsvorsitzenden weiterzugeben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Informationspolitik zu verbessern und diese im Hinblick auf die genann-
ten Feststellungen anzupassen;

2. die Abgeordneten des Deutschen Bundestages frühzeitig und umfassend
über einen beabsichtigten oder stattfindenden Einsatz bewaffneter Streit-
kräfte zu unterrichten;

3. die Unterrichtungspflichten des Parlamentsbeteiligungsgesetzes parlaments-
freundlich zu interpretieren und die jährlichen Zwischen- und die abschlie-
ßenden Evaluierungsberichte – inklusive über den Einsatzes von Spezial-
kräften – allen Abgeordneten und der Öffentlichkeit in Drucksachenform
zur Verfügung zu stellen;

4. den Deutschen Bundestag nicht nur über die Fähigkeiten, sondern die einge-
setzten bzw. zum Einsatz vorgesehenen Kräfte, einschließlich von Spezial-
kräften, zu informieren;

5. dem Deutschen Bundestag zeitnah – spätestens bis Februar 2009 – einen
umfassenden Evaluierungsbericht über die Beteiligung der Bundeswehr an
der Operation Enduring Freedom in Afghanistan vorzulegen, der sowohl die
militärischen als auch die politischen Aspekte des Einsatzes analysiert, die
Wirksamkeit und Defizite darlegt und Schlussfolgerungen für künftige Ein-
sätze (Lessons Learned) umfasst;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11208

6. dem Deutschen Bundestag zur Mitte und zum Ende der Legislaturperiode
einen Bericht über die Spezialkräfte der Bundeswehr vorzulegen. Der Be-
richt soll u. a. Auskunft geben über Rekrutierung, Ausbildung, Ausstattung,
Einsatz der Spezialkräfte und die Einhaltung der Grundsätze der Inneren
Führung.

Berlin, den 3. Dezember 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Mit den Misshandlungsvorwürfen im Fall Kurnaz in Kandahar und der Einset-
zung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuss ist die grund-
sätzliche Frage einer parlamentarischen Kontrolle von Spezialkräften und ge-
heimhaltungsbedürftigen Einsätzen in den Mittelpunkt gerückt. Der Deutsche
Bundestag hatte seit 2001 im Rahmen der deutschen Beteiligung an der Anti-
Terror-Operation Enduring Freedom wiederholt über den Einsatz von Spezial-
kräften in Afghanistan zu entscheiden ohne überprüfen zu können, ob der Ein-
satz dringlich und verantwortbar ist. Abgeordnete wussten auf Grund der
Geheimhaltung in der Regel nicht, ob deutsche Streitkräfte überhaupt im Ein-
satz sind. Die vom Parlament geforderten, halbjährlich vorzulegenden bilanzie-
renden Zwischenberichte enthielten keine Angaben zum Einsatz der Soldaten
des Kommandos Spezialkräfte in Afghanistan. Der bilanzierende Gesamt-
bericht wurde nur ein einziges Mal in Form einer Unterrichtung durch die Bun-
desregierung als Parlamentsdrucksache verteilt (Bundestagsdrucksache 14/8990).
Auf dieser Grundlage konnte der Deutsche Bundestag seine konstitutive Ver-
antwortung für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht wahrnehmen.

Mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz wurden die Mindestanforderungen an
eine parlamentarische Unterrichtung im Vorfeld, während bzw. nach Abschluss
eines Einsatzes weiter präzisiert. Die Informations- und Unterrichtungspraxis
der Bundesregierung hat sich jedoch noch nicht verbessert. Die Bundesregie-
rung bleibt eine frühzeitige und umfassende Information schuldig. Dies gilt
sowohl für den Einsatz von Spezialkräften, für die Information über geplante
Einsätze und die Vorlage von jährlichen Zwischen- bzw. evaluierenden Ab-
schlussberichten. Bis heute liegen keine Wirksamkeitsanalysen über den Ein-
satz bewaffneter Streitkräfte vor.

Parallel zur Einsetzung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsaus-
schuss hat die Bundesregierung im Dezember 2006 den Fraktionsvorsitzenden
probeweise ein Unterrichtungsverfahren für den Einsatz von Spezialkräften
vorgeschlagen, das eine Unterrichtung der Vorsitzenden, der stellvertretenden
Vorsitzenden sowie der Obleute des Auswärtigen Ausschusses und des Vertei-
digungsausschusses des Deutschen Bundestages vorsieht. Demnach unterrich-
tet die Bundesregierung auf vertraulicher Basis alle sechs Monate bzw. vor der
Entsendung von Spezialkräften und nach Abschluss wichtiger Einzeloperatio-
nen. Eine Unterrichtung soll jedoch erst dann erfolgen, sobald und soweit dies
ohne Gefährdung des Einsatzes, der Soldaten oder ihrer Angehörigen möglich
ist. In einem solchen Fall ist jedoch eine vertrauliche Unterrichtung überflüssig.
Eine Unterrichtung des Deutschen Bundestages wird damit weiterhin weitge-
hend dem Ermessen und der Initiative der Bundesregierung überlassen.

Drucksache 16/11208 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Diesem Vorschlag des Bundesministers des Auswärtigen und des Bundesminis-
ters der Verteidigung haben daher nicht alle Fraktionen zugestimmt. Um die
Informations- und Unterrichtungspflichten zu präzisieren und auf eine rechts-
verbindliche Grundlage zu stellen, ist eine Anpassung des Parlamentsbeteili-
gungsgesetzes vorzunehmen.

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