BT-Drucksache 16/11145

Einführung der elektronischen Gesundheitskarte

Vom 28. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11145
16. Wahlperiode 28. 11. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Frank Spieth, Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst,
Ulla Jelpke, Katja Kipping, Jan Korte, Katrin Kunert, Ulla Lötzer, Wolfgang
Neskovic, Petra Pau, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert
und der Fraktion DIE LINKE.

Einführung der elektronischen Gesundheitskarte

Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) und das zu Grunde liegenden Tele-
matiksystem gelten als umfangreichstes Technologieprojekt im deutschen
Gesundheitswesen. Die Einführung dieses Systems wurde bereits 2003 be-
schlossen. Organisatorische, strukturelle und technische Unklarheiten haben
diese bisher verzögert. Das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Kran-
kenversicherung und die anschließende Verordnung sehen eine mehrstufige
Testphase vor, die derzeit durchlaufen wird. Testergebnisse, zum Beispiel aus
Schleswig-Holstein, zeigen große Probleme beim praktischen Umgang mit der
Karte, etwa beim Eingeben der Persönlichen Identifikationsnummer (PIN).
Eine breite und transparente Evaluierung der Tests ist bisher nicht erfolgt.

Verbände von Ärzten und anderen Leistungserbringern, Datenschutzinitiativen
und Patientenorganisationen haben die Einführung der Karte immer wieder kri-
tisiert. So beschloss der 111. Deutsche Ärztetag im Juli 2008 einen Forderungs-
katalog zur Einführung der Karte. Die Ärzte fordern die Freiwilligkeit der An-
wendung der eGK, die Prüfung alternativer und dezentraler Lösungen in der
Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und leh-
nen eine Kommerzialisierung von Gesundheitsdaten ab. Zudem seien die der-
zeitigen Testverfahren nicht geeignet, die durch die eGK verursachten Störun-
gen in den Abläufen in Praxen und Krankenhäusern zu verhindern.

Bürgerrechtsinitiativen, etwa der Chaos Computer Club e. V., raten von einer
Einführung dieses Systems in der derzeit geplanten Form ab. Dieses weise bei
hohen Sicherheitsrisiken eine völlig unzureichende Nutzenperspektive auf.

Die Mitgliederversammlung der gematik (Gesellschaft für Telematikanwen-
dungen der Gesundheitskarte mbH) fasst jüngst einen Beschluss zum ergeb-
nisoffenen Test von dezentralen Speicherlösungen als Alternative zur bisher
geplanten Telematik.

In der so genannten Durchstichregion Nordrhein soll nun trotzdem mit dem
Rollout der Karten begonnen werden, nachdem sich die dortige Kassenärztliche

Vereinigung mit den Krankenkassen auf Pauschalen für die Installation der not-
wendigen Infrastruktur in Praxen und Kliniken geeinigt hat.

Drucksache 16/11145 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Tests wurden bisher wo mit welchen Ergebnissen durchgeführt,
und inwieweit waren die betroffenen Patientinnen und Patienten in die
Auswertung einbezogen?

2. Welche Ergebnisse haben zu welchen Modifikationen an der ursprüng-
lichen Architektur des eCard-Projekts selbst geführt?

3. Wann soll in der Region Nordrhein mit der Ausgabe der neuen eGK be-
gonnen werden?

4. Welche der ursprünglich vorgesehenen Funktion wird diese ausgegebene
Version der Karte enthalten (bitte mit Gesetz abgleichen)?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die dort getroffene Vereinbarung zu den
Erstattungspauschalen im Hinblick auf ihre Vorbildwirkung für das ge-
samte Bundesgebiet?

6. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die erwarteten Gesamt-
kosten für die Krankenversicherungen für die Einführung der eGK in der
Region Nordrhein im kommenden Jahr?

7. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den durch die Leistungserbringer zu
leistenden Eigenanteil (in Prozent vom Gesamtbetrag) bei Erwerb und
Installation der Infrastruktur ein?

8. In welchem Umfang ist die Karte in der Region Nordrhein getestet worden
(bitte aufgeschlüsselt nach Anzahl der Karten sowie der teilnehmenden
Leistungserbringer)?

9. Wie schätzt die Bundesregierung die Ergebnisse dieser Tests im Hinblick
auf Praktikabilität im Praxisalltag, Sicherheit von Daten und Prozessen so-
wie technische Stabilität ein?

10. Welchen Grad an Freiwilligkeit der Nutzung wird nach Kenntnis der Bun-
desregierung Patienten wie Leistungserbringern bei der Einführung der
eGK in der Region Nordrhein eingeräumt?

11. Welche Sanktionsmöglichkeiten haben die Gesetzlichen Krankenversiche-
rungen gegen Patienten, die sich nicht an der eGK beteiligen möchten
(bitte auch gesetzliche Grundlage nennen)?

12. Wie schätzt die Bundesregierung die Eignung der Region Nordrhein als
Vorbildregion für die bundesweite Einführung der eGK ein (bitte mit Be-
gründung)?

13. a) Plant die Bundesregierung eine öffentliche und für die Patienten leicht
zugängliche bzw. verständliche Auswertung der bundesweiten Tests mit
der eGK?

b) Wenn ja, wann, und in welcher Form?

14. Wann rechnet die Bundesregierung mit dem Basisstart der Onlinefunktio-
nalität des Kartensystems?

15. In welchem Stadium befindet sich nach Kenntnis der Bundesregierung die
Entwicklung der Telematikinfrastruktur, die die Onlineanbindung der eGK
sicherstellt?

16. a) Welcher Stand ist nach Kenntnis der Bundesregierung bei der Aus-
stattung der Leistungserbringer mit Breitbandzugängen zum Internet er-
reicht, die für eine Nutzung der Onlinefunktionen der eGK zwingende
Voraussetzung sind?
b) Welche Entwicklung erwartet die Bundesregierung in dieser Hinsicht in
den kommenden Jahren, insbesondere in ländlichen Regionen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11145

17. Wie soll nach Kenntnis der Bundesregierung der Beschluss der gematik
konkret umgesetzt werden, als Alternative zur zentralen Lösung der Tele-
matik nun auch dezentrale Speichermöglichkeiten (USB-Sticks o. Ä.) zu
testen?

18. Wie bewertet die Bundesregierung diesen Beschluss der gematik insbeson-
dere im Hinblick auf Datensicherheit und Benutzerfreundlichkeit sowie
auf die entstehenden Kosten?

19. Wie soll nach Kenntnis der Bundesregierung angesichts des bevorstehen-
den Rollouts der eGK die Ergebnisoffenheit der Tests von dezentralen
Speicherlösungen sichergestellt werden?

20. Welche Vorhaben wurden nach Kenntnis der Bundesregierung auf dem
IT-Gipfel bezüglich der eGK vereinbart, etwa in der Arbeitsgruppe eHealth
unter Beteiligung eines Staatssekretärs des Bundesministeriums für Ge-
sundheit?

21. Wann wird die genannte Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit
vorstellen?

22. a) Welche so genannten Mehrwertdienste, die auf der Telematikinfrastruk-
tur der eGK aufsetzen, sind aus Sicht der Bundesregierung denkbar?

b) Welche Mehrwertdienste sind nach Kenntnis der Bundesregierung in
der konkreten Entwicklung?

c) Welche Firmen sind daran beteiligt?

23. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den Wechsel
des gematik-Geschäftsführers Dirk Drees zur Firma GeTeG, wo er die Ent-
wicklung von kommerziellen Mehrwertdiensten als seine Hauptaufgabe be-
trachtet (Presseerklärung der InterComponentWare AG vom 15. Juli 2008)?

24. Wie bewertet die Bundesregierung die zukünftigen Perspektiven von
Mehrwertanwendungen für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung,
etwa im Hinblick auf eine verbesserte Versorgung älterer oder sozial
schwacher Menschen?

25. Wie können Mehrwertanwendungen zur Refinanzierung der Kosten der
Telematikinfrastruktur beitragen?

26. a) Kann die Bundesregierung die Meldung des Verbands der Niedergelas-
senen Ärzte Deutschlands e. V (NAV-Virchow-Bund) bestätigen, wo-
nach im kommenden Jahr 660 Mio. Euro allein aus dem Gesundheits-
fonds für die Einführung der eGK eingesetzt werden sollen?

b) Wenn ja, welche spezifischen Kosten sollen mit diesem Betrag abge-
deckt werden?

27. a) Kann die Bundesregierung die Meldung bestätigen, dass der Haushalt
der gematik im Jahr 2009 um 30 Prozent auf 85 Mio. Euro netto steigen
soll?

b) Wenn ja, wofür wird dieser Zuwachs vorrangig eingesetzt?

28. Auf welche Summe belaufen sich nach Planung der Bundesregierung die
Gesamtkosten der eGK-Einführung im Jahr 2009 für Versicherte, Leis-
tungserbringer und die staatlichen Haushalte?

29. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von dem Feldversuch der Kran-
kenkasse Knappschaft-Bahn-See mit einer elektronischen Patientenakte
(ePA) im „prosper“-Netzwerk?

Drucksache 16/11145 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
30. Ab wann und in welchem Umfang werden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung im „prosper“-Netzwerk Patientenakten gemäß § 291a des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) angelegt?

31. In welcher Form werden nach Kenntnis der Bundesregierung dort die
Datenschutzvorgaben nach § 291 SGB V umgesetzt, beispielsweise bei der
Verschlüsselung und den Zugriffsrechten?

32. a) Kann die Bundesregierung bestätigen, dass in diesem Feldversuch
„sämtliche medizinische Daten über Diagnosen, Medikationen, Be-
funde, Therapieempfehlungen als auch Labordaten“ in der ePA ge-
speichert werden (laut Selbstdarstellung auf der „prosper“-Internetseite
www.prosper-netz.de/fileadmin/Formulare/PROSPER-
Elektronische_ Patientenakte.pdf )?

b) Wenn ja, wie ist die Freiwilligkeit bei der Datenerhebung in Bezug auf
die infomationelle Selbstbestimmung des Patienten in diesem Versuch
einer ePA gesichert?

33. Wie schätzt die Bundesregierung die für eine Speicherung der ePA genutz-
ten Server des Branchennetzwerks Gesundheitswesen (BNGW) im Hin-
blick auf Datensicherheit und Störungsfreiheit ein?

34. Inwieweit können diese Daten auch anderen Nutzern außerhalb des „pros-
per“-Verbundes zugänglich gemacht werden, etwa wenn Patienten andere
Ärzte als die des Verbundes aufsuchen?

35. Inwieweit können die Daten der ePA auch für Abrechnungszwecke ver-
wendet werden?

36. Inwieweit hat dieses Projekt der Knappschaft-Bahn-See Vorbildwirkung
für die bundesweite eGK-Infrastruktur?

37. a) Plant die Bundesregierung eine Auswertung dieses Versuchs der
Knappschaft-Bahn-See?

b) Wenn ja, wann, in welcher Form, und mit welchem Zugang für die
Öffentlichkeit?

Berlin, den 28. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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