BT-Drucksache 16/11111

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/10189, 16/10494, 16/11055, 16/11108- Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2009 (JStG 2009)

Vom 26. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11111
16. Wahlperiode 26. 11. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, Ulla Lötzer, Kornelia Möller,
Dr. Herbert Schui, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Axel Troost, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/10189, 16/10494, 16/11055, 16/11108 –

Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2009 (JStG 2009)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Nach dem Gesetzentwurf des Jahressteuergesetzes 2009 soll ab 2010 ein frei-
williges Faktorverfahren für die Lohnbesteuerung abhängig beschäftigter Ehe-
gatten eingeführt werden. Dabei wird für beide Ehegatten die Steuerklasse IV
angewendet sowie zusätzlich – und anders als bei der Steuerklassenkombina-
tion IV/IV – die steuermindernde Wirkung des Splittingverfahrens durch den
Einsatz eines Faktors beim Lohnsteuerabzug vorweggenommen. Der Faktor er-
gibt sich dabei aus der voraussichtlichen Einkommensteuer für beide Ehegatten
nach dem Ehegattensplitting und der Summe der Lohnsteuer bei Anwendung
der Steuerklassen IV.

Das Faktorverfahren ist nicht zwingend, sondern kann von den Ehegatten frei
gewählt werden.

Die Bundesregierung unternimmt damit den zweiten Versuch, die Wirkung der
Lohnsteuerklassen III und V zu neutralisieren. Sie begründet dies mit der hohen
steuerlichen Belastung in der Lohnsteuerklasse V und der daraus resultierenden
negativen Anreizwirkung für die Erwerbsarbeit von Frauen.

Diese Bewertung ist nicht zutreffend. Allerdings hebt das vorgeschlagene
Faktorverfahren die negativen Effekte nicht auf, da diese letztlich auf das Ehe-
gattensplitting zurückzuführen sind. Den Schritt einer Umwandlung des Ehe-
gattensplittings wagt die Bundesregierung aber nicht. Zudem ist das Faktor-
verfahren – nach Aussagen des Bundesministeriums der Finanzen selbst – ge-

rade für fünf Prozent der verheirateten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
attraktiv. Eine umfassende gleichstellungspolitische Wirkung ist allein deshalb
nicht zu erwarten. Weiterhin wird die steuerliche Diskriminierung alleinerzie-
hender Eltern nicht abgebaut.

Das Faktorverfahren ist darüber hinaus aus datenschutzrechtlichen Gründen
problematisch, da es dem Arbeitgeber Rückschlüsse auf die ehelichen Ein-
kommensverhältnisse ermöglicht. Diese Bedenken sind mit dem Verweis der

Drucksache 16/11111 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Bundesregierung auf die Freiwilligkeit des Verfahrens nicht zu zerstreuen. In
der logischen Folge dieser Argumentation könnte der Kritik von Daten-
schützern an der Vorratsdatenspeicherung von Telefonaten ebenfalls mit dem
Hinweis auf die Freiwilligkeit von Telefonanschlüssen begegnet werden. Eine
datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit kann jedoch nicht von der Freiwillig-
keit der Inanspruchnahme, noch von den für die Betroffenen günstigeren ge-
setzlichen Regelungen abhängig gemacht werden.

Letztlich wird mit der Einführung des Faktorverfahrens eine gerechte und
transparente Besteuerung aller Steuerpflichtigen nach der Leistungsfähigkeit
nicht erreicht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf zur Reform der Familienbesteuerung vorzulegen.

Danach sollen die Steuerpflichtigen zukünftig mit ihren eigenen Einkünften
individuell und unabhängig von ihrer Lebensweise veranlagt werden. Das Ehe-
gattensplitting sowie die Verdoppelung der Vorsorgepauschale sowie anderer
Frei- und Abzugsbeträge in Abhängigkeit von der Verehelichung entfallen.
Schöpft ein Steuerpflichtiger aufgrund seines zu geringen Einkommens seinen
Grundfreibetrag nicht aus, so kann er die verbleibende Differenz auf den Part-
ner oder die Partnerin übertragen. Der Existenzbedarf von Kindern wird be-
rücksichtigt.

Berlin, den 25. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Das Ehegattensplitting ist aus gleichstellungs, familien- und sozialpolitischen
Gründen nicht mehr zeitgemäß. Es privilegiert Ehegatten ungerechtfertigt
gegenüber anderen Lebensweisen. Vor dem Hintergrund noch immer geringerer
Löhne und Gehälter von Frauen fördert das Splitting vordergründig Ehen mit
traditioneller Rollenteilung. Hohe Einkommensgruppen werden gegenüber ge-
ring verdienenden Eheleuten überproportional gefördert.

Grundlage der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist die
steuerliche Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen unabhängig von ihrer
Lebensweise. Dem widerspricht die steuerliche Begünstigung von Ehen durch
das Ehegattensplitting und die Verdoppelung von Frei- und Abzugsbeträgen.
Steuerlich diskriminiert werden alleinerziehende Eltern und Menschen in
gleichgeschlechtlichen und anderen nichtehelichen Partnerschaften.

Die Möglichkeit zur Zusammenveranlagung von Ehepartnern ist auch keine
Regelung, die der Entlastung oder der Förderung von Familien dient. So ent-
faltet – laut Auskunft der Bundesregierung in der Beantwortung einer Kleinen
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 16/2231) – das
Splittingverfahren bei verheirateten Eltern mit einem gleich hohen Verdienst
keine, bei einem Alleinverdienerpaar (ohne Kinder) hingegen seine maximale
Wirkung. Darüber hinaus hängt die steuerliche Entlastung aufgrund des Ehe-
gattensplittings – neben der Aufteilung des Einkommens auf die Ehegatten –
wesentlich von der Höhe ihres Einkommens ab: Hatte nur einer der Ehegatten
Einkünfte belief sich die Wirkung des Splittings im Jahr 2006 bei einem Brutto-

lohn in Höhe von 30 000 Euro jährlich auf 3 493 Euro, bei einem Bruttolohn
von 120 000 Euro auf 9 032 Euro.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11111

Auch im Rahmen seiner Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht
verdeutlicht, dass die Zusammenveranlagung von verheirateten Menschen in
keinem Zusammenhang mit kindbedingten Leistungen steht. So führte es in sei-
nem Urteil vom 11. November 1998 aus, dass die Zusammenveranlagung von
allen Ehegatten in Anspruch genommen werden kann, „unabhängig davon, ob
sie unterhaltsberechtigte Kinder haben oder nicht; die Zusammenveranlagung
setzt die Ehe, nicht den kindbedingten Bedarf voraus“. Damit wurde einmal
mehr deutlich, dass sich das Ehegattensplitting und andere Regelungen der Zu-
sammenveranlagung nicht mit familiären Verpflichtungen rechtfertigen lassen,
sondern ausschließlich der steuerlichen Begünstigung der Ehe dient.

Angesichts der Lebenssituation zahlreicher Menschen ist dies jedoch nicht
mehr zeitgemäß. Nach einer Untersuchung des Statistischen Bundesamtes
(Leben in Deutschland; Haushalt, Familien und Gesundheit – Ergebnisse des
Mikrozensus 2005) ist die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften seit
1996 um rund ein Drittel auf 2,4 Millionen in 2005 gestiegen. Die Zahl der Ehe-
paare ohne Kinder stieg im gleichen Zeitraum um fünf Prozent (West) bzw.
sechs Prozent (Ost) an. Gleichzeitig stieg die Zahl alternativer Familienformen
(Alleinerziehende und Lebensgemeinschaften mit Kindern). Auch dies sollte
Anlass sein, die ausschließliche Bevorzugung der Ehen, insbesondere der
Alleinverdienerehen, zu überwinden und zu einer Gleichbehandlung der Steuer-
pflichtigen und einer – vom Trauschein unabhängigen – Familienförderung
überzugehen.

Einer Abschaffung des Ehegattensplittings und einer Verdoppelung von Frei-
beträgen steht das Bundesverfassungsgericht – entgegen anders lautender
Behauptungen – nicht im Wege: In ihrem diesbezüglichen historischen Urteil
aus dem Jahre 1957 gingen die damaligen Richterinnen und Richter auf die
zwangsweise Zusammenveranlagung von Ehegatten als Relikt aus der NS-
Diktatur ein. Gleichzeitig gaben sie vor, dass – nur wenn der Staat an der Zu-
sammenveranlagung festhalten wolle – Ausgleichsmaßnahmen wie z. B. das
Splitting notwendig wären.

Demzufolge sind einer konsequenten Individualisierung der Besteuerung keine
verfassungsrechtlichen Schranken gesetzt. Durch die Übertragbarkeit des nicht
ausgeschöpften steuerlichen Grundfreibetrages auf einen Partner bzw. eine
Partnerin wird steuerlich berücksichtigt, dass Menschen in unterschiedlichen
Lebensweisen füreinander Verantwortung übernehmen. Darüber hinaus werden
durch den Übertragungsbetrag Höherbelastungen für kleine bis mittlere Ein-
kommen verhindert.

Die Umgestaltung der Ehegattenbesteuerung würde mindestens 11 Mrd. Euro
Steuermehreinnahmen erzielen (mindestens 7,7 Mrd. Euro die Umwandlung
des Splittings; mindestens 3,3 Mrd. Euro die Streichung der Verdoppelung
maßgeblicher Frei- und Abzugsbeträge). Gleichzeitig entfielen komplizierte
Verfahren zur Schmälerung der Wirkung der Lohnsteuerklassen – das Steuer-
system wäre einfacher und transparenter.

Eine Reform der Familienbesteuerung wird sowohl von namhaften Frauen- und
Familienverbänden, z. B. dem Deutschen Frauenrat e. V. und dem Verband
alleinerziehender Mütter und Väter, als auch der Arbeitsgemeinschaft Sozial-
demokratischer Frauen gefordert. Gleiches empfehlen inzwischen internatio-
nale Organisationen. So hat die OECD in ihrem Wirtschaftsbericht Deutschland
2008 auf die negativen Beschäftigungsanreize des Ehegattensplittings hin-
gewiesen und die Einführung einer Individualbesteuerung mit übertragbarem
zweitem Grundfreibetrag befürwortet.

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