BT-Drucksache 16/11103

Auswirkungen der von der privaten Versicherungswirtschaft angenommenen Lebenserwartungen auf die Rendite von Riester-Renten

Vom 26. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11103
16. Wahlperiode 26. 11. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Martina
Bunge, Dr. Barbara Höll, Katja Kipping, Katrin Kunert, Ulla Lötzer, Elke Reinke,
Frank Spieth, Dr. Axel Troost, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der
Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen der von der privaten Versicherungswirtschaft angenommenen
Lebenserwartungen auf die Rendite von Riester-Renten

Laut der ZDF-Sendung „Frontal 21“ vom 11. November 2008 müssen bei Ab-
schluss einer Riester-Rente in Form einer Versicherung sehr viele Versicherte
zwischen 95 und 100 Jahre alt werden, um überhaupt den garantierten Zins von
2,25 Prozent zu erhalten. Ein Versicherter hingegen, der nur die vom Statis-
tischen Bundesamt prognostizierte durchschnittliche Lebenserwartung von
82 Jahren erreicht, müsste nach einer Analyse von Axel Kleinlein, Versiche-
rungsmathematiker und Experte für Altersvorsorge und Kapitalanlagen, damit
rechnen, dass er nicht einmal die Beiträge herausbekommt, die er eingezahlt hat
bzw. sogar mit einem Renditeverlust von bis zu 2 Prozent rechnen.

Der Grund für diesen Verlust liegt nach Ansicht der Verbraucherzentrale Bre-
men darin, dass die Versicherungen in der von ihnen selbst entwickelten und
verwendeten Sterbetafel DAV 2004 R eine Lebenserwartung der Versicherten
unterstellen, die mit 91 Jahren fast 10 Jahre höher liegt, als die Prognose des
Statistischen Bundesamtes. Je höher aber die unterstellte Lebenserwartung der
Versicherten ist, umso niedriger fällt die Rente und die Rendite aus, da dann das
eingezahlte und angelegte Geld für einen längeren Zeitraum reichen muss
(Pressemitteilung der Verbraucherzentrale Bremen vom 20. Juli 2008).

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) sieht
sich in diesem Vorgehen durch das BaFin-Rundschreiben 9/2004 (VA) vom
29. Oktober 2004 legitimiert, in dem die Verwendung der Sterbetafel DAV
2004 R gemäß § 81 Abs. 2 Versicherungsaufsichtsgesetz angeordnet wird, um
die Risikoverluste der Versicherer zu minimieren (vgl. Pressemitteilung des
GDV vom 11. November 2008). Außerdem würden laut GDV die Versicherer
die Altersgrenzen zum Schutz der Versicherten so hoch ansetzen.

Allerdings werden diese unterstellten Lebenserwartungen von der Masse der
Personen mit einer Riester-Rente auf Versicherungsbasis nicht erreicht. So
kommt eine Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Insti-

tuts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) zu dem Ergebnis, dass Geringverdie-
nende, für die gerade die Riester-Rente geschaffen wurde, bis zu fünf Jahre frü-
her sterben als Besserverdienende und pensionierte Beamte des höheren Diens-
tes (vgl. WSI-Mitteilungen 5/2008, S. 274 ff.). Im Endeffekt geht so aber die
übermäßige Heraufsetzung der Lebenserwartung in den Sterbetafeln der Versi-
cherer insbesondere zu Lasten von Geringverdienenden, für die nach Auffas-
sung der Bundesregierung gerade die Riester-Rente besonders sinnvoll und

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nützlich sei, da sie eine geringere Lebenserwartung haben. Das heißt, diejeni-
gen, die die Riester-Rente auf Grund der bereits wirksamen und künftigen Leis-
tungskürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung am dringendsten benö-
tigen, werden besonders benachteiligt.

Laut der Verbraucherzentrale Bremen werden zudem die so genannten Sterb-
lichkeitsgewinne, d. h. die Kapitalanlagen, die nach dem Tod der Versicherten
nicht mehr benötigt werden, von den Versicherern bei den so genannten Risiko-
gewinnen eingestellt. Hielt die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-
aufsicht) bisher eine 10-prozentige Beteiligung der Versicherer an diesen Risi-
kogewinnen für angemessen, können seit Mai 2008 die Versicherer bis zu
25 Prozent der Risikogewinne für sich einbehalten. Die Einigung und Festle-
gung auf diese Quote erfolgte in einem Arbeitskreis, der sich nach Informa-
tionen der Verbraucherzentrale Bremen aus Vertretern des Bundesministeriums
der Finanzen, der BaFin sowie des GDV zusammensetzte. Nach Ansicht der
Verbraucherzentrale Bremen stellt dies aber eine unangemessene Risikover-
schiebung und eine aufsichtsrechtlich gedeckte systematische Übervorteilung
der Versicherer zu Lasten der Versicherten dar (vgl. Pressemitteilungen der Ver-
braucherzentrale Bremen vom 8. Juli bzw. 20. Juli 2008).

Hinzu kommt noch, dass die Versicherungen bis zu 20 Prozent der Versicher-
tenbeiträge für Provisionen und Verwaltungskosten einbehalten und nur auf den
Rest einen Zins von 2,25 Prozent garantieren. Auch dadurch wird der Ertrag
der Versicherten noch einmal geschmälert.

Wie die Bundesregierung selbst stets bestätigt, sind die Mehrheit der Riester-
Sparer Menschen mit geringem Einkommen. Umso schlimmer wäre es, wenn
sich einmal bestätigt, dass die staatlich geförderte Riester-Rente nichts anderes
als ein milliardenschweres Subventionsprogramm für Banken, Versicherer und
Fondsgesellschaften darstellt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Lohnt sich eine Riester-Rente für Menschen mit geringem Erwerbseinkom-
men, die die Mehrheit der Riester-Sparer stellen und die nach einer Unter-
suchung der WSI (vgl. WSI-Mitteilungen 5/2008, S. 274 ff.) bis zu fünf
Jahre früher sterben als Besserverdienende bzw. pensionierte Beamten des
höheren Dienstes, angesichts der Tatsache, dass die Versicherungen in der
von ihnen selbst entwickelten Sterbetafel DAV 2004 R eine Lebenserwar-
tung unterstellen, die fast zehn Jahre höher ist, als die vom Statistischen
Bundesamt prognostizierten 82 Jahre?

2. Von welcher durchschnittlichen Lebenserwartung geht die Deutsche Ren-
tenversicherung Bund aus, und wie begründen sich die Differenzen zur
DAV 2004 R der Versicherungswirtschaft?

3. Wie begründen sich nach Auffassung der Bundesregierung die hohen Dif-
ferenzen zwischen den von der Versicherung verwendeten Sterbetafel
DAV 2004 R, wodurch eine garantierte Rendite erst mit dem Erreichen des in
der Sterbetafel unterstellten Lebensalter von ca. 91 Jahren erreicht wird, und
anderen Sterbetafeln, wissenschaftlichen Untersuchungen sowie statistischen
Prognosen?

4. Welche Gründe gab es, dass die BaFin die von den Versicherern selbst ent-
wickelte Sterbetafel DAV 2004 R aufsichtsrechtlich angeordnet hat?

5. Erfolgte das BaFin-Rundschreiben 9/2004 (VA) vom 29. Oktober 2004, in
welchem die Verwendung der von den Versicherern selbst entwickelten Ster-
betafel DAV 2004 R aufsichtsrechtlich angeordnet wurde, um die Risikover-

luste der Versicherer zu minimieren, mit Billigung des damaligen Bundes-
ministers der Finanzen?

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6. Erfolgte die aufsichtsrechtliche Anordnung der Verwendung der Sterbe-
tafel DAV 2004 R durch das Rundschreiben 9/2004 (VA) unter Hinzuzie-
hung von Sachverstand aus anderen Quellen, z. B. dem GDV, BVI (Bun-
desverband Investment und Asset Management e. V.), Bankenverband oder
der gesetzlichen Rentenversicherung?

7. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass große Puffer bei den kal-
kulierten Lebenserwartungen einerseits die Risiken der Versicherer tenden-
ziell senken, sie gleichzeitig aber andererseits auch die Chancen der Ver-
sicherer auf Risikogewinne tendenziell erhöhen?

8. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu dem Argument der Versiche-
rer, dass die Überschussbeteiligungen bei der Renditeberechnung zu be-
rücksichtigen seien, wenn einzig und allein die garantierte Rente die Leis-
tung ist, auf die der Kunde einen gesetzlichen Anspruch hat und deshalb
die Werte inklusive Überschussbeteiligung unverbindlich sind und erheb-
lich niedriger ausfallen können oder gar vollständig wegfallen?

9. Was haben Bundesregierung und BaFin während der Verhandlungen in
dem Arbeitskreis, der im April 2008 die Beteiligung der Versicherer an den
Risikogewinnen neu festlegte, dazu bewogen, künftig eine Beteiligung von
25 Prozent anstatt von 10 Prozent als angemessen anzusehen?

10. Wie setzte sich dieser Arbeitskreis, der im April 2008 die Beteiligung der
Versicherer an den Risikogewinnen neu festlegte, zusammen?

11. Hält die Bundesregierung an ihrer Aussage fest, nach der wegen der staat-
lichen Förderung immer ein positives Sparergebnis für den Versicherten
sichergestellt ist (vgl. Antwort zu Frage 1 der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., Bundestagsdrucksache 16/10740,
Antwort bitte begründen), angesichts der Tatsache, dass Menschen mit ge-
ringem Einkommen laut Aussage der Verbraucherzentrale Bremen häufig
ein negatives Sparergebnis erreichen?

12. Beinhaltet ein positives Sparergebnis auch die Inflationsentwicklung wäh-
rend der Vertragslaufzeit?

13. Wird bei der Aussage, dass immer ein positives Sparergebnis für die Ver-
sicherten sichergestellt ist, die von ihm über seine Steuern mitfinanzierte
staatliche Förderung mitberücksichtigt?

14. Bedeutet die Aussage der Bundesregierung, dass wegen der staatlichen
Förderung immer ein positives Sparergebnis sichergestellt ist, dass sich
ohne diese Förderung die Riester-Rente als Versicherung nicht rentieren
würde?

15. Wird die Bundesregierung auch weiterhin an der staatlich geförderten pri-
vaten Altersvorsorge festhalten, wenn sich bestätigt, dass gerade Menschen
mit geringem Erwerbseinkommen, die die Mehrheit der Riester-Sparer
stellen, weshalb die Bundesregierung ja gerade die Riester-Rente steuerlich
fördert, überproportional wenig von einer Riester-Rente profitieren?

Berlin, den 25. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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