BT-Drucksache 16/11074

Stärkung des Hohen Repräsentanten der EU in Bosnien-Herzegowina

Vom 25. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11074
16. Wahlperiode 25. 11. 2008

Antrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Rainder Steenblock, Volker Beck
(Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller
(Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel
Sarrazin, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stärkung des Hohen Repräsentanten der EU in Bosnien-Herzegowina

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine Überzeugung, dass alle Nachfolge-
staaten Jugoslawiens baldmöglich Mitglieder der Europäischen Union (EU)
werden sollen. Dazu gehört auch Bosnien-Herzegowina als am meisten von
Krieg, Zerstörungen und Vertreibungen betroffener Teil des früheren Jugo-
slawien.

Das Land krankt bis heute an den Folgen. Denn trotz unzweifelhafter Fort-
schritte im Kleinen und erstarkender nichtnationalistischer Parteien, insbeson-
dere auf kommunaler Ebene, sind die sich gegenseitig misstrauenden und die ge-
samte Entwicklung hemmenden nationalistischen Kräfte die dominierenden
Faktoren in der Politik Bosnien-Herzegowinas geblieben. Zu einer entsprechend
kritischen Bewertung kommt deshalb nun auch der aktuelle Fortschrittsbericht
vom 5. November dieses Jahres, der eine Verlangsamung der Reformen konsta-
tiert und sogar eine Gefährdung der bisherigen Ergebnisse befürchtet.

Ausschlaggebendes Kriterium für die politischen, administrativen und personel-
len Entscheidungen aller staatlichen Ebenen sind nach wie vor die partikularen
Interessen ethnischer Gruppen und Parteien. Sie verhindern nicht nur eine drin-
gend notwendige gesellschaftliche und wirtschaftliche Dynamik, die den Staat
zu einer sich selbsttragenden sozialen Marktwirtschaft befähigen würden. Sie
stehen auch einem gesamtstaatlichen Selbstbewusstsein aller Bürger Bosnien-
Herzegowinas entgegen.

Die aus dem Vertrag von Dayton resultierende Verfasstheit Bosnien-Herze-
gowinas genügt den Anforderungen an die Reformen der Zukunft nicht. Ohne
eine tiefgreifende Verfassungsreform, die der Zustimmung von Mehrheiten in
allen Landesteilen und der sie repräsentierenden Parteien bedarf, werden nach
der Überzeugung des Deutschen Bundestages weder die institutionellen Stan-
dards der Europäischen Union erfüllt noch kann die ökonomische Entwicklung
die für einen Beitritt notwendige Dynamik entfalten.
Bosnien-Herzegowina erhält deshalb zu recht besondere Unterstützung der
Europäischen Union bei der Umsetzung der notwendigen Reformen. Institutio-
neller Ausdruck dessen ist der Hohe Repräsentant mit seinen weitgehenden
Vollmachten. Seine Aufgabe ist es, Institutionen und Gesellschaft Bosnien-
Herzegowinas bei den Bemühungen um eine Erfüllung der Bedingungen zu
unterstützen, die das Land zu einem Beitritt zur Europäischen Union befähigen.

Drucksache 16/11074 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Die Europäische Union hat jedoch in der Vergangenheit durch das Eingehen auf
zweifelhafte Kompromisse vergeblich darauf gehofft, dass in Zukunft weiterge-
hende Reformschritte erreicht werden könnten. Den schädlichen Folgen natio-
nalistischer Politik in Bosnien-Herzegowina ist dadurch nur unzureichend ent-
gegengetreten worden.

Der Deutsche Bundestag befürwortet ausdrücklich die weitestgehende Übertra-
gung von Kompetenzen auf die demokratisch gewählten Institutionen Bosnien-
Herzegowinas – die Politik der so genannten bosnian-herzegovinian ownership.
Nur so kann die Eigenverantwortlichkeit gestärkt werden. Wie auch der Fort-
schrittsbericht der Europäischen Kommission feststellt, sind die Behörden bis-
lang nicht fähig, in erforderlichem Umfang politische Eigenverantwortung zu
übernehmen. Die Institution des Hohen Repräsentanten von UN und EU ein-
schließlich seiner weitgehenden Befugnisse, der so genannten Bonn powers,
bleibt deshalb bis auf weiteres notwendig. Die Bundesregierung ist aufgefordert,
die Bemühungen des Hohen Repräsentanten um Eindämmung der zentrifugalen
Kräfte, Beilegung der innerbosnischen Konflikte und Überwindung der gegen-
wärtigen Stagnation im Rahmen der Europäischen Union nachdrücklich und
sichtbarer als bisher zu unterstützen.

Die wiederholten Drohungen verschiedener Amtsträger und Gremien auf der
Ebene der Entitäten wie des Gesamtstaats, durch einseitige Akte bereits er-
reichte Reformen rückgängig zu machen, die territoriale Integrität des Staates
Bosnien-Herzegowina aufzukündigen oder die gemäß des Vertrags von Dayton
gültige Verfassung einseitig zu revidieren, schaden der Entwicklung des Staates.
Versuche zur einseitigen Revision des Status quo können nicht hingenommen
werden. Nach Auffassung des Deutschen Bundestages wären sie geeignet, einen
Beitritt Bosnien-Herzegowinas zur Europäischen Union dauerhaft zu verhin-
dern. Das Gleiche würde für Staaten gelten, die solche Bestrebungen unterstüt-
zen.

Solchen Versuchen ist durch den Hohen Repräsentanten mit Nachdruck entge-
genzutreten. Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine Unterstützung für ent-
sprechende konsequente Entscheidungen, sollte der Hohe Repräsentant sie für
notwendig halten, und fordert die Bundesregierung zu gleicher Entschiedenheit
auf. Repräsentanten wie Gesellschaft Bosnien-Herzegowinas muss vermittelt
werden, dass es seine Zukunft in Europa nur als multiethnischer Rechtsstaat in
den heutigen völkerrechtlich anerkannten Grenzen finden kann.

Berlin, den 25. November 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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