BT-Drucksache 16/10925

Kein Abitur für Schulkinder im Hartz-IV-Bezug?

Vom 11. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10925
16. Wahlperiode 11. 11. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Diana Golze, Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge,
Cornelia Hirsch, Dr. Barbara Höll, Katrin Kunert, Elke Reinke, Volker Schneider
(Saarbrücken), Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Axel Troost, Jörn
Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Kein Abitur für Schulkinder im Hartz-IV-Bezug?

Der Entwurf zum Familienleistungsgesetz der Bundesregierung sieht „zusätz-
liche Leistungen für die Schule“ vor. Danach sollen Schülerinnen und Schüler in
Hartz-IV- und Sozialhilfehaushalten jährlich zum Schuljahresbeginn im Rah-
men des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) und des Zwölften Buches
Sozialgesetzbuch (SGB XII) eine zusätzliche Leistung in Höhe von 100 Euro
erhalten. Doch diese Leistung ist nur bis einschließlich der Jahrgangsstufe 10
vorgesehen (Bundesratsdrucksache 753/08 vom 16. Oktober 2008). Im Regie-
rungsentwurf zum „Gesetz zur Förderung von Familien und haushaltsnahen
Dienstleistungen“ vom 13. Oktober 2008 (http://www.bmas.de/coremedia/ge-
nerator/29028/propety=pdf/2008_10_15_foerderung_familie_ge.pdf) heißt es
dazu in der Begründung auf Seite 22: „Hierdurch wird gewährleistet, dass zu-
mindest ein Bildungsabschluss erreicht werden kann, mit dem eine qualifizierte
Ausbildung möglich ist.“ Gerade vor dem Hintergrund des Bildungsgipfels und
diverser Studien zur Abhängigkeit der Bildungsteilhabe von der sozialen Her-
kunft stellt sich die Frage, warum nicht auch Kinder in Hartz-IV-Bedarfs-
gemeinschaften, die das Abitur machen (wollen), vom Schulbedarfspaket profi-
tieren können.

Auch heißt es in der Pressemitteilung der Bundesministerin für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, zur Kindergelderhöhung vom
15. Oktober 2008: „Alle Familien haben ab dem 1. Januar mehr in der Tasche
[…]“ (http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/Kategorien/Presse/pressemittei-
lungen,did=113776.html). Das Familienleistungsgesetz sieht zwar vor, dass alle
kindergeldberechtigten Familien ab 2009 10 Euro mehr Kindergeld pro Monat
bzw. 16 Euro ab dem dritten Kind erhalten. Diese jährlich 120 Euro Kindergeld-
erhöhung werden für die Familien in Hartz IV aber als zu berücksichtigendes
Einkommen auf die Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII angerechnet.
Demnach erhalten alle Kinder mindestens 120 Euro mehr pro Jahr – Kinder im
Bezug von Hartz IV gehen dagegen leer aus. Der Gesetzentwurf der Bundes-
regierung schreibt, dass durch „das angehobene Kindergeld […] beim Bund so-

wie in geringerem Umfang bei den Kommunen Minderausgaben beim Arbeits-
losengeld II (Sozialgeld) in Höhe von rund 230 Mio. Euro jährlich und bei den
Kommunen bei den Leistungen nach dem SGB XII von rd. 18 Mio. Euro jähr-
lich“ entstehen (Bundesratsdrucksache 753/08 S. 13).

Die neue Leistung ist nicht als „zusätzlich“ zu verstehen, sondern sie kompen-
siert lediglich für die schulpflichtigen Kinder in einem begrenzten Ausmaß die
Tatsache, dass die Kindergelderhöhung komplett angerechnet wird. „Einsparun-

Drucksache 16/10925 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

gen“ in Höhe von 230 Mio. Euro stehen zusätzliche Ausgaben von lediglich
etwa 120 Mio. Euro für die „zusätzliche“ Leistung gegenüber.

Die zusätzliche Leistung für die Schule in Höhe von 100 Euro ist laut Gesetz-
entwurf daran gebunden, dass „mindestens ein im Haushalt lebender Elternteil
am 1. August des jeweiligen Jahres Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach diesem Buch hat“ (§ 24a SGB II – neu –). Zu klären ist,
welche Gruppen von Leistungsbeziehenden konkret leistungsberechtigt sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass die Erhöhung des Kindergeldes
in vollem Umfang bei den Leistungsberechtigten nach dem SGB II und dem
SGB XII angerechnet wird, und dass dies im Resultat dazu führt, dass diese
Kinder von der Kindergelderhöhung keine finanziellen Vorteile haben (bitte
begründen)?

2. Wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass die Kindergelderhöhung voll
angerechnet wird auf die Grundsicherungsleistungen?

3. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag nach dem Vorbild der
Regelungen des Ersten Gesetzes zur Familienförderung vom 22. Dezember
1999 (BGBl. I S. 2552) in § 11 SGB II und § 82 SGB XII eine Regelung
einzufügen, nach der für jedes minderjährige unverheiratete Kind der Er-
höhungsbetrag beim Kindergeld ab dem 1. Januar 2009 monatlich vom zu
berücksichtigenden Einkommen abzusetzen ist, bis der Regelsatz für
Kinder dem existenznotwendigen Bedarf von Kindern angepasst wurde?

4. Mit welcher Begründung verzichtet die Bundesregierung auf die alternative
Möglichkeit, die Kindergelderhöhung in vollem Umfang in Form von zu-
sätzlichen Leistungen auch an die hilfeberechtigten Kinder weiterzuleiten?

5. Mit welcher Begründung begrenzt die Bundesregierung die Förderung durch
die geplante jährliche pauschale Leistung in Höhe von 100 Euro auf hilfe-
berechtigte Schülerinnen und Schüler bis einschließlich Jahrgangsstufe 10?

6. Warum sollen nach Ansicht der Bundesregierung Schülerinnen und Schü-
ler, die von Leistungen des SGB II bzw. SGB XII leben, nicht über die Jahr-
gangsstufe 10 hinaus gefördert werden, wenn sie einen weitergehenden
Schulabschluss – und damit „Aufstieg durch Bildung“ (so die Überschrift
des Abschlussdokuments des so genannten Bildungsgipfels von Bund und
Ländern) – anstreben?

7. Welche Gründe kann die Bundesregierung benennen, die die offensichtliche
Ungleichbehandlung der Schulbedarfe von Schülerinnen und Schülern in
unterschiedlichen Jahrgangsstufen rechtfertigen?

8. Hält die Bundesregierung die Aussage: „Hierdurch wird gewährleistet, dass
zumindest ein Bildungsabschluss erreicht werden kann, mit dem eine qua-
lifizierte Ausbildung möglich ist“ (Entwurf auf der Homepage des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales) für eine ausreichende Begründung
zum Ausschluss von Schülerinnen und Schülern höherer Jahrgangsstufen
von der geplanten Unterstützung (bitte begründen)?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Ungleich-
behandlung der Schülerinnen und Schüler nach unterschiedlichen Jahr-
gangsstufen ein Verstoß gegen den Artikel 3 des Grundgesetzes darstellt?

10. Wie erklärt die Bundesregierung, dass in der Bundesratsdrucksache 753/08
komplett auf eine Begründung für die Einschränkung der Anspruchsberech-
tigung auf Schülerinnen und Schüler bis zum 10. Schuljahr verzichtet wird?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10925

11. Sollten nicht nach Auffassung der Bundesregierung, gerade vor dem Hin-
tergrund nachgewiesener Abhängigkeiten des Bildungserfolgs von der
sozialen Herkunft, Schülerinnen und Schüler in Hartz IV, die das Abitur
machen wollen, besonders gefördert werden (bitte begründen)?

12. Fallen auch die Kinder von erwerbstätigen Hilfebeziehenden („Auf-
stocker“) unter die Regelung des vorgesehenen § 24a SGB II, wenn das
Elternteil lediglich Leistungen zur Finanzierung der Kosten der Unterkunft
und Heizung erhält?

13. Welche rechtlichen Regelungen bestehen jeweils in den Ländern, ob und
ggf. bis zu welchem Beitrag Erziehungsberechtigte oder Schülerinnen und
Schüler sich an der Beschaffung von Lernmitteln (Schulbücher, ergänzende
Druckschriften und Arbeitshilfen) beteiligen müssen (Eigenanteil)?

Welche Personen sind ggf. von der Erbringung dieses Eigenanteils befreit?

Berlin, den 10. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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