BT-Drucksache 16/10885

Professionalität und Effizienz der Aufsichtsräte deutscher Unternehmen verbessern

Vom 12. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10885
16. Wahlperiode 12. 11. 2008

Antrag
der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick
Döring, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim
Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle
Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Frank Schäffler, Marina Schuster,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Florian Toncar,
Dr. Daniel Volk, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Professionalität und Effizienz der Aufsichtsräte deutscher Unternehmen
verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die deutsche Aktiengesellschaft ist ein Erfolgsmodell. Dieses gesellschafts-
rechtliche Erfolgsmodell gilt es zu erhalten, jedoch gleichzeitig an die neuen
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse anzupassen. Die Ge-
schichte des Aktienrechts ist dabei eine Geschichte seiner Reformen, wobei die
Reformbestrebungen der letzten Jahre vor allem durch das Gesetz über die
Offenlegung der Vorstandsvergütungen (VorstOG), das Gesetz über Musterver-
fahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (KapMuG) sowie das Gesetz
zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts
(UMAG) geprägt waren.

Mit diesen Gesetzesänderungen wurde ein sorgfältiger Ausgleich zwischen den
Interessen der Aktiengesellschaft, den Aktionären und Dritten angestrebt. Die-
ses Ziel muss auch weiterhin verfolgt werden.

Neben dem Aktiengesetz bildet der 2002 verabschiedete und regelmäßig aktua-
lisierte Corporate Governance Kodex einen guten Rahmen, um das Vertrauen in
die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften
zu stärken. Der Kodex enthält von den Unternehmen freiwillig einzuhaltende
Empfehlungen für eine bessere Unternehmensleitung und -überwachung. Nach
§ 161 des Aktiengesetzes (AktG) müssen sich Unternehmen zur Einhaltung
bzw. Nichteinhaltung dieser Empfehlungen in einer Entsprechenserklärung

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äußern. Zum Ende der Hauptversammlungssaison 2008 werden im DAX 30
durchschnittlich 95,6 Prozent aller mittlerweile 80 Soll-Empfehlungen befolgt.
Nur fünf Empfehlungen bleiben im DAX unterhalb der 90-Prozent-Zustim-
mungsquote. Von den Kann- und Sollte-Anregungen werden im DAX durch-
schnittlich 78,9 Prozent befolgt.

Die ständige Weiterentwicklung und Aktualisierung des Corporate Governance
Kodexes zeigt, dass die deutsche Wirtschaft bestrebt ist, ihre Entscheidungen
transparent und verständlich zu gestalten. Die Freiwilligkeit sollte im Grundsatz
bewahrt werden.

Ein weiterer Ausgleich der Interessen von Unternehmen, Aktionären und Drit-
ten ist durch folgende Regelungen zu verwirklichen:

1. Begrenzung der Zahl der Aufsichtsratsmandate pro Person

Der Aufsichtsrat hat die Personalhoheit über den Vorstand und überwacht des-
sen Geschäftsführung. Zu seinen wichtigsten Aufgaben zählt die Bestellung und
Abberufung des Vorstandes, die Überwachung und die Kontrolle der Geschäfts-
führung des Vorstandes, die Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Vor-
stand und die Prüfung und Feststellung des Jahresabschlusses.

Unter Berücksichtigung des Konzernprivilegs darf eine Person maximal bis zu
15 Aufsichtsratsmandate auf sich vereinen (§ 100 Abs. 2 AktG). Pro Kalender-
halbjahr sind gemäß § 110 AktG zwei Pflichtsitzungen für jeden Aufsichtsrat
vorgesehen. Im Extremfall kann die Wahrnehmung mehrerer Aufsichtsratsman-
date so allein bis zu 60 Pflichtsitzungen pro Jahr führen. Um eine solche Ämter-
häufung zu verhindern und zu gewährleisten, dass das einzelne Mandat noch mit
der notwendigen Sorgfalt ausgeübt werden kann, ist die Anzahl der zulässigen
Aufsichtsratsmandate in § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG pro Person auf fünf
Handelsgesellschaften, die gesetzlich einen Aufsichtsrat zu bilden haben, zu be-
grenzen.

2. Verkleinerung der Aufsichtsräte

Die Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder beläuft sich bei Gesellschaften mit
einem Grundkapital von mehr als 10 Mio. Euro nach § 95 Abs. 1 Satz 4 AktG auf
21. § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG) schreibt jedoch
schon bei mehr als 20 000 Arbeitnehmern eines Unternehmens 20 Aufsichtsrats-
mitglieder vor. Die deutschen Aufsichtsräte sind mit bis zu 21 Mitgliedern vor
allem im internationalen Vergleich sehr groß. Eine solche große Anzahl von Auf-
sichtsratsmitgliedern erschwert offene Diskussionen und zügige Entscheidun-
gen. Insofern ist vielfach die Effizienz der Aufsichtsgremien allein schon durch
deren Größe gemindert. Immer mehr deutsche Unternehmen wechseln nicht zu-
letzt auch deshalb zur Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (SE),
weil Aufsichtsräte in diesen Fällen zumindest proportional verkleinert werden
können.

Um zu effizienteren und zügigeren Entscheidungen zu kommen, müssen die
Aufsichtsräte kleiner werden. Der Gesetzgeber sollte deshalb die Zahl der Auf-
sichtsratsmitglieder auf maximal zwölf begrenzen. § 95 AktG sowie § 7 Abs. 1
MitbestG müssen geändert werden.

3. Wahl des früheren Vorstandsvorsitzenden zum Vorsitzenden des Aufsichts-
rats eines kapitalmarktorientierten Unternehmens erst nach drei Jahren

Die deutsche Unternehmenspraxis hat in den vergangenen Jahrzehnten die
regelmäßige Übung entwickelt, dass der Vorstandsvorsitzende einer Aktienge-
sellschaft nach Ablauf seiner Amtszeit in den Aufsichtsrat gewählt und dort zum
Aufsichtsratsvorsitzenden bestimmt wird. Der Corporate Governance Kodex

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10885

legt insoweit fest, dass der Wechsel des bisherigen Vorstandsvorsitzenden oder
eines Vorstandsmitgliedes in den Aufsichtsratvorsitz oder den Vorsitz eines Auf-
sichtsratsausschusses nicht die Regel sein soll. Die Praxis hat jedoch gezeigt,
dass diese Empfehlung nicht ausreichend ist.

Durch einen Wechsel von Vorstandsvorsitz in Aufsichtsratsvorsitz werden die
Überwachungs-, Steuerungs- und Kontrollfunktionen des Aufsichtsrates kapi-
talmarkorientierter Gesellschaften belastet, beeinträchtigt und geschwächt. Es
besteht für den früheren Vorstandsvorsitzenden oftmals eine Interessenkollision.
Um eine effiziente Unternehmenskontrolle und einen eventuell erforderlichen
Strategiewechsel nicht zu verzögern oder gar zu verhindern, soll die Wahl des
früheren Vorstandsvorsitzenden zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats in kapital-
markorientierten Unternehmen erst nach Ablauf einer Übergangszeit von drei
Jahren möglich sein. Hierfür ist das Aktiengesetz entsprechend zu ändern.

Bei nicht kapitalmarktorientierten kleinen und mittelständischen Gesellschaften
sowie Familienunternehmen gilt dies jedoch nicht. Hier steht das berechtigte In-
teresse im Vordergrund, die noch nicht veraltete Expertise der ehemaligen Vor-
standsvorsitzenden auch im Rahmen der Überwachungsfunktion zu nutzen.

4. Professionalisierung der Arbeit der Aufsichtsräte

Um die Kontroll- und Überwachungsfunktion der Aufsichtsräte insbesondere im
Rahmen der zunehmenden Verantwortung der Aufsichtsräte zu stärken, muss
die Arbeitsweise des Aufsichtsrats durch Änderungen der aktienrechtlichen Vor-
schriften professionalisiert werden. Aufsichtsräte stehen – wie Vorstandsmit-
glieder – zunehmend vor Herausforderungen wie Globalisierung, schnell verän-
dernder IT-Technik, den komplexer werdenden internationalen und nationalen
gesetzlichen Vorgaben, kürzer werdenden Marktzyklen, der Verschärfung von
Wettbewerbsbedingungen und dem Verständnis der neuen Technologien und
Märkten des Unternehmens. Nicht nur der zeitliche Aufwand, sondern auch die
Verantwortung der Aufsichtsräte nimmt stetig zu. Hierauf muss auch der Gesetz-
geber entsprechend reagieren und die notwendigen Rahmenbedingungen für
eine Professionalisierung schaffen.

Der Vorschlag des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (Bundestagsdruck-
sache 16/10067), dass bei kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften min-
destens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrates über Sachverstand auf den
Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen muss (§ 100 Abs. 5
AktG-E), ist begrüßenswert, jedoch nicht ausreichend.

Eine Steigerung der Professionalität könnte z. B. dadurch erfolgen, dass der Ab-
schlussprüfer des Unternehmens an der Sitzung des Aufsichtsrats teilnehmen
muss, in der dieser über den Jahresabschluss beschließt, und dass die Arbeit des
Aufsichtsrates z. B. durch die konstante und hauptberufliche Tätigkeit von Auf-
sichtsratsassistenten oder eine verstärkte Inanspruchnahme von unabhängigen
Sachverständigen begleitet wird. Damit der Aufsichtsrat professioneller und
aktueller seine Aufgaben wahrnehmen kann, sind die Zeitvorgaben für die Be-
richts- und Informationspflichten des Vorstands wie z. B. in § 90 Abs. 2 AktG
zu überprüfen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den

1. die Zahl der Aufsichtsratsmandate pro Person durch eine entsprechende Än-
derung des Aktiengesetzes auf maximal fünf Handelsgesellschaften begrenzt
wird;

Drucksache 16/10885 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
2. die Größe der Aufsichtsräte auf maximal zwölf Mitglieder durch eine ent-
sprechende Änderung des Aktiengesetzes und des Mitbestimmungsgesetzes
begrenzt wird;

3. die Wählbarkeit von früheren Vorstandsvorsitzenden zum Aufsichtsratsvor-
sitzenden desselben kapitalmarkorientierten Unternehmens für die Dauer von
drei Jahren durch eine entsprechende Änderung aktienrechtlicher Vorschrif-
ten ausgeschlossen wird;

4. die Arbeit der Aufsichtsräte im Rahmen einer Änderung der aktienrecht-
lichen Vorschriften professionalisiert wird.

Berlin, den 11. November 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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