BT-Drucksache 16/10640

Transparenz an den Finanzmärkten schaffen - Anschleichtaktik bei verdeckten Unternehmensübernahmen verhindern

Vom 15. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10640
16. Wahlperiode 15. 10. 2008

Antrag
der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta Haßelmann, Kerstin
Andreae, Birgitt Bender, Alexander Bonde, Dr. Thea Dückert, Kai Gehring, Brigitte
Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar von Neuforn, Josef Philip Winkler
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Transparenz an den Finanzmärkten schaffen – Anschleichtaktik bei verdeckten
Unternehmensübernahmen verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die in diesem Sommer in der Öffentlichkeit heftig diskutierte Übernahme des
im Deutschen Aktienindex DAX 30 notierten Automobilzulieferers Continental
AG durch das deutlich kleinere nicht börsennotierte Familienunternehmen
Schaeffler Gruppe hat deutlich gezeigt, dass es bei den Meldepflichten bei
entsprechenden Änderungen von Beteiligungsverhältnissen noch erhebliche
Lücken zu schließen gibt und damit dringender Handlungsbedarf für den Gesetz-
geber besteht. Denn trotz Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz und Risiko-
begrenzungsgesetz konnte die Schaeffler Gruppe ihre Beteiligung am Über-
nahmeobjekt Continental AG lautlos und von sämtlichen Marktteilnehmern so-
wie von der Continental AG selbst unbemerkt ausweiten. Dass ein solches Vor-
gehen möglich war und offensichtlich nach geltenden gesetzlichen Vorschriften
noch ist, widerspricht der Zielsetzung einer möglichst umfassenden Transparenz
an den Finanzmärkten als Voraussetzung für deren korrekte und faire Funktions-
fähigkeit. Die bisherigen Regeln haben eindeutig ihr Ziel verfehlt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,

die Ergebnisse der in ihrer Antwort (Bundestagsdrucksache 16/10167) auf die
Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdruck-
sache 16/10094) zugesagten Prüfungen sowie gesetzliche Vorschläge mit fol-
gendem Inhalt unverzüglich dem Bundestag vorzulegen:

● sofortige Einbeziehung sämtlicher Finanzderivate in die Meldeschwellen,

● deutliche Erhöhung des maximalen Sanktionsrahmens für vorsätzliche Ver-
stöße,

● Meldepflicht für alle Beteiligungen, auch wenn die Meldeschwellen bereits
vor Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes überschritten wurden,

● lückenlose und eindeutige Offenlegung der Eigentümer bei Namensaktien.

Berlin, den 15. Oktober 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Drucksache 16/10640 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

Eine funktionierende Marktwirtschaft braucht faires Verhalten aller Beteiligten,
und dies muss durch staatliche Rahmenbedingungen sichergestellt werden.

Der aktuelle Fall der Übernahme des im DAX 30 notierten Automobilzulieferers
Continental AG durch die Schaeffler Gruppe stellt eine Bewährungsprobe dar,
wie tragfähig und verlässlich die bestehenden gesetzlichen Meldepflichten über
sich ändernde Beteiligungsverhältnisse und deren praktische Umsetzung sind.

Durch geschickte Gestaltung war es der Schaeffler Gruppe im Vorfeld der Über-
nahme gelungen, Zugriffsmöglichkeiten auf rund 36 Prozent des Kapitals der
Continental AG zu erwerben, ohne dabei die Meldeschwellen zu überschreiten.
Dies wurde von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ge-
prüft und bestätigt. Im Einzelnen setzten sich diese Zugriffsmöglichkeiten laut
Medienberichten (z. B. Börsen-Zeitung vom 23. Juli 2008, Seite 2) folgender-
maßen zusammen: Die Schaeffler Gruppe hatte zu diesem Zeitpunkt bereits
2,97 Prozent des Kapitals von der Continental AG erworben. Außerdem hatte
sich die Schaeffler Gruppe Optionen zum Erwerb von Aktien über weitere
4,95 Prozent gesichert. Da direkte Beteiligungen nach bisheriger Rechtslage erst
ab Überschreitung von 3 Prozent und Optionen ab 5 Prozent gemeldet werden
müssen und beide Beteiligungsformen derzeit nicht zusammengerechnet wer-
den, bestand über diese in der Summe knapp 8 Prozent der Schaeffler Gruppe
keine gesetzliche Meldepflicht. Darüber hinaus hatte die Schaeffler Gruppe mit
mehreren Banken Swap-Geschäfte auf Aktienpakete von jeweils unter 3 Prozent
abgeschlossen. Insgesamt summierten sich die Swap-Geschäfte auf 28 Prozent,
so dass insgesamt Zugriff auf 36 Prozent des Kapitals der Continental AG be-
stand.

Die Bundesregierung hat auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN „Meldepflichten bei Veränderung von Beteiligungsverhältnis-
sen“ (Bundestagsdrucksache 16/10094) bereits an vielen Stellen eindeutig ge-
antwortet (Bundestagsdrucksache 16/10167) und den konkreten Inhalt des
Handlungsbedarfs bereits erkennen lassen. Danach hätte selbst das gerade erst
in Kraft getretene Risikobegrenzungsgesetz das in der Öffentlichkeit wie auch
unter Experten als „Anschleichtaktik“ bezeichnete Vorgehen der Schaeffler
Gruppe gegenüber der Continental AG nicht verhindern können. In ihrer Ant-
wort auf die Kleine Anfrage schreibt die Bundesregierung sehr deutlich: „Das
Risikobegrenzungsgesetz sieht … keine Erweiterung der Mitteilungspflichten in
Bezug auf den Umfang der … erfassten Finanzinstrumente vor“ (Antwort auf
Frage 10).

Dies bedeutet, dass auch nach dem Risikobegrenzungsgesetz die in die Melde-
pflicht einbezogenen Finanzderivate so eng gefasst sind, dass es weiterhin sehr
leicht möglich sein wird, sich bei einer beabsichtigten Übernahme lautlos und
unbemerkt dem Unternehmen, was übernommen werden soll, zu nähern.

Und selbst bei einer tatsächlich festgestellten Verletzung einer Meldepflicht ist
ein derzeit geltender maximaler Sanktionsrahmen von 200 000 Euro bei vorsätz-
lichem Verschweigen viel zu gering, um tatsächlich Abschreckungswirkung zu
entfalten (siehe auch die Antworten auf die Fragen 2 und 6).

Besonders bemerkenswert ist aber, dass kurz vor dem Abschluss der parlamen-
tarischen Beratungen des Risikobegrenzungsgesetzes im Juni dieses Jahres die
Fraktionen der CDU/CSU und SPD die Meldepflichten kurzfristig soweit mög-
lich ausgesetzt haben: Auch wenn nach dem Risikobegrenzungsgesetz die
Finanzderivate, mit denen die Schaeffler Gruppe ihren Übernahmecoup einge-
fädelt hat, grundsätzlich meldepflichtig gewesen wären, hätten sie nach dem
Willen der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD dennoch nicht gemel-
det werden müssen, denn wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Risiko-
begrenzungsgesetzes die Meldeschwellen schon überschritten waren, dann

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10640

wurde durch die genannte Lockerung der Vorschriften die Meldepflicht ausge-
setzt.

Die Bundesregierung räumt in ihrer oben genannten Antwort auf die Kleine
Anfrage auch ein, dass sie „die aktuellen Entwicklungen am Finanzmarkt, ins-
besondere im Fall des Übernahmeangebots der Schaeffler KG, zum Anlass“
nimmt, „die geltenden Transparenzpflichten auch unter Einbeziehung der
Rechtslage in anderen Staaten zu überprüfen“ (Antwort auf Frage 11).

Es besteht deshalb dringender Handlungsbedarf, damit das Beispiel Schaeffler
Gruppe und Continental AG am Finanzplatz Deutschland keine Nachahmer fin-
den kann und tatsächlich mehr Transparenz auch am deutschen Finanzmarkt
durchgesetzt wird. Dies ist nicht nur im Sinne der Anlegerinnen und Anleger,
sondern auch im Sinne einer besseren Wettbewerbsfähigkeit des deutschen
Finanzstandorts.

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