BT-Drucksache 16/10511

Arbeitslosenversicherung stärken - Ansprüche sichern - Öffentlich geförderte Beschäftigte einbeziehen

Vom 8. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10511
16. Wahlperiode 08. 10. 2008

Antrag
der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, Ulla Lötzer,
Dr. Herbert Schui, Dr. Axel Troost, Sabine Zimmermann und der Fraktion
DIE LINKE.

Arbeitslosenversicherung stärken – Ansprüche sichern – Öffentlich geförderte
Beschäftigte einbeziehen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Arbeitslose und Arbeitsuchende, die Tätigkeiten im Rahmen öffentlich geförder-
ter Beschäftigung oder des § 16a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II)
– Leistungen zur Beschäftigungsförderung – aufnehmen, erhalten dafür einen
Arbeitslohn. Dieser Arbeitslohn ist sozialversicherungspflichtig, soweit er den
Betrag von 400 Euro überschreitet. Es sind Beiträge zur Rentenversicherung
(Ausnahmeregelung bei Vergütung bis 800 Euro) und zur Kranken- und Pflege-
versicherung zu entrichten. Bis 2004 wurden auch Beiträge zur Arbeitslosenver-
sicherung geleistet. Ab dann galt allerdings die Versicherungsfreiheit in der
Arbeitslosenversicherung für die Träger von Beschäftigungsmaßnahmen und für
deren Beschäftigte, die damals eingeführt und im weiteren Verlauf auch auf
Folgemaßnahmen ausgeweitet wurde. Dies bedeutet, dass diese Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer sich keine Anwartschaft auf Leistungen aus der Ar-
beitslosenversicherung erarbeiten können oder beispielsweise nach Beendigung
einer längeren (mehr als 12 Monate) Tätigkeit keinen Anspruch auf Leistungen
aus der Arbeitslosenversicherung erwerben. Dies ist umso unverständlicher, als
dass sie im Übrigen allen Rechten und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis
unterliegen. Betroffen davon sind alle beschäftigungsfördernden Maßnahmen
innerhalb der aktiven Arbeitsmarktpolitik, insbesondere das Programm Job-
Perspektive.

Die derzeit bestehende Regelung verstößt darüber hinaus gegen den Gleich-
behandlungsgrundsatz im Grundgesetz.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung für sämtliche vergü-
tungspflichtigen Tätigkeiten innerhalb der Maßnahmen der aktiven Arbeits-
marktpolitik durch Änderungen der entsprechenden gesetzlichen Grundlagen
vorzunehmen, den § 27 Abs. 3 Nr. 5 und 6 SGB III zu streichen und damit die
Arbeitslosenversicherung zu stärken.

Berlin, den 7. Oktober 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Drucksache 16/10511 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

Es muss gewährleistet sein, dass alle die arbeiten, sich auch Ansprüche aus der
Arbeitslosenversicherung aufbauen können.

Das ursprüngliche Ziel von Beschäftigungsprogrammen war, Langzeitarbeits-
lose wieder in das Erwerbsleben zurückzuführen, ihnen sinnvolle Arbeit und
Qualifikation zu vermitteln. Gegenwärtig wird öffentlich geförderte Beschäfti-
gung von Langzeitarbeitslosen als Chance genutzt, aus dem passiven Leistungs-
bezug herauszukommen. Insbesondere Kommunen, Verbände und Vereine pro-
fitieren davon, dass durch diese Beschäftigung wichtige gesellschaftliche Auf-
gaben, die momentan u. a. in der Bildungs-, Erziehungs- und Kulturarbeit brach-
liegen, geleistet werden.

Diese Tätigkeiten als unbefristete Beschäftigungsverhältnisse auf einem geson-
derten Arbeitsmarkt zu etablieren, böte eine dauerhafte Perspektive sowohl für
die Betroffenen als auch für die Kommunen und unterläge nicht den Schwan-
kungen des privaten Arbeitsmarktes.

Die derzeit im § 27 SGB III bestehende Versicherungsfreiheit wurde im Zuge
der Hartz-Reformen eingeführt. Die letzte Veränderung erfolgte mit dem Zwei-
ten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Perspektiven
für Langzeitarbeitslose mit besonderen Vermittlungshemmnissen – JobPerspek-
tive vom 10. Oktober 2007. Der sogenannte Drehtür-Effekt ist nicht vorhanden,
da die Leistungsträger ein ureigenes Interesse daran haben, Betroffene wieder
in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen. Bereits die Begrün-
dung der Gesetzesänderung vom 10. Oktober 2007 basiert auf einer falschen
und diskriminierenden Argumentation. Langzeitarbeitslosen wurde dabei un-
terstellt, dass sie ausschließlich wegen des Erwerbs neuer Arbeitslosengeld-
ansprüche eine Eingliederungsmaßnahme nach dem § 16a SGB II in Anspruch
nehmen würden. Die entsprechende Argumentation geht von einer fehlenden
Motivation Langzeitarbeitsloser aus, einen festen Arbeitsplatz finden zu wollen
und vernachlässigt dabei, dass nicht ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung
stehen. Diese Annahme ist auch deshalb absurd, weil nur ein verschwindend
geringer Teil der Betroffenen überhaupt Einfluss auf die Zuteilung einer Maß-
nahme hat.

Hinzu kommt, dass dieser vermeintliche Effekt eher durch andere zugunsten der
Unternehmen geänderte Gesetze eintritt. Das trifft insbesondere auf das Teilzeit-
und Befristungsgesetz zu, das mit der dort geregelten sachgrundlosen Befristung
von Arbeitsverträgen dazu führt, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer nach dem zeitlichen Ablauf ihres Arbeitsvertrages wieder Leistungen aus
der Arbeitslosenversicherung geltend machen müssen. Auch die als Beschäfti-
gungsmotor angepriesene und boomende Zeitarbeitsbranche entlässt mehr als
die Hälfte ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder in die Arbeits-
losigkeit. „66 Prozent der neu abgeschlossenen Zeitarbeitsverhältnisse im Jahr
2007 wurden mit Personen geschlossen, die direkt zuvor keine Beschäftigung
ausübten […]. Bei über zwei Dritteln dieser Zeitarbeitnehmer lag die letzte Be-
schäftigung maximal ein Jahr zurück. Jeder fünfte aus der Nichterwerbstätigkeit
kommende Beschäftigte war länger als ein Jahr ohne Beschäftigung und jeder
achte war zuvor noch gar nicht beschäftigt.“* Aber: „Über die Hälfte der Be-
schäftigungsverhältnisse in der Zeitarbeit dauern weniger als drei Monate an.“*
Da nur ca. 12 Prozent der Leiharbeitnehmer/-innen von den entleihenden Betrie-
ben übernommen werden, ist der überwiegende Teil wieder auf Arbeitslosen-
geld oder Arbeitslosengeld II angewiesen.

* Bundesagentur für Arbeit: Branchen und Berufe in Deutschland, Entwicklung Dezember 1997 – Dezem-
ber 2007, Zeitarbeit, S. 5 und 10

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10511

Einen wirklichen Anreiz kann ausschließlich eine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung bieten, die gleichzeitig alle Ansprüche an tarifliche Arbeitsbedin-
gungen erfüllt. Die derzeitige Ausgestaltung der Arbeitsmarktpolitik fußt auf
einem anhaltenden Misstrauen gegenüber Menschen ohne Erwerbsarbeit.

Statt die Arbeitsmarktpolitik immer repressiver und konditionell schlechter aus-
zugestalten, muss vielmehr an den Bedürfnissen der Menschen angesetzt wer-
den. Die Aufgabe muss daher lauten: sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gung zu schaffen und alle öffentlich geförderten Beschäftigungsverhältnisse
gleichzustellen – egal ob es sich dabei um das Programm JobPerspektive oder
beispielsweise das Bundesprogramm Kommunal-Kombi handelt. Beschäfti-
gungsverhältnisse müssen in ihrer Gesamtheit sozialversicherungspflichtig sein.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.