BT-Drucksache 16/10382

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD -16/9299- 16/10357- Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz - KiföG)

Vom 24. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10382
16. Wahlperiode 24. 09. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge,
Katja Kipping, Katrin Kunert, Frank Spieth, Elke Reinke, Volker Schneider
(Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, Jörn Wunderlich und der
Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
– Drucksachen 16/9299, 16/10357 –

Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in
Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz – KiföG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Jedes Kind hat unabhängig von seiner sozialen Herkunft ein Recht auf früh-
kindliche Bildung, Erziehung und Betreuung. Dieses Recht sollte individuell
als Rechtanspruch gewährt und von kommerziellen Interessen freigehalten
werden. Der Ausbau der Einrichtungen zur Kinderbetreuung verläuft zu
schleppend und benötigt mehr Personal, mehr Qualität und daher mehr Mittel
als bisher geplant. Der vorgelegte Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD wird den Anforderungen eines flächendeckenden öffentlichen
Ausbaus der Kinderbetreuung nicht gerecht. Die Einführung des Rechts-
anspruches auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren bis 2013
zu verschieben, ist ein Fehler. Die fehlende Konkretisierung des zeitlichen
Umfangs des Rechtsanspruches birgt die Gefahr, dass Angebote aus Kosten-
gründen an den Bedürfnissen der Familien vorbei entwickelt werden.

2. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels und der dringend erforder-
lichen Weiterentwicklung der Qualität der Betreuung ist eine Erhöhung der
Anschubfinanzierung des Bundes notwendig.

3. Mit dem Betreuungsgeld soll ab 2013 eine monatliche Zahlung an die Eltern
eingeführt werden, die ihr Kind nicht in einer Einrichtung betreuen lassen
können oder wollen. Hierdurch könnten gerade einkommensschwache Eltern

motiviert werden, ihre Kinder nicht in eine (vorschulische) Förderung zu
geben, da sie diese Geldleistung zum Bestreiten des Familienunterhaltes be-
nötigen. Es besteht zudem die Gefahr, dass sich eine solche Regelung negativ
auf die gleiche Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben auswirkt und damit der
grundrechtlichen Verpflichtung des Gesetzgebers zur Förderung der tatsäch-
lichen Gleichstellung von Frauen und Männern entgegenstünde.

Drucksache 16/10382 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Die Anforderungen an die Verfügbarkeit und Flexibilität der Tagespflegeper-
sonen sind hoch, ihre individuelle Existenzsicherung, tarifliche Entlohnung
und angemessene Arbeitsbedingungen werden durch den Gesetzentwurf
nicht gewährleistet. Die Tagespflege ist derzeit nicht in der Lage, wie geplant
ein Drittel der entstehenden Platzkontingente auf qualitativ hohem Niveau
bereitzustellen. Es fehlen verbindliche Qualitätsstandards, die ein gleichwer-
tiges Angebot mit Betreuung in Einrichtungen sicherstellen. Die Zulassung
größerer Gruppen in der Tagesgroßpflege läuft dem Anspruch individueller
Förderung diametral entgegen.

5. Obwohl das Gesetz es vorsieht, sind Einrichtungen, in denen Kinder mit und
ohne Behinderung gemeinsam gefördert werden, immer noch die große Aus-
nahme. Gerade Kinder mit besonderem Förderbedarf benötigen entspre-
chende Angebote. Ihre besonderen Kompetenzen sollten geschätzt und ge-
stärkt werden. Von inklusiven Angeboten profitieren im Ergebnis alle Kinder.

6. Da Kinder keine Ware sind und sein sollen, muss die Kinder- und Jugendhilfe
vor gewerblichen Kommerz- und Gewinninteressen bewahrt werden. Ent-
gegen dieser Ansicht wollen die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und
SPD gemeinsam mit der Bundesregierung mit dem Kinderförderungsgesetz
die Förderung privatgewerblicher Träger vorantreiben. Mit einer Zusatz-
klausel in § 74a des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) schreibt sie
bundesgesetzlich fest, dass die Länder alle Betreuungsträger finanziell gleich
behandeln können. Damit können auch gewinnorientierte Träger künftig För-
derung aus Steuergeldern verlangen. Dieser Paradigmenwechsel führt zu
sozialer Segregation in der Jugendhilfe. Öffentliche Förderung profitorien-
tierter Kita-Unternehmen fördert teure Betreuung für Kinder zahlungskräf-
tiger Eltern und Billigverwahrung für die Kinder einkommensschwacher
Eltern. Darunter haben nicht nur Kinder und Eltern, sondern auch Erziehe-
rinnen und Erzieher durch verschlechterte Arbeitsbedingungen zu leiden.
Sinnvoller Wettbewerb um Qualität und konzeptionelle Vielfalt sollte dage-
gen nicht mit Wettbewerb zwischen gemeinnützigen und gewerblichen Trä-
gern verwechselt werden. Wettbewerb um Qualität kann und muss innerhalb
einer öffentlichen/gemeinnützigen Trägerlandschaft stattfinden. Da es nach
geltender Gesetzeslage jedem Unternehmen und jeder Elterninitiative frei-
steht, einen gemeinnützigen Verein zu gründen, um eine Kindertagesstätte zu
eröffnen, ist der Ausbau der Kinderbetreuung kein ausreichendes Argument
für die öffentliche Förderung gewinnorientierter Träger. Es liegt der Verdacht
nahe, dass gewinnorientierte Träger dennoch gefördert werden, damit eine
Privatisierung der Kinder- und Jugendhilfe vorangetrieben werden kann.
Eine Gleichstellung von kommerziellen Trägern mit öffentlichen und frei-
gemeinnützigen Trägern birgt die Gefahr der Öffnung des „Kinderbetreu-
ungsmarktes“ nach den Regeln der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Deren
Folgen wären ein verschärfter Verdrängungswettbewerb und ein Lohn- und
Qualitätssenkungswettlauf.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Ausbau der Kinderbetreuung mit
ausreichend Mitteln, Personal und Qualität der Ausbildung, Betreuung und
Beschäftigung für Kinder, Eltern und Erzieherinnen und Erzieher gewähr-
leistet;

2. ein umfassendes Konzept zu unterbreiten, wie eine elternbeitragsfreie,
flächendeckende, ganztägige Kinderbetreuung gewährleistet werden kann,
die als Rechtsanspruch der Kinder unabhängig vom Erwerbsstatus der Eltern
ausgestaltet ist und den im Kinderförderungsgesetz enthaltenen Rechts-

anspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr ausdrücklich
als Ganztagsanspruch festzulegen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10382

3. die öffentliche Förderung von Trägern der Kinderbetreuung im SGB VIII an
das Kriterium der Gemeinnützigkeit zu binden und keine Gleichstellung von
freigemeinnützigen und privatgewerblichen Trägern im SGB VIII vor-
zunehmen oder von den Bundesländern zu fordern;

4. eine transparente und nachvollziehbare Darstellung der Verteilung der Mittel
auf die Länder sicherzustellen und darauf hinzuwirken, dass die Länder die
Mittel an die Träger der öffentlichen Jugendhilfe weiterleiten und für den Be-
trieb der Tageseinrichtungen und die laufende Finanzierung der Kindertages-
pflege verwenden;

5. eine bedarfsgerechte Verteilung der Mittel auf die Länder vorzunehmen,
damit die Kommunen in den Stand versetzt werden können, einen Rechts-
anspruch auf flächendeckende, ganztägige, gebührenfreie Kinderbetreuung
für alle Vorschulkinder und ein beitragsfreies, gesundes Mittagessen ab 2010
zu realisieren;

6. darauf hinzuwirken, dass die Länder im Rahmen ihrer Qualitätsoffensive
der Kinderbetreuung für verbesserte Betreuungsschlüssel zwischen Erziehe-
rinnen/Erziehern und Kindern sowie für eine Verbesserung der Ausbildung
des Fachpersonals auf Hochschulniveau und für verbesserte Arbeitsbedin-
gungen von Erzieherinnen und Erziehern sorgen;

7. gemeinsam mit den Ländern eine verlässliche Frühförderung von Kindern
mit Behinderung in inklusiven Betreuungsformen zu gewährleisten;

8. das Betreuungsgeld aus dem Kinderförderungsgesetz zu streichen;

9. sich in der Tagespflege für die Schaffung von sozialversicherungspflichtiger
und tarifgebundener Beschäftigung für Tagesmütter und -väter auf kommu-
naler Ebene einzusetzen und die Anforderungen an fachliche Ausbildung und
regelmäßige Fortbildungen von Tagespflegepersonen mit Fachkräften in Ein-
richtungen gleichzusetzen sowie die Zulassung der Tagesgroßpflege aus dem
Kinderförderungsgesetz zu streichen.

Berlin, den 24. September 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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