BT-Drucksache 16/10340

Frauen stärken - Frieden sichern - Geschlechtergerechtigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit und der Konfliktbearbeitung vorantreiben

Vom 24. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10340
16. Wahlperiode 24. 09. 2008

Antrag
der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin
Müller (Köln), Dr. Uschi Eid, Birgitt Bender, Marieluise Beck (Bremen), Volker
Beck (Köln), Alexander Bonde, Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Frauen stärken – Frieden sichern –
Geschlechtergerechtigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit und der
Konfliktbearbeitung vorantreiben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Viele Frauen führen trotz des Bekenntnisses der Vereinten Nationen zur Her-
stellung der Geschlechtergerechtigkeit weiterhin ein Leben, das von sozioöko-
nomischer und kultureller Unterdrückung geprägt ist. Tradierte Geschlechter-
rollen existieren in fast allen Gesellschaften zu Ungunsten von Frauen und be-
schränken deren Recht auf Selbstbestimmung in allen Bereichen. Zwei Drittel
der Menschen, die weder lesen noch schreiben können, sind Frauen. Frauen
verfügen nur über zehn Prozent des globalen Einkommens und ein Prozent des
weltweiten Vermögens. Obwohl die deutsche und europäische Entwicklungs-
zusammenarbeit entsprechende Programme und Projekte zur Förderung der
Geschlechtergerechtigkeit und Frauenförderung durchführt, ist Armut immer
noch vor allem weiblich: 70 Prozent der 1,3 Milliarden Menschen, die in extre-
mer Armut leben, sind Frauen. Frauen sind Leistungsträgerinnen in ihren
Gesellschaften und in vielen Entwicklungsländern produzieren sie den Großteil
der Nahrungsmittel und kümmern sich dazu um Haushalt und die Kinder-
erziehung. Aber trotzdem sind es vor allem Männer, die die entsprechenden
Ressourcen und Produktionsmittel, wie zum Beispiel Land oder Zugang zu
Krediten, besitzen. Beschäftigungsverhältnisse von Frauen sind häufig prekär,
sozial ungesichert und schlecht bezahlt. Physische und psychische Gewalt ge-
gen Frauen ist weit verbreitet. Sie reicht von gesellschaftlich akzeptierter häus-
licher Gewalt über kulturelle Praktiken, wie z. B. die genitale Beschneidung,
bis hin zu Vergewaltigungen und Folter in Kriegen. Die in vielen Ländern stark
ausgeprägte Unterdrückung und Ungleichbehandlung von Frauen stehen in
krassem Widerspruch zu den elementaren Menschenrechten und dem Ziel der

Vereinten Nationen, die Gleichstellung der Geschlechter voranzutreiben und
sind zentrale Hemmnisse für Frieden und Wohlstand in der Welt.

Drucksache 16/10340 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich bei den Regierungen der Partnerländer der deutschen Entwicklungs-
zusammenarbeit für die Stärkung der Menschenrechte von Frauen einzu-
setzen;

2. ihre Verpflichtungen aus den Resolutionen 1325 (2000) und 1820 (2008)
der Vereinten Nationen konsequent umzusetzen, als Beitrag zur Stärkung
der Frauenrechte und der strafrechtlichen Verfolgung von Tätern sexuali-
sierter Gewaltanwendung in Kriegen hierzu einen Gender Audit durch-
zuführen, einen nationalen Aktionsplan zu erarbeiten sowie eine nationale
Monitoringstelle einzurichten;

3. sich dafür einzusetzen, bei der Ausbildung und Vorbereitung von Friedens-
truppen der Vereinten Nationen sexualisierte Gewalt gegen Frauen in
Kriegen zum Thema zu machen;

4. verstärkt Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit zu unterstützen, die
sich für eine Abschaffung der genitalen Verstümmelung von Frauen enga-
gieren;

5. die Forderung des Europäischen Parlaments nach einer Sonderbeauftragten
der Europäischen Union für die Rechte der Frau zu unterstützen, um das
Monitoring und die Evaluierung der europäischen Aktivitäten hinsichtlich
der Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit und der Frauenförderung in
der Entwicklungspolitik wie in der gesamten internationalen Politik zu
stärken;

6. sich auf europäischer Ebene für eine Evaluierung der Entwicklungszusam-
menarbeit der Europäischen Union hinsichtlich ihrer Orientierung und
Wirkungen auf die Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen;

7. sich innerhalb der Vereinten Nationen dafür einzusetzen, dass alle Millen-
niumsentwicklungsziele (MDGs) die Geschlechtergerechtigkeit und die
Frauenförderung stärker berücksichtigen;

8. sich bei den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
für die Einführung des Gender Budgeting einzusetzen;

9. sich dafür einzusetzen, dass auch die multilateralen Geberorganisationen
bei ihren Entwicklungsprogrammen und -projekten den Gender Equality
Policy Marker der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (OECD) anwenden;

10. sich dafür einzusetzen, dass auf die Gemeinschafts-, Korb- und Budget-
finanzierungen, an denen sich die Bundesrepublik Deutschland beteiligt,
das Analyseinstrument des Gender Budgeting angewandt wird;

11. dafür Sorge zu tragen, dass sowohl auf nationaler wie auf europäischer
Ebene die Aspekte der Gleichberechtigung der Geschlechter und der
Frauenförderung als integrale Bestandteile in das Entwicklungsinstrumen-
tarium der Budgethilfe miteinbezogen werden;

12. regelmäßig die Auswirkungen der Ausgaben des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf die Gleichberechti-
gung von Frauen und Männern sowie die Stärkung der Rechte und Rolle der
Frauen durch eine am Konzept des Gender Budgeting orientierte Analyse
darzustellen und öffentlich zugänglich zu machen;

13. im entwicklungspolitischen Jahresbericht des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Auflistung der
Anzahl der Projekte und Programme unterteilt nach dem Gender Equality

Policy Marker der OECD inklusive der jeweiligen Ausgaben vorzuneh-
men;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10340

14. die Ausgaben für Entwicklungsvorhaben, die die Gleichberechtigung von
Frauen und Männern sowie die Stärkung der Rechte und Rolle der Frauen
als Hauptzielrichtung (G2) haben, zu erhöhen;

15. aufgrund der besonderen Gefährdungslage von Frauen durch den Klima-
wandel Folgendes zu veranlassen:

● eine Studie über die besonderen Anpassungsbedürfnisse von Frauen in
Entwicklungsländern durchzuführen,

● bereits bestehende Anpassungsprogramme in der Entwicklungszusam-
menarbeit einer Gender-Analyse zu unterziehen,

● sich dafür einzusetzen, dass die Gender-Perspektive auch in die An-
passungsprogramme multilateraler Entwicklungsinstitutionen integriert
wird;

16. vor dem Hintergrund der Verpflichtung zu den MDGs und dem Ziel, diese
bis 2015 zu erfüllen, folgende Ansätze der Frauenförderung verstärkt
voranzutreiben:

● in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit die
Müttersterblichkeit durch einen deutlich verbesserten Zugang von
Frauen und Mädchen zu sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdiens-
ten signifikant zu senken,

● alle HIV/AIDS-Bekämpfungsprogramme der Entwicklungszusammen-
arbeit an den spezifischen Bedürfnissen von Männern und Frauen aus-
zurichten,

● dem Zugang von Frauen zu finanziellen und produktiven Ressourcen,
wie Krediten, Land, Saatgut und Fortbildung, in den Programmen der
ländlichen Entwicklung eine hohe Priorität einzuräumen,

● Wasser- und Sanitärversorgungsprogramme der Entwicklungszusam-
menarbeit stärker an den spezifischen Bedürfnissen von Männern und
Frauen auszurichten und ein Programm zur Sanitärversorgung an Schu-
len aufzulegen, das den spezifischen Bedürfnissen von Mädchen Rech-
nung trägt;

17. sich in den Partnerländern für einen verbesserten Zugang von Frauen zu
höherer Bildung, insbesondere Hochschulbildung, zu engagieren;

18. sich durch mehr Stipendien- und Austauschprogramme für die Mobilität,
den Austausch und die Förderung von Künstlerinnen, Studentinnen und
Wissenschaftlerinnen einzusetzen.

Berlin, den 24. September 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Frauenrechte sind Menschenrechte

Frauen sind wie alle Menschen auf dieser Welt Trägerinnen unveräußerlicher
Rechte, die in den menschenrechtlichen Erklärungen und Pakten der Vereinten
Nationen niedergelegt sind. Durch soziale Konstruktionen von Geschlechter-

ordnung werden den Frauen weltweit ihre elementaren Rechte verwehrt. Diese
Ungleichbehandlung von Frauen ist auch ein Hindernis für die sozioökonomi-

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sche Entwicklung von Gesellschaften. Die Ausrichtung der Entwicklungs-
zusammenarbeit an den Prinzipien der Geschlechtergerechtigkeit und der
Frauenförderung ist so zum einen ein Beitrag zu den menschenrechtlichen Ver-
pflichtungen der Staatengemeinschaft und zum anderen wesentliche Voraus-
setzung für die Überwindung von Armut in der Welt.

Die Millenniumsentwicklungsziele vor dem Scheitern bewahren

Die Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen sind der Maßstab,
an dem sich die Effektivität der Entwicklungszusammenarbeit messen lassen
muss. Bis 2015 will die Staatengemeinschaft signifikante Verbesserungen in
den Bereichen Armuts- und Hungerbekämpfung und bei der Eindämmung in-
fektiöser Armutskrankheiten wie HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose er-
reichen. Dazu ist ein konsequentes Gender-Mainstreaming in der Entwick-
lungszusammenarbeit notwendig, denn Armut und ihre Wechselwirkungen mit
Krankheiten und fehlender Bildung sind nicht von der Geschlechtergerechtig-
keit zu trennen. Die MDGs 3 (Gleichstellung der Geschlechter) und 5 (Mutter-
schutz) beziehen sich auf eine Verbesserung der Situation von Frauen. Die rest-
lichen MDGs lassen eine konsequente geschlechtsspezifische Zielrichtung ver-
missen (MDGs 1, 2, 4 und 6) bzw. ignorieren diese vollständig (MDGs 7 und 8).
Entwicklung wird ohne Geschlechtergerechtigkeit nicht erreicht werden. Ge-
schlechtergerechtigkeit wird ohne Gender-Mainstreaming in den MDGs nicht
erreicht werden.

Die Erreichung der MDGs 3 und 5, die eine konkrete Verbesserung der Situa-
tion von Frauen bis 2015 anstreben, droht zu scheitern. Die Gleichstellung der
Geschlechter macht keine nennenswerten Fortschritte: Frauen werden weltweit
im Wirtschaftsleben benachteiligt und ihr Einfluss auf die politische Willens-
bildung und Entscheidungsfindung ist gering. Die Müttersterblichkeit stagniert
auf hohem Niveau. Die Müttersterblichkeitsrate bei Geburten in den Entwick-
lungsländern hat sich zwischen 2000 und 2005 nicht verbessert, in einigen
Regionen gar verschlechtert. Immer noch sterben jedes Jahr über 500 000 Müt-
ter bei der Geburt und dies vor allem in Afrika und Asien (ca. 95 Prozent aller
Todesfälle). Und auf jede Frau, die stirbt, kommen über 20 Frauen, die mit
schweren Komplikationen und deren gesundheitlichen Folgen zu kämpfen
haben.

Auch auf Bildungsebene sind die Entwicklungen ungenügend, die im MDG 3
angestrebte Beseitigung der Geschlechterdisparität zu erreichen. Während in
den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) im Grundschulwesen Ge-
schlechtergleichberechtigung bis 2015 noch erreicht werden kann (Mädchen zu
Jungen: Rate 0,85 1999 und 0,89 2005), bedarf es im Sekundär- und besonders
im Tertiärbereich eines bedeutend größeren Engagements. Neben anderen
Faktoren wird das Problem von nicht vorhandenen oder nicht abschließbaren
Toiletten gerade für Mädchen, die die Pubertät erreichen, zunehmend als ein
bedeutender Faktor für Schulfehltage und Schulabbruch erkannt. An Hoch-
schulen in den LDCs kamen 2005 auf 100 Männer nur 63 Frauen.

HIV/AIDS betrifft in vielen Entwicklungsländern besonders Frauen. Trotz der
gestiegenen Anstrengungen bi- und multilateraler sowie privater Geber in der
AIDS-Bekämpfung liegt eine Eindämmung der Seuche in weiter Ferne. Frauen
sind unter biologischen Gesichtspunkten einem höheren Infektionsrisiko aus-
gesetzt. Die hohe AIDS-Rate unter Frauen muss aber vor allem vor dem Hinter-
grund ihrer sozialen und gesellschaftlichen Stellung gesehen werden, die ihnen
ihre sexuelle Selbstbestimmung verwehrt.

HIV/AIDS korreliert zudem stark mit der sozioökonomischen Situation der
Menschen. Arme Menschen haben ein weitaus höheres Risiko, sich mit dem

HI-Virus zu infizieren. So kommt die Krankheit vor allem in den ärmsten
Regionen dieser Erde vor, besonders betroffen ist Subsahara-Afrika. Dort leben

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10340

67 Prozent aller HIV-Infizierten, dort sterben die meisten Menschen an der
Immunschwächekrankheit. Besonders die Zahlen aus Subsahara-Afrika ver-
deutlichen, dass HIV/AIDS eine Krankheit ist, von der Frauen weitaus stärker
betroffen sind als Männer. 59 Prozent der erwachsenen HIV-Infizierten in Sub-
sahara-Afrika sind weiblich. 74 Prozent der HIV-Infizierten in Subsahara-
Afrika zwischen 15 und 24 Jahren sind Frauen. Frauen sind in zweifacher Hin-
sicht einem stärkeren Risiko ausgesetzt, sich zu infizieren. Zum einen sind sie
häufiger von sozioökonomischer Armut betroffen, wie fehlendem Zugang zu
Bildung, Land und Lohnarbeit, und zum anderen besteht ein höheres Gefähr-
dungspotential für Frauen durch patriarchal geprägte Sexual- und Partnerbezie-
hungen. Die Reduzierung der hohen AIDS-Raten hängt stark mit einer ge-
schlechtsspezifischen Herangehensweise an die AIDS-Bekämpfung zusam-
men. Dazu gilt es, die Korrelationen zwischen sozioökonomischer Ungleich-
heit, Geschlechterungerechtigkeit und HIV/AIDS viel stärker in den Fokus zu
nehmen als dies zurzeit geschieht.

Frauen und wirtschaftliche Betätigung

Wer Armut bekämpfen will, muss bei den Frauen anfangen, denn sie leisten
zwei Drittel aller Arbeitsstunden weltweit. Um ihre Arbeitssituation zu ver-
bessern, ist die Entlastung von Frauen, die Schaffung von Arbeitsplätzen, Fort-
bildungen und Kreditvergaben unerlässlich. Weil Frauen weniger auf Eigentum,
Gesundheitsvorsorge und neue Technologien zugreifen können, stehen sie in
Entscheidungsprozessen häufiger außen vor. Dies führt zu Beeinträchtigungen
nicht nur für sie persönlich oder für ihre Familien, sondern auch für die Ent-
wicklung der Gesellschaft insgesamt. Die Förderung von Frauen führt zu einem
Multiplikationseffekt bei Produktivität, Effizienz und Wirtschaftswachstum.
Die Vergabe von Mikrokrediten wurde auch deshalb ein Erfolg, weil Frauen er-
fahrungsgemäß mehr in die nachhaltige Entwicklung der Familie investieren,
z. B. in die Bildung ihrer Kinder, in die landwirtschaftliche Produktion und in
andere wirtschaftliche Aktivitäten, die Einkommen für ihre Familien generieren.

Jetzt müssen weitere Weichen zur Stärkung von Frauen gestellt werden, die
nicht zu den klassischen Feldern der Entwicklungspolitik gehören, aber die
Potenziale von Frauen vermehren können, wenn sie miteinander verschränkt
werden. Die Möglichkeiten der Nutzung von Telekommunikation oder auch die
Absicherung von Frauen in Sozialversicherungen sind solche Bereiche, die
Hoffnung auf innovative Wege zur Bekämpfung der Armut machen. Besonders
in dem noch relativ jungen Bereich „Soziale Sicherung“ und bei der Mikrover-
sicherung sollte die Geschlechterperspektive zentrale Bedeutung erlangen.

Die Versäumnisse der Entwicklungspolitik im Bereich der ländlichen Entwick-
lung sind spätestens seit den massiven Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln
offensichtlich. Es ist an der Zeit, endlich einen Paradigmenwechsel einzuläu-
ten. Die lokalen ländlichen Strukturen in Entwicklungsländern müssen gestärkt
werden. Dabei ist eine Geschlechterperspektive unabdingbar. Frauen sind in
vielen Entwicklungsländern die Ernährerinnen der Familie, denn sie leisten
einen Großteil der landwirtschaftlichen Produktion. Allein das Wasserholen,
das oft Aufgabe der Frauen und Mädchen ist, kostet bis zu vier Stunden täglich.
Schon dadurch werden sie an der Wahrnehmung von Chancen auf Bildung oder
Einkommen gehindert.

Frauen und der Klimawandel

Der Klimawandel und seine Folgen stellen besonders für die Menschen in Ent-
wicklungsländern eine große Gefahr dar. Aufgrund mangelnder Ressourcen
fällt es ihnen besonders schwer, sich an die sich verändernden klimatischen

Bedingungen anzupassen. Bestehende Ungleichheiten zwischen den Ge-
schlechtern machen Frauen auf unterschiedliche Weise besonders verletzlich

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für die Risiken des Klimawandels. Wechselnde Niederschlagsmuster infolge
des Klimawandels lassen die Wahrscheinlichkeit von Missernten steigen. In
vielen Entwicklungsländern sind Frauen die Hauptproduzentinnen in der Land-
wirtschaft und damit besonders betroffen, wenn Ernten ausbleiben, Erträge
niedriger ausfallen und die Arbeitsbedingungen härter werden. Die sich verän-
dernden Wasserhaushalte erhöhen schon heute in wasserarmen Regionen die
Entfernungen, die Frauen zurücklegen müssen, um Wasser zu holen, was mit ei-
nem Mehr an Arbeit und Zeit verbunden ist. Und bei Naturkatastrophen wie
Stürmen oder Überschwemmungen haben Frauen ein weitaus höheres Risiko,
ums Leben zu kommen als Männer, wie im aktuellen Human Development
Report der Vereinten Nationen nachzulesen ist. Frauen können z. B. häufiger
nicht schwimmen und haben schlechteren Zugang zu mobilen Ressourcen.
Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel sollten daher die spezifischen
Gefährdungspotenziale für Frauen und die Prioritäten von Frauen bei der Be-
wältigung der Folgen des Klimawandels berücksichtigen.

Gewalt und Unterdrückung gegenüber Frauen wirksam bekämpfen –
Umsetzung der Resolutionen 1325 (2000) und 1820 (2008) der Vereinten
Nationen vorantreiben

Gewalt und Unterdrückung gegenüber Frauen hat viele Facetten. Neben der
strukturellen Gewalt sind viele Frauen und Mädchen auch brutalster physischer
und psychischer Gewalt ausgesetzt. Dazu gehören die häusliche Gewalt, die ge-
nitale Beschneidung wie auch die sexualisierte Gewalt als Mittel der Macht und
Unterdrückung. Besonders in Kriegen und gewaltsamen Konflikten sind
Frauen und Mädchen in mehrfacher Hinsicht betroffen. Sie sind traditionell für
das Überleben der Familie im Kriegsalltag zuständig und leben gleichzeitig in
ständiger Angst, vergewaltigt, verschleppt und getötet zu werden. Frauen müs-
sen fürchten, dass ihre Kinder als Soldaten missbraucht und junge Mädchen als
sexuelle Sklaven gehalten werden. Der Griff zu den Waffen wird oft damit be-
gründet, dass Frauen und Kinder und die Werte der Nation verteidigt werden
müssen. Sexuelle Gewalt, Verstümmelung, Ermordung und Ausbeutung wer-
den systematisch und bewusst als Kriegswaffe angewandt mit dem Ziel, die be-
troffenen Frauen und ihre Gemeinschaften zu demütigen, zu bestrafen, zu ver-
treiben und bestehende soziale Strukturen zu zerstören. Frauen und Mädchen
jeden Alters erleiden schwerste Menschenrechtsverletzungen, werden brutal
misshandelt, schwer verletzt und verstümmelt, wie die Beispiele Ruanda,
Darfur, Kongo, Kosovo und Bosnien zeigen. Eng verbunden mit sexualisierter
Gewalt ist die rapide Ausbreitung des HI-Virus.

Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit gegenüber den verschiedenen For-
men von Gewalt und Unterdrückung von Frauen ist größer geworden. Dennoch
gibt die hohe Zahl von Übergriffen auf Frauen weiterhin Anlass zur Sorge. Die
Vereinten Nationen haben mit den zwei Resolutionen 1325 (2000) „Frauen,
Frieden und Sicherheit“ und 1820 (2008) Position bezogen und sexualisierte
Gewalt in kriegerischen Konflikten international geächtet. Sie sind das Ergeb-
nis jahrzehntelanger beharrlicher Bemühungen international arbeitender Frau-
enorganisationen. Die Resolutionen sind Meilensteine auf dem Weg zu einer
geschlechtersensiblen Friedens- und Sicherheitspolitik. Sie blicken auf die ver-
schiedenen Rollen von Frauen, sowohl passiv Opfer von Kriegs- und Gewalt-
handlungen zu sein, als auch aktiv als Friedensakteurinnen und Gestalterinnen
der Gesellschaft zu leben. Die hohen Erwartungen an die Resolutionen haben
sich jedoch noch nicht erfüllt. Noch immer fehlt es an einer konsequenten Um-
setzung der Resolutionen, obwohl sexualisierte Kriegsgewalt ein Verbrechen
gegen die Menschlichkeit ist. Auch der Bericht der Bundesregierung zur natio-
nalen Umsetzung der Resolution 1325 (2000) ist zwar detailreich und zeigt den
guten Willen und die einzelnen Anstrengungen, verliert sich allerdings in vielen

kleinen Einzelmaßnahmen und lässt eine gemeinsame Strategie noch immer
vermissen.

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Entwicklungsfinanzierung und Geschlechtergerechtigkeit

Die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen sind eng mit den Finanzierungs-
zusagen der Gebernationen – bis zum Jahr 2015 0,7 Prozent des Bruttonational-
einkommens (BNE) für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen –
verknüpft. Die schrittweise Aufstockung der Mittel sollte einhergehen mit der
Festlegung eines festen Anteils für die Finanzierung von Programmen, die die
Geschlechtergerechtigkeit zum Ziel haben. Die OECD hat eine Gender-Kennung
entwickelt, den Gender Equality Policy Marker. Mit einer dreistufigen Kennung
lassen sich Entwicklungsprojekte gemäß ihrer Gender-Zielsetzung einteilen. Ent-
scheidend ist, ob ein Projekt Geschlechtergerechtigkeit als Hauptziel (G2) oder
signifikantes Teilziel (G1) hat. Mit G0 werden Entwicklungsmaßnahmen ge-
kennzeichnet, die nicht zur Gleichberechtigung der Geschlechter beitragen. In
der Praxis werden für G2-Projekte – also Projekte, die in erster Linie auf Ge-
schlechtergerechtigkeit zielen – signifikant weniger Mittel aufgewandt als für
G1-Projekte, die zwar positive Auswirkungen auf die Geschlechtergerechtigkeit
haben können, für die dies aber kein Hauptziel ist. Für G2-Projekte wurden zwi-
schen 2000 und 2006 pro Jahr höchstens etwa drei Prozent der bilateralen Brutto-
ODA (Official Development Assistance) ausgegeben.

Gender Budgeting bedeutet mehr Ressourcen für Frauen

Gender Budgeting ist ein Instrument, um sowohl bei der Haushaltsplanung als
auch bei der -evaluierung die Auswirkungen der Haushaltsausgaben auf die
Geschlechtergerechtigkeit zu analysieren. Erfreulich ist, dass inzwischen mehr
als 50 Länder mit Gender Budgeting arbeiten, unter anderem Ägypten, Austra-
lien, Bolivien, Mexiko, Nepal, Senegal und Tansania. Auch in Afghanistan ist
im Finanzministerium eine Einheit zu Gender Budgeting eingerichtet worden.
Diese Ansätze gilt es, in der Entwicklungszusammenarbeit weiter voranzutrei-
ben. Denn es handelt sich um ein probates Mittel, um Transparenz und Rechen-
schaft der Regierenden in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit und Frauenför-
derung zu erhöhen. Im Zuge der Paris-Deklaration und der Diskussion um die
Wirksamkeit der Entwicklungshilfe werden immer größere Beiträge der ODA
über andere Kanäle als die bilaterale Projektebene abgewickelt. Es ist wichtig,
dass bei diesen „neuen“ Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit nicht
nur die Gender-Perspektive berücksichtigt wird, sondern auch nachvollzogen
werden kann, wie die Gelder verwendet wurden. Hierzu müssen zukünftig auch
die multilateralen Geberorganisationen den Gender Equality Policy Marker der
OECD anwenden. Zurzeit benutzt keine der multilateralen Geberorganisatio-
nen diesen Marker. Darüber hinaus müssen die Gemeinschafts-, Korb- und
Budgetfinanzierungen der Gebernationen einem konsequenten Gender Bud-
geting unterworfen werden.

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