BT-Drucksache 16/10339

Vielfalt verbindet - Europäische Kultur stärken und weiterentwickeln

Vom 24. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10339
16. Wahlperiode 24. 09. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Undine Kurth (Quedlinburg), Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Kai Gehring, Thilo Hoppe, Ute
Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vielfalt verbindet – Europäische Kultur stärken und weiterentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der anhaltenden Debatte über die Zukunft Europas hat sich die Aufmerk-
samkeit unübersehbar auf kulturpolitische Fragen, aber auch auf die kulturellen
Werte und Ziele der Europäischen Union konzentriert. Die Staats- und Regie-
rungschefs haben sich mit der Berliner Erklärung zum 50. Jahrestag der Euro-
päischen Union am 25. März 2007 nicht nur verpflichtet, die Europäische
Union bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 auf eine erneuerte
gemeinsame Grundlage zu stellen; die Berliner Erklärung hat außerdem ein
klares Bekenntnis zur Kultur als Fundament der europäischen Bürgeridentität
abgelegt.

Das Zusammenwachsen Europas erfordert dauerhafte Kulturarbeit und kulturel-
len Austausch, vor allem mit den neu aufgenommenen und denjenigen Staaten,
die in Verhandlungen zur Aufnahme stehen. Es gilt, die Identifikation der Bür-
gerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Europa
und den europäischen Werten zu unterstützen. Eine zentrale Aufgabe ist des-
halb, die kulturelle Dimension der europäischen Integration zu stärken und eine
gemeinsame europäische Öffentlichkeit herzustellen. Die Etablierung euro-
päischer Kulturinstitutionen sowie europäischer Kunstpreise, eines gemein-
samen europäischen Mediums oder eines europaweiten Feiertages – z. B. der
Europatag am 9. Mai – wären Schritte in die richtige Richtung. Die kultur-
politischen Programme der Europäischen Union können keine Kraft entfalten
ohne die aktive Beteiligung durch die Mitgliedstaaten und ihrer Zivilgesell-
schaften. Die große Herausforderung besteht deshalb darin, eine multidimensio-
nale Konzeption für das europäische Projekt zu entwickeln.

Auch die Notwendigkeit einer Außenkulturpolitik der Europäischen Union,
die das Prinzip der Nationalstaatlichkeit überwindet und sich stärker am Ziel

einer gemeinschaftlichen Kulturarbeit gegenüber Drittstaaten ausrichtet, wird
immer deutlicher. Die kulturelle Repräsentation in den EU-Mitgliedstaaten
kann in diesem Zusammenhang als eine Art „europäische Kulturinnenpolitik“
verstanden werden. Jedoch bestehen weiterhin beträchtliche Hindernisse, die
auch aus den jeweils nationalen Kulturpolitikverständnissen rühren. Nach wie
vor dominiert innerhalb der Europäischen Union das Prinzip des Kulturaus-
tausches, das auch die Kulturbeziehungen mit Staaten außerhalb der Europäi-

Drucksache 16/10339 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

schen Union kennzeichnet. Die meisten der EU-Staaten unterhalten eigene Kul-
turinstitute in den anderen Mitgliedstaaten. Die kulturellen Beziehungen der
EU-Staaten untereinander unterscheiden sich deshalb kaum von jenen mit an-
deren Staaten. Allerdings gibt es inzwischen eine Reihe von Ansätzen zur kul-
turellen Kooperation der Mitgliedstaaten in Europa, wie etwa EUNIC (Euro-
pean National Institutes of Culture), die Vereinigung der nationalen Kulturinsti-
tute in der Europäischen Union. Hier müsste die Vernetzung und Kooperation
der einzelnen Akteure noch stärker vorangetrieben und eine gemeinsame euro-
päische außenkulturpolitische Strategie etabliert werden.

Zur Stärkung der Kultur im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses
kommt der Förderung von Kunst- und Kulturprojekten eine besondere Be-
deutung zu. Zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2007
sind eine Reihe neuer Instrumente der EU-Kulturförderpolitik in Kraft getreten.
Dazu zählt neben dem Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ vor
allem die Neuauflage des Programms „Kultur 2000“. Das neue Förder-
programm „Kultur (2007–2013)“ ist ausgestattet mit einem Gesamtbudget von
400 Mio. Euro. Daneben wird der überwiegende Teil der Kulturförderung der
Gemeinschaft (80 Prozent) über die Strukturfonds bereitgestellt, insbesondere
durch Mittel aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung und dem
Europäischen Sozialfonds. Das zentrale Problem der europäischen Kulturförde-
rung liegt zum einen darin, dass trotz gewünschter Innovation, Kreativität und
europäischer Integration, die bekanntlich gerade von kleineren Institutionen
und Projekten ausgeht, ein Trend zur Förderung immer größerer europäischer
Projekte wahrnehmbar ist, zum anderen in den oft intransparenten Antrags-
modalitäten und der unzulänglichen Informationsvermittlung, was die Projekt-
förderung betrifft. Eine Stärkung des Cultural Contact Point Germany (CCP)
könnte hier Abhilfe schaffen.

Ein weiteres, gravierenderes Problem liegt in der unzureichenden statistischen
Erfassung der Fördermittel begründet. Wie der Kulturfinanzbericht 2008 der
Statistischen Ämter des Bundes und der Länder darlegt, ist eine belastbare
Quantifizierung der Höhe der EU-Fördermittel weder insgesamt, noch auf
Ebene einzelner Mitgliedstaaten möglich. Eine einheitliche, aussagekräftige
EU-Kulturstatistik, die Aufschluss über die zahlreichen kulturellen Aktivitäten
der Europäischen Union gibt, ist deshalb dringend notwendig.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Kultur- und Kreativbranche ist zuletzt im-
mer deutlicher in den Fokus nationaler und internationaler Politik gerückt. Der
kulturwirtschaftliche Bereich ist nunmehr – über seine bisherige allgemeine
kulturelle und gesellschaftspolitische Bedeutung hinaus – auch ein Gegenstand
der Wirtschafts- und Innovationspolitik. Eine stärkere Förderung der Kultur-
und Kreativwirtschaft nicht nur auf nationaler, sondern auch auf EU-Ebene so-
wie eine effizientere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich
müssen vorangetrieben werden.

Das Prinzip der kulturellen Vielfalt in Europa besitzt einen hohen Stellenwert,
was insbesondere die schnelle Ratifizierung des UNESCO-Übereinkommens
zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zeigt
und welches am 18. März 2007 in Kraft getreten ist. Auch die Mitteilung der
EU-Kommission über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globali-
sierung sowie der zukünftige dreijährige Arbeitsplan im Kulturbereich 2008 bis
2010 unterstreichen die Förderung der kulturellen Vielfalt als eine der zentralen
Aufgaben der Europäischen Union. In Deutschland ist die Umsetzung der
UNESCO-Konvention über die Veranstaltung von Fachkonferenzen und Dis-
kussionsrunden bislang nicht hinausgekommen. Hier ist es nötig, zu evaluieren,
welche Maßnahmen zur Erfüllung der Konvention auf nationaler, vor allem

aber auch auf EU-Ebene und in Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten noch er-
griffen werden müssen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10339

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass sich die Enquete-Kommission „Kultur
in Deutschland“ nicht nur eingehend mit kulturinnenpolitischen Themen aus-
einandergesetzt, sondern auch für die europäische Kulturpolitik wichtige Hand-
lungsempfehlungen erarbeitet hat. Die Bestandsaufnahme der Enquete-Kom-
mission zu Kultur in Europa führte zu wesentlichen Erkenntnissen über die not-
wendige Förderung verschiedener Aspekte der europäischen Kulturpolitik. Die
Empfehlungen der Enquete-Kommission sollten deshalb von der Bundesregie-
rung zügig umgesetzt und Kultur als zentrales Element des europäischen Eini-
gungsprozesses nachhaltig gestärkt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für eine kohärente europäische Kulturpolitik bei gleichzeitiger Wahrung
der Subsidiarität einzusetzen und bei der Europäischen Kommission darauf
hinzuwirken, dass die Kulturverträglichkeitsklausel des Amsterdamer Ver-
trags mit Leben gefüllt wird;

2. sich gemeinsam mit den Ländern und unter Einbeziehung der im Schluss-
bericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ genannten zivil-
gesellschaftlichen Akteure aktiv in die Erarbeitung einer europäischen
Kulturagenda einzubringen und den für die europäische Kulturpolitik vor-
geschlagenen Prozess der offenen Koordinierung unter Wahrung des Prinzips
der Subsidiarität zu unterstützen und aktiv mitzugestalten;

3. sich in den internen Gremien der Europäischen Union dafür einzusetzen,
dass der Erinnerungsarbeit und Menschenrechtsbildung ein angemessener
Stellenwert eingeräumt wird und auf Grundlage der internationalen Men-
schenrechte Standards, Methoden und Prozessformen für die soziale und
kulturelle Aufarbeitung und Bewältigung von Verbrechen in Bürgerkriegen
und in Diktaturen entwickelt werden;

4. sich im Europäischen Rat dafür einzusetzen, dass die Europäische Union
ihrer Verantwortung für den europäischen Kulturaustausch in höherem
Maße als bisher gerecht werden kann und für diesen Austausch einen ange-
messenen Budgetanteil von mindestens einem Prozent des EU-Haushalts zur
Verfügung stellt;

5. die in der Mitteilung der Europäischen Kommission über eine europäische
Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung formulierte Absicht zum Auf-
bau kreativer Partnerschaften zwischen dem Kultursektor und anderen Sek-
toren aufzugreifen und zu verstärken, um die gemeinsamen europäischen
Grundwerte zu betonen;

6. die geplante Einrichtung eines Kulturfonds der Europäischen Union und der
Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (EU-AKP-
Kulturfonds) zu unterstützen;

7. die Kapazitäten des CCP so zu stärken, dass auch kleineren Kulturinstitutio-
nen und Künstlerinitiativen mehr Information und Hilfestellung zuteil wer-
den kann, dass mehr öffentlichkeitswirksame Seminare zur Kulturförderung
in Europa durchgeführt werden können und dass der Forderung der Europäi-
schen Kommission nach einer Einbeziehung der CCP in die fundierte Evalu-
ierung der bereits geförderten Projekte nachgekommen werden kann;

8. die Idee der Kulturhauptstädte auf der Grundlage der „Budapester Erklä-
rung“ fortzuentwickeln und sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen,
dass den mit dem europäischen Kulturhauptstadtprojekt verbundenen nach-
haltigen Innovationspotenzialen größere Aufmerksamkeit gewidmet wird;

9. sich – wie auch bereits von der französischen EU-Ratspräsidentschaft an-
gestoßen – für die Etablierung eines europäischen Labels nach dem Beispiel
von „Lieux de mémoire“ sowie zur Auswahl und Auszeichnung europäi-

scher Kulturstätten einzusetzen, um besonders bedeutsame Orte der Kultur
und Geschichte Europas hervorzuheben;

Drucksache 16/10339 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
10. sich dafür einzusetzen, dass Formen der Deklaration und Würdigung zeit-
genössischer europäischer Kunst entwickelt werden. Jurys europäischer
Künstler sollten jährlich oder in der Art einer Biennale Kunstwerke in den
verschiedenen Genres als „Kunst in Europa – Europäische Kunst“ aus-
zeichnen;

11. das Gespräch mit den Akademien der Künste in der Bundesrepublik
Deutschland, insbesondere mit der vom Bund finanzierten Akademie der
Künste zu Berlin, zu suchen, um die Arbeit an einem europäischen Netz-
werk von Akademien der Künste der Nationalstaaten der Europäischen
Union zu fördern und gemeinsame Überlegungen der Akademien für einen
institutionellen Rahmen wie zum Beispiel eine europäische Akademie der
Künste zu entwickeln;

12. sich dafür einzusetzen, dass eine Initiative zur Schaffung einer Euro-
päischen Kulturstiftung ergriffen wird, die in Anlehnung an das Modell der
Kulturstiftung des Bundes staatenübergreifende Kulturprojekte initiiert und
das Forum für einen paneuropäischen Kulturdialog darstellt;

13. sich auf europäischer Ebene für die stärkere Förderung des europäischen
Filmes, des Europäischen Filmpreises „Felix“ und der Europäischen Film-
akademie einzusetzen;

14. sich auf europäischer Ebene – gerade vor dem Hintergrund der für den
17. September 2008 angekündigten Mitteilung der EU-Kommission zur
Förderung der Mehrsprachigkeit – für die Unterstützung der europäischen
Literaturübersetzer und die erneute Förderung der Europäischen Überset-
zerzentren, die im Sommer dieses Jahres eingestellt wurde, einzusetzen;

15. sich auf europäischer Ebene für eine weltweit wahrnehmbare mediale
„Stimme Europas“ via Rundfunk oder Internet einzusetzen, die mit erkenn-
barem europäischen Profil die globalen Entwicklungen begleitet und in der
die Vielfalt der kulturellen Sphären Europas zum Ausdruck kommt;

16. sich auf europäischer Ebene bzw. in der entsprechenden Arbeitsgruppe zu
Kultur- und Kreativwirtschaft im Rahmen der Umsetzung des Arbeitsplans
des Rates im Kulturbereich 2008 bis 2010 für eine Stärkung der Kultur-
und Kreativwirtschaft einzusetzen und insbesondere die spezifische Situa-
tion von Klein- und Kleinstunternehmen zu berücksichtigen;

17. im Rahmen der Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz
und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und unter Ein-
beziehung der Bundeskulturverbände zu evaluieren, inwieweit die Anforde-
rungen an kulturelle Vielfalt bereits erfüllt werden und welche Maßnahmen
zur Erfüllung der Konvention noch ergriffen werden müssen;

18. die Initiative zur Ratifizierung des Abkommens zum immateriellen Kultur-
erbe zu ergreifen und entsprechende Maßnahmen vorzubereiten;

19. sich aktiv dafür einzusetzen, dass auf Ebene der Europäischen Union die
Verhandlungen zur Etablierung einer europäischen Kulturstatistik zum Ab-
schluss gebracht werden, und hierbei darauf zu achten, dass eine zukünf-
tige europäische Kulturstatistik und eine vereinheitlichte deutsche Kultur-
statistik kompatibel sind;

20. die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen außenkulturpolitischen
Strategie voranzutreiben und in diesem Zusammenhang den bereits be-
stehenden Zusammenschluss der EUNIC weiter zu fördern und aus-
zubauen.

Berlin, den 24. September 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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