BT-Drucksache 16/10318

Das Gesundheitssystem nachhaltig und paritätisch finanzieren - Gesundheitsfonds, Zusatzbeiträge und Teilkaskotarife stoppen

Vom 24. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10318
16. Wahlperiode 24. 09. 2008

Antrag
der Abgeordneten Frank Spieth, Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst,
Volker Schneider (Saarbrücken), Katja Kipping, Dr. Lothar Bisky, Elke Reinke,
Diana Golze, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Das Gesundheitssystem nachhaltig und paritätisch finanzieren –
Gesundheitsfonds, Zusatzbeiträge und Teilkaskotarife stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die zurückliegenden Gesundheitsreformen haben den Umfang der solidarisch
finanzierten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) systema-
tisch reduziert. Fixiert auf die so genannten Lohnnebenkosten dienten diese
Reformen einzig dazu, den Anteil der Arbeitgeber an den Krankenversiche-
rungsbeiträgen zu senken. Trotz dieser Reformgesetze sind die Beiträge in den
vergangenen Jahren weiter gestiegen.

Seit 2005 müssen die Versicherten einen Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozent
zahlen, um damit die 9 Mrd. Euro für den Zahnersatz und für das Krankengeld
aufzubringen. Die Kranken müssen darüber hinaus für die Ausdünnung des
Leistungskatalogs Milliardenkosten tragen: Die fehlende Erstattung von nicht
verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, Zuzahlungen, Krankenhausgeld und
Praxisgebühren ergeben zusammen weitere Belastungen in Höhe von 6 Mrd.
Euro.

Die Folge dieser Politik: Gegenwärtig tragen die gesetzlich Krankenversicher-
ten mit ihren Beiträgen und Zuzahlungen einen Anteil von etwa 65 Prozent der
gesamten GKV-Kosten, die Arbeitgeber von lediglich 35 Prozent. Wo ehemals
die Kosten für das Gesundheitswesen paritätisch, d. h. zu gleichen Teilen, von
Arbeitgebern und Versicherten getragen wurden, haben die letzten Bundesregie-
rungen die Unternehmer milliardenschwer entlastet. Auch deshalb wird keine
solide Finanzierungsgrundlage geschaffen; die Krankenkassenbeiträge steigen
deshalb weiter. Der angebliche Wettbewerb hat die Entsolidarisierung der Ver-
sichertengemeinschaft und die Privatisierung von Gesundheitsrisiken zur Folge.

Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversiche-
rung (GKV-WSG) verschärft diesen Zustand, indem der Arbeitgeberanteil
faktisch eingefroren, die Versicherten aber mit einem weiteren Zusatzbeitrag be-
lastet werden. An der Kostenentwicklung im Gesundheitssystem und somit am

technischen Fortschritt und Innovationen werden die Arbeitgeber somit nicht
mehr beteiligt. Der Gesetzgeber hat mit seiner Regelung, erst bei 95-prozentiger
Deckung aller Kosten durch den Fonds die Beitragssätze anzuheben, die Unter-
finanzierung und damit die Einführung eines Zusatzbeitrages (als „kleine“
Kopfpauschale oder bis zu 1 Prozent des Monatseinkommens) festgelegt. Die
absehbare Unterfinanzierung erhöht außerdem den Druck auf eine weitere Ratio-
nierung der Leistungen.

Drucksache 16/10318 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Dieser Gesundheitsfonds löst keine Probleme, sondern schafft nur neue. Er wird
durch die Wahltarife die Solidargemeinschaft weiter spalten. Von „Teilkasko-“,
Wahl- und Sondertarifen können nur junge Gesunde profitieren; Alte, Kranke
und Geringverdienende werden dadurch stärker belastet. Die zunehmende Aus-
weitung von Markt und Wettbewerb auf das Gesundheitswesen hat zur Folge,
dass Patientinnen und Patienten zu Kundinnen und Kunden werden; Gesundheit
verkommt damit zu einer Ware.

Dieser Gesundheitsfonds ist abzulehnen, da die Mehrkosten bei Festschreibung
der Arbeitgeberbeiträge alleine von den Versicherten zu zahlen sind. Die paritä-
tische Finanzierung der GKV wird damit endgültig ausgehebelt.

Die bisherigen Ansätze zur Festlegung eines „morbiditätsorientierten Risiko-
strukturausgleichs“ führen weiterhin zu großen Nachteilen für diejenigen Kran-
kenkassen, in denen mehr Alte und Kranke versichert sind.

Ein einheitlicher Beitragssatz, wie ihn der Gesundheitsfonds angeblich herstel-
len soll, kann nur in einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung
umgesetzt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den im Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Kranken-
versicherung (GKV-WSG) festgelegten Einführungstermin zum 1. Januar
2009 für den Gesundheitsfonds aufzuheben;

2. den Zusatzbeitrag abzuschaffen, da er den Grundsatz, einheitliche Beitrags-
sätze festzulegen, verzerrt. Defizitäre Kassen müssen über den Verbund mit
anderen Krankenkassen ihre Schulden ausgleichen;

3. keine Möglichkeit zuzulassen, durch Wahltarife individuelle Einsparmög-
lichkeiten für die Versicherten anzubieten;

4. die Kriterien, nach denen die Mittel der GKV verteilt werden, neu festzu-
legen. Zwischen den Krankenkassen ist ein Finanzausgleich herzustellen, der
die unterschiedliche Erkrankungsschwere und -häufigkeit ihrer Mitglieder
umfassend berücksichtigt;

5. die Finanzierungsgrundlage, auf der die zukünftige Krankenversicherung
basiert, zu verbreitern. Alle Bürgerinnen und Bürger zahlen entsprechend
ihres Einkommens aus Lohn, Freiberuflichkeit, Zins- und Kapitaleinnahmen
einen einheitlichen Beitragssatz in einen neu zu definierenden Fonds ein.

Berlin, den 23. September 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.