BT-Drucksache 16/10304

Zur Zukunft der zielgruppenspezifischen HIV-Prävention bei schwulen Männern

Vom 22. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10304
16. Wahlperiode 22. 09. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Klaus Ernst, Karin Binder, Katja Kipping,
Monika Knoche, Elke Reinke, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann und der
Fraktion DIE LINKE.

Zur Zukunft der zielgruppenspezifischen HIV-Prävention bei schwulen Männern

Die Anzahl der HIV-Neuinfektionen sind in der Bundesrepublik Deutschland
im internationalen Vergleich auf einem niedrigen Niveau. Dies ist auf die gute
Arbeit der ehrenamtlichen und institutionellen Präventionsarbeit zurückzufüh-
ren. Dennoch hat es in diesem Jahr abermals einen leichten Anstieg der HIV-
Neuinfektionen gegeben, diesmal um 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr
(s. epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Institut (RKI) Sonderausga-
be A, 2. Mai 2008). In der Gruppe der MSM (Men who have sex with men) ist
es dabei zu einem überproportionalen Anstieg um 12 Prozent gegenüber dem
Vorjahr gekommen (vgl. ebd.).

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die Deutsche
Aidshilfe e. V. (DAH), die regionalen Aidshilfen und die ehrenamtlichen Prä-
ventionsteams haben in den vergangenen Jahrzehnten zur Verminderung des In-
fektionsrisikos vor sexuell übertragbaren Krankheiten (STD) und dem HI-Virus
den Kondomgebrauch empfohlen. Die Arbeit der BZgA und der Aidshilfen ha-
ben erfolgreich das Kondom als Präventionsmöglichkeit zu großer Akzeptanz
verholfen.

Die Aidshilfen gingen in besonderer Weise auf die Gruppe der MSM zu, indem
sie das Konzept der strukturellen Prävention verfolgten. Das Konzept der struk-
turellen Prävention setzt auf die Akzeptanz unterschiedlicher (sexueller) Le-
bensweisen für eine erfolgreiche HIV-Prävention. Diese Präventionsstrategie
hat sich als überaus erfolgreich erwiesen (Bochow, M., Das kürzere Ende des
Regenbogens. HIV-Infektionsrisiken und soziale Ungleichheit bei schwulen
Männern, 2000, Berlin). Mehrere Faktoren geben Anlass, die Präventionsarbeit
zu modifizieren.

So sorgte der Bericht der eidgenössischen Gesundheitskommission für Aids-
fragen (EKAF) für einige Irritationen, denn nach Meinung des Leiters, Prof.
Dr. Pietro Vernazza, kann die Übertragung des HI-Virus durch einen HIV-posi-
tiven Menschen ausgeschlossen werden, wenn dieser regelmäßig die Hochak-
tive Antiretrovirale Therapie (HAART) anwendet und keine STD aufweist. Die

durchgeführte Studie bezog sich bislang nur auf heterosexuelle Kontakte in ei-
ner Partnerschaft, doch es ist davon auszugehen, dass sich die Ergebnisse auch
auf homosexuelle Sexualkontakte übertragen lassen (http://www.saez.ch/pdf_d/
2008/2008-05/2008-05-085.PDF).

Die Therapie der Patienten mit HIV und Aids hat sich in den vergangenen
10 Jahren stark verbessert, seit der Einführung der HAART leben die Patienten
mit der Immunschwächekrankheit bedeutend länger, so dass Experten von einem

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„neuen Aids“ sprechen (vgl. www.ahnrw.de/aidshilfe-nrw), zunehmend wird
Aids deshalb als chronische Erkrankung aufgefasst. (vgl. www.sueddeutsche.de/
wissen/506/303501/text).

Mehreren Presseberichten (z. B. MÄNNER 06/08) war zu entnehmen, dass die
DAH e. V. eine zielgruppenspezifische Bundeskampagne für die HIV-Präven-
tion bei MSM mit dem Titel „Ich weiß, was ich tu!“ entwickelt hat. Die Kam-
pagne sollte bereits zu Beginn dieses Jahres in der Zielgruppe der MSM lan-
ciert werden. Laut „taz“ (28. Juni 2008) wird die Kampagne der Gruppe der
MSM „vorenthalten“.

Die „FAZ“ (24. Juni 2008) vermutet einen Zusammenhang zwischen den Er-
kenntnissen der EKAF und dem Ausbleiben der Kampagne, „In Deutschland
wird seit der Veröffentlichung des Artikels [der EKAF] um eine gemeinsame Po-
sition in der Aidsprävention gerungen. Die neue Kampagne der DAH, die recht-
zeitig zum „Christopher Street Day“ ihre aufklärende Wirkung haben sollte,
wurde im März auf Eis gelegt – genauer: Sie wird noch einmal evaluiert.“

Aus den zitierten Artikeln und den veränderten Rahmenbedingungen der HIV-
Prävention ergeben sich mehrere Fragen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie haben sich nach Ansicht der Bundesregierung die Lebensweisen
schwuler Männer verändert?

2. Wie wird der Wandel der Aidserkrankung („neues Aids“) im Rahmen der
zielgruppenspezifischen HIV-Prävention thematisiert werden?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung den Gebrauch von szenetypischen Be-
griffen für den sexuellen Kontakt in der Gruppe der MSM im Rahmen
einer Präventionskampagne?

4. Welche HIV-Präventionsmöglichkeiten gibt es neben dem Kondom, und
wie könnten diese im Sinne der HIV-Prävention vermittelt werden?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Erkenntnisse der EKAF im Hinblick
auf die HIV-Prävention bei schwulen Männern?

6. Sieht die Bundesregierung in diesem Bereich noch medizinischen For-
schungsbedarf?

7. Wenn ja, hat sie in diesem Bereich Forschungen in Auftrag gegeben, bzw.
ist sie an Forschungen beteiligt?

8. Inwiefern übt die BZgA Einfluss auf die HIV-Prävention der DAH e. V.
aus?

9. Was sind die Gründe für die Verschiebung der Kampagne „Ich weiß, was
ich tu!“?

10. Warum wird die zielgruppenspezifische Kampagne „Ich weiß, was ich tu!“,
die sich an schwule Männer richtet, auch bei heterosexuellen Menschen ge-
testet (Pretesting)?

11. Sollen auch HIV-positive Menschen mit der Präventionskampagne „Ich
weiß, was tu!“ angesprochen werden?

Wenn ja, wie, und aus welchem Grund werden sie in die HIV-Prävention
integriert?

12. Wird die Laufzeit der Kampagne „Ich weiß, was ich tu!“ entsprechend des
späteren Starts der Kampagne verlängert?
13. Welche Berücksichtigung findet das Konzept der strukturellen Prävention
in der Kampagne „Ich weiß, was ich tu“?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10304

14. Wie beurteilt die Bundesregierung eine womöglich verzerrte Darstellung
der Präventionsbotschaften der Kampagne „Ich weiß, was ich tu!“ durch
die Boulevardmedien?

15. Wie unterstützt die Bundesregierung bzw. das Bundesministerium für
Gesundheit die Kampagne „Ich weiß, was ich tu!“ in der Öffentlichkeit?

Berlin, den 22. September 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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