BT-Drucksache 16/10280

Riester-Rente - Sparer verlieren staatliche Zulagen durch hohe Gebühren

Vom 18. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10280
16. Wahlperiode 18. 09. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Karin Binder,
Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, Lutz Heilmann, Katja Kipping,
Monika Knoche, Katrin Kunert, Dorothee Menzner, Elke Reinke, Frank Spieth,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Riester-Rente – Sparer verlieren staatliche Zulagen durch hohe Gebühren

„So viele Gründe für die Riester-Rente gab es noch nie zuvor“, so das Fazit
einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
(BMAS) vom 25. August 2008, und weiter heißt es: „Informationen und Bera-
tung rund um die zusätzliche Altersvorsorge gibt es auch bei Banken, Spar-
kassen, Versicherungen und Investmentgesellschaften (…).“

Allerdings wird die Möglichkeit, sich unabhängig beraten und informieren zu
lassen den Verbrauchern nicht leicht gemacht: So verweigerten zwei Dutzend
Versicherungsgesellschaften die Teilnahme am Leistungsvergleich ihrer Pro-
dukte in der neusten Ausgabe der Zeitschrift „Finanztest“ (Ausgabe 10/2008)
komplett, der ja eigentlich zum Ziel hat, mehr Transparenz für Verbraucher zu
schaffen. Unter http://www.test.de/themen/versicherung-vorsorge/meldung/
Riester-Rentenversicherung/1713898/1713898/ hat „Finanztest“ diejenigen
Versicherungsunternehmen aufgelistet, die sich einem Test verweigerten. Von
deren Verträgen raten die „Finanztest“-Experten deshalb ab.

Was die Transparenz und Verständlichkeit von Verträgen und Jahresmitteilun-
gen angeht hat „Finanztest“ bereits in der Ausgabe 8/2008 „Rätselstunde für
Riester-Sparer“ untersucht, Zitat: „In vielen Jahresmitteilungen werden die
wahren Kosten verschleiert“, und: „Sie [die Versicherungen, Banken und
Fondsgesellschaften] informieren ihre Kunden Jahr für Jahr nur lückenhaft und
kaum verständlich über den Stand der Riester-Verträge.“ Insbesondere die ver-
hältnismäßig hohen Vertriebs- und Abschlusskosten belasteten die Versiche-
rungsprodukte. Dies führe angesichts der hohen Kosten in den ersten Jahren
nach Vertragsabschluss dazu, dass die kompletten Zulagen regelrecht aufge-
zehrt würden. Fazit: Von den 28 getesteten Verträgen liste keine einzige Gesell-
schaft in den Jahresmitteilungen auf, wie viel Geld der Anbieter im bisherigen
Vertragsverlauf für Abschluss, Vertrieb und Verwaltung dem Kunden insgesamt
in Rechnung gestellt habe. Betroffen seien mehr als elf Millionen bzw. über
95 Prozent der Sparer.
Auch in der Ausgabe 10/2008 bemängelt „Finanztest“, dass sich aufgrund der
hohen Abschluss- und Verwaltungskosten ein Riester-Rentenversicherungsver-
trag nur für Sparer lohne, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zum Schluss
durchhalten. Der Grund liege u. a. darin, dass die Versicherer mit dem Geld
ihrer Kunden am Kapitalmarkt möglichst hohe Erträge zu erwirtschaften
versuchten.

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Des Weiteren kommt die Zeitschrift zu dem Ergebnis, dass die Angaben ver-
wirrend seien, die Jahresmitteilungen, nur so vor „Bürokratiedeutsch“, „Wort-
ungetümern“ und „rätselhaften Satzgebilden“ strotzten. Keiner der getesteten
Anbieter würde die Zertifizierungsnummer des Vertrages angeben. Zudem wür-
den die Sparer nicht darüber informiert, dass sie die maximale staatliche Zulage
nicht erhielten, wenn nicht genügend Beitrag geleistet wurde. Auf diesen Sach-
verhalt weisen auch die Daten der Zulagenförderung für die Jahre 2004 bis 2006
durch die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen hin (Zulagenförderung für
das Beitragsjahr 2004 durch die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen
(ZfA), Ulrich Stolz/Christian Rieckhoff, in: RVaktuell (2007), 9, S. 306 bis 313).

Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg kommt zu ähnlichen Ergebnis-
sen: „Die Zulagen kommen in der Masse nicht der Altersvorsorge zugute.“ Bei-
spiele zeigten, dass die Kosten eines Vertrages über die gesamte Laufzeit leicht
das Dreifache der gesamten Förderung inklusive der Steuervorteile aufzehren
könnten. Wer frühzeitig mit einem Anbieterwechsel die Weichen wieder rich-
tigstellen wolle, laufe Gefahr, einen Großteil der Beiträge zu verlieren. Bis zu
88 Prozent der eingezahlten Beiträge könnten aufgrund eines Anbieterwechsels
von Vertragskosten verschluckt sein. Fazit auch hier: „Viel zu oft werden
falsche Produkte empfohlen. Die Berater verkaufen nicht das, was zur Situation
des Sparers passt, sondern das, was Provision bringt.“ (Pressemitteilung der
Verbraucherzentrale Baden-Würtemberg vom 26. August 2008).

„DIE WELT“ berichtete am 18. August 2008 (Gebühren fressen staatliche Zu-
lagen auf), dass eine Studie der Frankfurt School of Finance & Management zu
dem Schluss kommt: „Es ist fast aussichtslos für Kunden, sich in den Vertrags-
unterlagen einen Überblick über die Gebühren zu verschaffen.“ Den Verträgen
mangele es an Transparenz und sie seien zu komplex. In einem Fall habe sogar
die Kinderzulage die Provision des Anbieters finanziert (Riesterente im Ver-
gleich. Eine Simulationsstudie zur Verteilung der Rendite, Andreas Weber/Uwe
Wystup, 5. März 2008).

Bereits im März 2008 hatte die Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag
in ihrem Antrag „Riester-Rente auf den Prüfstand stellen“ (Bundestagsdruck-
sache 16/8495) u. a. gefordert, dass „ein Vergleich der Leistungen und des
Kosten-Nutzenverhältnisses von subventionierter privater Alterssicherung und
gesetzlicher Rente hinsichtlich der Verwaltungs- und Verfahrenskosten, des
Anteils der geleisteten Beiträge, die tatsächlich der Alterssicherung zugute-
kommen, und der Leistungsprofile gezogen wird.“

Es drängt sich entgegen den Verlautbarungen des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales (BMAS) der begründete Verdacht auf, dass Riester-Sparer nicht
oder irreführend über ihren abgeschlossenen Riester-Vertrag informiert sind. Die
staatlichen Zulagen würden dann nichts anderes als eine milliardenschwere Sub-
vention für Banken, Versicherer und Fondsgesellschaften darstellen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch hat sich seit 2003 das Volumen der staatlich geförderten Altersvor-
sorgezulage bei sog. Riester-Produkten entwickelt (bitte getrennt nach direk-
ter Förderung und Steuereinnahmeausfällen im Rahmen des Sonderaus-
gabenbezugs nach § 10a des Einkommensteuergesetzes – EStG)?

2. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass aufgrund des bis zum Jahr
2030 geplanten Absinkens des Rentenniveaus die staatlichen Zulagen im
Rahmen der von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
(BaFin) zertifizierten Altersvorsorgeprodukte dem tatsächlich Zweck zu-
kommt, über Zulagen und steuerliche Entlastungen eine effiziente Förde-

rung für den Aufbau der zusätzlichen Altersvorsorge zu ermöglichen (vgl.
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 14/4595
zum Altersvermögensgesetz)?

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3. Wie kann die Bundesregierung sicherstellen, dass die nach dem Altersvor-
sorge-Zertifizierungsgesetz formulierten Mindestvoraussetzungen für för-
derwürdige Altersvorsorgeprodukte ausreichend sind, damit der Verbrau-
cher aufgrund der schwer überschaubaren Zahl von Sparformen die vom
Gesetzgeber gewünschte sichere Altersvorsorge ermöglicht werden kann
(vgl. Bundestagsdrucksache 14/5150, S. 38)?

4. Warum wurde im damaligen Gesetzgebungsprozess zum Altersvermögens-
gesetz bzw. Altersvermögensergänzungsgesetz bewusst auf die Prüfung der
wirtschaftlichen Tragfähigkeit zertifizierter Altersvorsorgeprodukte sowie
die Prüfung, ob die Zusage des Anbieters erfüllbar ist oder ob die Vertrags-
bedingungen zivilrechtlich wirksam sind, verzichtet?

5. Hat die Bundesregierung Kenntnis über die oben genannten Veröffent-
lichungen (Finanztest 2/2008, Verbraucherzentrale Baden-Württemberg,
Studie der Frankfurt School of Finance & Management)?

6. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Beurteilung
und Kritik der Verbraucherorganisation „Stiftung Warentest“ im „Finanz-
test“ 2/2008 an den Riester-Verträgen?

7. Welchen Stellenwert nimmt die Transparenz und Übersichtlichkeit von
Produkten und Dienstleistungen in der Verbraucherpolitik der Bundes-
regierung ein?

8. Hält es die Bundesregierung für notwendig, für die Herstellung von Markt-
transparenz, Information, Beratung, Vergleichbarkeit von Produkten und
Verhinderung unlauterer Geschäftspraktiken gegenüber den Verbraucherin-
nen und Verbrauchern zu sorgen, wenn sie zugleich zur steuerlich geförder-
ten privaten Altersvorsorge aufgrund des sinkenden Leistungsniveaus in
der gesetzlichen Rentenversicherung aufruft?

Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung zur Her-
stellung von Markttransparenz, Information, Beratung, Vergleichbarkeit
von Produkten und Verhinderung unlauterer Geschäftspraktiken seit 2001
getroffen?

Wenn nein, warum nicht?

9. Welche Maßnahmen und Informationen sollten aus Sicht der Bundesregie-
rung Verbraucherinnen und Verbraucher treffen bzw. einholen, bevor sie
einen Riester-Vertrag abschließen?

10. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu den Vorwürfen, wonach die
Vertrags- und Verwaltungskosten intransparent, irreführend und zu kom-
plex seien?

11. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu den Vorwürfen der Zeitschrift
„Finanztest“ 8/2008, wonach aus keinem einzigen der 28 getesteten Ver-
träge in den Jahresmitteilungen hervorgeht, wie viel Geld der Anbieter im
bisherigen Vertragsverlauf für Abschluss, Vertrieb und Verwaltung dem
Kunden insgesamt in Rechnung gestellt hat?

12. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu dem Vorwurf der Verbrau-
cherzentrale Baden-Württemberg, wonach die Zulagen in der Masse nicht
der Altersvorsorge zugutekommen sowie aufgrund der Kosten eines Ver-
trages über die gesamte Laufzeit leicht das Dreifache der gesamten Förde-
rung inklusive der Steuervorteile aufzehren könne?

13. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu dem Vorwurf, dass durch den
Wechsel des Anbieters ein Großteil der abgesparten Summe verloren
ginge?

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14. Sieht die Bundesregierung aufgrund der o. g. Probleme Handlungsbedarf
bei der Ausgestaltung von Verträgen und Jahresmitteilungen, etwa durch
eine weitere Konkretisierung der Mindestvoraussetzungen im Altersvor-
sorge-Zertifizierungsgesetz?

Wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht?

15. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der Aussage, dass der Gesetz-
geber einerseits die zusätzliche private Altersvorsorge in Milliardenhöhe
fördert, er tatsächlich aber keine Kontrolle darüber hat, ob die aus Steuer-
geldern finanzierten staatlichen Zulagen tatsächlich aufgrund der o. g. Pro-
bleme dem Sparer überhaupt zugutekommen?

16. Ist der Bundesregierung bekannt, welche durchschnittliche Rendite auf die
gesamten Ausgaben (staatliche Zulagen und eigene Altersvorsorgeleistun-
gen) für Riester-Produkte erzielt wird?

17. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu den Forderungen der Ver-
braucherschutzzentrale Baden-Württemberg:

a) Umkehr der Beweislast bei Falschberatung und Verlängerung der Ver-
jährungsfrist auf 30 Jahre,

b) angemessene Kostenbelastung bei Produktwechsel, Begrenzung der ge-
samten Vertragskosten auf z. B. 25 Prozent des bis zum Wechsel einge-
zahlten Kapitals,

c) automatisierte Gutschrift der staatlichen Zulagen ohne Antrag,

d) gesetzliche Regelung von Beratungen im Bereich Altersvorsorge und
Finanzen: Verbot der Vereinnahmung von Provisionen,

e) Dokumentationspflicht der Beratung nicht nur gegenüber der Finanz-
aufsicht, sondern auch gegenüber Kunden,

f) Sicherstellung günstiger Produktalternativen bei der Riester-Rente
durch staatliche Anbieter?

18. Wie viele Ordnungswidrigkeiten wurden von der BaFin seit 2002 nach
§ 13 des Altersvorsorge-Zertifizierungsgesetzes geahndet, weil vorsätzlich
oder fahrlässig den vertraglichen Pflichten nach § 7 Abs. 4 nicht, nicht
richtig, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig nachgekommen wurde
(bitte aufgelistet nach Jahr und Höhe des Bußgeldes sowie Anbieter)?

19. Wird nach Kenntnis der Bundesregierung in den bei den Volkshochschulen
durchgeführten Schulungen „Altersvorsorge macht Schule“ ausreichend
auf die o. g. Probleme hingewiesen?

Wenn ja, wie (bitte Folie bzw. Erläuterungsmaterial beifügen), wenn nein,
warum nicht?

20. Wie positioniert sich die Bundesregierung zur Forderung der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 16/8495 „eines Vergleichs der Leistun-
gen und des Kosten-Nutzenverhältnisses von subventionierter privater
Alterssicherung und gesetzlicher Rente hinsichtlich der Verwaltungs- und
Verfahrenskosten, des Anteils der geleisteten Beiträge, die tatsächlich der
Alterssicherung zugute kommen, und der Leistungsprofile“ für Riester-
Altersvorsorgeprodukte?

Berlin, den 18. September 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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