BT-Drucksache 16/10248

zu der zweiten Beratung des Antrags der Bundesregierung -16/10104, 16/10244- Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2005 und weiterer Mandatsverlängerungen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen

Vom 17. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10248
16. Wahlperiode 17. 09. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid,
Kai Gehring, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der zweiten Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 16/10104, 16/10244 –

Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der
Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Resolution 1590 (2005)
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2005 und weiterer
Mandatsverlängerungen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Sudan werden weiterhin schwerste Menschenrechtsverstöße begangen, die
nach einem glaubwürdigen und nachhaltig wirksamen Engagement der inter-
nationalen Gemeinschaft verlangen.

Die Bewältigung der Krisen im Sudan ist für die Bundesrepublik Deutschland
eine wichtige außenpolitische Herausforderung. Mit ihr verbinden sich enorme
menschenrechtliche, friedens- und sicherheitspolitische, europa- und afrika-
politische sowie VN-politische Fragen.

Vor allem die anhaltenden schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit
in der westsudanesischen Region Darfur mit Massenmorden, Vertreibungen
und systematischen Vergewaltigungen und die fortbestehende Gefahr eines
Scheiterns des umfassenden Nord-Süd-Friedensabkommens (Comprehensive
Peace Agreement – CPA), erfordern seitens der EU und Deutschlands mehr
politische Aufmerksamkeit, ein aktives sichtbares präventives Engagement und
erhöhten Ressourceneinsatz.

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf

– die bereits heute 300 000 Toten und an die 3 Millionen Vertriebenen in Dar-
fur, dem angrenzenden Tschad und der Zentralafrikanischen Republik;

Drucksache 16/10248 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

– die weitere Eskalation der Gewalt in Darfur – insbesondere in Nord-Darfur –
und der damit verbundenen Gefahr einer Hungerkatastrophe und von
Hungerrevolten auf dem Land und in den Vertriebenenlagern mangels Zu-
gang für humanitäre Hilfe und dem Rückzug humanitärer Helfer aufgrund
der drastisch zugenommenen Überfälle auf Versorgungskonvois;

– die Angriffe selbst auf offizielle Vertriebenenlager der VN und auf die
neutralen Friedenshüter der gemeinsamen Friedensmission der VN und AU
UNAMID durch Sicherheitskräfte der sudanesischen Regierung und Rebel-
len;

– die bislang erfolglosen Versuche, umfassende Friedensgespräche zur Lösung
der Darfur-Krise wieder in Gang zu bringen;

– den Rebellenangriff auf Omdurman, eine Vorstadt Khartums im Mai 2008,
der die Gefahr einer Ausdehnung des Darfur-Konflikts auf den gesamten
Sudan verdeutlicht;

– die hoffnungslose Unterausstattung und der stockende Aufwuchs der
UNAMID, weil Geber ihre Beiträge nicht leisten und die sudanesische
Regierung die Entsendung blockiert;

– den Umstand, dass die VN und AU im Sudan mit rund 36 000 Blauhelmen
zum Frieden im Sudan beitragen wollen;

– die stockende Umsetzung des Nord-Süd-Friedensabkommens CPA und
dessen Bedeutung für den Friedensprozess im gesamten Sudan – auch in
Darfur;

– die neuen Kämpfe in der zwischen dem Nord- und Südsudan umstrittenen
Grenzprovinz Abyei mit dutzenden Toten und tausenden Vertriebenen sowie
die Gefahr einer weiteren Eskalation im Vorfeld der für 2009 angesetzten
Parlamentswahlen und des für 2011 vorgesehenen Referendums über die
nationale Selbstbestimmung des Südsudans;

– die akute Gefahr einer Gewalteskalation in der Provinz Kordofan sowie die
weiterhin gespannte Lage im Osten Sudans trotz des vereinbarten Friedens-
abkommens für den Ostsudan;

– die Gefahr einer regionalen Destabilisierung durch den Stellvertreterkrieg,
den die sudanesische und tschadische Regierung durch die Unterstützung
von Rebellen des jeweils anderen Landes austragen;

– die bestehenden Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH)
wegen schwerster Menschenrechtsverbrechen in Darfur sowie den Antrag
eines Haftbefehls gegen den sudanesischen Präsidenten Omar Al-Baschir
wegen Völkermords durch den Chefankläger des IStGH und dessen Be-
deutung für die Etablierung einer internationalen universellen Strafgerichts-
barkeit.

UNAMID und UNMIS sind wichtige, aber keine ausreichenden Beiträge der
internationalen Gemeinschaft, um die Menschen zu schützen und dauerhaften
Frieden im Sudan und der Region zu fördern. Beide Missionen können nur
erfolgreich sein, wenn sie selbst effizient sind und auf einen tragfähigen
Waffenstillstand sowie umfassenden Friedensprozess bauen können. Hierzu
bedarf es einer stärkeren Betonung umfassender politischer Lösungsansätze.

UNAMID und UNMIS sind nicht nur operativ, sondern auch politisch eng mit-
einander verbunden. Die politische Grundlage beider Friedensmissionen bildet
das gesamtsudanesische CPA, das nicht allein auf den Südsudan reduziert wer-
den darf. Dies gilt um so mehr, als das Friedensabkommen für Darfur von 2006
unwirksam ist, weil es zwar von der sudanesischen Regierung, aber nur einer
von mittlerweile einer Vielzahl von Rebellenfraktionen anerkannt wurde.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10248

Eine isolierte Betrachtung einzelner Teilkonflikte kann die Gesamtproblematik
im Sudan nicht lösen.

Mit einem Scheitern des CPA würde die Grundlage für eine politische Lösung
der Darfur-Krise und damit auch für die UNAMID wegfallen. Scheitert die
UNAMID, droht eine weitere Gewalteskalation, die den Friedensprozess im
Südsudan zum Scheitern bringen könnte.

Die Berufung des neuen VN-AU-Chefvermittlers in der Darfur-Krise, Djibril
Yipènè Bassolé, eröffnet jetzt die Chance für koordiniertere und wirksamere
Friedensinitiativen, weil er vor Ort präsent ist. Er ist jedoch auf die geschlos-
sene Unterstützung der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Dazu müs-
sen aber die hemmende Vielstimmigkeit und mangelhafte Koordination der
internationalen Gemeinschaft überwunden werden.

Der Bundestag begrüßt, dass ihm erstmals eine Unterrichtung der Bundesregie-
rung über die Teilnahme der Bundeswehr an zivil-militärischen Unterstüt-
zungsaktionen der EU für AMIS (Bundestagsdrucksache 16/8851) vorgelegt
wurde. Die jährliche Unterrichtung des Bundestages über den jeweiligen Aus-
landseinsatz in Form eines substanziellen bilanzierenden Gesamtberichts muss
Routine werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– sich innerhalb der EU und VN, insbesondere im Dialog mit der AU, für die
Ausarbeitung einer gesamtsudanesischen Strategie einzusetzen, die Wege
zur politischen Lösung der Darfur-Krise und zur Umsetzung des Friedens-
abkommens Südsudan aufzeigt;

– sich für die Einberufung einer Sudan-Konferenz im VN-Rahmen einzu-
setzen, die eine solche Strategie und einen Aktionsplan samt Fahrplan und
Überprüfungsmechanismus ausarbeitet;

– sich innerhalb der EU und VN für die Bildung eines internationalen Koordi-
nationskomittees einzusetzen, das eine bessere Abstimmung von Initiativen
und eine wirksamere Arbeitsteilung der internationalen Gemeinschaft be-
fördert;

– sich innerhalb der EU und VN für eine koordinierte Unterstützung des neuen
Chefvermittlers der VN und AU für die Darfur-Krise einzusetzen;

– sich für eine erhebliche Stärkung der Stellung des EU-Sondergesandten für
den Sudan einzusetzen, um eine verbesserte Koordination innerhalb der EU
zu erzielen;

– selbst einen Sudan-Beauftragten zu berufen und eine Sudan-Arbeitsgruppe
einzusetzen, die das deutsche Engagement vorantreibt und überprüft;

– den Sudan zum Schwerpunktland des Aktionsplans zivile Krisenprävention
zu erklären;

– dem Bundestag weiterhin und mindestens jährlich einen substanziellen
bilanzierenden Gesamtbericht der Bundesregierung zum Auslandseinsatz
der Bundeswehr und zur politischen Entwicklung im Sudan vorzulegen;

– sich aktiv dafür einzusetzen, dass die politischen Hürden zur Entsendung der
angebotenen deutschen Beiträge für die AU-/UN-Hybrid-Mission wie Lan-
derechte im Sudan schnellst möglich beseitigt werden, um die Versorgung
der UNAMID und Zivilbevölkerung zu verbessern;

– zu prüfen, wie die Versorgung der UNAMID und Zivilbevölkerung auch auf
dem Landweg unterstützt werden kann und ob die Möglichkeit besteht,
selbst Fahrzeuge und Personal zu stellen;

Drucksache 16/10248 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
– kurzfristig mehr Polizeikräfte zur Ausbildung vor Ort zu entsenden, um die
Sicherheit der Menschen in den Vertriebenenlagern schnellstmöglich zu
erhöhen;

– sich innerhalb der EU und der VN für ein Erhebungsverfahren (clearinghouse)
hinsichtlich freier Hubschrauberkapazitäten einzusetzen, damit UNAMID
schnellstmöglich die erforderlichen Hubschrauber erhält;

– sich frühzeitig für die Durchführung freier und fairer Parlamentswahlen zu
engagieren und durch Programme verstärkt zu fördern.

Berlin, den 16. September 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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