BT-Drucksache 16/10050

Aufbau neuer Strukturen des Bundes zur Telekommunikationsüberwachung

Vom 25. Juli 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10050
16. Wahlperiode 25. 07. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Silke Stokar von Neuforn,
Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Jerzy Montag,
Irmingard Schewe-Gerigk und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aufbau neuer Strukturen des Bundes zur Telekommunikationsüberwachung

38 Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder unterhalten – ausweislich
eines Berichts des Bundesministeriums des Innern (BMI) an den Innenaus-
schuss des Deutschen Bundestages vom 11. März 2008 – in Deutschland fast 80
Anlagen zur Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) – eine unübersichtliche
Situation. Hinzu kommt, dass „die Abhörtechnik einiger Länder nicht miteinan-
der kompatibel ist“ (Süddeutsche Zeitung, 17. April 2008).

Das BMI möchte diese „zersplitterte TKÜ-Landschaft harmonisieren“. Im Kern
geht es dem BMI darum, dass – zunächst für einige Sicherheitsbehörden des
Bundes (namentlich dem Bundeskriminalamt, der Bundespolizei sowie dem
Bundesamt für Verfassungsschutz) – der eigentliche technische Vorgang der
TKÜ beim Bundesverwaltungsamt (BVA) konzentriert wird. Die Auswertung
der überwachten Kommunikationsvorgänge sollte jedoch auch weiterhin – wie
bisher auch – bei den die jeweilige Überwachung veranlassenden Behörden des
Bundes (später ggf. auch denen der Länder) erfolgen.

Hierfür will das BMI eine Organisationsstruktur schaffen, die es den für die
TKÜ zuständigen „Wissensträgern“ dieser Bundesbehörden künftig ermöglicht,
„räumlich und organisatorisch eng zusammenzuarbeiten“.

Um dies zu erreichen, will das BMI „als ersten Schritt“ zunächst zweierlei errei-
chen:

1. Zum einen soll ein Kompetenzzentrum-TKÜ (CC-TKÜ) gegründet werden.
Hier sollen die Konzeptions-, Planungs- und Forschungsaktivitäten zur TKÜ
gebündelt werden.

2. Zweitens soll ein Servicezentrum-TKÜ (SC-TKÜ) aufgebaut werden. Dieses
soll – als „reiner IT-Dienstleister“ – für die teilnehmenden Behörden die für
die TKÜ benötigte informationstechnologische Infrastruktur aufbauen und
betreiben. Die eigentliche TKÜ würden die jeweiligen Behörden beim BVA
jedoch in eigener Verantwortung durchführen.

Die Arbeit des geplanten SC-TKÜ würde – so das BMI – das Trennungsgebot

von Polizei und Nachrichtendiensten nicht beeinträchtigen, da technisch sicher-
gestellt würde, dass die „Ausleitung von Telekommunikationsinhalten und Ver-
kehrsdaten nur an den jeweiligen Bedarfsträger erfolgt, aufgrund dessen Antrag
es zu einer Erhebung der Daten kam.“

Rechtlich hält das BMI die Errichtung von CC- und SC-TKÜ für eine „interne
Organisationsmaßnahme des BMI im Rahmen seiner exekutiven Verantwor-
tung“. Gesetzliche Maßnahmen seien aus Sicht des BMI (bis auf eine ggf. not-

Drucksache 16/10050 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

wendige Präzisierung der sog. Technischen Richtlinie TKÜ) daher „nicht erfor-
derlich“.

Für die Umsetzung dieser Pläne des BMI wurde am 1. Februar 2008 beim BKA
ein Aufbaustab eingesetzt, der am 1. April 2008 seine Arbeit aufgenommen hat.
Dieser Stab besteht aus Vertreterinnen und Vertretern der beteiligten Sicherheits-
behörden, des BVA sowie externer Beraterinnen und Berater. Aufgabe dieses
Stabes ist es, die Konzepte für das CC- und das SC-TKÜ zu verfeinern und erste
Aufbauschritte einzuleiten.

Es existiert hierfür folgender Zeitplan:

● 1. Quartal 2008: Erstellung der haushaltsbegründenden Unterlage für das
SC-TKÜ

● 3. Quartal 2008: Konkretisierung und Erweiterung des Fachkonzepts des CC-
TKÜ; Feinkonzeption des SC-TKÜ (sowie erste Schritte zu dessen Aufbau);
Entwicklung einer Aufbau- und Ablauforganisation für das CC- und das
SC- TKÜ

● Mitte 2009: Abschluss des Aufbaus von CC- und SC-TKÜ.

Im Hinblick auf die perspektivischen Ausbaupläne dieser neuen Abhörstruktur
des Bundes heißt es wörtlich in einer von dem Leiter der Arbeitsgruppe 13 der
Abteilung des BMI für „Öffentliche Sicherheit“ unterzeichneten Vorlage (beste-
hend aus: Sachdarstellung/Stellungnahme/Sprechzettel) vom 5. März 2008 (für
das Kamingespräch der Innenministerkonferenz (IMK) am 17. April 2008 in
Bad Saarow): „[Es] bestehen Überlegungen [dass das] SC- und CC-TKÜ den
Nukleus einer neuen Behörde bilden würden. Damit eine solche Behörde auch
mit den immer stärkeren Internationalisierung der Telekommunikation umzuge-
hen vermag, wird auch über neue Wege zur Verknüpfung der Methode der inlän-
dischen TKÜ mit der internationalen TKÜ (BND-Fernmeldeaufklärung) nach-
zudenken sein. Vorbilder einer solchen Behörde könnten die amerikanische
National Security Agency (NSA) oder das britische Government Communica-
tion Headquarter (GCHQ) sein. Aufgrund der politischen Sensibilität einer
neuen deutschen ‚Überwachungsbehörde‘ erscheint ein schrittweises Vorgehen
zur Umsetzung unter enger Einbindung der Länder angezeigt (…) [A]ls ange-
messenen Reaktion auf die zukünftige Vielfalt der TK-Dienste könnte durchaus
eine neue Bund/Länderbehörde erforderlich sein.“

Dessen ungeachtet hat das BMI – auch auf konkrete Nachfrage von BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN hin – in der Sitzung des Innenausschusses des Deutschen
Bundestages am 28. Mai 2008 kategorisch bestritten, dass innerhalb des BMI
entsprechende Überlegungen zum weiteren Ausbau angestellt worden sind.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, zeigte sich in der
„taz“ vom 21. Dezember 2007 besorgt über diese Pläne des BMI. Es bestehe die
Gefahr, „dass diese Daten letztendlich doch zusammenlaufen könnten“. Selbst
wenn unterschiedliche Zugriffsbegrenzungen festgelegt würden, wäre allenfalls
eine Software-Änderung nötig, um die Daten zu verknüpfen: „Viele Erfahrun-
gen belegen, dass, wenn solche Möglichkeiten gegeben sind und sich eine
entsprechende Änderung der politischen Großwetterlage ergibt, dass dann diese
Informationen zusammengeführt würden.“ Die bisher getrennten technischen
Systeme seien sinnvoll. Denn das verfassungskräftige Trennungsgebot zwi-
schen Polizei und Geheimdiensten erfordere auch, dass technische Strukturen
nicht gemeinsam genutzt werden. „Angesichts der Sensibilität von Daten, die
bei der TKÜ anfallen, sollte eine möglichst konsequente Trennung – auch
hinsichtlich ihrer technischen Plattform – beibehalten werden“, so Schaar.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10050

Wir fragen die Bundesregierung:

Personaleinsatz

1. Wie viele Personalstellen hält das Bundesinnenministerium für den Aufbau
bzw. den späteren Betrieb des SC-TKÜ beim Bundesverwaltungsamt für
sachgerecht?

2. Wie viele Personalstellen hält das Bundesinnenministerium für den Aufbau
bzw. den späteren Betrieb des CC-TKÜ beim Bundesverwaltungsamt für
sachgerecht?

3. Sind hierfür neue Planstellen bzw. Stellen beim Bundesverwaltungsamt
vorgesehen, ggf. schon im Haushaltsentwurf 2009 der Bundesregierung?

Wenn ja, wie viele (unter Angabe des Einzelplans, Kapitels und Haushalts-
titels), und warum werden hierfür nicht die Mitarbeiter und Mitarbeiterin-
nen verwendet bzw. hinzugezogen, die in den drei beteiligten Bundesbehör-
den bisher schon für die TKÜ zuständig sind?

4. Wie viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Bundeskriminalamtes, der
Bundespolizei, des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie ggf. welcher
sonstigen Bundesbehörden sollen jeweils beim SC- bzw. dem CC-TKÜ
tätig werden?

5. Bei wie vielen handelt es sich um sog. Wissensträger, die untereinander
innerhalb des SC- bzw. CC-TKÜ, räumlich und organisatorisch eng zusam-
menarbeiten sollen?

6. Welche Möglichkeiten – aber (im Hinblick auf das Trennungsgebot von
Polizei und Nachrichtendiensten) auch welche Grenzen – sind für die
„räumlich und organisatorisch enge Zusammenarbeit“ der Wissensträger
aus dem Bundeskriminalamt, der Bundespolizei und dem Bundesamt für
Verfassungsschutz in der Diskussion bzw. vorgesehen?

Installation der TKÜ-Einheiten

7. Die Installation wie vieler TKÜ-Einheiten ist jeweils beim SC- bzw. dem
CC-TKÜ vorgesehen?

8. Wie teuer ist eine derartige TKÜ-Einheit?

9. Zu Lasten welcher Haushaltstitel soll die Anschaffung dieser TKÜ-Einhei-
ten gehen (bitte unter Angabe des jeweiligen Einzelplans, Kapitels und
Haushaltstitels)?

10. Sollen alle diese für das SC- und CC-TKÜ angeschafften TKÜ-Einheiten
beim Bundesverwaltungsamt installiert werden?

11. Ist es zutreffend, dass eine Bundesbehörde bereits eine entsprechende TKÜ-
Einheit beschafft hat?

Wenn ja,

wann,

zu welchem Zweck und

zu welchen Kosten?

Drucksache 16/10050 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

12. Ist es zutreffend, dass diese TKÜ-Einheit nicht beim Bundesverwaltungs-
amt, sondern bei der anschaffenden Bundesbehörde selber installiert wor-
den ist?

Wenn ja:

Warum wurde so verfahren?

Führt das nach Auffassung der Bundesregierung nicht zu einer erneuten
Zersplitterung der TKÜ-Landschaft des Bundes?

Aufbaustab

13. Ist der Bundesbeauftragte für den Datenschutz an diesem Aufbaustab be-
teiligt, und wenn nein, warum nicht?

14. Welche externen Beraterinnen und Berater sind beim Stab zum Aufbau des
SC- bzw. des CC-TKÜ tätig?

Aufbau einer neuen Behörde?

15. Ist es zutreffend, dass innerhalb des Bundesinnenministeriums Überle-
gungen bestehen bzw. bestanden haben, dass das SC- und CC-TKÜ „den
Nukleus einer neuen Behörde“ bilden könnten?

Wenn ja,

wieso hat das BMI die Existenz solcher Überlegungen auf der Sitzung des
Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 28. Mai 2008 bestritten?

Welche strukturellen Inhalte enthalten diese Überlegungen/Planungen?

In welchem Stadium befinden sich die Überlegungen/Planungen?

Einbindung der Fernmeldeaufklärung des BND?

16. Ist es zutreffend, dass innerhalb des Bundesinnenministeriums im Zusam-
menhang mit dem Aufbau des SC- und CC-TKÜ über „neue Wege zur Ver-
knüpfung der Methode der inländischen TKÜ mit der internationalen TKÜ
(BND-Fernmeldeaufklärung)“ nachgedacht wird bzw. nachgedacht worden
ist?

Wenn ja, wieso hatte das BMI auf der Sitzung des Innenausschusses des
Deutschen Bundestages am 28. Mai 2008 bestritten, dass innerhalb des BMI
solche Überlegungen existieren (der Leiter des Stabes II der BMI-Abteilung
für „Öffentliche Sicherheit“ hatte im Ausschuss entsprechende Vorhaltun-
gen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lediglich „spontan“ für „interessant“
erachtet)?

17. In welchem Stadium befinden sich die Überlegungen/Planungen der Bun-
desregierung, die Fernmeldeaufklärung des BND in das SC- bzw. das CC-
TKÜ einzugliedern?

18. Wenn die Fernmeldeaufklärung des BND eingebunden werden sollte, hält
die Bundesregierung es für sachgerecht, diese dann sowohl dem SC- und
dem CC-TKÜ oder nur einer der beiden Einrichtungen anzugliedern?

19. Inwiefern würde die Einbindung der Fernmeldeaufklärung des BND in das
SC- bzw. das CC-TKÜ die dortige TKÜ strukturell, technisch – aber auch
rechtlich gesehen – verändern?

NSA und GCHQ als Vorbild?

20. Ist es zutreffend, dass innerhalb des Bundesinnenministeriums die ameri-

kanische National Security Agency (NSA) oder das britische Government
Communications Headquarters (GCHQ) als etwaige „Vorbilder“ für die

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10050

Möglichkeit einer „neuen Überwachungsbehörde“ angesehen werden bzw.
wurden?

Wenn ja, wieso hatte das BMI die Existenz solcher Überlegungen auf der
Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 28. Mai 2008
bestritten?

21. Welche Strukturen bzw. Kompetenzen des NSA bzw. des GCHQ wären aus
Sicht der Bundesregierung im Hinblick auf den Aufbau bzw. die Weiterent-
wicklung des SC- bzw. CC-TKÜ vorbildhaft?

22. Welche Strukturen bzw. Kompetenzen des NSA bzw. des GCHQ sollten aus
Sicht der Bundesregierung im Hinblick auf den Aufbau bzw. die Weiterent-
wicklung des SC- bzw. CC-TKÜ nicht übernommen werden?

Rechtsgrundlage

Würde eine Beteiligung der Länder am SC- bzw. dem CC-TKÜ den exekutiven
Verantwortungsbereich des BMI insofern überschreiten, als hierfür dann doch
der Abschluss einer rechtsförmigen Bund-Länder-Vereinbarung notwendig ist?

Berlin, den 25. Juli 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.