BT-Drucksache 16/10021

Anrechnung der Opferentschädigung verfolgter Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus auf Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch

Vom 18. Juli 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10021

16. Wahlperiode 18. 07. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge,
Dr. Barbara Höll, Katja Kipping, Monika Knoche, Katrin Kunert, Elke Reinke,
Volker Schneider (Saarbrücken), Frank Spieth, Jörn Wunderlich und
der Fraktion DIE LINKE.

Anrechnung der Opferentschädigung verfolgter Jüdinnen und Juden im
Nationalsozialismus auf Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch

Von Betroffenen wird berichtet, dass Opferentschädigungen, die der russische
Staat seinen als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland emigrierten jüdischen
Bürgerinnen und Bürgern aufgrund besonderer Verfolgung und Schädigung
durch den Nationalsozialismus zahlt, in einigen Kommunen von den Sozial-
ämtern auf Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII)
angerechnet werden. Es handelt sich dabei sowohl um Renten als auch um
Opferentschädigungen, die die erlittenen Qualen und Schäden während des
Nationalsozialismus wenigstens materiell etwas ausgleichen sollen. Die Bezüge
dieser Entschädigungen ermöglichten ihren Beziehern bisher trotz ihrer ansons-
ten bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnisse, jüdische Kultur und Bräuche zu
pflegen sowie am Gemeindeleben teilzunehmen, was in Deutschland mit hohen
Kosten verbunden ist. Durch die Anrechnung der Entschädigungszahlungen
haben die Betroffenen deutlich weniger Geld zur Verfügung, wodurch ihnen die
Teilnahme am jüdischen Leben in Deutschland verunmöglicht zu werden droht.
Außerdem werden seitens der Sozialämter Rückforderungen gestellt, die die
Betroffenen in existenzielle finanzielle Nöte bringen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung die Praxis der Kölner und Wuppertaler Sozialämter
bekannt, Opferentschädigungen und Rentenzahlungen des russischen Staates
an im Nationalsozialismus verfolgte jüdische Kontingentflüchtlinge auf Leis-
tungen nach dem SGB XII anzurechnen, und wie bewertet sie diese Praxis?

2. Welche rechtliche Grundlage sieht die Bundesregierung für diese Praxis?

3. Hat die Bundesregierung Kenntnisse ähnlicher Vorgehensweisen in anderen
Kommunen?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Praxis der Anrechnung von Opfer-

renten bzw. -entschädigungen des russischen Staates vor dem Hintergrund,
dass Entschädigungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz nicht auf
Leistungen nach dem SGB XII angerechnet werden?

Drucksache 16/10021 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
5. Wie bewertet die Bundesregierung die Ungleichbehandlung der Entschädi-
gungsleistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und den Entschä-
digungsleistungen anderer Staaten bzw. Körperschaften an jüdische Ver-
folgte des Nationalsozialismus vor dem Hintergrund der „Erläuterungs-
schrift zum Prozess der Aufnahme der jüdischen Immigranten“?

6. Sieht sie systematische Unterschiede in Art, Zweck und Quelle der Ent-
schädigungsleistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und den
Entschädigungsleistungen anderer Staaten bzw. Körperschaften an jüdische
Verfolgte des Nationalsozialismus, die eine solche Ungleichbehandlung
der Entschädigungsleistungen in der Anrechnung auf Leistungen nach dem
SGB XII begründen können?

7. Sieht die Bundesregierung politischen Handlungsbedarf, Opferentschädi-
gungen und -renten, die von anderen Staaten für jüdische Verfolgte des
Nationalsozialismus, die heute in Deutschland leben, erbracht werden, im
SGB XII (und wenn anderweitig relevant in anderen Bereichen) anrech-
nungsfrei zu stellen?

8. Wenn ja, wann und wie gedenkt die Bundesregierung in dieser Hinsicht
tätig zu werden?

9. Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung ihre negative Haltung
gegenüber einem solchen Vorgehen?

10. Sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund des richtungsweisenden
Dokuments „Erläuterungsschrift zum Prozess der Aufnahme der jüdischen
Immigranten“ demnach alle Juden, die vor dem 1. Januar 1945 geboren
sind, in Deutschland den nationalsozialistisch Verfolgten gleichgestellt
werden, die Möglichkeit, die Renten der Immigranten jüdischer Herkunft
aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, die den zweiten Weltkrieg erlebt
haben, gesetzlich als eine Form der Entschädigung der Opfer des National-
sozialismus zu betrachten, die die Höhe der Grundsicherung nicht beein-
flusst?

11. Wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung in dieser Hinsicht tätig zu
werden?

12. Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung ihre ablehnende Haltung
gegenüber einem solchen Vorhaben?

Berlin, den 16. Juli 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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