BT-Drucksache 15/5250

Steigende Staatsverschuldung verhindern - Aufweichung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts zurücknehmen

Vom 12. April 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5250
15. Wahlperiode 12. 04. 2005

Antrag
der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, Dietrich Austermann, Peter
Hintze, Ilse Aigner, Norbert Barthle, Otto Bernhardt, Jochen Borchert, Klaus
Brähmig, Manfred Carstens (Emstek), Leo Dautzenberg, Georg Fahrenschon,
Albrecht Feibel, Klaus-Peter Flosbach, Herbert Frankenhauser, Jochen-Konrad
Fromme, Hans-Joachim Fuchtel, Ute Granold, Olav Gutting, Ernst Hinsken,
Susanne Jaffke, Bartholomäus Kalb, Steffen Kampeter, Bernhard Kaster, Volker
Kauder, Norbert Königshofen, Manfred Kolbe, Gunther Krichbaum, Patricia Lips,
Dr. Michael Luther, Laurenz Meyer (Hamm), Hans Michelbach, Stefan Müller
(Erlangen), Kurt J. Rossmanith, Peter Rzepka, Norbert Schindler, Georg
Schirmbeck, Christian Freiherr von Stetten, Antje Tillmann, Klaus-Peter Willsch,
Dagmar Wöhrl, Elke Wülfing und der Fraktion der CDU/CSU

Steigende Staatsverschuldung verhindern – Aufweichung des
Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts zurücknehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Beschluss des Europäischen Rates vom 22./23. März 2005 zur Änderung
des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts hat in der Fachwelt zu hefti-
ger Kritik geführt. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union
haben sich auf Änderungen geeinigt, die nach Ansicht aller Sachverständigen
den Stabilitäts- und Wachstumspakt entscheidend schwächen. Die Deutsche
Bundesbank und die Europäische Zentralbank, die Hüter der Geldwertstabilität
im Euro-Raum, sind „ernsthaft besorgt“. Die dezidierte Wortwahl der sonst sehr
vorsichtig formulierenden Währungshüter zeigt den hohen Grad der Besorgnis,
dass der nunmehr eingeschlagene Weg, die Haushaltsregeln einem gelockerten
Haushaltsgebaren anzupassen, die Rahmenbedingungen für die gemeinsame
europäische Geldpolitik signifikant verschlechtern wird. Sie befürchten zu
Recht, dass die Anreize für eine solide Finanzpolitik und die Bindungswirkung
der bestehenden Regeln durch zahlreiche Ausnahmen und Sonderregeln ent-
scheidend geschwächt werden. Eine höhere Staatsverschuldung im Euro-Raum
wird die zwangsläufige Folge der Aufweichung der Defizitobergrenze von
3 Prozent des BIP sein. Künftig können die Mitgliedstaaten erhebliche neue
Interpretationsspielräume nutzen, um aufgrund von „Sonderbelastungen“ ein
gesamtstaatliches Defizit von mehr als 3 Prozent zu rechtfertigen. Letztlich
lässt sich mit den geplanten Interpretationsspielräumen jede Überschreitung der
3-Prozent-Defizitgrenze rechtfertigen. Dies dürfte keinem EU-Mitgliedstaat
schwer fallen.
Der bislang bestehende finanzpolitische Rahmen, der im EG-Vertrag und im
Stabilitäts- und Wachstumspakt verankert wurde, ist ein Eckpfeiler der Wirt-

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schafts- und Währungsunion. Er spielt bei der Wahrung der Haushaltsdisziplin
in den Mitgliedstaaten eine zentrale Rolle und ist getragen von der Überzeu-
gung, dass gesunde Staatsfinanzen eine wichtige Grundlage für Preisstabilität
sind. Nur wenn die Nationalstaaten finanzpolitisch diszipliniert sind, kann das
Europäische System der Zentralbanken Preisstabilität bei niedrigen Zinsen
dauerhaft gewährleisten. Zu Recht sieht die Bundesbank im Stabilitäts- und
Wachstumspakt „das Versprechen der europäischen Regierungen, mit dauerhaft
soliden öffentlichen Finanzen zum Erfolg der gemeinsamen Währung beizu-
tragen“.
Mit der nunmehr beschlossenen Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstums-
pakts wird dieses Versprechen insbesondere auf Drängen der Bundesregierung
geopfert. Die Bundesregierung erhofft sich davon kurzfristig innenpolitische
Vorteile in der öffentlichen Diskussion um die ausufernde Staatsverschuldung
und die Vermeidung eines Strafverfahrens aus Brüssel im Wahljahr 2006. Da-
mit handelt die Bundesregierung verantwortungslos. Mit der von ihr offensiv
betriebenen Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspakts gefährdet sie
mittel- und langfristig die Stabilität der gemeinsamen Währung und bürdet
nachfolgenden Generationen die Last grenzenloser Staatsverschuldung auf.
Die Konsolidierung der Staatsfinanzen liegt im ureigenen Interesse Deutsch-
lands. Bereits heute hat die Staatsverschuldung einen Umfang erreicht, der die
öffentlichen Haushalte in ihrer Handlungsfähigkeit immer stärker einschränkt.
Eine Zins-Ausgaben-Quote für den Bundeshaushalt von über 15 Prozent bzw.
eine Zins-Steuer-Quote von über 20 Prozent bedeuten, dass bereits heute jeder
siebte Euro für Zinsen verausgabt wird und jeder fünfte Steuer-Euro zur Finan-
zierung der Zinsausgaben herangezogen werden muss. Es ist nur noch eine
Frage der Zeit, bis die öffentlichen Haushalte handlungsunfähig sind. Wenn
nicht schnellstmöglich umgesteuert wird, können künftige Generationen keine
eigenen politischen Schwerpunkte mehr setzen, sondern müssen die Schulden
bedienen und abtragen, die die heutige Generation anhäuft. Dabei sind die
zusätzlichen Lasten, die sich aus der demographischen Entwicklung ergeben,
noch gar nicht berücksichtigt.
Auch die immer wieder gebetsmühlenartig wiederholte Ansicht von Bundes-
kanzler Gerhard Schröder und des Bundesministers der Finanzen, Hans Eichel,
dass eine Konsolidierung der Staatsfinanzen einer wachstumsorientierten Politik
entgegenstehe und deshalb der Pakt reformiert werden müsse, ist ökonomisch
schlicht falsch und irreführend. Wenn die Bundesregierung höhere Haushalts-
defizite mit der Ankurbelung des wirtschaftlichen Wachstums rechtfertigt, ver-
wechselt sie Konjunkturpolitik mit Wachstumspolitik. Das gegenwärtige Defi-
zit im Bundeshaushalt ist struktur- und nicht konjunkturbedingt. Deshalb sind
Strukturreformen notwendig, um das Defizit im Sinne einer nachhaltigen Kon-
solidierung zurückzuführen. Aber auch konjunkturpolitisch ist eine Defizit-
erhöhung zur Finanzierung von Staatsausgaben keineswegs so positiv zu beur-
teilen, wie dies die Bundesregierung immer vorgibt. Empirisch ist die Rolle der
Fiskalpolitik bei der Stabilisierung zyklischer Schwankungen zumindest aus
zwei Gründen problematisch: Erstens sind die Multiplikatorwirkungen einer
fiskalischen Stimulierung quantitativ gering, und zweitens ist deren Wirkung
auch davon abhängig, wie solide das finanzpolitische Umfeld von Konsumen-
ten und Investoren eingeschätzt wird. Eine Reihe europäischer Länder, darunter
auch Deutschland, haben in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass
eine fiskalische Expansion auch in der kurzen Frist keine positiven Wirkungen
auf die Konjunktur hat. Der Vertrauensverlust in eine solide Finanzpolitik hat
letztlich zu einer Nachfragezurückhaltung im privaten Sektor geführt, der die
fiskalpolitischen Effekte überkompensierte; denn die Schulden von heute, sind
die Steuern von morgen. Deshalb ist eine Politik zur Rückführung der Staats-
verschuldung und für solide Staatsfinanzen eine wesentliche Voraussetzung für

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5250

wirtschaftliches Wachstum; Schulden sind Ursache für Wachstumsschwäche
und nicht deren Lösung.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung angesichts der hefti-
gen Kritik von Wissenschaft, Deutscher Bundesbank und Europäischer Zentral-
bank an der Aufweichung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts
auf,
– ihre Haltung zu überdenken und zu korrigieren und auf eine Aufhebung der

auf dem Europäischen Rat in Brüssel am 22./23. März 2005 beschlossenen
Änderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakt hinzuwirken,

– gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank und der Europäischen Zentral-
bank nach Wegen zu suchen, wie der präventive Arm des Stabilitäts- und
Wachstumspakts, also die Konsolidierungspflicht in konjunkturell guten
Zeiten, gestärkt werden kann, ohne den korrektiven Arm des Pakts, also das
Defizitverfahren, zu schwächen und

– ihrer Verantwortung für die Stabilität des Euro durch eine nachhaltige Kon-
solidierung des Bundeshaushalts endlich gerecht zu werden.

Berlin, den 12. April 2005
Dr. Michael Meister
Heinz Seiffert
Dietrich Austermann
Peter Hintze
Ilse Aigner
Norbert Barthle
Otto Bernhardt
Jochen Borchert
Klaus Brähmig
Manfred Carstens (Emstek)
Leo Dautzenberg
Georg Fahrenschon
Albrecht Feibel
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Ute Granold
Olav Gutting
Susanne Jaffke
Bartholomäus Kalb

Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Norbert Königshofen
Manfred Kolbe
Gunther Krichbaum
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Laurenz Meyer (Hamm)
Hans Michelbach
Stefan Müller (Erlangen)
Kurt J. Rossmanith
Peter Rzepka
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Christian Freiherr von Stetten
Antje Tillmann
Klaus-Peter Willsch
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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