BT-Drucksache 14/9365

Erhalt der Bahnwerke - behindertengerechte Umrüstung des Wagenparks der Deutsche Bahn AG

Vom 12. Juni 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9365
14. Wahlperiode 12. 06. 2002

Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Ilja Seifert, Monika Balt, Dr. Dietmar
Bartsch, Wolfgang Bierstedt, Petra Bläss, Maritta Böttcher, Eva Bulling-Schröter,
Heidemarie Ehlert, Dr. Heinrich Fink, Dr. Ruth Fuchs, Wolfgang Gehrcke, Dr. Klaus
Grehn, Dr. Bärbel Grygier, Uwe Hiksch, Dr. Barbara Höll, Carsten Hübner, Ulla
Jelpke, Sabine Jünger, Gerhard Jüttemann, Dr. Evelyn Kenzler, Rolf Kutzmutz,
Heidi Lippmann, Ursula Lötzer, Heidemarie Lüth, Dr. Christa Luft, PiaMaier, Angela
Marquardt, ManfredMüller (Berlin), Kersten Naumann, Rosel Neuhäuser, Christine
Ostrowski, Petra Pau, Dr. Uwe-Jens Rössel, Christina Schenk, Gustav-Adolf
Schur, Roland Claus und der Fraktion der PDS

Erhalt der Bahnwerke – behindertengerechte Umrüstung des Wagenparks
der Deutsche Bahn AG

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
– In der Bundesrepublik Deutschland sind weitere tausende Arbeitsplätze bei

den verschiedenen Bahnwerken der Deutsche Bahn AG (DB AG) gefährdet.
Mehrere Standorte mit Bahnwerken sind von der Schließung bedroht, darun-
ter Delitzsch, Chemnitz und Zwickau. Gleichzeitig ist der Erhalt von wichti-
gen Betriebsstätten der Bahnindustrie nicht gesichert.

– Für die ostdeutschen Regionen droht damit ein weiterer substantieller Ver-
lust ausgerechnet im industriellen Sektor, also dort, wo auch bisher der be-
deutendste Abbau von Arbeitsplätzen zu beklagen ist.

– Der Bundeskanzler hat sich mehrfach verbal für den Erhalt der Bahnwerke
und Bahnindustriestandorte stark gemacht. U. a. ließ er am 30. November
2000 den Betriebsrat des Bahnwerks in Delitzsch schriftlich wissen: „Im
Namen des Bundeskanzlers […] habe ich mich in der Angelegenheit [zur
drohenden Schließung des Werks in Delitzsch] mit der Deutschen Bahn in
Verbindung gesetzt. Die Bahn erläuterte ihre Absicht […], Kapazitätsanpas-
sungen vorzunehmen. […] Ein entsprechendes Konzept wurde vom Vor-
stand beschlossen. Die Schließung des Werkes Delitzsch ist darin nicht vor-
gesehen.“ Wenige Wochen darauf wurde die Schließung des Werkes in
Delitzsch bekannt gegeben.

– Bei der Bahn und im Schienenverkehr gibt es nicht zu wenig Arbeit, sondern
zu wenig Arbeitskräfte, um dringend erforderliche Arbeiten vorzunehmen.
Eine umfassende Modernisierung des Wagenparks ist notwendig. Die Aus-
stattung des Wagenparks mit verschiedenen sinnvollen Einrichtungen – z. B.
für die Fahrradmitnahme oder der flächendeckende Einbau von Toiletten mit
geschlossenem System – ist ein dringendes Gebot. Die Umrüstung der Züge
mit moderner Sicherungstechnik (z. B. Indusi PZB 90) verläuft viel zu

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schleppend und hätte schwere Unfälle (z. B. Enzisweiler im Jahr 2001) ver-
hindern können. Schließlich steht insbesondere eine behindertengerechte
Umrüstung des gesamten Wagenparks im Schienenpersonenverkehr auf der
Tagesordnung.

– Die Ausstattung und das Personal, um die genannten technischen Umrüstun-
gen vorzunehmen, sind in den von Schließung bedrohten Bahnwerken vor-
handen. Beispielsweise ist das Werk in Delitzsch in der Lage, fahrzeug-
gebundene Einstiegshilfen zu erstellen bzw. den Wagenpark entsprechend
umzurüsten. Damit würden Forderungen, wie sie die Behindertenverbände
seit Jahren zu Recht aufstellen, erfüllt.

– Im Mai 2002 wurde eine gemeinsame „Erklärung der ostdeutschen Bahn-
werker“ verabschiedet, in der es u. a. heißt: „Gerade die vielen tausend Ar-
beitsplätze der ostdeutschen Bahnwerker sind es, die als Grundlage für das
Leben ganzer Regionen dienen. […] Jede weitere Entlassung erhöht die un-
erträglich gewordene Massenerwerbslosigkeit und droht immer mehr Men-
schen in Ostdeutschland zu Menschen zweiter Klasse in einer abgehängten
Region werden zu lassen. […] Die Bundesregierung hat die Möglichkeit,
durch entsprechende politische und gesetzliche Entscheidungen diese Ar-
beitsplätze unter ihren Schutz zu stellen. […] Die Privatisierung der Bahn
als Vernichtungsmaschine von Arbeitsplätzen muss gestoppt und zurückge-
nommen werden.“

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
1. Es wird ein gesondertes Finanzprogramm aufgelegt, um eine Umrüstung des

Wagenparks im Schienenverkehr so vorzunehmen,
– dass in absehbarer Zeit alle Züge über fahrzeuggebundene Einstiegs-

hilfen verfügen und so den Forderungen des Bundesbehindertengleich-
stellungsgesetzes nach barrierefreiem Zugang für alle Fahrgäste Rech-
nung tragen,

– dass in ausreichender Zahl im Personennah- und -fernverkehr Wagen
bereit stehen, die für eine Fahrradmitnahme ausgestattet sind,

– dass die Toiletten im Schienenverkehr in absehbarer Zeit auf geschlos-
sene Systeme umgerüstet werden, die darüber hinaus von allen – also
auch von Rollstuhlbenutzerinnen und -benutzern – genutzt werden kön-
nen,

– dass in kürzest möglicher Zeit alle Züge über eine moderne Sicherungs-
technik verfügen.

2. Die Bundesregierung wird aufgefordert, als alleinige Eignerin der DB AG
mit diesem Unternehmen eine Übereinkunft darüber zu erzielen, dass die
verkündeten Werkschließungen rückgängig gemacht und eine Garantie zum
Erhalt aller Standorte gegeben wird. Eine entsprechende Entscheidung wird
der DB AG durch das genannte Umrüstungsprogramm erleichtert werden.

Berlin, den 12. Juni 2002
Roland Claus und Fraktion der PDS

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9365

Begründung
Thema Arbeitsplätze/Bahnwerke: Die Arbeitsplatzverluste, die durch die ange-
kündigten Schließungen bzw. durch die Ausschreibungen von Bahnwerken
zum Verkauf an Private drohen, sind massiv. Beispielsweise sind in Delitzsch
1 015 Arbeitsplätze direkt bedroht; insgesamt geht es um rund 2 000 Arbeits-
plätze, wenn Zulieferbetriebe eingerechnet werden. Die Arbeitslosenquote am
Ort (Arbeitsamtsbezirk Leipzig, Geschäftsstellenbereich Delitzsch) würde von
18,2 auf 22 Prozent ansteigen (nur bei Einrechnung der direkt zurechenbaren
Beschäftigten).
Die DB AG argumentiert im Fall der drohenden Werkschließungen oft damit,
dass es sich um veraltete Werke handeln würde. Sie widerspricht damit ihren
eigenen Worten. Beispielsweise äußerte Dr. Franz, im DB AG-Vorstand Vorsit-
zender des Unternehmensbereichs Personenverkehr, am 11. Dezember 2000:
„Trotz der Standortbereinigungen […] sind die Arbeitsplätze in Delitzsch
sicher. Das Hochleistungswerk hier, eines unserer größten, ist prima in Schuss.“
Die Bahn investierte noch bis vor wenigen Monaten in dieses Werk; im
Zeitraum 1991 bis 2001 wurden allein in das Bahnwerk Delitzsch 110 Mio.
DM investiert.
Thema behindertengerechte öffentliche Verkehrsmittel: Die Bahn bietet für
Menschen mit Behinderungen nur bahnsteiggebundene Hilfen an. Diese sind
enorm personalaufwendig, vor allem ist der damit verbundene Vorgang für die
betroffenen Menschen entwürdigend. Dieses Verfahren stellt eine zusätzliche
Behinderung dar. Es steht im Widerspruch zur Forderung nach barrierefreiem
Zugang zu öffentlichen Beförderungsmitteln, welche das Bundesbehinderten-
gleichstellungsgesetz erhebt. Fahrzeuggebundene Einstiegshilfen sind seit Jahr-
zehnten technisch möglich. Bei einigen europäischen Schienenunternehmen
befinden sie sich bereits im Einsatz. Das Werk in Delitzsch ist für den „Einbau
von Hubliften für einen bequemen und gefahrlosen Einstieg von behinderten
Menschen in die Fahrzeuge“ gerüstet.
Der Petitionsausschuss hat bereits 1993 zu einem Petitionsverfahren mit der
Forderung nach fahrzeuggebundenen Einstiegshilfen einen Erwägungsbe-
schluss gefasst, der jedoch von der Bundesregierung bzw. der damaligen
Bundesbahn und Reichsbahn bzw. ab 1994 von der Deutschen Bahn AG nicht
umgesetzt wurde. Der Petitionsausschuss beschloss dann am 28. Juni 2000
trotz aller negativen Ausführungen nochmals, die Bundesregierung um eine
Stellungnahme zu diesem Thema zu bitten. Aus dieser Stellungnahme geht
hervor, dass sich der Vorstand der DB AG lediglich für bahnsteiggebundene
Einstiegshilfen entschieden hat. Die Bundesregierung wies in diesem Zusam-
menhang erneut darauf hin, dass sie aufgrund des Gesetzes zur Neuordnung des
Eisenbahnwesens nur begrenzte Einflussmöglichkeiten auf die DB AG habe.
Thema Sicherungstechnik: Bei einem schweren Eisenbahnunfall in Enzisweiler
bei Lindau am 27. September 2001 wurden über 100 Menschen zum Teil
schwer verletzt. Der Vorstandsvorsitzende der DB AG erklärte damals öffent-
lich, dass jener Unfall „wenige Monate später“ nicht hätte passieren können,
weil dann das Sicherungssystem Indusi PZB 90 eingebaut worden wäre, mit
welchem ein Überfahren eines Signals technisch verunmöglicht wird.
Fahrradmitnahme: Eine Fahrradmitnahme ist im innerdeutschen Schienen-
verkehr nur sehr begrenzt möglich. Durch den systematischen Abbau von Inter-
Regio-Verbindungen und den Beschluss, diese Zuggattung in Bälde komplett
aufzugeben, wird eine Fahrradmitnahme faktisch nur noch in Zügen des Nah-
verkehrs möglich sein, was mit erheblichen Problemen verbunden ist. Damit
wird ein großes Potential von Fahrgästen verprellt; wichtige touristische Ange-
bote können mit dem Schienenverkehr nicht oder immer weniger erschlossen
werden. Bei der Modernisierung und Revisionierung von InterRegio-Wagen

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und der Umrüstung von unterschiedlichen Wagen im Schienenverkehr für die
Fahrradmitnahme handelt es sich um konkrete Angebote der teilweise von
Schließung bedrohten Bahnwerken.
Thema Toilettensysteme: Die Bahn fährt auch heute noch im Nahverkehr und
teilweise sogar im Fernverkehr mit Zügen ohne geschlossene Toilettensysteme.
Zumindest in einem Fall – bei der Querung von Zügen über eine Brücke in
Norddeutschland – erreichten Anwohner unterhalb der Brücke einen Gerichts-
beschluss, wonach die entsprechenden Toiletten vor Querung der Brücke vom
Zugpersonal verschlossen werden müssen. Toiletten mit geschlossenem System
werden seit Jahrzehnten angeboten und sind in allen neuen Zuggarnituren eine
Selbstverständlichkeit.
Thema finanzielle Belastungen: Der finanzielle Aufwand für den Kauf und Ein-
bau eine Hublifts liegt derzeit bei rund 35 000 Euro. Dieser Betrag würde im
Fall einer Serienfertigung und einer umfassenden Umrüstung erheblich redu-
ziert werden. Bei rund 3 000 in Frage kommenden Personenzügen und einem
Schätzwert von 20 000 Euro je Hublift-Einbau im Fall einer umfassenden Um-
rüstung errechnet sich ein Betrag von 60 Mio. Euro. Wenn die vorgeschlagenen
Umbaumaßnahmen insgesamt (inklusive geschlossene Toilettensysteme und
Umbau von Waggons zur Radmitnahme) realisiert würden, kann ein Betrag von
200 Mio. Euro veranschlagt werden. Dem stehen gegenüber Ausgaben von bis
zu 3 Mrd. Euro, die der Bund als Bundeszuschüsse für Metrorapid bzw. Trans-
rapidsysteme ausgeben will und die aus Sicht der Antragsteller nicht ausgege-
ben werden sollen. Dem steht auch die Tatsache gegenüber, dass die DB AG
Jahr für Jahr Summen in Höhe von meist 500 Mio. Euro und mehr, die ihr vom
Bund zur Verfügung gestellt werden, an den Bund zurückreicht, weil keine Pla-
nungskapazitäten vorhanden seien, um diese Gelder auszugeben.

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