BT-Drucksache 14/9359

Reform der internationalen Finanzarchitektur

Vom 11. Juni 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9359
14. Wahlperiode 11. 06. 2002

Antrag
der Abgeordneten Jörg-Otto Spiller, Adelheid Tröscher, Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker, Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Brigitte
Adler, Ingrid Arndt-Brauer, Ingrid Becker-Inglau, Wolfgang Behrendt, Rudolf
Bindig, Lothar Binding (Heidelberg), Hans Büttner (Ingolstadt), Detlef Dzembritzki,
Ludwig Eich, Petra Ernstberger, Dieter Grasedieck, Wolfgang Grotthaus, Klaus
Hagemann, Nina Hauer, Reinhold Hemker, Frank Hempel, Monika Heubaum, Ingrid
Holzhüter, Lothar Ibrügger, Hans-Ulrich Klose, Karin Kortmann, Nicolette Kressl,
Dr. Uwe Küster, Detlev von Larcher, Klaus Lennartz, Dr. Elke Leonhard, Winfried
Mante, Tobias Marhold, Lothar Mark, Markus Meckel, Christoph Moosbauer,
Siegmar Mosdorf, Volker Neumann (Bramsche), Günter Oesinghaus, Johannes
Pflug, Joachim Poß, Dr. Edelbert Richter, Gudrun Roos, Bernd Scheelen,
Dr. Hermann Scheer, Horst Schild, Dieter Schloten, Dagmar Schmidt (Meschede),
Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Frank Schmidt (Weilburg), Ottmar Schreiner,
Dr. Mathias Schubert, Reinhard Schultz (Everswinkel), Volkmar Schultz (Köln),
Dr. Angelica Schwall-Düren, Joachim Tappe, Jörg Tauss, Uta Titze-Stecher,
Simone Violka, Wolfgang Weiermann, Lydia Westrich, Inge Wettig-Danielmeier,
Uta Zapf, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Angelika Beer, Andrea Fischer (Berlin), Rita Grießhaber,
Antje Hermenau, Dr. Angelika Köster-Loßack, Winfried Nachtwei, Christine
Scheel, Werner Schulz (Leipzig), Christian Sterzing, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reform der internationalen Finanzarchitektur

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Deutsche Bundestag hat sich eingehend mit der Entwicklung der internati-
onalen Finanzmärkte beschäftigt. So wurde in Anhörungen mit dem Geschäfts-
führenden Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dr. Horst
Köhler, und dem Präsidenten der Weltbank, James D. Wolfensohn, als auch mit
Vertretern anderer internationaler Institutionen über aktuelle Entwicklungen
des internationalen Finanzsystems diskutiert. Desgleichen ist im Rahmen der
Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ intensiv über das
internationale Finanzsystem und mögliche Reformen debattiert worden.
Die Globalisierung löst einen Modernisierungsprozess aus, der Politik, Wirt-
schaft und Gesellschaft gleichermaßen erfasst hat, der allen Ländern der Welt
enorme Potentiale und Chancen für mehr Wachstum und Wohlstand eröffnet,
aber auch mit nicht zu unterschätzenden Risiken verbunden ist.

Drucksache 14/9359 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Die neunziger Jahre waren allerdings auch gekennzeichnet durch schwere
Finanzkrisen. Sie erfassten Mexiko, Russland, Brasilien und zahlreiche südost-
asiatische Länder und trugen zur Verarmung von Millionen Menschen und zur
Destabilisierung der betroffenen Staaten bei. Aktuell erleben wir eine schwere
Finanzkrise in Argentinien, die einher geht mit einer sozialen und politischen
Krise.
Auch der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 hat
Auswirkungen auf die Diskussion über das internationale Finanzsystem. So
sind Fragen der Geldwäsche, der Finanzierung des internationalen Terrorismus
und die Rolle der sog. Steuerparadiese stärker in den Mittelpunkt gerückt.
Die Reform der internationalen Finanzarchitektur ist eine aktuelle Aufgabe der
Politik. Auch wegen der ungelösten Verschuldungskrisen vieler Länder muss
das internationale Finanzsystem weiterentwickelt werden.
Die internationale Verflechtung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Be-
reiche ist unterschiedlich ausgeprägt. So gibt es unterschiedliche Grade der
Globalisierung. Durch die stark gestiegenen internationalen Kapitalverflech-
tungen, die Vervielfachung ausländischer Direkt- und Portfolioinvestitionen so-
wie den stark angestiegenen Devisenhandel in den letzten Jahrzehnten sind die
Finanzmärkte die am stärksten „globalisierten“ Märkte.
Im Zuge der Finanzkrisen ist neben den nationalen Versäumnissen in der Wirt-
schafts- und Finanzpolitik von Schwellen- und Entwicklungsländern besonders
die Politik des IWF in die Kritik geraten. So werden vor allem die Fähigkeit des
IWF zur Krisenprävention, Maßnahmen der Intervention während der Krise
und eine nur mangelhafte soziale und politische Flankierung der IWF-Pro-
gramme kritisiert. Mittlerweile wird selbst im IWF eingeräumt, dass die Inter-
ventionen durch die IWF-Programme besonders in den asiatischen Ländern die
negativen Auswirkungen nicht entscheidend vermindert haben. Institutionen
wie die Weltbank gehen noch weiter und sprechen bereits von einem verlorenen
Entwicklungsjahrzehnt für einzelne Länder, ohne allerdings explizit die Gründe
zu benennen.
Funktionierende Finanzmärkte leisten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftli-
chen und sozialen Entwicklung. Sie ermöglichen auf der einen Seite die Finan-
zierung von privaten und öffentlichen Investitionen und auf der anderen Seite
die langfristige private Vermögensbildung von Individuen, Haushalten und Un-
ternehmen. Überdies spielen sie eine wesentliche Rolle bei der Entwicklungs-
finanzierung in weniger entwickelten Ländern.
Stabile Finanzmärkte sind zur Erfüllung dieser Funktionen in allen Wirtschafts-
räumen dringend notwendig. Stabilität und Funktionsfähigkeit der Finanz-
märkte haben den Charakter eines öffentlichen Gutes, dessen Schaffung und
Erhaltung zu den originären Staatsaufgaben gehört. Eine stark vernetzte Welt-
wirtschaft zieht es nach sich, dass politische Entscheidungen nationaler Ange-
legenheiten international weit reichende Wirkungen haben können. Die Ant-
wort darauf muss multilaterale Kooperation sein, die auch die Auswirkungen
des eigenen Handelns auf Andere, insbesondere auf die Schwächeren, ein-
bezieht.
Die Liberalisierung der Märkte ist Grundlage des Globalisierungsprozesses.
Jede liberalisierte Volkswirtschaft benötigt jedoch, ungeachtet aller Vorzüge
des freien Marktzugangs, kontrollierende und regulierende Instanzen – wie sie
für die entwickelten Märkte Europas und Nordamerikas bereits selbstverständ-
lich sind. Solche Institutionen müssen von vielen Entwicklungs- und Schwel-
lenländern erst aufgebaut werden (Institution Building). Dafür sind internatio-
nal anerkannte Aufsichts-Standards und Verhaltens-Kodizes erarbeitet worden,
die für eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik und für ein möglichst stabiles
Finanzsystem sorgen sollen. Letztlich muss eine Finanzkultur geschaffen wer-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9359

den, die Eigenkräfte des privaten Sektors mobilisiert und irrationalen Übertrei-
bungen auf den Finanzmärkten entgegenwirkt.
Entscheidend bei der Liberalisierung der Finanzmärkte ist also das Tempo und
die Reihenfolge der Liberalisierung („sequencing“). Wenn kein funktionieren-
der Banken- und Finanzsektor existiert, werden sich die Probleme „nicht von
selbst“ marktkonform lösen. Die Logik der vergangenen Jahre – durch den IWF
massiv gefördert – „je schneller die Öffnung, desto besser“ muss revidiert wer-
den. Wie andere Märkte brauchen auch die Finanzmärkte funktionsfähige öf-
fentliche und private Institutionen.
Aus Sicht von Entwicklungs- und Schwellenländern sind die starken Schwan-
kungen von privaten Kapitalströmen bedenklich. Es kann sinnvoll sein, dass
eine schrittweise Öffnung der Finanzmärkte von Entwicklungs- und Schwellen-
ländern von marktkonformen Mitteln zur Kontrolle von Kapitalflüssen wie
z. B. Bardepotpflichten begleitet wird. Generell sollten die Möglichkeiten der
Länder gestärkt werden, den Zu- bzw. Abfluss kurzfristigen Kapitals durch ihre
nationale Wirtschafts- und Finanzpolitik zu beeinflussen, ohne die Offenheit
der Volkswirtschaften in Frage zu stellen.
Trotz eines gut ausgebauten Systems der Kontrolle und Regulierung der Fi-
nanzmärkte in den meisten Industrieländern ergeben sich aus Innovationen des
Finanzmarktes immer neue Notwendigkeiten der Regulierung. Wenn Finanz-
institute mit großer Hebelwirkung (Highly Leveraged Institutions – Hedge
Funds), die mit hoher Kreditaufnahme und hohem Risiko arbeiten, unzurei-
chend beaufsichtigt werden und nur sehr begrenzten Offenlegungspflichten un-
terliegen, sind sie ein gefährliches Potential zum Auslösen internationaler Fi-
nanzkrisen. Besonders bedrohlich sind hier Systemrisiken, bei denen der
Ausfall eines großen Marktteilnehmers eine Kettenreaktion auslöst und die Sta-
bilität des internationalen Finanzsystems gefährdet.
Der Missbrauch des internationalen Finanzsystems für illegale Zwecke gibt
Anlass zur Besorgnis. Steueroasen, die weitgehend internationaler Kontrolle
entzogen sind, bieten ideale Bedingungen zur Geldwäsche, Steuerhinterziehung
und Gründung von Scheinfirmen. Gelder aus dem Drogen-, Waffen- oder Men-
schenhandel, aus Bestechung und Betrug gelangen über diesen Umweg in den
legalen Geldkreislauf. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden Gel-
der von circa 50 Mrd. US-Dollar jährlich in solche Steueroasen verschoben.
Der IWF schätzt den Umsatz „schmutzigen Geldes“ gar auf 2 % bis 5 % des
globalen Bruttoinlandsprodukts, was einem Betrag zwischen 600 und 1 500
Mrd. US-Dollar pro Jahr entspräche. Spätestens nach dem 11. September 2001
ist der internationalen Staatengemeinschaft klarer geworden, dass sie dagegen
entschlossener vorgehen muss.
Durch die zunehmende internationale Verflechtung sowie den wachsenden
technischen Fortschritt beim bargeldlosen Zahlungsverkehr sind die Möglich-
keiten zur Geldwäsche rapide angestiegen. Daraus erwächst neben negativen
gesellschaftlichen Folgen auch eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber legal
handelnden Konkurrenten.
Offshore-Finanzzentren, also Finanzplätze mit einer starken Präsenz ausländi-
scher Finanzinstitute, die oft über eine unzureichende Aufsicht verfügen und
mit Sonderregeln um ausländische Kapitalgeber werben, stellen ein ernstes Sta-
bilitätsrisiko für die Weltfinanzmärkte dar, da Regulierungs- und Aufsichtsbe-
mühungen von dort unterwandert werden können. Die Bemühungen des Fo-
rums für Finanzstabilität, des IWF und der Financial Action Task Force der
OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)
sind in diesem Zusammenhang entscheidende Beiträge für stabilere Welt-
finanzmärkte.

Drucksache 14/9359 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Größere kurzfristige Schwankungen zwischen den drei großen Weltwährungen
können die Realwirtschaft negativ beeinflussen. Die Unsicherheit steigt in sol-
chen Situationen. Stabile Kalkulationen und damit die Sicherung sowie die
Schaffung von Arbeitsplätzen werden schwieriger. Eine kooperative Wechsel-
kurspolitik der Notenbanken kann dazu beitragen, Wechselkursschwankungen
vor allem zwischen US-Dollar, Euro und Yen zu verringern. Devisenmarktin-
terventionen können zur Begrenzung übertriebener Wechselkursschwankungen
beitragen.
Die Bemühungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank um
eine klare Aufgabenverteilung und Arbeitsteilung sowie die enge Zusammenar-
beit werden begrüßt. Die internationale Staatengemeinschaft ist stärker denn je
auf funktionierende globale Institutionen angewiesen. Die Bretton Woods-In-
stitutionen (IWF und Weltbank) sind zu einer Zeit entstanden, in der die globa-
len Verbindungen in der heutigen Form nicht existierten. Die internationalen
Finanzinstitutionen müssen diesen Entwicklungen Rechnung tragen und ihre
Aufgaben neu definieren und präzisieren. Davon hängt ihre Akzeptanz sowohl
in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern ab.
Eine stärkere Einbindung privater Akteure in die Krisenprävention und -bewäl-
tigung („bail in“) ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Vermeidung und Lösung
von Finanzkrisen. In der Vergangenheit wurden häufig Verluste über die Inter-
vention des IWF im Krisenfall auf die Steuerzahler abgewälzt, während die vo-
rausgegangenen Gewinne privatisiert worden waren. Dies führte zu Investitio-
nen unter Nichtbeachtung des Risikos (Moral-Hazard-Effekt). Um jedoch zu
erreichen, dass Anleger das Risiko ihrer Anlagen korrekt bewerten und in ihre
Entscheidungen mit einbeziehen, müssen nicht nur Schuldner, sondern auch
Gläubiger in einer Kreditbeziehung Verantwortung tragen. Der IWF darf nicht
die Rolle einer Art kostenlosen Risikoversicherung für Banken, Investment-
fonds und private Anleger in Entwicklungs- und Schwellenländern spielen, also
mit öffentlichen Geldern private Verluste kompensieren.
Leitlinie seiner Politik müssen vielmehr die Entwicklungsbedingungen des je-
weiligen Landes sein. Dabei sollten genauer formulierte und begründete Län-
derprogramme aufgestellt werden und die Bedingungen (Konditionalität) von
Programmen auf eine transparente Grundlage gestellt werden. Anders als in der
Vergangenheit sollte der Fonds Rechenschaft ablegen („accountability“), wenn
die Programme nicht zum gewünschten Ergebnis beitragen. Der IWF hat in
Folge der Kritik seine Informationspolitik verbessert, diesen Weg gilt es auszu-
bauen.
Die unzureichende Übernahme von Verantwortung der Gläubiger bei der Kre-
ditvergabe hatte in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder dazu geführt,
dass vielfach Kredite vergeben wurden, ohne dass Projekte und Kreditnehmer
hinreichend auf Rentabilität und Bonität überprüft wurden. Viele Kreditinsti-
tute hatten daraufhin umfangreiche Wertberichtigungen zu tragen und sind in
eine gefährliche Schieflage geraten. Das war ebenfalls ein Auslöser für die weit
reichenden Währungs- und Wirtschaftskrisen des letzten Jahrzehnts. Die bishe-
rigen international anerkannten Eigenkapitalanforderungen an Kreditinstitute
bei der Vergabe von Krediten müssen deshalb an die aktuellen Entwicklungen
angepasst werden. Die neuen Eigenkapitalrichtlinien (Basel II), die zurzeit vom
Basler Ausschuss für Bankenaufsicht erarbeitet werden, sollen nach dem jetzi-
gen Zeitplan Ende 2006 umgesetzt werden und zu mehr Stabilität der Kredit-
institute als Finanzmarktakteure und damit auch für mehr Stabilität an den
Finanzmärkten beitragen. Dabei werden auch die nationalen Eigenheiten der
jeweiligen Wirtschaftsstrukturen berücksichtigt. Es ist unverzichtbar, die
Besonderheiten der Finanzierungsstruktur des Mittelstands als Rückgrat der
deutschen Wirtschaft angemessen zu berücksichtigen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/9359

Der Deutsche Bundestag hat an anderer Stelle den deutschen Verhandlungsfüh-
rern in Basel den Rücken gestärkt. Diese konnten Teilerfolge zugunsten des
Mittelstandes erreichen. Es sind noch einige Punkte offen, die weiterhin mit
Nachdruck und im Sinne des Mittelstandes dringend durchgesetzt werden müs-
sen. Es bleibt das Ziel, durch Basel II die Stabilität der Finanzmärkte zu erhö-
hen.
Mehr als zwanzig Jahre nach Ausbruch der Schuldenkrise kann nicht davon
ausgegangen werden, dass es sich bei vielen Ländern um vorübergehende Zah-
lungsschwierigkeiten handelt, sondern um strukturelle Probleme. Dies betrifft
sowohl die ärmsten Entwicklungsländer als auch andere Schwellen- und Ent-
wicklungsländer.
Mit der Kölner Entschuldunginitiative für die ärmsten Länder (Heavily Indeb-
ted Poor Countries – HIPC) ist ein entscheidender Beitrag zur Verringerung der
Verschuldung geleistet geworden. Dabei ist vor allem die zugesagte Ausrich-
tung der Weltbank am Ziel der Armutsbekämpfung sowie die Einbindung von
IWF und Weltbank in nationale Strategien zur Bekämpfung der Armut zu be-
grüßen.
Auch auf andere Ländergruppen bezogen ist eine Erweiterung des internationa-
len Schuldenmanagements unerlässlich. Für alle beteiligten Akteure ist im
Falle einer nicht tragbaren Überschuldung ein faires und transparentes Verfah-
ren mit dem Ziel, den Ländern einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermögli-
chen, sinnvoll. Es ist sehr zu begrüßen, dass solche Ansätze jetzt im IWF und in
den G7-Staaten diskutiert werden. Ebenso wird weltweit von Umwelt- und Ent-
wicklungsinstitutionen über neue Wege zur Überwindung der Schuldenkrisen
diskutiert. Elemente eines fairen und transparenten Verfahrens müssen dabei
rechtsstaatlichen Prinzipien gerecht werden. Hier wären die Einbeziehung aller
Gläubiger in das Verfahren, die Gewährung fairer Verhandlungen durch ein
unabhängiges Schiedsgericht und die Sicherung eines Existenzminimums der
betroffenen Bevölkerung als zentrale Elemente zu berücksichtigen.
Mit der Einführung der privaten Altersvorsorge und der Einführung von Pen-
sionsfonds bei der betrieblichen Altersvorsorge gewinnt die Berücksichtigung
von Nachhaltigkeitsaspekten bei Geldanlagen an Bedeutung. So müssen Anbie-
ter jährlich darüber berichten, ob und wie sie bei der Anlage der Beiträge öko-
logische, ethische und soziale Kriterien berücksichtigt haben. Die Zertifizie-
rungsstelle bei der neuen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat
die Aufgabe, die Einhaltung dieses Kriteriums konsequent zu überwachen.
Überall auf der Welt haben Nichtregierungsorganisationen (NGO) dazu beige-
tragen, die Diskussionen über ein stabiles und sozial nachhaltiges Finanzsystem
aus der Sphäre der Experten in die Gesellschaft zu tragen. Der Bundestag be-
grüßt diese Entwicklung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die Chancen der Globalisierung zu nutzen und ihren Herausforderungen zu

entsprechen. Die Globalisierung der Weltwirtschaft eröffnet allen Ländern
große Potentiale und Chancen für mehr Wachstum und Wohlstand. Die bis-
lang weitgehend ungezügelte Dynamik der globalen wirtschaftlichen Ent-
wicklung sollte dabei durch wirtschaftspolitische, soziale und ökologische
Leitlinien politisch gestaltet werden, damit mehr Menschen als bisher die
Vorteile der Globalisierung nutzen können. Ziel ist die fairere und nachhal-
tige Gestaltung des Weltwirtschaftssystems und die bessere Integration von
Entwicklungs- und Schwellenländern.

Drucksache 14/9359 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

2. die Auswirkungen liberalisierter Finanzmärkte weiterhin kritisch zu prüfen.
Den Finanzmärkten kommt als Basis des wirtschaftlichen Handelns und als
Motor für Wachstum und Beschäftigung eine besondere Bedeutung zu. Li-
beralisierte Finanzmärkte können hierzu sehr viel mehr beitragen als natio-
nal abgeschottete Märkte. Die Finanzkrisen, die in den vergangenen Jahren
mehrere Regionen erschütterten, haben aber gezeigt, dass unzureichend be-
aufsichtigte Märkte mit erheblichen Risiken verbunden sind. Offene Finanz-
märkte können die Effizienz der Weltwirtschaft nur stärken, wenn die wirt-
schaftliche Stabilität durch bessere Maßnahmen der Regulierung, Aufsicht
und der finanzpolitischen Solidität erhöht wird. Die Liberalisierung des Ka-
pitalverkehrs muss dabei auf die Rahmenbedingungen in den betroffenen
Ländern abgestimmt sein und insbesondere mit dem Aufbau angemessener
Aufsichtsstrukturen einhergehen.

3. die politische Integration innerhalb der Europäischen Union in allen Berei-
chen fortzusetzen, um Europa im Prozess der immer mehr zusammenwach-
senden Weltwirtschaft zu stärken und die EU auch global handlungsfähiger
zu machen. Die Errichtung der Europäischen Wirtschafts- und Währungs-
union mit dem Euro war hierzu ein entscheidender Schritt. Das Gewicht
Europas ist auch zu nutzen, um die multilaterale Zusammenarbeit von
Industrieländern und Entwicklungs- und Schwellenländern zu verbessern.

4. die Entwicklungsländer weiterhin bei der Schaffung von Rahmenbedingun-
gen wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen, weil diese die
Grundlage für eine bessere Mobilisierung eigener Finanzressourcen ebenso
wie für die Anwerbung ausländischer Direktinvestitionen bilden. Durch Be-
ratung und technische Hilfe kann ein wichtiger Beitrag zum Aufbau von
leistungsfähigen und sozial gerechten Verwaltungsstrukturen, einschließlich
entsprechender Steuersysteme und Steuerinstitutionen, geleistet werden.

5. Entwicklungs- und Schwellenländer bei der Umsetzung international aner-
kannter Standards und Kodizes und dem damit einhergehenden Aufbau von
kontrollierenden und regulierenden Institutionen (Institution Building) wei-
ter zu unterstützen. Dadurch sollen die Finanzsysteme der Entwicklungs-
und Schwellenländer krisenfester gemacht sowie Transparenz und Rechts-
sicherheit geschaffen werden. Eine weitere Liberalisierung der Finanz-
märkte dieser Länder sollte mit Fortschritten bei der Schaffung solcher insti-
tutioneller Voraussetzungen einhergehen. So sollte eine Aufsicht über die
Banken, Versicherungen und Wertpapiermärkte aufgebaut werden, Grund-
sätze für Unternehmensführung anerkannt werden, ein krisenfestes Zah-
lungssystem etabliert werden und zuverlässige Wirtschaftsdaten zeitnah ver-
öffentlicht werden.

6. sich dafür einzusetzen, dass in einem breiten Ansatz alle Instrumente zur Er-
reichung stabiler und nachhaltig funktionierender internationaler Finanz-
märkte ernsthaft geprüft werden. In die Prüfung sind auch mögliche Finanz-
instrumente einzubeziehen. Auch die Einführung einer Devisenumsatzsteuer
sollte in einem offenen und transparenten Verfahren auf der Ebene der EU
und im Kontext der Weltwirtschaft geprüft werden. Die Bundesregierung ist
aufgefordert, sich bei positiven Ergebnissen für eine international koordi-
nierte Einführung einzusetzen.

7. Entwicklungs- und Schwellenländer dabei zu unterstützen, marktgerechte
Instrumente zu entwickeln, um kurzfristige Kapitalzuflüsse und Kapitalab-
flüsse zu begrenzen, die die Stabilität des einheimischen Finanzsystems be-
drohen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/9359

8. die Bundesregierung sollte zur verbesserten internationalen Aufsicht durch
BIZ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich), OECD und IWF beitra-
gen, die auch Offshore-Finanzzentren erfasst und jene Fonds diskriminiert,
die von nicht-kooperativen Offshore-Finanzzentren aus ihre Geschäfte ab-
wickeln. Sie sollte sich entschieden dafür einzusetzen, dass die Forderun-
gen des Forums für Finanzstabilität (FSF) zur Verringerung der Risiken
umgesetzt werden, die von Finanzinstituten mit hohem Risiko/Eigenkapi-
talverhältnis (Highly Leveraged Institutions – Hedge Funds) ausgehen kön-
nen. Weitere Verbesserungen sind insbesondere bei den Offenlegungsprak-
tiken dieser Finanzinstitute erforderlich. Die Bundesregierung sollte ihre
Forderung nach einer Ergänzung offizieller Statistiken, einschließlich der
Einrichtung eines internationalen Kreditregisters weiterverfolgen, um dazu
beizutragen, Systemrisiken frühzeitig erkennen zu können.

9. entschieden daran mitzuwirken, dass „Steueroasen“, die eine effiziente und
sozial gerechte Besteuerung von Einkommen und Vermögen in allen Län-
dern untergraben und keinerlei Kooperationsbereitschaft zeigen, mit geeig-
neten Mitteln und ggf. Sanktionen an dieser Politik gehindert werden. Steu-
erflucht und Geldwäsche gilt es durch ein international abgestimmtes
Verbot von Finanzgeschäften mit Banken und Fonds, die wegen ihrer Re-
gistrierung in Offshore-Zentren nicht den von der Bank für Internationalen
Zahlungsausgleich aufgestellten Mindeststandards der Bankenaufsicht un-
terworfen werden, zu verhindern.

10. sich im FSF für eine strikte Überprüfung der Fortschritte von Offshore-Fi-
nanzzentren (OFC) bei der Verbesserung ihrer Aufsichts- und Regulie-
rungssysteme, der Praktiken der Zusammenarbeit und des Informations-
austausches mit ausländischen Behörden einzusetzen. OFC, deren
Finanzsysteme Anlass zu erheblicher Besorgnis geben, sollten ebenso wie
OFC, bei denen Verbesserungen erreicht worden sind und die als Beispiel
für andere OFC dienen können, namentlich besonders hervorgehoben wer-
den. Dadurch wird die Transparenz erhöht und zugleich für OFC ein An-
reiz geschaffen, ihre Regelungen und Praktiken zu verbessern.

11. durch verstärkte wirtschafts- und währungspolitische Zusammenarbeit
übertriebene Wechselkursschwankungen insbesondere zwischen US-Dol-
lar, Euro und Yen zu vermeiden und dabei eng mit den anderen EU-Staaten
zusammenzuarbeiten.

12. Ansätze der regionalen währungspolitischen Zusammenarbeit zu unterstüt-
zen und dabei die Erfahrungen mit der Europäischen Wirtschafts- und
Währungsunion und mit der Einführung der gemeinsamen europäischen
Währung in den Politikdialog einzubringen.

13. sich dafür einzusetzen, dass sich Industrieländer und Entwicklungsländer
in den internationalen Finanzinstitutionen angemessen repräsentiert sehen.
Es sollte mit einer Überprüfung der Stimmenverhältnisse begonnen wer-
den. Hierbei sollten die Erfahrungen mit bestehenden Abstimmungsverfah-
ren in anderen UN-Institutionen berücksichtigt werden. Ziel sollte es sein,
die Konsensbildung zu fördern und die Dominanz bestimmter Länder- oder
Ländergruppen zu reduzieren. Die Besetzung der Spitzenpositionen in den
internationalen Finanzinstitutionen sollte auf neuer transparenter Grund-
lage erfolgen.

14. die Zusammenarbeit der Europäischen Union im IWF zu verbessern. Dies
sollte zunächst durch eine verstärkte Koordinierung der Vertreter der EU-
Mitgliedstaaten im IWF erfolgen. Wenn Europa gemeinsam und eindeutig
seine Interessen im IWF vertritt, kann es einen seinen finanziellen Beiträ-
gen entsprechenden Einfluss auf die Geschäftspolitik des IWF ausüben und

Drucksache 14/9359 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

dem Übergewicht anderer Länder seine eigenen Vorstellungen entgegenset-
zen.

15. weiter darauf hinzuwirken, dass der IWF verstärkt bei der Vorbeugung von
Finanzkrisen tätig werden kann. Einen wichtigen Beitrag leistet die lau-
fende wirtschaftspolitische Überwachungstätigkeit des IWF. Durch die
stärkere Berücksichtigung der Entwicklung der Kapitalbilanz und der Aus-
landsverschuldung sowie durch die Aufwertung des Finanzsektors zu ei-
nem Kerngebiet der Überwachung wurden hier bereits Fortschritte erzielt,
die ausgebaut werden müssen.

16. die Entwicklung von Instrumenten zur Bewältigung von Finanzkrisen
nachhaltig zu unterstützen. Vor dem Hintergrund der Begrenzung öffentli-
cher Mittel kommt dabei einer angemessenen Einbeziehung des Privatsek-
tors und einer fairen Teilung der Lasten (burden sharing) aller beteiligten
Akteure eine entscheidende Rolle zu. Dabei sollte die Bundesregierung im
Rahmen des IWF oder der G7 die Möglichkeit von Schuldenmoratorien
unterstützen, um die Voraussetzung für geordnete Verhandlungen zu ver-
bessern.

17. sich bei der Überwindung einer nicht tragbaren Verschuldung für ein faires
und transparentes Verfahren (internationales Insolvenzverfahren) einzuset-
zen und so die Möglichkeiten zu schaffen, im Falle schwerer Finanz- und
Schuldenkrisen zu einer „ordentlichen“ Lösung (orderly debt work-out) zu
kommen, die den Ländern einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglicht.

18. die Kölner Entschuldungsinitiative (HIPC) für die ärmsten Länder fortzu-
setzen und sich in der Weltbank und dem Währungsfonds für eine Defini-
tion von „Schuldentragfähigkeit“ einzusetzen, die realistisch ist und es den
Ländern ermöglicht ihre Entwicklungsziele zu erreichen. Die Bundesregie-
rung sollte sich wie bislang dafür einzusetzen, dass die Strukturanpas-
sungsprogramme von IWF und Weltbank nicht ausschließlich stabilitäts-
orientiert sind, sondern ökologische und soziale Kriterien berücksichtigen
und zur Stärkung der Binnenmärkte beitragen.

19. sich für Umschuldungsklauseln in internationalen Kredit- und Anleihever-
trägen einzusetzen, um dadurch Umschuldungen im Krisenfall deutlich zu
erleichtern. Der Bundestag begrüßt den Aktionsplan der G7-Finanzminis-
ter vom April diesen Jahres, in dem auf die Bedeutung der Aufnahme von
Klauseln in internationale Kreditverträge hingewiesen wird.

20. weiterhin auf eine engere Koordinierung der internationalen Finanzinstitu-
tionen mit dem Ziel hinzuwirken, den Aufbau eines leistungsfähigen Fi-
nanzsektors und der dafür erforderlichen Institutionen und Regelungen in
den Entwicklungs- und Schwellenländern zu unterstützen und somit eine
wesentliche Voraussetzung für makroökonomische Stabilität und wirt-
schaftliche Entwicklung zu schaffen.

21. ihre Bestrebungen im Kampf gegen die Geldwäsche und die Finanzierung
des Terrorismus mit unverminderter Energie fortzusetzen. Länder, die den
von der Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF) gesetz-
ten internationalen Standard gegen die Geldwäsche unterlaufen, müssen
benannt werden und durch international abgestimmte Politik zur Einhal-
tung dieser Standards angehalten werden. Die im Vierten Finanzmarktför-
derungsgesetz und im Geldwäschegesetz enthaltenen Maßnahmen im
Kampf gegen Geldwäsche und Terrorfinanzierung sind zügig umzusetzen.
Mehr Transparenz, erweiterte Meldepflichten und mehr Kontrollmöglich-
keiten bei gleichzeitiger Wahrung des verfassungsrechtlich garantierten
Vertrauensschutzes stehen dabei im Mittelpunkt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/9359

22. sich weiterhin in der EU und der OECD nachdrücklich dafür einzusetzen,
dass die Mindeststandards fairen Verhaltens bei der Besteuerung sowohl
gegenüber den Steueroasen als auch gegenüber anderen Staaten einschließ-
lich der Mitgliedstaaten der EU und der OECD durchgesetzt werden.

23. die erfolgreiche Mittelstandspolitik der Bundesregierung in allen Berei-
chen wirtschaftlichen Handelns fortzusetzen und sich für die Umsetzung
einer am Risiko orientierten Eigenkapitalunterlegung von Bankkrediten
(Basel II) einzusetzen. Bei dieser Modernisierung der Basler Eigenkapital
müssen die Belange der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ange-
messen berücksichtigt werden. Ihre Mittelbeschaffung erfolgt überwiegend
über die Banken und nicht direkt über den Kapitalmarkt. Dabei darf sich
die Finanzierung nicht unverhältnismäßig verteuern. Die Bemühungen des
Basler Ausschusses für Bankenaufsicht, durch eine Modernisierung der
Basler Eigenkapitalregeln zur Stabilisierung des internationalen Finanzsys-
tems und zur Krisenvorbeugung beizutragen, werden ausdrücklich begrüßt.

24. die bereits eingeführte Berichtspflicht der Anbieter zur Berücksichtigung
ökologischer, ethischer und sozialer Kriterien bei der privaten und betrieb-
lichen Altersvorsorge im Sinne des Gesetzgebers konsequent zu überprüfen
und weitere Schritte zu unternehmen, die geeignet sind, die Transparenz von
Geldanlagen im Hinblick auf ihre Ausrichtung an Nachhaltigkeitsaspekten
zu erhöhen. Berichte über die Berücksichtigung von Aspekten der Nachhal-
tigkeit sollten für eine breite Palette von Anlagen verfügbar sein und insbe-
sondere der Information der Anleger dienen.

25. die neue Dimension der länderübergreifenden Zusammenarbeit mit allen
relevanten Gruppen und Vertretern, die von dieser Bundesregierung einge-
führt wurde, beizubehalten und weiter zu intensivieren. Nichtregierungsor-
ganisationen (NGO) haben in dem Prozess der politischen Gestaltung eine
wichtige Funktion. Daher muss dieser Dialog über die Reform des interna-
tionalen Finanzsystems fortgesetzt werden.

Berlin, den 11. Juni 2002
Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.