BT-Drucksache 14/841

zur Änderung des Atomgesetzes

Vom 23. April 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/841 vom 23.04.1999

Gesetzentwurf der Fraktion der PDS Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Atomgesetzes =

23.04.1999 - 841

14/841

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Eva-Maria Bulling-Schröter, Monika Balt, Dr. Dietmar
Bartsch,
Petra Bläss, Maritta Böttcher, Roland Claus, Heidemarie Ehlert, Dr.
Heinrich Fink,
Dr. Ruth Fuchs , Fred Gebhardt, Wolfgang Gehrcke-Reymann, Dr. Klaus
Grehn,
Dr. Gregor Gysi, Dr. Barbara Höll, Carsten Hübner, Ulla Jelpke, Sabine
Jünger,
Gerhard Jüttemann, Dr. Evelyn Kenzler, Dr. Heidi Knake-Werner, Rolf
Kutzmutz,
Heidi Lippmann-Kasten, Ursula Lötzer, Heidemarie Lüth, Dr. Christa
Luft,
Angela Marquardt, Manfred Müller (Berlin), Kersten Naumann, Rosel
Neuhäuser,
Christine Ostrowski, Petra Pau, Dr. Uwe-Jens Rössel, Christina Schenk,
Gustav-Adolf Schur, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf und der
Fraktion der PDS
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes

A. Problem
Die mit der Nutzung der Kernenergie verbundenen Gefahren und
Risiken werden nicht länger akzeptiert.
Die Wiederaufarbeitung von abgebrannten Kernbrennstoffen belastet
Mensch und Umwelt in erheblichem Maße und stellt keine schadlose
Verwertung im Sinne des Atomgesetzes dar.
Im Zusammenhang mit der Pflicht des Bundes, Anlagen zur Sicherstellung
und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle einzurichten, wurden im April
1998 problematische Änderungen in das Atomgesetz eingefügt. Die aus der
Pflicht des Bundes erwachsenden Aufgaben sollen mit den dafür
erforderlichen hoheitlichen Befugnissen ganz oder teilweise auf Dritte
übertragen werden können. Die Verantwortung zum Schutz gegenwärtiger
und zukünftiger Generationen vor den Gefahren und Risiken der
Aufbewahrung und Endlagerung radioaktiver Abfälle ist aber derart
erheblich, das eine Verlagerung oder Teilung der Verantwortung
inakzeptabel ist. In Verbindung mit den seit April 1998 erweiterten
Möglichkeiten zur Enteignung und zum Erlaß von Veränderungssperren von
Grundstücken, auf denen Erkundungsarbeiten für Anlagen zur Endlagerung
radioaktiver
Abfälle vorgenommen werden sollen, ist ein nachwirkender
Vertrauensverlust eingetreten, der der Schaffung eines breit
akzeptierten Verfahrens zur Erkundung von Standorten für ein
zukünftiges Endlager für radioaktive Abfälle entgegen steht.
B. Lösung
An Stelle des Förderzwecks im Atomgesetz tritt der Zweck der
schnellstmöglichen Abschaltung der Atomanlagen. Die Wiederaufarbeitung
wird zum 1. Januar 2000 verboten. Die Änderungen des Atomgesetzes vom
April 1998 werden in bezug auf die Regelungen zur Entsorgung revidiert.
C. Alternativen
Keine
D. Kosten
Beim schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomkraft entstehen
Kosten zur Errichtung von Kapazitäten zur Energieerzeugung, die einen
Teil der wegfallenden Leistung der Atomkraftwerke ersetzen müssen.
Auswirkungen auf die Geldwertstabilität sind nicht zu erwarten.

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes

Der Deutsche Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Atomgesetzes
Das Atomgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985
(BGBl. I S. 1565), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:
1. § 1 Nr.1 wird wie folgt gefaßt:
"1. die Nutzung der Kernenergie schnellstmöglich und sicher zu
beenden,".
2. § 9a wird wie folgt geändert:
a) Absatz 1 wird wie folgt geändert:
aa) In Satz 1 werden die Worte "zum Schutz der Allgemeinheit"
gestrichen.
bb) Folgende Sätze 2 bis 4 werden angefügt:
"Die Abgabe bestrahlter Kernbrennstoffe an Dritte zum Zwecke der
Aufarbeitung ist vom 1. Januar 2000 an unzulässig. Bereits zum Zwecke
der Aufarbeitung abgegebene und noch nicht aufgearbeitete bestrahlte
Kernbrennstoffe sind von diesem Zeitpunkt an bis zur Klärung der mit
der Zwischen- und Endlagerung verbundenen Fragen sicher aufzubewahren.
Das Nähere regelt eine Rechtsverordnung nach den §§ 11 und 12."
b) Absatz 3 wird wie folgt geändert:
aa) In Satz 1 wird das Wort "einzurichten;" durch ein Komma ersetzt.
bb) Satz 3 wird aufgehoben.
c) Der Absatz 4 wird aufgehoben.
3. § 9b wird wie folgt geändert:
a) Absatz 1 wird wie folgt geändert:
aa) In Satz 1 werden die Worte "Satz 1 Halbsatz 2 genannten Anlagen"
durch die Worte "genannten Anlagen des Bundes" und das Wort
"Veränderung" durch das Wort "Änderung" ersetzt.
bb) In Satz 2 wird jeweils das Wort "Veränderung" durch das Wort
"Änderung" ersetzt.
cc) Satz 3 wird aufgehoben.
b) In Absatz 5 Satz 1 wird die Angabe "75, 77 und" gestrichen.
4. Die §§ 9d bis 9g werden aufgehoben.
5. § 12 Abs. 1 Satz 1 wird wie folgt geändert:
a) In Nummer 8 werden die Worte "Anlagen nach § 9a Abs. 3 Satz 1
Halbsatz 2" durch die Worte "die Anlagen des Bundes nach § 9a Abs. 3"
ersetzt.
b) In Nummer 10 werden die Worte "nach § 9a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2"
durch die Worte "des Bundes nach § 9a Abs. 3" ersetzt.
6. § 12b Abs. 1 Satz 1 wird wie folgt geändert:
Die Angabe "nach § 9a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2" wird durch die
Worte "des Bundes nach § 9a Abs. 3" ersetzt.
7. § 21b wird wie folgt geändert:
a) In Absatz 1 Satz 1 werden die Angabe "nach § 9a Abs. 3 Satz 1
Halbsatz 2" durch die Worte "des Bundes nach § 9a Abs. 3" ersetzt und
nach der Angabe "Abs. 1" die Angabe "Satz 1" eingefügt.
b) In Absatz 4 wird die Angabe "nach § 9a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2"
durch die Worte "des Bundes nach § 9a Abs. 3" ersetzt.
8. § 23 Abs. 1 Satz 1 wird wie folgt geändert:
a) In Nummer 2 werden die Worte "die Übertragung der
Aufgabenwahrnehmung durch den Bund auf Dritte und die Aufsicht über
diese Dritten nach § 9a Abs. 4 Satz 1 sowie die Aufsicht nach § 19a
Abs. 5," gestrichen.
b) Die Nummern 2a und 4a werden gestrichen.
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tage der Verkündung in Kraft.
Bonn, den 23. April 1998
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

A. Allgemeiner Teil
Das Risiko schwerer Unfälle in Reaktoren mit erheblichen Folgen für das
Leben und die Gesundheit vieler Menschen wird nicht länger hingenommen.
Die Nutzung der Kernenergie soll schnellstmöglich beendet werden. Die
besondere Eilbedürftigkeit ergibt sich aus dem
Umstand, daß Ereignisse mit hohem Schadenspotential jederzeit eintreten
können. Übergangsfristen haben sich am technisch unabwendbaren Maß zu
orientieren.
Die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente kann nicht länger
verantwortet werden. In unseren Nachbarländern Großbritannien und
Frankreich verseuchen Wiederaufarbeitungsanlagen Mensch und Umwelt in
einem erheblichen Umfang mit radioaktiven Spaltprodukten. Der Prozeß
der Abtrennung von Uran und Plutonium von den hochradioaktiven
Reststoffen verschärft das Problem der ohnehin ungelösten Endlagerung
in der Menge und Qualität und birgt erhebliche Gefahren. Große Teile
des wiederaufgearbeiteten Urans aus deutschen Atomkraftwerken wurden
bereits mit unbekanntem Ziel veräußert und damit aus dem
Kontrollbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit und der europäischen Atomenergiebehörde entfernt. Die
Bundesregierung sah sich bisher außerstande, Aufklärung über den
Verbleib des wiederaufge-
arbeiteten Urans zu leisten.
Auch eine gefahrlose Nutzung des abgetrennten Plutoniums ist nicht
gegeben. In Anbetracht der großen Umgangsmengen ist es technisch nicht
einmal möglich, das Risiko des illegalen Abzweigens von relevanten
Mengen waffenfähigen Plutoniums durch Messungen und Bilanzierungen zu
entdecken. Nicht zuletzt erhöht die hohe Frequenz von Atomtransporten
durch Europa das Risiko von Verkehrsunfällen solcher Transporter mit
schlimmen Folgen für das Leben und die Gesundheit von Menschen.
Das Verbot der Wiederaufarbeitung von abgebrannten Brennelementen muß
nicht zu Engpässen bei der Entsorgung der Atomkraftwerke führen. Die
politischen Bestrebungen zur Befristung der Betriebsgenehmigungen von
Atomkraftwerken durch ein Gesetz sollen in eine sukzessive Stillegung
der Atomkraftwerke münden, die in spätestens fünf Jahren abgeschlossen
sein soll. Für diesen Zeitraum reichen die Zwischenlagerkapazitäten in
den Naßlagern der Atomkraftwerke aus. Eine gesetzliche Regelung zur
Aufbewahrung von abgebrannten Kernbrennstoffen, oder zur Neuerrichtung
von externen Zwischenlagern würde der weiteren politischen Entwicklung
für eine gesetzliche Befristung der Betriebsgenehmigungen vorgreifen
und ist daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt entbehrlich.
B. Zu den einzelnen Vorschriften des Artikels 1
Zu Nummer 1 (§ 1 Nr.1)
Die Risiken der Kernkraftnutzung sollen nicht länger hingenommen
werden. Insbesondere die technisch unbeherrschten Risiken eines
Kernschmelzunfalls, mit erheblichen Folgen für das Leben und die
Gesundheit vieler Menschen, zwingen zu einer schnellstmögliche
Abschaltung der Atomanlagen. An Stelle des bisherigen Zwecks, die
Erforschung, Entwicklung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen
Zwecken zu fördern, tritt der neue Zweck, die Nutzung der Kernenergie
schnellstmöglich und sicher zu beenden.
Zu Nummer 2 (§ 9a)
Die Streichung der Worte "zum Schutz der Allgemeinheit", die das Gesetz
vom 6. April 1998 eingefügt hat, macht deutlich, daß eine
drittschützende Wirkung der Regelungen zur nuklearen Entsorgung in
allen Belangen gewährleistet werden soll.
Die neuen Sätze 2 und 3 des Absatzes 1 regeln das Verbot der
Wiederaufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe. Satz 2 verbietet die
Abgabe zur Wiederaufarbeitung, die für deutsche Atomkraftwerke derzeit
im Ausland erfolgt. Welche Anforderungen an den
Entsorgungsvorsorgenachweis nach dem Verbot der Wiederaufarbeitung
künftig gestellt werden, muß im Lichte der Ergebnisse der Bemühungen um
eine schnellstmögliche Stillegung der Atomkraftwerke beantwortet
werden.
Die Bundesregierung hat die verbleibende Zeit zu nutzen, um ein
Aufbewahrungskonzept zu erarbeiten, das ein Höchstmaß an Sicherheit
nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zugrunde legt. Insbesondere
sind vor der Wiederaufnahme von Transporten und einer trockenen
Lagerung von abgebrannten Kernbrennstoffen oder von Glaskokillen die in
jüngster Zeit wiederholt aufgeworfenen Zweifel an der Sicherheit zu
klären:
- Die Risiken von Bahn-, See- und Straßentransporten müssen
untersucht und minimiert werden.
- Der Lufttransport von radioaktiven Stoffen muß verboten werden.
- Die Katstrophenschutzpläne zur Eindämmung der Folgen von
Transportunfällen müssen in Abstimmung mit den regionalen
Katastropheneinsatzkräften auf den neuesten Stand gebracht werden.
- Das Problem der nicht festhaftenden Kontaminationen an
Transportbehältern muß ursächlich aufgeklärt und ausgeschlossen werden.
- Da sich der Stand von Wissenschaft und Technik verändert und
fortentwickelt hat, ist eine Neukonstruktion und Zulassung von
Transport- und Lagerbehältern erforderlich geworden. Dabei muß die
Funktionstüchtigkeit von Deckeldichtungen über mehrere Jahrzehnte
zweifelsfrei gewährleistet werden. Eine Doppelbehälterkonstruktion muß
der Freisetzung von radioaktiven Stoffen zwei voneinander unabhängige
Barrieren an Stelle der bisherigen Einzelbarriere entgegensetzen. Eine
lückenhafte Neutronenabschirmung muß ausgeschlossen werden. Eine
wiederholbare, zerstörungsfreie Prüfung des Behälters darf
konstruktions- und fertigungsbedingt nicht erschwert oder gar unmöglich
gemacht werden. Die Sicherheit von Transport- und Lagerbehältern muß
durch realitätsnahe Tests erhärtet werden.
Mit der Änderung des Absatzes 3 und der Streichung des Absatzes 4
entfällt die entsprechende Regelung der achten Novelle.
Zu Nummer 3 (§ 9b)
Mit der Änderung der Vorschrift werden die Regelungen der achten
Novelle rückgängig gemacht, insbesondere wird durch die Streichung des
Absatzes 1 Satz 3 der Ausschluß des § 76 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes (neues Planfeststellungsverfahren bei
Planänderungen)

beseitigt. Als Folge wird § 76 des Verwaltungsverfahrensgesetzes bei
der Verweisung in Absatz 5 durch die mit diesem Gesetz vorgenommene
Streichung wieder aufgenommen.
Zu Nummer 4 (§§ 9d bis 9g)
Die mit der Novelle vom 6. April 1998 eingefügten
Enteignungsregelungen, Veränderungssperren und sonstigen Regelungen zum
Zwecke der Erkundung eines Endlagers werden aufgehoben.
Zu den Nummern 5, 6, 7 und 8 (§ 12 Abs. 1 Satz 1,
§ 12b Abs. 1 Satz 1,
§ 21b und § 23 Abs. 1 Satz 1)
Die Änderungen stellen den Rechtszustand vor dem Achten Gesetz zur
Änderung des Atomgesetzes wieder her.

23.04.1999 nnnn

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