BT-Drucksache 14/5246

Deutschlands Wirtschaft in der Informationsgesellschaft

Vom 7. Februar 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5246
14. Wahlperiode 07. 02. 2001

Antrag
der Abgeordneten Hubertus Heil, Dr. Ditmar Staffelt, Hermann Bachmaier, Klaus
Barthel (Starnberg), Dr. Axel Berg, Anni Brandt-Elsweier, Bernhard Brinkmann
(Hildesheim), Ursula Burchardt, Dieter Dzewas, Arne Fuhrmann, Renate
Gradistanac, Monika Griefahn, Kerstin Griese, Hans-Joachim Hacker, Klaus
Hagemann, Christel Hanewinckel, Alfred Hartenbach, Rolf Hempelmann, Jelena
Hoffmann (Chemnitz), Dr. Uwe Jens, Volker Jung (Düsseldorf), Ulrich Kelber,
Anette Kramme, Ernst Küchler, Dr. Uwe Küster, Werner Labsch, Christine
Lambrecht, Christian Lange (Backnang), Christine Lehder, Robert Leidinger,
Klaus Lennartz, Winfried Mante, Dirk Manzewski, Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Christian
Müller (Zittau), Margot von Renesse, Birgit Roth (Speyer), Siegfried Scheffler,
Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Thomas Sauer, Richard Schuhmann (Delitzsch),
Erika Simm, Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Joachim Stünker, Jörg Tauss, Hedi
Wegener, Wolfgang Weiermann, Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Dr. Rainer Wend,
Dr. Margrit Wetzel, Klaus Wiesehügel, Dr. Norbert Wieczorek, Engelbert Wistuba,
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Margareta Wolf (Frankfurt), Grietje Bettin, Michaele
Hustedt, Werner Schulz (Leipzig), Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Deutschlands Wirtschaft in der Informationsgesellschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Rasante Entwicklung der deutschen Internet-Wirtschaft

Die Bundesregierung hat in der ersten Hälfte der Legislaturperiode wichtige
Akzente für die beschleunigte Verbreitung und Nutzung der modernen Infor-
mations- und Kommunikationstechnologien in Deutschland gesetzt. Die neuen
Medien stellen eine über die gesamte Volkswirtschaft wirksame Basistechnolo-
gie dar. Viele andere Technologien und Innovationen bauen darauf auf. Der
deutsche Markt für Informations- und Kommunikationstechnologien und
-Dienstleistungen ist 1999 um 9,4 Prozent von 195 Mrd. DM auf knapp 214
Mrd. DM gewachsen. Das entspricht 6,9 Prozent des Weltmarktes in 1999. Für
2000 wird wiederum mit einem Wachstum des deutschen Marktes von 8,2 Pro-
zent auf 234 Mrd. DM gerechnet. Bereits in fünf Jahren soll die IT-Branche die
300-Milliarden-Schwelle überspringen. Sie wird damit zu einem der größten
deutschen Wirtschaftszweige überhaupt. Eine Schlüsselrolle bei der Entwick-
lung der Internetwirtschaft spielen mittelständische Unternehmen und Start-
ups. Zahlreiche neue Firmen konnten durch die Bereitstellung von Risikokapi-

Drucksache 14/5246 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

tal aufgebaut werden und Dynamik über den parallel sich etablierenden neuen
Markt gewinnen. Die rot-grüne Koalition hat mit der Steuerfreistellung der Be-
teiligungsveräußerungen Impulse für die Belebung des Risikokapitalmarktes
gegeben.

Die Internetnutzung hat in Deutschland in allen Bevölkerungsgruppen und
-schichten in den letzten zwei Jahren drastisch zugenommen. Nach Angaben
des Online-Monitor der Gesellschaft für Konsumforschung lag die Zahl der
Internetnutzer (14- bis 69-jährige Bevölkerung) Ende 2000 bei rund 18 Millio-
nen. Dies entspricht einer Nutzerquote von 34 Prozent. Deutschland befindet
sich im Bereich des Internetzugangs demnach auf dem richtigen Weg.

2. 10-Punkte-Programm „Internet für alle“ und Fortentwicklung des
Rechtsrahmens

Nicht zuletzt durch die umfangreichen Maßnahmen der Bundesregierung befin-
det sich Deutschland auf dem Weg in die globale Informationsgesellschaft in
einer sehr günstigen Position. Der Deutsche Bundestag begrüßt das von Bun-
deskanzler Gerhard Schröder am 18. September 2000 vorgelegte 10-Punkte-
Programm „Internet für alle“. Dieses Programm bündelt zentrale Maßnahmen
des im September letzten Jahres vorgelegten Aktionsprogramms der Bundes-
regierung „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des
21. Jahrhunderts“ und dient auch der Umsetzung des „e-Europe“-Aktionspla-
nes sowie der IT-Charta des G8-Gipfels von Okinawa. Der Deutsche Bundes-
tag begrüßt, dass die in diesen Dokumenten zusammengefassten Aktionen
darauf abzielen, die Entstehung einer „Digitalen Kluft“ (‘Digital Divide’) in
der Gesellschaft zu vermeiden. Vor dem Hintergrund dieser Gefahr ist es Auf-
gabe der Politik, allen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zum Internet zu
ermöglichen. Wir haben die große Chance, die Wirkungen der Internet-Wirt-
schaft im Sinne von „Wohlstand für alle“ zu nutzen. Dies setzt voraus, dass die
Teilhabe aller an der Verbreitung und Nutzung der neuen Medien als leitendes
Prinzip gilt. Um eine gesellschaftliche Spaltungslinie zwischen „Angeschlosse-
nen“ und „Ausgeschlossenen“ zu verhindern, muss die gleichberechtigte Teil-
habe der Menschen an den Möglichkeiten der modernen Informations- und
Kommunikationstechniken und der freie Zugang zu qualitativ hochwertigen
Informationen gesichert werden.

Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über eine gute, in Teilbereichen sogar
vorbildliche technische Telekommunikationsinfrastruktur. Der gemessen am
enormen Potenzial für Wachstum und Beschäftigung noch zu geringe Grad der
Verbreitung und der Nutzung moderner Informations- und Kommunikati-
onstechniken hängt daher auch nicht mit einem mangelnden Angebot an Tele-
kommunikationstechnik, sondern eher mit der Höhe der Anschaffungs- und
laufenden Kommunikationskosten sowie zu geringer Angebote bei nutzer-
freundlichen Inhalten und Bedienungsmöglichkeiten zusammen. Mit der welt-
weit vorbildlichen Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes wurde die
Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich die Telekommunikationsinfrastruk-
tur durch Wettbewerb weiterentwickeln kann, in dem alle Anbieter einem per-
manenten Modernisierungsdruck unterworfen und einem produktiven Kosten-
und Kreativitätsdruck ausgesetzt sind. In den Bereichen, in denen nach wie vor
Monopole bestehen, schafft die Regulierungsbehörde für Post und Telekommu-
nikation die Voraussetzungen für Wettbewerb. Ziel der Koalition ist es, mög-
lichst auf allen Märkten faire Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen.

Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass in der laufenden Legislaturperiode ent-
scheidende Weichenstellungen für die Weiterentwicklung der Rahmenbedin-
gungen für den elektronischen Geschäftsverkehr vorgenommen worden sind.
Auf EU-Ebene wurde die Europäische Richtlinie über elektronische Signaturen
verabschiedet. Auf der Grundlage dieser Richtlinie hat die Bundesregierung am

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/5246

16. August 2000 den Entwurf eines Gesetzes über Rahmenbedingungen für
elektronische Signaturen beschlossen, mit dem das geltende Signaturgesetz
dem gemeinsamen europäischen Standard angepasst wird. Dieses neue Signa-
turgesetz regelt die erforderliche Sicherheitsinfrastruktur für elektronische Sig-
naturen mit Rechtswirkung im Geschäftsverkehr.

Die am 17. Juli 2000 in Kraft getretene EG-Richtlinie über bestimmte recht-
liche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elek-
tronischen Geschäftsverkehrs, die bewährte Grundsätze des deutschen Infor-
mations- und Kommunikationsdienstegesetzes (IuKDG) aufnimmt, schafft
europaweit die wesentlichen wirtschafts- und zivilrechtlichen Rahmenbedin-
gungen für den elektronischen Geschäftsverkehr. Im Interesse einer zügigen
Umsetzung in nationales Recht begrüßt der Deutsche Bundestag, dass die Bun-
desregierung in den ersten Monaten dieses Jahres einen Referentenentwurf zur
Umsetzung der Richtlinie vorlegen und parallel dazu in einem gesonderten Ge-
setzgebungsverfahren die Benachteiligungen deutscher Anbieter gegenüber
den europäischen Wettbewerbern im Bereich des Rabatt- und Zugabewesens
abbauen wird.

Verlässlichkeit und Datensicherheit sind zunehmend wichtiger Bestandteil des
elektronischen Geschäftsverkehrs, wie dies im Bericht über die Erfahrungen
mit dem IuKDG deutlich wurde. Neben der Fortentwicklung der Rahmenbe-
dingungen für elektronische Signaturen hat die Bundesregierung vielfältige na-
tionale und internationale Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit im In-
ternet initiiert und unterstützt. Dazu gehört das klare Bekenntnis zum freien
Zugang und zur Unterstützung der Verbreitung von starken kryptographischen
Verfahren. Zu den notwendigen vertrauensbildenden Maßnahmen gehören
auch wirksame Garantien der Anbieter von Informationen und Leistungen,
beim Umgang mit den Daten ihrer Kunden deren Persönlichkeitsrechte zu wah-
ren. Eine umfassende Novellierung und Modernisierung des gesamten Daten-
schutzrechtes wird deshalb vorbereitet.

Einen zunehmend wichtigen Bereich der Internet-Wirtschaft stellen Selbstregu-
lierungsmechanismen dar. Wichtige Meilensteine im Bereich der Selbstregulie-
rung wurden in der von der Bundesregierung unterstützten branchenübergrei-
fenden Unternehmensinitiative D21 realisiert. Gemeinsam mit den Unterneh-
men der Initiative D21 und Verbraucherschutzorganisationen wurde u. a. ein
Katalog von Qualitätskriterien für Online-Angebote an private Verbraucher
entwickelt, der beispielhaft die Möglichkeiten der Selbstregulierung durch die
Wirtschaft zum Schutze des Verbrauchers beim elektronischen Handel aufzeigt.

3. Förderung von e-Commerce und Mittelstand

E-Commerce, die Abwicklung von Geschäftsprozessen über das Internet treibt
den Strukturwandel dynamisch voran. Nach Schätzungen werden in diesem
Jahr mit e-Commerce lediglich 3 bis 5 Mrd. DM Umsatz erzielt. Die Wachs-
tumsraten allerdings betragen rund 100 Prozent pro Jahr. Der Großteil des e-
Commerce wird zwischen den Unternehmen stattfinden.

Start-ups entwickeln innovative Geschäftsmodelle auf der Basis des e-Com-
merce. E-Commerce erlaubt große Steigerungen der Produktivität. Kleine und
mittlere Unternehmen entwickeln neue Möglichkeiten, weltweit anzubieten.

Wer weiterhin am Markt erfolgreich sein will, muss e-Commerce nutzen, um
Effizienz- und Absatzpotentiale zu realisieren.

Besonders kleine und mittlere Unternehmen sollten die Möglichkeiten noch
stärker nutzen. Deshalb unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie im Rahmen der Initiative „Kompetenzzentren für den elektroni-
schen Geschäftsverkehr zur Unterstützung von kleinen und mittleren Unterneh-

Drucksache 14/5246 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

men“ 24 regionale Kompetenzzentren zur umfassenden Information, Beratung
und Schulung sowie Bildung von Netzwerken. Ergänzend dazu werden seit
April 2000 branchenspezifische Modellvorhaben gefördert. Mit einer Reihe
von Unternehmenswettbewerben werden innovative Internet-Entwicklungen
und Multimedia-Anwendungen ausgezeichnet. Hierzu gehören der „Deutsche
Internet-Preis“ und der „Gründerwettbewerb Multimedia“, die jährlich ausge-
richtet werden. Weitere Projekte fördern neue Sicherheitsstandards für das On-
line-Banking („Fair Pay“), multimediale und mobile elektronische Arbeits-
plätze (MAP und Telearbeit) sowie die technische Realisierung von
Abstimmungen per Internet („Internet-Wahlen“).

Die öffentliche Verwaltung muss sich umfassend modernisieren, um die in
Dienstleistungen für Wirtschaft und Bürger in der für die „New Economy“ not-
wendigen Schnelligkeit und Qualität vorzulegen. Organisationsentwicklung
und Einführung von IT-Systemen müssen verknüpft werden. Nur so lassen sich
die Effizienzpotentiale der modernen Informationstechnologie realisieren.

Mit dem bislang größten Multimedia-Pilotprojekt Deutschlands Me-
dia@Komm schafft die Bundesregierung Anreize für die Kommunen, dass
kommunale Leben ins Netz zu verlagern. In enger Innovationspartnerschaft
bauen Wirtschaft, Verwaltung und Bürger gemeinsam „digitale Rathäuser“ und
„digitale Marktplätze“ auf. Im Mittelpunkt steht die umfassende Einführung
des sicheren elektronischen Geschäfts- und Rechtsverkehrs auf Basis der digi-
talen Signatur.

4. Open Source

Auf dem Softwaremarkt findet in weiten Teilen kein Wettbewerb statt. Micro-
soft beherrscht den Markt für Textverarbeitungs- und Tabellen-Kalkulations-
Programme mit einem Anteil von 90 Prozent. Wer digital mit anderen zusam-
menarbeiten will, ist fast gezwungen, sich jeweils die neueste Version der Mic-
rosoft Software zu beschaffen und die Hardware, die leistungsfähig genug ist,
um die immer komplexer werdenden Programme laufen zu lassen. Eine Aus-
weg aus dieser wettbewerbsrechtlich problematischen Situation könnte Open
Source bieten.

Open Source ermöglicht es, Wettbewerb und Kommunikationsfähigkeit unter-
schiedlicher Software-Lösungen sicherzustellen. Der Quellcode – quasi die
Sprache in der das Programm geschrieben ist – ist frei zugänglich, daher kann
jede Software so konfiguriert werden, dass die Kommunikationsfähigkeit
sichergestellt ist.

Open-Source-Software setzt sich mehr und mehr gegen proprietäre Software
durch. Sie eröffnet die Möglichkeit, stabilere und den jeweiligen Bedürfnissen
der Benutzer besser angepasste Produkte zu erhalten. Insbesondere aber kommt
diesen in Fragen der IT-Sicherheit und der Interoperabilität vor allem in sicher-
heitsrelevanten Bereichen zunehmende Bedeutung zu. Gleichzeitig muss der
Einsatz von Open-Source-Produkten einen kontinuierlichen Evaluierungs- und
Verbesserungsprozess unterliegen.

Open Source heißt wörtlich: freie Quelle. Frei bezieht sich auf die 3 Grundfrei-
heiten, die die Open Source Bewegung definiert hat:

1. Freiheit, die Arbeitsweise des Programmes zu verstehen und es für
eigene Zwecke einzusetzen, dazu wird der Quellcode offengelegt

2. Freiheit, das Programm egal für welchen Zweck einzusetzen

3. Freiheit, Kopien anzufertigen sowie das Programm zu verändern und
weiterzugeben, im gewerblichen wie auch im privaten Gebrauch.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/5246

Der Deutsche Bundestag begrüßt die Förderung von Open-Source-Produkten
und fordert die Einführung von unter Open-Source-Lizenz erstellten Produkten
in der Bundesverwaltung, vor allem in sicherheitsrelevaten Bereichen.

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Bundesministerien sich der Einfüh-
rung von Open Source öffnen. So hat die für Koordinierungs- und Beratungs-
stelle der Bundesregierung für Informationstechnik in der Bundesverwaltung
(KBSt) kürzlich gemeinsam mit dem Linuxtag einen Workshop durchgeführt.
Festgestellt wurde: OSS ist kostengünstiger, da es stabiler läuft und weniger
Wartungskosten verursacht. Updates müssen nur dann eingesetzt werden, wenn
sie tatsächlich gebraucht werden. Schon jetzt wird im Bundesamt der Finanzen,
im Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums, in der Bundesanstalt für
Landwirtschaft und Ernährung in bestimmten Bereichen Open Source einge-
setzt. Vorbereitet werden weitere Pilotprojekte in einzelnen Referaten.

Open Source sollte überall in der Verwaltung eingesetzt werden, wo damit Kos-
ten gespart werden können.

Open Source stellt eine besondere Chance für die europäische Softwarebranche
dar. Zum ersten Mal gibt es hier ein Feld, in dem die USA nicht führend ist.
Diese Chance muss genutzt werden. Das Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie hat bereits 1999 die Fortentwicklung von Open Source
Sicherheitskomponenten gefördert.

5. Veränderungen am Arbeitsmarkt

Die informationstechnologisch gestützte ökonomische Entwicklung muss
durch erhöhte Wettbewerbsfähigkeit für wirtschaftliches Wachstums und Be-
schäftigung genutzt werden. In der Informationswirtschaft sind zurzeit rund
1,74 Millionen Menschen beschäftigt. Für die künftige Entwicklung schätzt das
von der Bundesregierung beauftragte Rheinisch-Westfälische Institut für Wirt-
schaftsforschung, dass die Internet-Wirtschaft bis zum Jahr 2010 einen Netto-
effekt von 750 000 Arbeitsplätze auf dem deutschen Arbeitsmarkt bewirken
kann. Die vorliegenden Prognosen verdeutlichen, dass weiterer Bedarf nach
tiefergehenden Analysen der schwierigen Frage der Rückkoppelungseffekte
der IuK-Technolgien in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen besteht. Eine
entsprechend verantwortungsvolle staatliche Politik kann mithelfen, dass in der
gesamten Wertschöpfungskette der informations- und kommunikationstechni-
schen Anwendungen neue Arbeitsplätze entstehen: Netzinfrastruktur, Netz-
leistung, Server, Provider, Inhalte, Content-Providing, Endgeräte, Software,
Consulting und Systemlösungen. Gleiches gilt z. B. für die Aus- und Weiterbil-
dung, die Telemedizin zur Verbesserung der gesundheitlichen Vorsorge oder
die Anwendung von Telematik zur Reduzierung ökologischer Belastungen.

Es ist davon auszugehen, dass insbesondere der Umfang von Telearbeit in den
kommenden Jahren zunehmen wird. Neben der technischen Entwicklung ist die
gestiegene Akzeptanz der Arbeitnehmer eine Ursache hierfür. Die wachsende
Aufgeschlossenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber For-
men der Telearbeit darf aber nicht geschwächt werden durch eine Verschlechte-
rung ihres sozialen und rechtlichen Status und ihrer gewerkschaftlichen und be-
trieblichen Vertretung. Staatliche Politik steht deshalb vor der Aufgabe, bei der
Beseitigung von Modernisierungshemmnissen sorgfältig darauf zu achten, dass
Arbeitnehmerrechte bewahrt werden und das soziale Sicherungssystem nicht
beschädigt wird.

Die Qualifikationsanforderungen und Arbeitsinhalte werden sich verändern
und neue Berufsbilder entstehen. Die berufliche Qualifizierung – gerade von
Arbeitslosen – wird zu einem Schlüsselfaktor. Arbeit wird individualisiert und
vom Betrieb ausgelagert. Arbeitszeiten und Arbeitsprozesse werden flexibili-
siert. Im Kontext der Veränderungen der Wirtschafts- und Beschäftigungsstruk-

Drucksache 14/5246 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

tur wandeln sich auch Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten. Der
Wandel der Arbeitsorganisation von traditioneller, funktionaler Arbeitsteilung
in Richtung prozessorientierter, kooperativer Arbeitsformen stellt andere
Anforderungen an Wissen und Kompetenzen. Dieser Wandel der Arbeitsorga-
nisation ist gekennzeichnet u. a. durch eine Aufgabenintegration, verbunden
mit einer Ausbreitung von Gruppenarbeit, durch das Zusammenspiel von
Dezentralisierung, Enthierarchisierung und Eigenzuständigkeit sowie durch die
Einführung von Zielvereinbarungen als neuem Steuerungsinstrument. Mit der
Internationalisierung der Wirtschaft geht schließlich zum einen eine Zunahme
von Tätigkeiten in internationalen Arbeitszusammenhängen sowie zum ande-
ren das Entstehen eines internationalen Arbeitsmarktes insbesondere für hoch-
qualifizierte Arbeitskräfte einher.

Im Rahmen des Bündnis für Arbeit haben sich Industrie, Gewerkschaften und
Regierung auf ein Bündel von Maßnahmen geeinigt, mit dem langfristig bis
2005 ein Gesamtwachstum des Fachkräfteangebots von 250 000 Personen er-
reicht und kurzfristig die Zahl von Aus-, Weiterbildungs- und Umschulungs-
angeboten gesteigert werden kann. Bereits bis Ende 2000 wurden in den neu
geschaffenen Multimedia-Berufen 40 000 Ausbildungsplätze geschaffen. Im
nächsten Jahr werden es 60 000 sein. Mit der Green Card-Regelung verfügen
die deutschen Unternehmen nun auch bezogen auf das Aufenthaltsrecht über
die notwendige Rechtssicherheit und können ab dem 1. August 2000 den in
Deutschland bestehenden Mangel an IT-Spitzenkräften durch die Einstellung
von IT-Experten aus Nicht-EU-Staaten ausgleichen.

6. Neue Anforderungen an die Bildungspolitik

In der Netzwerkwirtschaft wird Wissen zur zentralen Produktivkraft. Vor dem
Hintergrund der erforderlichen Bildungsqualifikationen der Bürgerinnen und
Bürger kommt der Bildungspolitik und damit der Investition in Humankapital
zentrale Bedeutung zu. Die Wirtschaft ist einem beschleunigten technischen
und organisatorischen Wandel unterworfen, der große Auswirkungen auf die
erforderlichen Qualifikationen der Beschäftigten hat.

Die Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitskräften wächst, während die
Nachfrage nach einfachen Qualifikationen sinkt. Die Nachfrage nach Hoch-
schulabsolventen wird in Zukunft grundsätzlich eher zu- als abnehmen. Nur
wenn rechtzeitig die Qualifikationen für die neuen Technologien angeeignet
werden, können die Beschäftigungspotentiale genutzt werden. Die Menschen
müssen die Chancen nutzen. Es ist die Aufgabe des aktivierenden Staates,
dabei zu unterstützen.

Im Hinblick auf diese Veränderungsprozesse müssen die Bildungsinstitutionen
auf allen Ebenen und Unternehmen adäquate Ausbildungsangebote entwickeln,
um ihrer Verantwortung für die Absolventen gerecht zu werden. Deshalb berei-
tet die Koalition einen Gesetzentwurf zu Jobrotation vor.

Studierende werden noch besser und auch in anderen Strukturen ausgebildet
werden müssen. Im Bereich der Hochschulausbildung gilt es Studienangebote
mit zunehmend differenzierten Qualifikationsprofilen anzubieten. In diesem
Zusammenhang fördern gestufte Studienabschlüsse die flexible Verknüpfung
zwischen Hochschule und Arbeitsmarkt. Eine stärker gestufte Organisation des
Studiums ermöglicht eine neuartige Abfolge von Bildungs- und Ausbildungs-
abschnitten sowie integrierte Phasen der Erwerbstätigkeit und verbessert die
Möglichkeiten, die Hochschulausbildung an die Veränderungen des Arbeits-
marktes anzupassen. Die Unternehmen in der Internet-Wirtschaft tragen daher
erhebliche Mitverantwortung für den Praxisbezug des Studiums und die Ar-
beitsmarktintegration der Absolventen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/5246

Schnelle technologische Entwicklung und soziale wie wirtschaftliche Verände-
rungen haben zur Folge, dass in vielen Berufen das einmal formal erworbene
Wissen schneller veraltet. Die im Rahmen einer Schul- und Hochschulerstaus-
bildung vermittelten Kompetenzen bedürfen zum Erhalt der Beschäftigungsfä-
higkeit der kontinuierlichen Erneuerung, Ergänzung und Erweiterung. Das
Konzept des „lebensbegleitenden Lernens“ gewinnt daher zunehmend an Be-
deutung. Diese Notwendigkeit wird verstärkt durch den raschen Wandel der
Arbeitswelt und den Verlust der Gewähr eines lebenslangen Arbeitsplatzes in
einem Unternehmen. Im Hinblick auf den gegenwärtigen Fachkräftemangel der
Internet-Wirtschaft besteht daher ein grundlegender Beitrag des Beschäfti-
gungssystems in der konkreten Formulierung von quantitativen wie qualitati-
ven Qualifikationsanforderungen an das Bildungssystem.

II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung im Rahmen der
finanzpolitischen Leitlinien auf:

1. die angekündigten Aktivitäten der Bundesregierung im Rahmen des 10-
Punkte-Programms „Internet für alle“ des Bundeskanzlers (z. B. Angebot
eines „Internet-Zertifikats“ für Arbeitslose) zügig umzusetzen;

2. ihre Aktivitäten im Rahmen der branchenübergreifenden Unternehmensini-
tiative „D21“ und im „Forum Informationsgesellschaft“ zu verstärken, um
die Gefahr einer „Digitalen Kluft“ in Deutschland zu vermeiden und auf
diese Weise zu einer umfassenderen Verbreitung des Internet in Wirtschaft
und Gesellschaft beizutragen;

3. mit dem von der Bundesregierung im Sommer 2000 gestarteten Forschungs-
auftrag „Monitoring Informationswirtschaft“ Stand und Entwicklung der In-
ternet-Wirtschaft systematisch zu erfassen und die Ergebnisse halbjährlich
zu veröffentlichen, auf deren Grundlage tragfähige Konzepte für die Wirt-
schaftspolitik entwickelt werden können;

4. das im 10-Punkte-Programm angekündigte Projekt „eGovernment –
BundOnline 2005“ nach Möglichkeit bereits vor dem Jahr 2005 umzuset-
zen, um frühzeitig staatliche Dienstleistungen für die Bürger bereichsüber-
greifend elektronisch anzubieten und die verstärkte Nutzung der Informati-
onstechnik für eine informationstechnisch gestützte Reform der öffentlichen
Verwaltung zu nutzen;

5. bei den anstehenden Gesetzgebungsvorhaben auf dem Gebiet des Urheber-
rechts zu prüfen, ob und in welcher Hinsicht die bestehenden urheberrechtli-
chen Regelungen an die Bedingungen digitaler Medien angepasst werden
müssen. Dabei geht es darum, auch im Bereich der digitalen Technologien
unter Berücksichtigung der durch Artikel 14 des Grundgesetzes geschützten
Rechte der Urheber zu praktischen Ergebnissen zu kommen, die den Interes-
sen der Nutzer an einem freien Zugang zu Informationen und den Interessen
der Produzenten digitaler Technologien Rechnung tragen;

6. Vorhaben zur Erstellung einer Roadmap für eine nachhaltige Informati-
onstechnik in Deutschland zu initiieren und eine realistische Einschätzung
der ökologischen Auswirkungen des Einsatzes neuer Informations- und
Kommunikationssysteme vorzunehmen, wie dies bereits mit dem am
11. Mai 2000 vom Deutschen Bundestag beschlossenen Antrag der Koaliti-
onsfraktionen „Strategie für nachhaltige Informationstechnik“ (Bundestags-
drucksache 14/2390) formuliert wurde;

7. die neu entwickelte Kultur der Selbständigkeit zu unterstützen, da Multime-
dia-Start-ups in besonderem Maße für Wachstum und Beschäftigung sorgen;

Drucksache 14/5246 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

8. Projekte zu unterstützen, die sich mit der Verbesserung der Bediener-
freundlichkeit neuer Informations- und Kommunikationstechniken, insbe-
sondere für Behinderte und Senioren, auseinandersetzen;

9. Open-Source-Software zu fördern und alle Voraussetzungen zur Einfüh-
rung von Open Source in der Bundesverwaltung zügig zu schaffen;

10. gemeinsam mit den Ländern der Wissenschaft den freien Zugang zu Daten
und Informationen zu sichern, den Universitäten eine neue Rolle auf dem
Weg in die Informationsgesellschaft bei der Wissensvermittlung (z. B. vir-
tuelle Studiengänge), der Wissensgewinnung (z. B. virtuelle Forschungs-
verbünde) und der Anwendung der neuen Technologien (z. B. elektroni-
sche Wahlen zu Selbstverwaltungskörperschaften) zu ermöglichen;

11. in Anlehnung an die G8 IT-Charta die Nutzung und Verbreitung der neuen
Medien in ein modernes entwicklungs- und außenwirtschaftspolitisches
Konzept zu integrieren;

12. die Meinungsfreiheit im Internet zu gewährleisten und in den mit der Wei-
terentwicklung der Informationsgesellschaft befassten internationalen Gre-
mien auf Ebene der EU, der OECD und der G8-Staaten mit Nachdruck für
die Wahrung der Meinungsfreiheit in digitalen Diensten einzutreten und
zugleich das Recht der Bürger zu wahren, sich ohne Überwachung aus all-
gemein zugänglichen Quellen zu informieren;

13. einen der neuen Medienwirklichkeit angepassten und effektiven Jugend-
medienschutz zu gewährleisten. Dabei kann es nicht das Ziel sein, diejeni-
gen zu kriminalisieren, die lediglich den Zugang zu den Datennetzen
ermöglichen, aber keinen Einfluss auf die Inhalte nehmen können.
Maßnahmen wie Zensur, die Verpflichtung zur automatischen inhaltlichen
Filterung oder eine generelle Überwachung elektronischer Kommunikation
können für demokratisch verfasste Staaten nicht in Betracht kommen. Ne-
ben der Förderung teilnehmerautonomer Filtertechnologien, mit der Nutzer
(z. B. Erziehungsberechtigte) bestimmte Inhalte „ausblenden“ können, gilt
es junge Menschen in die Lage zu versetzen, kompetent und verantwor-
tungsbewusst mit diesem neuen Medien umzugehen. Hinzu kommt der
notwendige Aufbau von werbe- und gewaltfreien Kinderportalen;

14. ein hohes Niveau an IT-Sicherheit zu gewährleisten, da ohne den wirksa-
men Schutz der Vertraulichkeit, Identität und Integrität von Kommunika-
tion und hohe wirksame Garantien für den Schutz der Privatsphäre keine
ausreichende Akzeptanz der neuen Technologien zu erwarten ist;

15. die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die im 10-Punkte-Programm
von Bundeskanzler Gerhard Schröder angekündigten steuerpolitischen
Maßnahmen zügig umgesetzt werden können, und weiterhin aktiv auf eine
diskriminierungsfreie Besteuerung des Internet-Handels in den laufenden
Verhandlungen auf europäischer und internationaler Ebene hinzuwirken;

16. Projekte zu fördern, die die Möglichkeiten des netzbasierten Lernens für
mehr Weiterbildung nutzen und damit dem Konzept des lebenslangen Ler-
nens Rechnung tragen und keine Hemmschwellen dadurch aufbauen, dass
Wissensdefizite oder die Schwierigkeit, diese zu beheben, personenbezo-
gen registriert werden;

17. den für die weltweite Internetverwaltung wichtigen ICANN-Prozess aktiv
zu begleiten und ihre Anstrengungen zur Verbesserung der Möglichkeiten
zur schnellen und effektiven außergerichtlichen Streitbeilegung zum Do-
main Namen Schutz und der Durchsetzung bestehender Rechte im Verga-
beverfahren auf nationaler und internationaler Ebene zu verstärken;

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/5246

18. noch in dieser Legislaturperiode einen ausführlichen Zwischenbericht über
den Umsetzungsstand des nationalen Aktionsprogramms der Bundesregie-
rung „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des
21. Jahrhunderts“ sowie der europäischen Initiative „e-Europe 2002 – eine
Informationsgesellschaft für alle“ vorzulegen.

Berlin, den 7. Februar 2001

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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