BT-Drucksache 14/3862

Förderung der Handlungsfähigkeit zur zivilen Krisenprävention, zivilen Konfliktregelung und Friedenskonsolidierung

Vom 7. Juli 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

07. 07. 2000

Antrag

der Abgeordneten Uta Zapf, Brigitte Adler, Rainer Arnold, Ingrid Becker-Inglau,
Wolfgang Behrendt, Rudolf Bindig, Dr. Eberhard Brecht, Hans Büttner (Ingolstadt),
Ursula Burchardt, Detlef Dzembritzki, Petra Ernstberger, Gabriele Fograscher,
Lilo Friedrich (Mettmann), Uwe Göllner, Angelika Graf (Rosenheim), Monika
Griefahn, Reinhold Hemker, Frank Hempel, Monika Heubaum, Gerd Höfer, Ingrid
Holzhüter, Johannes Kahrs, Hans-Ulrich Klose, Karin Kortmann, Robert Leidinger,
Tobias Marhold, Lothar Mark, Heide Mattischeck, Markus Meckel, Ulrike Merten,
Ursula Mogg, Christoph Moosbauer, Volker Neumann (Bramsche), Gerhard
Neumann (Gotha), Manfred Opel, Kurt Palis, Albrecht Papenroth, Georg
Pfannenstein, Johannes Pflug, Reinhold Robbe, Dieter Schloten, Dagmar Schmidt
(Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Regina Schmidt-Zadel, Volkmar Schultz
(Köln), Ilse Schumann, Dr. R. Werner Schuster, Rolf Stöckel, Joachim Tappe,
Adelheid Tröscher, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Inge Wettig-Danielmeier,
Helmut Wieczorek (Duisburg), Verena Wohlleben, Peter Zumkley, Dr. Peter Struck
und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Dr. Uschi Eid, Angelika Beer, Rita
Grießhaber, Jürgen Trittin, Dr. Angelika Köster-Loßack, Kristin Heyne, Irmingard
Schewe-Gerigk, Helmut Wilhelm (Amberg), Christine Scheel, Claudia Roth
(Augsburg), Christian Sterzing, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Förderung der Handlungsfähigkeit zur zivilen Krisenprävention, zivilen Konflikt-
regelung und Friedenskonsolidierung

Der Bundestag wolle beschließen:

Die vielfältigen humanitären und gewalttätigen Krisen stellen die internationale
Staatengemeinschaft immer wieder vor große Herausforderungen. Häufig wird
erst reagiert, wenn die Schwelle zur Gewalt deutlich überschritten wird oder
Krisen und Konflikte katastrophale Ausmaße annehmen. Die Chancen, huma-
nitäre Krisen, Kriege oder gewalttätige Konflikte erfolgreich zu verhindern,
sind am größten, wenn auf der Grundlage einer fundierten und permanenten
Konfliktanalyse frühzeitig gehandelt wird.

In der Regel sind sowohl strukturelle Krisenursachen als auch die Krisenherde
lange vor der gewaltsamen Eskalation bekannt. Die Bereitschaft, im Bereich
der zivilen Krisenprävention und Krisenreaktion die Lücke zwischen Früh-
erkennung, Frühwarnung und frühzeitigem Handeln zu schließen, ist noch zu
zaghaft entwickelt. Krisen müssen möglichst früh auf die internationale Tages-
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ordnung gesetzt, Aktionspläne zur Beobachtung und Eindämmung entwickelt
und entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden. Auch für den Bereich der
internationalen Politik gilt, dass sich Vorbeugung lohnt.

Dies betrifft insbesondere auch die langfristige strukturelle Vorbeugung durch
Förderung einer am Leitbild des gerechten Interessenausgleichs orientierten
Entwicklung, die über eine Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen, ökolo-
gischen und politischen Verhältnisse in den Partnerländern zum Abbau struktu-
reller Ursachen von Konflikten sowie zur Förderung von Mechanismen gewalt-
freier Konfliktbearbeitung beiträgt.

Angesichts der Vielzahl von Krisenherden und der Komplexität der Konfliktla-
gen sind einzelne Staaten oder Organisationen mit der Problemregelung häufig
überfordert. Zivile Krisenprävention, friedliche Konfliktregelung und Friedens-
konsolidierung haben vor allem dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie subsidiär,
multilateral und multidimensional angelegt sind, wenn verschiedene staatliche,
wirtschaftliche und gesellschaftliche Akteure und vor allem konfliktvermit-
telnde Kräfte aus den Konfliktregionen zusammenwirken. Um die Wirksamkeit
und Effizienz zu steigern, müssen die Aktivitäten und Programme auf nationa-
ler, regionaler und internationaler Ebene aufeinander abgestimmt und koordi-
niert werden. Dies erfordert ein Höchstmaß an Kommunikation, Koordination,
Kooperation und Management-Fähigkeiten sowie den Abbau von Doppelstruk-
turen, Überlappungen und institutionellen Rivalitäten.

I. Der Deutsche Bundestag

1. unterstützt die Bundesregierung bei ihrem Vorhaben, einen verstärkten Bei-
trag zur zivilen Krisenprävention, zivilen Konfliktregelung und Friedens-
konsolidierung zu leisten. Er würdigt und begrüßt hierbei die zahlreichen
Maßnahmen und Beiträge, die die Bundesregierung in diesem Zusammen-
hang bereits auf den Weg gebracht hat.

Hierzu zählen u. a.



die Arbeiten an einem Rahmenkonzept für eine Politik der zivilen Krisen-
prävention und zivilen Konfliktregelung



der Beitrag der Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsident-
schaft und der in Helsinki beschlossenen Politik zur Stärkung und Aus-
weitung ihrer Fähigkeit zu Krisenprävention und Konfliktregelung der
Europäischen Union



die Initiative und der Beitrag zum Stabilitätspakt in Südosteuropa



die unter deutscher Präsidentschaft von den G8-Außenministern ins Le-
ben gerufene Initiative zur Konfliktprävention



die Einrichtung eines nationalen Ausbildungszentrums zur Vorbereitung
von Personal für internationale Friedensmissionen

der Vereinten Natio-
nen und der OSZE



die verstärkte Ausrichtung der Entwicklungspolitik auf den Abbau struk-
tureller wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Konfliktursachen und
die Stärkung von Mechanismen gewaltfreier Konfliktbearbeitung



die entsprechenden substanziellen Beiträge der Entwicklungspolitik zur
multilateralen Entschuldung, zur Armutsbekämpfung, zum Schutz der
Umwelt und der natürlichen Ressourcen, zur Förderung der regionalen
Kooperation sowie zur Stärkung von Menschenrechten, Zivilgesellschaft
und demokratischen Strukturen
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die ergriffenen Maßnahmen zur Förderung von regionalen Kooperatio-
nen, zur Stärkung von Zivilgesellschaft und demokratischen Strukturen
in Partnerländern sowie weitere entwicklungspolitische Instrumente zur
zivilen Krisenprävention



die Mitgliedschaft der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung im Bundessicherheitsrat und die auch darin zum
Ausdruck kommende Betonung eines erweiterten Sicherheitsbegriffes



der Aufbau eines Zivilen Friedensdienstes in der Entwicklungszusam-
menarbeit



die Ausweitung des personellen Beitrags für zivile Polizeimissionen



die Ergänzung des zivilen Beitrags zum Stand-by-Abkommen für frie-
denserhaltende Maßnahmen im Rahmen der Vereinten Nationen durch
die Formalisierung des angestrebten militärischen Unterstützungsbeitrags



die Unterstützung der Bemühungen der Vereinten Nationen für ein effek-
tives Sanktionssystem



die von der Bundesregierung seit 1996 alljährlich in die Generalver-
sammlung der Vereinten Nationen eingebrachten und im Konsens ange-
nommenen Resolutionen zur „Friedenskonsolidierung durch praktische
Abrüstungsmaßnahmen“



die Förderung von Initiativen der EU, der OSZE und der Vereinten Natio-
nen zur Bekämpfung der destabilisierenden Anhäufung und Verbreitung
von Kleinwaffen und das Engagement für die weltweite Festlegung eines
Mindestalters von 18 Jahren für Soldaten



die verstärkte Unterstützung der VN-Hochkommissarin für Menschen-
rechte, die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten im Auswärti-
gen Amt und die Unterstützung der Initiative zur Einrichtung eines unab-
hängigen, deutschen Menschenrechtsinstituts



den aktiven Beitrag und die maßgebliche Rolle bei der Einrichtung des
Internationalen Strafgerichtshofs



die Wiederaufnahme der staatlichen Förderung der Friedens- und Kon-
fliktforschung



die Verankerung des Menschenrechtskriteriums im Rahmen ihrer restrik-
tiven Rüstungsexportpolitik

2. begrüßt die Initiativen, die z. B. im Rahmen der Vereinten Nationen, der
OSZE, der EU, des Europarats und der G8 zur Beseitigung der strukturellen
Gewaltursachen sowie zur Stärkung der operativen Fähigkeiten zur zivilen
Krisen- und Gewaltprävention in die Wege geleitet wurden und erwartet,
dass sie mit Nachdruck umgesetzt und ausgeweitet werden;

3. begrüßt das Ziel und die Initiativen des Generalsekretärs der Vereinten Nati-
onen, von einer Politik der Reaktion zu einer Politik und Kultur der Präven-
tion zu gelangen. Er betrachtet das „Internationale Jahr für die Kultur des
Friedens“ (2000) sowie die „Internationale Dekade für eine Kultur des Frie-
dens und der Gewaltfreiheit für die Kinder der Welt“ (2001 bis 2010) als
willkommene Gelegenheit, um in der Bundesrepublik Deutschland für sub-
stanzielle Beiträge zu einer aktiven Kultur des Friedens und der Gewaltfrei-
heit zu werben;

4. dankt den Kirchen, Menschenrechtsorganisationen, humanitären Organisati-
onen und Entwicklungsorganisationen und vielen anderen Nichtregierungs-
organisationen für ihre unverzichtbaren Beiträge zur Krisenprävention und
konstruktiven Konfliktlösung.
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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. auf der Basis eines Rahmenkonzepts für eine Politik der zivilen Krisenprä-
vention und Konfliktregelung die Effektivierung und Koordination der Maß-
nahmen in diesem Bereich voranzutreiben, Handlungsoptionen der Bundes-
regierung zu definieren und die in den nächsten Jahren aufzubauenden
Fähigkeiten und Instrumente der Bundesrepublik Deutschland weiter zu ent-
wickeln. Dabei sollen auch neue Formen der Zusammenarbeit zwischen
staatlichen, nichtstaatlichen und zwischenstaatlichen Akteuren gefunden
werden;

2. die verschiedenen nationalen und internationalen Ansätze für die Einrich-
tung rasch verfügbarer ziviler Friedens- und Katastrophenhilfseinheiten vor-
behaltlos zu überprüfen und mit Nachdruck operativ weiter zu entwickeln;

3. sicherzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen ihrer Au-
ßen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik personell, institutionell und fi-
nanziell in der Lage ist, einen ihrem politischen und ökonomischen Gewicht
angemessenen Beitrag zur internationalen zivilen Krisenprävention, Kon-
fliktregelung und Friedenskonsolidierung zu leisten. Dies gilt sowohl für die
Begrenzung und Beseitigung struktureller Krisenursachen als auch für den
Bereich der raschen Reaktionsfähigkeiten;

4. sich weiterhin für die Stärkung und Reform der Vereinten Nationen ein-
schließlich des Sicherheitsrates einzusetzen und hierbei vor allem



darauf zu achten, dass das Monopol der Vereinten Nationen zur Ermäch-
tigung von Einsätzen nach Kapitel VII der VN-Charta bewahrt, die Rolle
des Generalsekretärs gestärkt und die für friedenserhaltende Maßnahmen
zuständige Abteilung der Vereinten Nationen personell verstärkt wird



ihre Beiträge zum Stand-by-Arrangement der VN im Bereich ziviler Poli-
zisten sowie Juristen und Verwaltungsexperten wo möglich auszuweiten
und den vorgesehenen militärischen Stand-by-Beitrag für friedenserhal-
tende Einsätze der Vereinten Nationen ausreichend zu quantifizieren



die Erhöhung der freiwilligen Beiträge der Bundesrepublik Deutschland
zu den Organisationen des Wirtschafts- und Sozialbereichs der Vereinten
Nationen, insbesondere zum VN-Bevölkerungsfonds und zum VN-Ent-
wicklungsprogramm zu prüfen



sich für effektivere, zielgenaue und flexible nichtmilitärische Sanktionen
einzusetzen;

5. sich weiterhin intensiv und durch eigene Beiträge für die umfassende Stär-
kung der präventiven und operativen Fähigkeiten der OSZE einzusetzen und
in diesem Zusammenhang



die rasche Verfügbarkeit der neuen Instrumente wie z. B. der „Schnellen
Einsatzgruppen für Expertenhilfe und Kooperation“ (REACT) und des
neu eingerichteten Operationszentrums aktiv und mit Vorrang zu unter-
stützen sowie



die Verbesserung der OSZE-Ausbildung und die Schaffung eines einheit-
lichen Qualifizierungsangebots für alle OSZE-Teilnehmerstaaten zu un-
terstützen;

6. im Rahmen einer verstärkten Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik



weiter aktiv auf die beschleunigte Umsetzung und Fortentwicklung der in
Helsinki und Feira gefassten Beschlüsse des Europäischen Rates zur sub-
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stanziellen Stärkung der nichtmilitärischen Krisenbewältigung hinzuwir-
ken,



der Entwicklung von Einsatzfähigkeiten von nichtmilitärischen Polizei-
kräften und der Einrichtung eines Sonderfonds zur zügigen Finanzierung
von Kriseneinsätzen bei der EU-Kommission besondere Bedeutung zuzu-
messen und dabei auch die Nutzung von bestehenden Instrumenten, ins-
besondere der gemeinschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit, sicher-
zustellen;

7. im Rahmen der G8 auch künftig eine aktive Rolle bei der Formulierung ei-
ner Politik zur zivilen Krisenprävention und zum zivilen Konfliktmanage-
ment zu spielen, u. a. mit dem Ziel, die Initiativen der für Friedensaufgaben
legitimierten Organisationen, allen voran die Vereinten Nationen, flankie-
rend und komplementär zu begleiten;

8. beim Aufbau eines Expertenpools für ziviles Missionspersonal



die internationale Öffnung der Ausbildungskurse und die Teilnahme von
Personen aus Krisenregionen am Trainingsprogramm zu fördern



frauenspezifische Fragen (gender-training) verstärkt zu berücksichtigen



eine langfristig tragfähige personelle und finanzielle Ausstattung des
Trainingsprogramms anzustreben



die berufliche Freistellung bzw. Verfügbarkeit des potenziellen Missions-
personals ggf. durch rechtliche Regelungen zu erleichtern



eine professionelle Einsatzbegleitung, Nachbereitung und Evaluation zi-
viler Friedensmissionen zu gewährleisten;

9. zur Stärkung ziviler Sicherheitsstrukturen in Konfliktgebieten



sich für die Steigerung der Fähigkeiten zur raschen Entsendung von inter-
nationalen Polizeimissionen (CIVPOL) zur Konfliktprävention, zum
Konfliktmanagement und zur Konfliktnachsorge einzusetzen



bei den Vereinten Nationen, der OSZE und der EU für eine ausgewogene
Beteiligung der Mitgliedstaaten zu werben



in Abstimmung mit den Ländern Vorkehrungen zu treffen, dass sich die
Bundesrepublik Deutschland weiterhin beispielhaft mit Beamtinnen und
Beamten von Bund und Ländern an internationalen Polizeimissionen be-
teiligen kann;

10. die Handlungsmöglichkeiten der Entwicklungspolitik zum Abbau struktu-
reller Konfliktursachen sowie zur Stärkung von Mechanismen gewaltfreier
Konfliktbearbeitung vor allem in folgenden Bereichen zu stärken:



Förderung von sozialer Gerechtigkeit und menschenwürdiger Lebensbe-
dingungen, Armutsbekämpfung



Schutz der Umwelt und der natürlichen Ressourcen



Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten
im staatlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich



Förderung der Demobilisierung von Soldaten sowie der demokratischen
und rechtsstaatlichen Einbindung des Sicherheitssektors, Hilfe für ehe-
malige Kindersoldaten, Traumahilfe in Postkonfliktsituationen



Stärkung interner und regionaler Organisationen und Friedensallianzen



Ausweitung und Verbesserung des Zusammenwirkens staatlicher und
nichtstaatlicher Träger der entwicklungspolitischen Krisenprävention
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Ausbau der Einbeziehung von Friedensdiensten außerhalb der traditio-
nellen Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen des zivilen Friedens-
dienstes sowie Beseitigung von Defiziten in der sozialen Absicherung
von Friedensfachkräften



verstärkte Einbeziehung der Wirtschaft in das entwicklungspolitische
Engagement von Krisenprävention und Konfliktbewältigung



Stärkung und Mitgestaltung der multilateralen und europäischen Ent-
wicklungszusammenarbeit im Bereich von Krisenprävention und ziviler
Konfliktbearbeitung;

11. durch konzertierte und kontinuierliche Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit
den Politikansatz der zivilen Krisenprävention und zivilen Konfliktrege-
lung in der Öffentlichkeit zu verankern, damit die „Kultur der Prävention“
wirksam gefördert wird.

Berlin, den 7. Juli 2000

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

Begründung

1. Konflikte sind selbstverständlicher und oftmals produktiver Bestandteil ge-
sellschaftlichen Handelns und sozialen Wandels. Entscheidend ist, dass sich
die Konfliktparteien sowohl im Innern als auch gegenüber ihren Nachbarstaa-
ten ziviler Konfliktregelungsmechanismen bedienen. Dort, wo durch Eigen-
anstrengung der Partnerländer strukturelle Konfliktursachen nicht abgebaut
und interne Mechanismen friedlicher Konfliktregelung nicht gestärkt werden
können und wo sich die zentralen Akteure zunehmend zivilen und nichtmili-
tärischen Konfliktregelungen verweigern, ist internationale Hilfe gefragt.
Dies gilt insbesondere in Fällen eklatanter Verletzungen der Menschen- und
Minderheitenrechte. Die zahlreichen inner- und zwischenstaatlichen Kriege
zeigen jedoch, dass es der internationalen Staatengemeinschaft wiederholt
nicht gelungen ist, den richtigen Zeitpunkt und die richtigen Mittel und Wege
zu finden, um krisenhafte Entwicklungen, Katastrophen und gewaltträchtige
Konflikte frühzeitig zu verhindern. Hier besteht weiterhin großer Handlungs-
bedarf.

2. Die Tatsache, dass das Gros der heutigen bewaffneten Konflikte innerstaatli-
cher Natur ist und mit systematischen Verletzungen der Menschenrechte und
des humanitären Völkerrechts, dem Zerfall staatlicher Ordnungsstrukturen,
politischer Mobilisierung ethnischer und religiöser Konflikte und gezielter
Gewalt gegen die Zivilbevölkerung verbunden ist, erfordert neue Hand-
lungsstrategien und Handlungsinstrumente. Die Erfahrungen im Umgang
mit aktuellen Krisen haben wiederholt deutlich gemacht, dass die traditio-
nellen politischen und militärischen Instrumente der Krisenprävention und
Krisenreaktion nicht ausreichen. Um „den Frieden zu gewinnen“ bedarf es
eines langfristigen strategischen Konzeptes. Neben dem reinen kurzfristigen
Krisenmanagement müssen mehr denn je Maßnahmen längerfristiger Frie-
densentwicklung und Krisenprävention sowie der Friedenskonsolidierung
eingesetzt werden. Dabei ist in Postkonfliktsituationen von einem dualen
Ansatz auszugehen: Auf der einen Seite sollen Entwaffnung und Waffenzer-
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störung vorangetrieben und auf der anderen Seite für die vom Konflikt Be-
troffenen lebenswerte politische, soziale, wirtschaftliche und ökologische
Rahmenbedingungen geschaffen werden.

3. Zivile Krisenprävention, zivile Konfliktregelung und Friedenskonsolidie-
rung sind hochkomplexe und langfristige Aufgaben. Eine Politik der Krisen-
und Gewaltprävention darf sich nicht nur einzelnen aktuellen Katastrophen
oder potenziellen Krisenherden zuwenden. Sie muss sich auch mit der Iden-
tifizierung, Minimierung und Beseitigung struktureller Gewaltursachen be-
fassen. Beide Ansätze sind wichtig und müssen parallel mit Nachdruck auf
vielen Politik- und Akteursebenen verfolgt werden. Trotz der zunehmenden
Bedeutung von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorgani-
sationen haben Regierungen nach wie vor eine Schlüsselrolle. Auch wenn in
diesem Zusammenhang der Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik
eine hervorgehobene Bedeutung zukommt, ist es Aufgabe aller Politikberei-
che, zur zivilen Krisenprävention, zivilen Konfliktregelung und Friedens-
konsolidierung beizutragen. Dabei spielen Fragen der Abrüstung und Rüs-
tungskontrolle sowie einer entwicklungsverträglichen globalen Wirtschafts-,
Finanz- und Umweltpolitik eine besondere Rolle. Hierfür ist die Entwick-
lung einer kohärenten ressortübergreifenden Gesamtstrategie unverzichtbar.

4. Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und der OSZE haben erkenn-
bare Schwierigkeiten, für internationale Friedensmissionen genügend quali-
fiziertes Personal in ausreichender Zahl und in der gebotenen Schnelligkeit
zur Verfügung zu stellen. Auch die logistische und finanzielle Ausstattung
dieser Organisationen bzw. derer Missionen wird den Anforderungen oft nur
unzureichend gerecht. So arbeitet die Internationale Polizeimission im Ko-
sovo, die für die Wiedererrichtung eines staatlichen Gewaltmonopols von
entscheidender Bedeutung ist, mit deutlich weniger als dem für notwendig
erachteten Personal. Auf Grund fehlender ziviler Krisenreaktionskräfte
übernehmen Soldaten dankenswerter Weise häufig auch nicht-militärische
Aufgaben z. B. beim Wiederaufbau oder der Flüchtlingsbetreuung. Aller-
dings kann dies keine Dauerlösung sein. Soldaten müssen von diesen nicht-
militärischen Aufgaben entlastet werden. Eine Verbesserung der zivilen In-
strumente und Mechanismen und der zivil-militärischen Zusammenarbeit ist
dringend erforderlich.

5. Dauerhafte friedliche Konfliktregelungen können nicht von außen und stell-
vertretend erzwungen werden. Auch eine gut gemeinte Einmischung von au-
ßen kann, insbesondere wenn die Vielzahl der militärischen und zivilen
Hilfsorganisationen die ökonomische und soziale Lage vehement beeinflus-
sen, die Krisenlage sogar verschlimmern. Es kommt daher vorrangig auf die
Stärkung interner oder regionaler Organisationen und Friedensallianzen an.
Akteure, die oft schon seit vielen Jahren in der Gesellschaft der Krisenregion
wirken oder spezifische konfliktregulierende Erfahrungen haben, können ei-
nen wichtigen Beitrag zur Früherkennung, Vermeidung oder Minderung von
Gewaltpotenzialen leisten. Eine solche Multi-Track-Diplomacy und der
Ausbau der Public-Private-Partnership gehören zunehmend zum Bestandteil
effektiver ziviler Krisenprävention.

6. Die Vereinten Nationen bzw. deren Unterorganisationen verfügen mittler-
weile über eine zum Teil langjährige Erfahrung im Bereich der Krisenprä-
vention und des Konfliktmanagements. Das Monopol der Vereinten Natio-
nen zur Autorisierung von Gewaltanwendung zur Wiederherstellung des
Friedens nach Kapitel VII der VN-Charta darf nicht angetastet werden. Al-
lerdings ist eine Reform der Vereinten Nationen, insbesondere der Zusam-
mensetzung und Arbeitsweise des Sicherheitsrats anzustreben, welche ihre
Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit stärkt. Mit der „Agenda für den
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Frieden“ (1992) sowie ihrer Ergänzung (1995) haben die Vereinten Nationen
frühzeitig signalisiert, dass eine umfassende Effektivierung der Fähigkeiten
zur Krisenprävention und Krisenreaktion dringend erforderlich ist. Das De-
partment of Peacekeeping Operations hat bei seinen Bemühungen, die
Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen zu erhöhen, deutliche Erfolge zu
verzeichnen. Hier ist vor allem auf die Fortschritte aber auch den dringenden
Handlungsbedarf im Bereich des Aufbaus eines effektiven Stand-by-Sys-
tems und der Ausbildung und Koordinierung zu verweisen. Angesichts der
vielfältigen Erwartungen, die im Bereich der Krisenprävention und Frie-
denssicherung an die Vereinten Nationen herangetragen werden, müssen die
Unterstützungsleistungen verbessert werden.

7. Auf Betreiben der Bundesregierung widmeten sich die Außenminister der
G8-Staaten auf ihrem Treffen im Dezember 1999 in Berlin erstmals dem
Thema Krisenprävention. Im Rahmen eines umfassenden Ansatzes der Kon-
fliktprävention will man sich u. a. mit der Kontrolle des Exports von Klein-
waffen, der Stärkung zivilgesellschaftlicher Kapazitäten, dem Söldnerunwe-
sen und der Förderung regionaler Kooperation im Bereich Wasser und
Energie widmen. Sie vereinbarten „künftig gezielter einen Beitrag zur
Schaffung einer Kultur der Prävention zu leisten, durch politische Anstren-
gungen in ihren eigenen Ländern wie durch Beiträge in den entsprechenden
internationalen Organisationen (allen voran den VN aber auch in Regional-
organisationen …)“. Dabei sagten die G8-Staaten unter anderem zu, die Ver-
einten Nationen und deren Regionalorganisationen bei der Schaffung von
schnellen zivilen Reaktionsfähigkeiten, inklusive Ausbildung und Bereit-
stellung von ziviler Polizei, zu unterstützen.

8. Mit der Charta für Sicherheit und Kooperation in Europa hat die OSZE auf
ihrem Istanbuler Gipfel (November 1999) ihren Willen bekräftigt, eine stär-
kere Rolle in den Bereichen Frühwarnung, Krisenprävention, Konfliktma-
nagement und Friedenskonsolidierung zu übernehmen. Die OSZE hat das
Potenzial, schrittweise zur zentralen Organisation für zivile Krisenpräven-
tion und zivile Konfliktbewältigung in Europa ausgebaut zu werden. Mit
dem Aufbau von „Schnellen Einsatzgruppen für Expertenhilfe und Koopera-
tion (REACT)“, dem Krisenzentrum der Ad-hoc-Koordinierungs- und Pla-
nungsgruppe und der Strategie zum „Kompetenzerwerb durch Schulung“
wurden wichtige Schritte zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit in die
Wege geleitet.

9. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verfügen über eine Fülle von
Instrumenten und Verfahren der nichtmilitärischen Krisenbewältigung, die
effizienter genutzt werden müssen und systematisch weiterentwickelt wer-
den sollten. Auf dem Gipfeltreffen in Helsinki im Dezember 1999 beschloss
der Europäische Rat die Ausarbeitung eines Aktionsplans der zum Ziel hat,
die vorhandenen zivilen Ressourcen und Instrumente im Krisenfall schneller
nutzbar zu machen und durch Synergieeffekte effizienter einzusetzen. Zur
Umsetzung des Aktionsplans von Helsinki wurde ein Koordinierungsme-
chanismus für ziviles Krisenmanagement im Ratssekretariat eingerichtet, an
einer Inventarisierung von zivilen Ressourcen sowie dem Erstellen einer Da-
tenbank wird gearbeitet. Bei der Tagung des Europäischen Rates in Feira
sind eine Studie über konkrete Ziele des zivilen Krisenmanagements sowie
Planziele für internationale Polizeieinsätze verabschiedet worden. Bis 2003
sollen die Mitgliedstaaten der EU in der Lage sein, bis zu 5 000 Polizeibe-
amte für die ganze Bandbreite der von Krisenprävention bis Krisenbewälti-
gung reichenden internationalen Einsätze, davon bis zu 1 000 Polizeibeamte
innerhalb von 30 Tagen, bereitzustellen.
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Um die Fähigkeit der EU, Krisen mit zivilen Mitteln zu bewältigen, ent-
scheidend zu verbessern, haben die Außenminister der EU im Mai 2000 ei-
nen Ausschuss für zivile Aspekte des Krisenmanagements eingesetzt. Die
Kommission hat vorgeschlagen, eine Sonderfazilität für Kriseneinsätze
(Rapid Reaction Facility) einzurichten, um in einer Krise durch Zugriff auf
vorhandene EU-Mittel und -Instrumente schnell und flexibel reagieren zu
können.

Diese umgesetzten bzw. eingeleiteten Maßnahmen sind ein wichtiger Bei-
trag zur Stärkung der europäischen Außen-, Entwicklungs- und Sicher-
heitspolitik. Durch den parallelen Aufbau nichtmilitärischer und militäri-
scher Krisenmanagementfähigkeiten wird die EU im Krisenfall über ein
Spektrum ziviler und militärischer Handlungsmöglichkeiten verfügen. Al-
lerdings bleiben Konfliktprävention und Krisenbewältigung Herausforde-
rungen, die vorrangig mit zivilen Mitteln zu bestehen sind. Dem weiteren
Ausbau dieser Fähigkeiten der EU misst der Deutsche Bundestag deshalb
herausragende Bedeutung bei.

10. Eine Politik, die sich zum Ziel setzt, internationale Gewaltursachen abzu-
bauen, zivile Konfliktlösungen zu unterstützen und die Rahmenbedingun-
gen für einen selbsttragenden gerechten und stabilen Friedensprozess zu
schaffen, kann nur erfolgreich sein, wenn schrittweise die notwendigen
Ressourcen bereitgestellt werden. Der Aufbau einer effektiven Infrastruk-
tur und die Beseitigung struktureller Konfliktursachen benötigen nicht nur
Zeit, sondern auch Personal, Infrastruktureinrichtungen und Geld. Betrach-
tet man die vielfältigen und immensen Folgekosten, die mit dem Ausbruch
gewalttätiger Konflikte verbunden sind, wird deutlich, dass sich Investitio-
nen in die Kriegsverhütung auch unter finanziellen Gesichtspunkten be-
zahlt machen.

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