BT-Drucksache 14/38

Kein Bau einer Magnetschwebebahn Hamburg-Berlin Transrapid-Förderung einstellen

Vom 17. November 1998


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/38 vom 17.11.1998

Antrag der Fraktion der PDS Kein Bau einer Magnetschwebebahn Hamburg-
Berlin - Transrapid-Förderung einstellen =

17.11.1998 - 38

14/38

Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Monika Balt, Dr. Dietmar Bartsch,
Petra Bläss, Maritta Böttcher, Eva-Maria Bulling-Schröter, Roland
Claus, Heidemarie Ehlert, Dr. Heinrich Fink, Dr. Ruth Fuchs, Fred
Gebhardt, Wolfgang Gehrcke-Reymann, Dr. Klaus Grehn, Dr. Gregor Gysi,
Dr. Barbara Höll, Carsten Hübner, Ulla Jelpke, Sabine Jünger, Gerhard
Jüttemann, Dr. Evelyn Kenzler, Dr. Heidi Knake-Werner, Rolf Kutzmutz,
Heidi Lippmann-Kasten, Ursula Lötzer, Heidemarie Lüth, Dr. Christa
Luft, Angela Marquardt, Manfred Müller (Berlin), Kersten Naumann, Rosel
Neuhäuser, Christine Ostrowski, Petra Pau, Dr. Uwe-Jens Rössel,
Christina Schenk, Gustav-Adolf Schur, Dr. Ilja Seifert, und der
Fraktion der PDS
Kein Bau einer Magnetschwebebahn Hamburg-Berlin -
Transrapid-Förderung einstellen

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Die Bundesregierung und besonders der Bundesminister für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen haben sich wiederholt positiv zu der
Magnetschwebebahn als "hochentwickelter Technologie" bekannt.
2. Der Koalitionsvertrag enthält keine klare Aussage zur Strecke
Hamburg-Berlin, für deren Bau der Deutsche Bundestag in der
vorausgegangenen 13. Legislaturperiode mit dem
Magnetschwebebahnbedarfsgesetz (MbG) vom 19. Juli 1996 (BGBl. I S.
1018) die gesetzlichen Voraussetzungen schuf.
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben lediglich - und wie zuvor die
vorausgegangene Bundesregierung - festgelegt, nicht mehr als die
vereinbarten 6,1 Mrd. DM Steuergelder für den Bau der Verbindung
Hamburg-Berlin auszugeben.
3. Das Transrapid-Konsortium hat auf die Aussagen des
Koalitionsvertrages zur Magnetschwebebahn "befriedigt" reagiert und
erklärt, die dem Steuerzahler anzulastenden maximalen Baukosten von 6,1
Mrd. DM einzuhalten und ggf. die Strecke teilweise eingleisig zu bauen.
4. Ungeklärt bleibt weiterhin die Einbeziehung der EU-rechtlich
vorgeschriebenen Trassenpreise (Richtlinie 95/19/EG vom 19. Juni 1995)
in das Finanzierungskonzept. Nach Berechnungen der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN belaufen sich die dafür zu berücksichtigenden Zahlungen
auf 4,2 Mrd. DM in den ersten 20 Betriebsjahren.
5. Die Magnetschwebebahntechnologie wurde in der Vergangenheit
gezielt als Konkurrenz zur Schienentechnologie aufgebaut und
ausgegeben; das Projekt einer Transrapid-Verbindung Hamburg-Berlin
steht auch in direkter Konkurrenz zur bereits bestehenden
Schienenverbindung Hamburg-Berlin, in deren Ausbau seit 1990 als Teil
der "Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" bereits 4 Mrd. DM investiert
wurden. Die Deutsche Bahn AG, die bis 1995 dem Transrapid-Projekt
kritisch gegenüberstand, wurde veranlaßt, als zukünftige
Betreibergesellschaft des Transrapids die eigene Konkurrenz zu einer
bereits bestehenden Schienenverbindung zu fördern und anzukündigen,
nach Fertigstellung keine IC-Züge, sondern nur noch Regional- und
Nahverkehrszüge einzusetzen und somit zu einem massenhaften Wechsel von
Bahnfahrgästen zum Transrapid beizutragen.
6. Die Transrapid-Technik und insbesondere der Bau einer
Magnetschwebebahnverbindung Hamburg-Berlin stößt wie zuvor nur die
Großprojekte "Schneller Brüter Kalkar", "Wiederaufbereitungsanlage
Wackersdorf", "Garzweiler II" und "Eurofighter" auf breite Kritik in
der Bevölkerung. In Brandenburg wurden im Rahmen eines Bürgerbegehrens
80 000 Unterschriften gegen den Bau der Transrapid-Strecke gesammelt;
in Berlin wurde mit 133 000 Unterschriften gegen den Transrapid das
erforderliche Quorum für eine Volksinitiative deutlich überschritten.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, die gesetzlichen Voraussetzungen
für die folgenden Ziele zu schaffen:
1. Das Magnetschwebebahnbedarfsgesetz (MbG) vom 19. Juli 1996 (BGBl.
I S. 1018) wird aufgehoben.
2. Alle Planungs- und Vorbereitungsarbeiten für die Transrapid-
Strecke Hamburg-Berlin werden eingestellt, die entsprechenden Mittel
aus dem Haushalt 1999 (und die Verpflichtungsermächtigungen für
folgende Haushalte) werden gestrichen.
3. Es ist sicherzustellen, daß keine weiteren öffentlichen Gelder in
das Projekt Transrapid fließen. Der Bau einer anderen Referenzstrecke
der Magnetschwebebahn wird nur gestattet, wenn diese nicht in
Konkurrenz zu bestehenden Schienenverbindungen steht, wenn dafür keine
weiteren öffentlichen Mittel erforderlich sind und wenn das Risiko für
Bau und Betrieb einer solchen Verbindung bei der privaten Industrie
bzw. den Betreibern, soweit es sich nicht um die Deutsche Bahn AG
handelt, liegt.
4. Die freiwerdenden Mittel werden für den Ausbau des bestehenden
Schienennetzes verwandt, zunächst für eine Ertüchtigung bzw. den Ausbau
der Schienenverbindung Hamburg-Berlin für maximale Geschwindigkeiten
von 200 Stundenkilometern.
Bonn, den 17. November 1998
Dr. Winfried Wolf
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva-Maria Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann-Kasten
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Dr. Christa Luft
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung
A. Allgemeines
Entgegen den Erkenntnissen und Beschlüssen der Fraktionen BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und SPD wird im Koalitionsvertrag festgehalten: "Die Magnet-
Schwebebahn Transrapid ist eine hochentwickelte Technologie." Dieser
Vertrag nimmt auch positiv Bezug auf die Vereinbarungen zum Bau der
Strecke Hamburg-Berlin und - indirekt - auf das diesem zugrundeliegende
Magnetschwebebahnbedarfsgesetz (MbG) vom 19. Juli 1996, so wenn es in
dieser Vereinbarung weiter heißt:
"Grundlage für die Realisierung des Projekts sind die Vereinbarungen im
Eckpunktepapier zwischen dem Bund, der Deutschen Bahn AG und der
Industrie vom April 1997."
Der positive Bezug auf die Magnetbahn bezieht sich damit explizit nicht
auf eine allgemeine Magnetbahn-Technologie, sondern auf den seit zwei
Jahrzehnten in Erprobung befindlichen "Transrapid".
Im Koalitionsvertrag wird auch festgehalten: "Die Bahnreform muß zum
Erfolg geführt werden." Dies läuft darauf hinaus, daß ab 1999 die
Deutsche Bahn AG in mehrere getrennte Aktiengesellschaften aufgeteilt,
Teile davon privatisiert werden und damit der Schienenverkehr
qualitativ geschwächt wird. Vor diesem Hintergrund erst gewinnt die
jahrzehntelange Fehlinvestition in den Transrapid und das erneute
Festhalten der neuen Koalition an dieser Technologie seine Bedeutung.
Und es sind die Transrapid-Betreiber selbst, die die Magnetbahn-
Technologie als Ersatz für die herkömmliche Schienen-technologie
anpriesen und dabei wiederholt Parallelen zur Eisenbahn-Gründerzeit
zogen und den Eisenbahnpionier Friedrich List ins Feld führten.
Daß solche Parallelen nicht zutreffen, wird gerade dann deutlich, wenn
Lists Aussagen in seiner zentralen Schrift aus dem Jahr 1833 "Über ein
sächsisches Eisenbahn-System als Grundlage eines allgemeinen deutschen
Eisenbahnsystems" mit dem Transrapid-Projekt konfrontiert werden. List
postulierte:
"Der wohlfeile, schnelle, sichere und regelmäßige Transport von
Personen und Gütern ist einer der mächtigsten Hebel des
Nationalwohlstands und der Zivilisation."
1. Kosten
Tatsächlich ist der Transrapid nicht "wohlfeil", sondern extrem teuer.
Während die - zunächst rein privat gekauften und betriebenen -
Eisenbahnen eine Preisrevolution mit sich brachten, sollen die
offiziellen Preise im Transrapid den heutigen - hohen - Tarifen im ICE-
Verkehr entsprechen. Werden die massiven Subventionen und die offenen
Risiken eingerechnet, dann liegen die tatsächlichen Kosten bei einem
Vielfachen derjenigen im konventionellen Schienenverkehr. Bisher
flossen mehr als 2 Mrd. DM an staatlichen Fördergeldern in die
Transrapid-Technologie.
2. Zeitgewinne
Während die Eisenbahntechnik, wie List vorhersagte, eine Reduktion der
benötigten Transportzeiten auf einen Bruchteil der bisher aufgewandten
Zeit mit sich brachte, ist die Zeitersparnis einer Transrapid-
Verbindung im Vergleich zu einer möglichen ICE-Verbindung minimal. Wird
das Erfordernis größerer Umsteigehäufigkeit eingerechnet, dann gibt es
keinerlei Zeitersparnisse. Darüber hinaus sind Zeitersparnisse, die
heute noch im Verkehrssektor erzielt werden können, meist mit einem
unvertretbar hohen Aufwand verbunden. Dies gilt im besonderen Maß für
den Transrapid mit seinem hohen Energieverbrauch und seinen enormen
Lärmemissionen.
3. Sicherheit
Während die Eisenbahntechnik die Sicherheit im Transport erheblich
erhöhte und eine Betriebssicherheit des Schienenverkehrs heute dann
umfassend vorhanden ist, wenn die vorhandene Technik eingesetzt und im
Sicherheitsbereich nicht "gespart" wird, ist bei der
Magnetschwebebahntechnik eine generelle Betriebssicherheit nicht
gewährleistet. Trotz jahrzehntelanger Forschung und mehr als zehn Jahre
andauerndem Probebetrieb auf einer Versuchsstrecke konnten technische
Schwächen und gravierende Sicherheitsmängel nicht beseitigt werden.
Noch im Mai 1997 mußte ein Transrapid-Befürworter wie folgt berichten:
"Mit dem Auftrag, einen neuen, besseren Fahrweg für den Transrapid zu
entwickeln, hatte unser Team die Möglichkeit, eine Probefahrt auf der
Versuchsstrecke mitzumachen. Die Fahrt . . . mußte bei Tempo 220 km/h
abgebrochen werden, da am Fahrweg Probleme aufgetreten waren. . . . Ein
großes Problem sind z. B. Berührungen des schwebenden Fahrzeugs mit dem
Fahrweg, die bei hoher Geschwindigkeit zu Katastrophen führen. Wir
konnten aber Berührungsspuren beobachten, die u. a. durch große
Verformungen der Betonbalken bei Sonneneinstrahlung zustande kamen."
(Frankfurter Rundschau vom 17. Mai 1997).
Die Unreife des Systems gerade hinsichtlich der Betriebssicherheit ist
zumindest bei Teilen der neuen Regierung durchaus bekannt. So
argumentierte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch im Juni 1998 in
einem Änderungsantrag:
"(Wir) fordern die Bundesregierung auf, . . . das Eisenbahn-Bundesamt
unverzüglich mit einer detaillierten Überprüfung der bisherigen
Sicherheits-, Wartungs-, Notfall- und Evakuierungskonzepte für den
Transrapid zu beauftragen." (Drucksache 13/11150).
4. Inkompatibilität Schiene/Magnetbahn
Lists Plädoyer für ein System, das "Personen und Güter" transportiert,
widerspricht einem Transrapid, der ausschließlich Personen befördern
soll. Die Magnetschwebebahntechnik erfordert Parallelverkehre für
Personen und Güter mit nicht miteinander kompatiblen Systemen.
Damit ist eine grundsätzliche Kritik an der Magnetschwebetechnik
ausgesprochen. Die Befürworter der Magnetschwebebahn stellen mit ihren
historischen Verweisen gewissermaßen List auf den Kopf: Dieser
plädierte in der Zeit, als alle Transporte zu Fuß, mit der Postkutsche
oder mit dem Lastkarren erfolgten, für die Schaffung eines neuen,
einmaligen und einheitlichen Systems. Heute existiert dieses
Transportsystem für Personen und Güter in Gestalt des
Schienenverkehrssystems. Dieses System birgt ein erhebliches
Innovations- und Expansionspotential, wie jüngere Entwicklungen (z. B.
Neigetechnik) und die Diskussion um die Flächenbahn gezeigt haben. Der
Schienenverkehr gilt heute weltweit und gerade auch in der EU als
dasjenige Verkehrssystem, das ökologisch vertretbar und ökonomisch weit
günstiger als der Flug- und der Straßenverkehr ist. Offiziell gilt
daher in der EU-Verkehrsplanung der "Vorrang Schiene". Die Versuche der
vorausgegangenen Bundesregierung, die Transrapid-Technik in Europäische
Verkehrsplanungen - etwa in die "Transeuropäische Netze - TEN" - zu
integrieren, sind kläglich gescheitert.
Unter diesen Bedingungen die Transrapid-Technologie fördern und
einsetzen zu wollen, widerspricht ökologischen, ökonomischen und
grundsätzlichen verkehrspolitischen Abwägungen und Orientierung auf
eine einheitliche europäische Verkehrspolitik.
5. Arbeitsplätze
Mit dem Bau der Eisenbahnen war die Schaffung vieler hunderttausender
Arbeitsplätze verbunden. Heute wird - so bei der führenden
Regierungspartei SPD und in den besonders betroffenen Unternehmen
Siemens, Adtranz und Thyssen - für den Transrapid ebenfalls mit dem
Verweis auf Arbeitsplätze argumentiert. Die rot-grüne Landesregierung
in Hessen stimmte im Bundesrat für das Magnetschwebebahn-Gesetz und
begründete dies u. a. mit Arbeitsplätzen in Kassel. Ähnlich wird
vielfach in Mecklenburg-Vorpommern argumentiert, wo erhofft wird, der
Bau der Strecke und der Transrapid-Betrieb würden Arbeitsplätze
schaffen.
Das Bundesministerium für Verkehr behauptete bis 1998, der Bau der
Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin schaffe 18 000 Arbeitsplätze.
Tatsächlich entsteht die Hälfte dieser Jobs durch den Bau der Strecke,
die andere Hälfte wurde aus dem Konsum der Transrapid-Arbeiter
errechnet. Im Klartext: Diese Arbeitsplätze würden bei jeder anderen
Verausgabung der vorgesehenen Mittel - etwa beim Bau neuer Schienenwege
- ebenfalls entstehen. Teilweise hätte der Einsatz dieser Mittel in
anderen Verkehrsbereichen noch einen wesentliche höheren
Beschäftigungseffekt. Vergleichbares gilt für den Betrieb einer
Transrapid-Strecke. Dabei stehen möglichen neuen Arbeitsplätzen beim
Transrapid die durch denselben herbeigeführten Verluste von
Arbeitsplätzen gegenüber. Allein bei der Bahn ist aufgrund des Baus der
Magnetbahnstrecke Berlin-Hamburg mit einem Abbau von mehr als 1 000
Arbeitsplätzen und mit einem jährlichen finanziellen Verlust von 300
Mio. DM zu rechnen.
Wird die erwähnte Inkompatibilität des Transrapids mit der
Schienentechnologie und damit die zerstörende Wirkung, die der
Transrapid auf das gesamte Bahnsystem haben muß, in die Überlegungen
mit einbezogen, dann ist der Beschäftigungseffekt beim Bau einer
Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin in jedem Fall negativ.
B. Zu einzelnen Aspekten
1. Magnetschwebebahnbedarfsgesetz
Der Koalitionsvertrag bezieht sich ausdrücklich positiv auf das
"Eckpunkte-Papier", das zum Bau der Strecke Berlin-Hamburg zwischen dem
Bund, der Deutschen Bahn AG und der Industrie im April 1997
verabschiedet wurde. Damit bezieht er sich indirekt positiv auf das
Magnetschwebebahnbedarfsgesetz. Indem die Regierungsparteien sich
hierzu nicht äußern, soll dieses offensichtlich weiter Gesetzeskraft
haben. Damit bleibt jedoch ein Gesetz in Kraft, das ausdrücklich den
Bau einer Transrapid-Strecke Berlin-Hamburg für erforderlich erklärt.
Damit gelten weiterhin "Eckpunkte" als vereinbart, mit denen das
finanzielle Risiko zum Bau und Betrieb einer Transrapid-Strecke dem
Bund und der Deutschen Bahn AG übertragen wurde - wogegen vor der
Bundestagswahl die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Recht
massive Einwände erhoben.
2. Definition des Bedarfs
Das nach bisheriger Festlegung der Regierungsparteien SPD und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN weiter geltende Magnetschwebebahnbedarfsgesetz stellt in
§ 1 fest:
"Es besteht Bedarf für den Neubau einer Magnetschwebebahnstrecke von
Berlin nach Hamburg über Schwerin. Die Feststellung des Bedarfs ist für
die Planfeststellung nach § 2 des Magnetschwebebahnplanungsgesetzes
verbindlich."
Einmal abgesehen von der Einmaligkeit, daß ein Gesetzgeber einen
"Bedarf" dekretiert, der sich explizit einer wissenschaftlichen
Überprüfung entzieht, muß festgehalten werden: Die Voraussetzungen für
die "Bedarf" besagen, daß
- die Hälfte des Fahrgastaufkommens der Magnetschwebebahn Hamburg-
Berlin aus einer Verlagerung von der Schiene auf die Stelzen kommen
soll, daß also die umweltfreundliche Schiene geschwächt wird
- zum selben Zeitpunkt 1,4 bis 1,6 Millionen Personen mit dem
Transrapid befördert werden sollen, die zuvor "zu Hause geblieben"
wären.
Diese Prognosen für einen Bedarf sind entweder unhaltbar oder
verkehrspolitisch und ökologisch unvertretbar. Bai Beibehaltung der
gesetzlichen Grundlagen wird gerade dieser behauptete Bedarf von der
neuen Bundesregierung erneut bestätigt.
3. Risiko
In der Öffentlichkeit wird der Eindruck erweckt, als werde die neue
Bundesregierung keine "zusätzlichen Kosten" für den Transrapid
einsetzen und damit kein weiteres Risiko eingehen. So heißt es im
Koalitionsvertrag:
"Darüber hinaus (über das Eckpunkte-Papier hinaus; d. Verf.) gehende
Kosten hinsichtlich Investition und Betrieb wird der Bund nicht
übernehmen."
Explizit ist mit dem Verweis und der Zustimmung zum Eckpunkte-Papier
akzeptiert, daß 6,1 Mrd. DM für den Bau der Stecke ausgegeben werden
können. Entsprechend hat das Transrapid-Konsortium zustimmend auf die
Koalitionsaussage reagiert. Darüber hinaus legt gerade dieses
Eckpunkte-Papier fest, "egal was passiert: Die Rechnung begleicht immer
Bonn. Nicht nur der Fahrweg geht auf Staatskosten. Auch die absehbare
Steigerung der Preise für Züge und Technik - Prognose: 4 bis 5 Mrd. DM
- ist letztlich Bonner Risiko." (Der Spiegel 42/1998).
Der Bundesrechnungshof schreibt in seinem Bericht vom 16. Juni 1997 zum
Eckpunkte-Papier: "Aus der Sicht des Bundes wird das Konzept 1997 zu
einer weiteren Verschlechterung seiner Finanzlage führen können" (Seite
9), ". . . wird sich der Bund in einer ungleich ungünstigeren
Verhandlungsposition wiederfinden" (Seite 17/18), spricht von
"Risikoverlagerungen zu Lasten des Bundes" (Seite 18) und stellt fest,
das Industriekonsortium habe "die Möglichkeit, sich über eine
geschickte Ausformulierung eines entsprechenden Wartungskonzepts aus
der Sicht der DB AG und des Bundes vermeidbare Vorteile zu verschaffen"
(Seite 20).
Wenn die neue Regierung es bei den bestehenden Gesetzesgrundlagen für
den Transrapid beläßt, dann geht sie ein unabsehbares Risiko
hinsichtlich wachsender Schadenersatzansprüche ein. Das Eckpunktepapier
stellt ausdrücklich fest: "Bei Abbruch des Projektes aufgrund
veränderter politischer Rahmenbedingungen (. . .) ersetzt der Bund ab
1. Mai 1997 die dann angefallenen Planungskosten und ab Baubeginn alle
Realisierungskosten". Nur eine Kündigung des Eckpunktepapiers kann
solche Schäden begrenzen.
Daß solches im Prinzip möglich ist, belegt auch der Koalitionsvertrag.
Anders als im Fall Transrapid ist darin für zwei umstrittene
Schienenstrecken festgelegt, daß "Alternativen zu bisherigen
Verkehrsplanungen wie der ,Mitte-Deutschland-Bahn' (Kassel-Erfurt-
Chemnitz-Dresden-Görlitz) und der ,Sachsen-Magistrale' (Chemnitz-
Plauen-Nürnberg)" erfolgen sollen. Dabei wurden bei diesen
Schienenprojekten bereits Bauarbeiten im Wert von vielen Millionen Mark
realisiert und konkrete Verträge für den weiteren Bau abgeschlossen.
Wenn in diesen Fällen ein Baustopp als möglich vereinbart wird, dann
muß dies auch im Fall des Transrapids möglich sein.
Dies ist auch deshalb dringend erforderlich, weil nach der
Bundestagswahl offensichtlich die Planungen für den Bau der Strecke
ungebremst fortgesetzt werden. So werden die Planfeststellungsverfahren
für die Strecke Hamburg-Berlin weiter betrieben; im
"Bundesausschreibungsblatt" vom 2. November 1998 wurden Transport und
Einbau der Überbauten für den Fahrweg dieser Magnetbahnstrecke
ausgeschrieben. In letzterer Publikation wird als "Beginn
vorbereitender Maßnahmen" der Termin "5/1998" genannt.
4. Transrapid-Streckenbau nicht mehr Sache des Parlaments
Das zitierte "Magnetschwebebahnbedarfsgesetz" bestimmt auch:
"Die Durchführung der in dieses Gesetz aufgenommenen Maßnahme und deren
Finanzierung bedürfen einer Vereinbarung zwischen dem Bund und den
privaten Projektträgern . . ." (§ 2).
Notwendig ist also nach geltendem Gesetzestext nicht mehr ein neuer
parlamentarischer Beschluß, sondern lediglich eine "Vereinbarung"
zwischen der Bundesregierung bzw. dem Bundesministerium für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen und dem Transrapid-Konsortium. Im Fall
veränderter politischer Konstellationen oder gar einer anderen
Regierungszusammensetzung kann also jederzeit, unter Verweis auf
bestehendes Recht und Gesetz, der Bau der Magnetschwebebahn-Strecke
Hamburg-Berlin mit einer entsprechenden "Vereinbarung" begonnen werden.
Diese Möglichkeit ist gerade dann nicht von der Hand zu weisen, nachdem
sich der neue Bundeskanzler und der neue Bundesminister für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen auch nach der Wahl als Anhänger des Transrapids
und Befürworter einer Transrapid-Verbindung Hamburg-Berlin erklärten.
Umgekehrt hätte die neue Bundesregierung mit ihren Mehrheiten im
Deutschen Bundestag und im Bundesrat jetzt die Möglichkeit, diese
gesetzlichen Grundlagen aufzuheben und damit konkret einen Ausstieg aus
dieser bahnfeindlichen Technologie einzuleiten.
5. Ertüchtigung der Schienenverbindung Hamburg-Berlin
Es gibt vielfältige Planungen für eine schienengebundene Alternative
zur Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin. Welche dieser Planungen
umgesetzt werden soll, bedarf der genaueren Abwägung. Zur Debatte
stehen:
- der Ausbau der bestehenden Strecke über Wittenberge für Tempo 200
km/h (Fahrzeit: 1 Stunde, 55 Minuten, Kosten max. 200 Mio. DM),
- die Tauglichmachung dieser Strecke für Neigetechnikzüge (Fahrzeit:
1 Stunde, 40 Minuten; Kosten für Umbau und Fahrzeuge max. 450 Mio. DM),
- der Bau einer Verbindung Stendal-Uelzen und damit die Verknüpfung
der bereits bestehenden ICE-Strecken Berlin-Hannover und Hannover-
Hamburg (Fahrtzeit: 90 Minuten; Kosten rd. 1 Mrd. DM).
Bei der Entscheidung, wie die Schienenverbindung Hamburg-Berlin optimal
entwickelt werden soll, ist als generelle Orientierung im
Schienenverkehr zu berücksichtigen: Erforderlich ist eine Politik, die
möglichst vielen Menschen einen möglichst bequemen und preislich
vertretbaren Zugang zum Schienenverkehr eröffnet bzw. erhält. Dies ist
die Definition des Prinzips einer "Flächenbahn". Diese Orientierung
widerspricht der Politik, primär große Zentren mit maximalen
Geschwindigkeiten miteinander zu vernetzen. Hinsichtlich der
Geschwindigkeit steht nicht die Reisezeit von Zentrum zu Zentrum,
sondern die "Netzgeschwindigkeit" im Mittelpunkt.
Die genannten Kosten und Fahrzeitgewinne auf der Strecke Hamburg-Berlin
sprechen dafür, die bestehende Verbindung über Wittenberge umgehend zu
optimieren. Dies wäre bereits binnen eines Jahres möglich. Damit würden
im übrigen die 4 Mrd. DM, die seit 1990 im Rahmen der "Verkehrsprojekte
Deutsche Einheit" in den Ausbau dieser Strecke investiert wurden,
wirksam werden. Bereits die Umsetzung dieser Maßnahme und der
stündliche Taktverkehr mit einer Reisezeit von weniger als zwei Stunden
würde den Flugverkehr zwischen Hamburg und Berlin massiv reduzieren und
eine Transrapid-Verbindung auf dieser Strecke illusionär machen.
6. Referenzstrecke
Der Koalitionsvertrag enthält mit der Formulierung
"Unabhängig von der Strecke Hamburg-Berlin soll die Perspektive
hinsichtlich der Weiterentwicklung und Anwendung der
Magnetschwebetechnik in Deutschland - ggf. über eine andere
Referenzstrecke - offengehalten werden"
die Option für den Bau einer anderen Transrapid-Strecke. Zumindest nach
dem Wortlaut des Koalitionsvertrags ist eine solche Referenzstrecke
sogar als zusätzliche Transrapid-Verbindung zur Strecke Hamburg-Berlin
denkbar. Auch wenn es ausschließlich um den Bau einer neuen
Referenzstrecke geht, ist der Einsatz weiterer öffentlicher Mittel für
diese nicht zu verantworten. Dies gilt auch mit Blick auf den
absehbaren Charakter einer solchen alternativen Transrapid-Strecke: Die
bisher diskutierten Strecken verlaufen zu einem größeren Teil durch
Stadtgebiete, gleichzeitig sind sie relativ kurz. Der Transrapid, der
über 300 km/h schnell sein soll, macht für solche Verbindungen keinen
Sinn, schon gar nicht als "Referenzstrecke", mit der potentielle Käufer
aus dem Ausland gewonnen werden sollen. Das gilt insbesondere für die
von der nordrhein-westfälischen Landesregierung jüngst erneut
angebotene Strecke Düsseldorf-Lohausen-Köln-Wahn, die bereits Anfang
der neunziger Jahre als ungeeignet verworfen wurde.

17.11.1998 nnnn

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