BT-Drucksache 14/281

Optimierung des Sicherheits- und Notfallkonzeptes für Nord- und Ostsee

Vom 19. Januar 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/281 vom 19.01.1999

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Optimierung des Sicherheits- und Notfallkonzeptes für Nord- und Ostsee =

19.01.1999 – 281


14/281


Antrag
der Abgeordneten Annette Faße, Ulrike Mehl, Dr. Hans Peter Bartels, Dr.
Axel Berg, Friedhelm Julius Beucher, Petra Bierwirth, Rainer Brinkmann
(Detmold), Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Hans-Günther Bruckmann, Dr.
Michael Bürsch, Marion Caspers-Merk, Dr. Peter Wilhelm Danckert, Christel
Deichmann, Dr. Peter Eckardt, Sebastian Edathy, Marga Elser, Norbert
Formanski, Hans Forster, Arne Fuhrmann, Monika Ganseforth, Iris Gleicke,
Günter Graf (Friesoythe), Angelika Graf (Rosenheim), Monika Griefahn,
Hans-Joachim Hacker, Anke Hartnagel, Klaus Hasenfratz, Hubertus Heil,
Frank Hempel, Gustav Herzog, Monika Heubaum, Reinhold Hiller (Lübeck),
Iris Hoffmann (Wismar), Gabriele Iwersen, Jann-Peter Janssen, Ilse Janz,
Johannes Kahrs, Ulrich Kasparick, Hans-Ulrich Klose, Volker Kröning,
Horst Kubatschka, Konrad Kunick, Detlev von Larcher, Waltraud Lehn, Klaus
Lennartz, Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg), Dr. Christine Lucyga,
Dieter Maaß (Herne), Dirk Manzewski, Christoph Matschie, Heide
Mattischeck, Angelika Mertens, Michael Müller (Düsseldorf), Jutta Müller
(Völklingen), Volker Neumann (Bramsche), Dr. Rolf Niese, Leyla Onur,
Manfred Opel, Holger Ortel, Kurt Palis, Karin Rehbock-Zureich, Reinhold
Robbe, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Thomas Sauer, Horst
Schild, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Olaf Scholz, Gerhard Schröder,
Dietmar Schütz (Oldenburg), Ernst Schwanhold, Bodo Seidenthal, Dr.
Cornelie Sonntag-Wolgast, Wolfgang Spanier, Antje-Marie Steen, Rita
Streb-Hesse, Joachim Stünker, Franz Thönnes, Hedi Wegener, Reinhard Weis
(Stendal), Inge Wettig-Danielmeier, Dr. Margrit Wetzel, Jürgen Wieczorek
(Böhlen), Heino Wiese (Hannover), Dr. Wolfgang Wodarg, Peter Zumkley und
der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Gila Altmann (Aurich), Albert Schmidt (Hitzhofen), Angelika
Beer, Kristin Heyne, Dr. Reinhard Loske, Klaus Wolfgang Müller (Kiel),
Sylvia Ingeborg Voß, Helmut Wilhelm (Amberg) und der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN
Optimierung des Sicherheits- und Notfallkonzeptes für Nord- und Ostsee

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Havarie des Holzfrachters "Pallas", der am 25. Oktober 1998 vor dem
dänischen Esbjerg in Brand geraten war und am 29. Oktober vor der deutschen
Nordseeinsel Amrum strandete, hat eindringlich auf die Gefährdung der
Ökosysteme entlang der gesamten deutschen Küste durch Schiffsunfälle
hingewiesen. Die Havarie hat eine intensive Diskussion um
Fragen des Küsten- und Nordseeschutzes, um Schiffssicherheits- und Ausbildungsstandards, um internationale Seerechtsfragen und vor allem um das bestehende deutsche Sicherheits- und Notfallkonzept bei Schiffshavarien
ausgelöst.
Die Bundesregierung, insbesondere das federführende Bundesministerium für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, setzt sich seit Amtsantritt in Abstimmung
mit den zuständigen Ministerien dafür ein, daß mögliche Schwachstellen im
bisherigen Sicherheitskonzept für die Nord- und Ostsee aufgedeckt und
beseitigt werden. So hat das federführende Bundesministerium für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen den Chartervertrag mit dem Hochseeschlepper
"Oceanic" entgegen den Planungen der Regierung Kohl bei Amtsantritt
verlängert und zwischenzeitlich die dauerhafte Charter eines
Hochseeschleppers europaweit ausgeschrieben.
Im Zuge der "Pallas"-Bergungsversuche haben die Besatzungen aller beteiligten
Schiffe, darunter u. a. die für derartige Fälle vorgehaltenen bundeseigenen
Mehrzweckschiffe "Mellum" und "Neuwerk" sowie der vom Bund gecharterte
Hochseeschlepper "Oceanic", größte Anerkennung für ihren mutigen Einsatz
verdient. Obwohl die Besatzungen ihre Arbeit z.T. unter Lebensgefahr
geleistet haben, konnten die Strandung der "Pallas" und der folgende Austritt
von rd. 60 t Schweröl nicht verhindert werden. Laut World Wide Fund for
Nature (WWF) hat der Ölaustritt zur bisher schwersten Ölverunreinigung des
weltweit einmaligen Ökosystems Wattenmeer und zum Tod von etwa 16 000
Seevögel geführt.
Das nordfriesische Wattenmeer sowie Strände auf Amrum, Föhr und Sylt wurden
durch ausgetretenes Schweröl verschmutzt. Rund jeder vierte Arbeitsplatz in
den Küstenregionen ist im Bereich Tourismus und Fischerei angesiedelt. Sie
sind durch mangelnde Schiffssicherheit, unzureichende Notfallvorsorge und
nicht ausreichende Bekämpfungsmöglichkeiten ebenso bedroht wie die Natur.
Trotz der fehlgeschlagenen Abschleppversuche an der führungslosen
"Pallas", die letztendlich zur Strandung des Schiffes führten, sollten
Spekulationen über mögliche Fehler und Versäumnisse der zuständigen
Stellen bis zur endgültigen Aufklärung der Geschehnisse kein Raum gegeben
werden. Dies um so mehr, als jedem Fachmann klar ist, daß der Erfolg von
Bergungen trotz bester technischer und personeller Voraussetzungen nicht
zu garantieren ist. Im speziellen Fall müssen zudem die Witterungsver-
hältnisse mit aufkommenden Herbststürmen bei der Einschätzung der
Vorkommnisse bedacht werden.
Die Umstände, die zur Strandung der "Pallas" geführt haben, sollen nach
dem Willen der Bundesregierung lückenlos aufgeklärt werden, um hieraus
Konsequenzen für die Verbesserung des Notfallkonzeptes, für das
Notfallmanagement durch Bund und Länder, für die Vorhaltung der
notwendigen Technik, aber auch für die Weiterentwicklung der
Sicherheitsstandards in der internationalen Schiffahrt und einen
verbesserten Wattenmeerschutz ziehen zu können.
Die Aufklärungsarbeit wird die von der Bundesregierung bereits im November
angekündigte unabhängige Expertenkommission unter Berücksichtigung der
Schwachstellenanalyse des Landes Schleswig-Holstein und der seeamtlichen
Untersuchung leisten. Eine solide Aufarbeitung mit konkreten
Schlußfolgerungen und Arbeitsaufträgen ist im Sinne des Schutzes von Mensch
und Umwelt dringend geboten.
Am Ende der Aufklärung der "Pallas"-Havarie muß ein optimiertes Sicherheits- und Notfallkonzept stehen, das die Prävention von Havarien zum Gegenstand hat und ein effizientes Notfallmanagement bei etwaigen Havarien
gewährleistet. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,
1. die detaillierte und schonungslose Aufarbeitung der "Pallas"-Havarie mit allen notwendigen und vorhandenen Mitteln zu unterstützen und voranzutreiben.
2. bereits heute erkennbare Schwachstellen am bisherigen Sicherheits- und Notfallkonzept unverzüglich zu beseitigen, um die Gefahr weiterer Havarien zu minimieren.
3. die angekündigte Expertenkommission zur Aufarbeitung der "Pallas"-Havarie umgehend einzusetzen.

4. der Expertenkommission zu empfehlen, unabhängige Sachverständige, u.
a. aus dem Bereich Umwelt und Naturschutz, Sicherheit, Recht und Bund-Länder-
Zusammenarbeit sowie die mit der maritimen Sicherheit befaßten Verbänden,
Versicherern, Klassifikationsgesellschaften und in diesem Bereich arbeitende
Forschungsgesellschaften, hinzuzuziehen und Hearings zu den zentralen
Sachfragen durchzuführen.
5. die Expertenkommission u.a. mit der Aufarbeitung folgender Punkte zu
beauftragen:
O Erstellung einer exakten Chronologie des Unfall- und
Bergungshergangs vom Beginn der Havarie in dänischen Gewässern und
Ermittlung der zum jeweiligen Zeitpunkt bereitstehenden Einsatzkräfte
sowie der durch dänische und deutsche Behörden sowie privaten Unternehmen
erteilten Einsatzbefehle;
O Analyse der Informationswege zwischen den beteiligten Behörden,
Reedereien sowie Bund und Land, Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen;
O Klärung der Brandursache und -umstände der "Pallas";
O Beurteilung des Notfallverhaltens der "Pallas"-Crew;
O Überprüfung des Notfallmanagements der zuständigen deutschen
Einsatzkräfte vor und nach der Strandung im Hinblick auf die Optimierung
der Zusammenarbeit u. a. mit Reedern, zwischen Dänemark und Deutschland,
dem Bund und den Ländern sowie der Verfahrensabläufe im Bereich des
Natur- und Meeresschutzes und diesbezügliche Vorschläge für die
Weiterentwicklung;
O Analyse von Naturschutz-, nationalem und internationalem See- und Verwaltungsrecht im Hinblick auf die Einbeziehung in das Sicherheitskonzept für Nord- und Ostsee sowie Erarbeitung von
Verbesserungsvorschlägen.
6. die Empfehlungen der Expertenkommission in konkrete Handlungsanweisungen umzusetzen.
7. einvernehmlich mit dem Land Schleswig-Holstein die Folgen für das Ökosystem Wattenmeer zu prüfen, die durch die Bergung bzw. die Belassung der "Pallas" am jetzigen Ort zu erwarten sind, und entsprechend zu
entscheiden.
8. die Vorschläge der Umweltverbände zum Schutz des Wattenmeeres und der Meeresökologie sowie zum weiteren Umgang mit dem Wrack in ihre Entscheidungen miteinzubeziehen.
9. die "Pallas"-Havarie zum Anlaß zu nehmen, um weitergehende Maßnahmen zur Verhinderung von Schiffsunfällen und etwaigen Havarien in folgenden Bereichen zu erarbeiten, zu prüfen und umzusetzen:
O erforderliche vorzuhaltende technische Kapazitäten z. B. an Hochsee- und weiteren Schleppern, Feuer- und Ölbekämpfungsschiffen sowie der erforderlichen Hubschrauber in Nord- und Ostsee;
O technische Ausrüstung von Unfallbekämpfungsschiffen;
O Ausbildung und Training von Rettungsmannschaften und Feuerwehren;
O Hafenstaatkontrollsystem;
O Einrichtung einer zentralen Koordinationsstelle in der Deutschen Bucht, um ein frühes Eingreifen bei Schiffsunfällen sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene sicherzustellen;
O Stand und notwendige Weiterentwicklung bilateraler Übereinkommen mit den Nachbarstaaten;
O notwendige Weiterentwicklung internationaler Übereinkommen zum Schutz der Meere;
O Verbesserung der internationalen Schiffssicherheitsstandards;
O Ausweisung des ökologisch besonders sensiblen Wattenmeeres und
der angrenzenden Seegebiete als "Particular Sensitive Sea Areas"
entsprechend den Richtlinien der Internationalen Schiffahrtsorganisation
(IMO) einschließlich der Verhängung von Durchfahrtverboten für Sub-
Standard-Schiffe.
10. das internationale Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen in seiner Fassung von 1996 möglichst umgehend zu ratifizieren und sich international für ein schnelles Inkrafttreten
einzusetzen.
11. dem 1996 in Kraft getretenen internationalen Bergungsübereinkommen von 1989 möglichst umgehend beizutreten und in deutsches Recht umzusetzen.
12. die Region des nordfriesischen Wattenmeeres bei ihren Bemühungen um einen natur- und umweltverträglichen Tourismus zu unterstützen.
Bonn, den 19. Januar 1999
Annette Faße
Ulrike Mehl
Dr. Hans Peter Bartels
Dr. Axel Berg
Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth
Rainer Brinkmann (Detmold) Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Hans-
Günther Bruckmann
Dr. Michael Bürsch Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Wilhelm Danckert Christel Deichmann
Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Marga Elser
Norbert Formanski Hans Forster
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Iris Gleicke
Günter Graf (Friesoythe) Angelika Graf (Rosenheim) Monika
Griefahn
Hans-Joachim Hacker Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz Hubertus Heil
Frank Hempel Gustav Herzog Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck) Iris Hoffmann (Wismar) Gabriele Iwersen
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick Hans-Ulrich Klose Volker Kröning
Horst Kubatschka Konrad Kunick
Detlev von Larcher Waltraud Lehn
Klaus Lennartz
Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg) Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne) Dirk Manzewski Christoph Matschie Heide
Mattischeck Angelika Mertens
Michael Müller (Düsseldorf) Jutta Müller (Völklingen) Volker
Neumann (Bramsche) Dr. Rolf Niese
Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Kurt Palis
Karin Rehbock-Zureich Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann Thomas Sauer
Horst Schild
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Olaf Scholz
Gerhard Schröder
Dietmar Schütz (Oldenburg) Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wolfgang Spanier Antje-Marie Steen
Rita Streb-Hesse Joachim Stünker
Franz Thönnes
Hedi Wegener Reinhard Weis (Stendal) Inge Wettig-Danielmeier Dr.
Margrit Wetzel
Jürgen Wieczorek (Böhlen) Heino Wiese (Hannover)
Dr. Wolfgang Wodarg
Peter Zumkley,
Dr. Peter Struck und Fraktion Gila Altmann (Aurich)
Albert Schmidt (Hitzhofen) Angelika Beer
Kristin Heyne
Dr. Reinhard Loske
Klaus Wolfgang Müller (Kiel) Sylvia Ingeborg Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

19.01.1999 nnnn

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