Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.03.2023, Az. 4 StR 451/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2023, 1911

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Gegenstand

Räuberischer Diebstahl: Erfüllung des Tatbestandsmerkmals "auf frischer Tat betroffen"; Anwendung des Nötigungsmittels im Rahmen der sog. Nacheile


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. Juli 2022 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte im Fall [X.] 1 der Urteilsgründe verurteilt worden ist;

b) in den verbleibenden Strafaussprüchen;

c) im Ausspruch über die Einziehung des Pkw [X.], amtliches Kennzeichen         .

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und wegen Diebstahls in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Außerdem hat es [X.] getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.].

2

1. Die Verurteilung des Angeklagten in Fall [X.] 1 der Urteilsgründe wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls nach § 252 i.V.m. §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat keinen Bestand.

3

a) Nach den Feststellungen entwendete der Angeklagte aus einem unversperrten Schuppen ein E-Bike, um es für sich zu behalten. Dabei wurde er von dem Geschädigten beobachtet, der daraufhin mit seinem Pkw die Verfolgung des mit dem Fahrrad davon fahrenden Angeklagten aufnahm. Nach kurzer [X.] verlor der Geschädigte ihn aus den Augen. Unterdessen war der Nebenkläger, der [X.] des Geschädigten, über den Diebstahl informiert worden. Auch er nahm sofort in Begleitung von zwei Freunden mit einem Pkw „die Verfolgung des Angeklagten auf“. Etwa zehn Minuten nachdem sie losgefahren waren und ca. 1,4 Kilometer vom [X.] des Diebstahls entfernt, kam ihnen der Angeklagte auf einer einspurigen Straße in seinem Pkw entgegen. Beide Fahrzeuge hielten an; der Nebenkläger stieg aus, um den Angeklagten zu fragen, ob er vielleicht einen Fahrraddieb gesehen habe. Zunächst hegte der Nebenkläger gegenüber dem Angeklagten noch keinen Verdacht, bis er das gestohlene E-Bike im Inneren des Fahrzeugs des Angeklagten auf den umgeklappten Rücksitzen liegen sah. Er öffnete die linke hintere Tür des Wagens, um das Fahrrad zurückzuerlangen. Als der Angeklagte dies erkannte, fuhr er zügig mit einer Geschwindigkeit von ca. 25 km/h rückwärts, um den Nebenkläger davon abzuhalten, sich den Besitz des Rades zu verschaffen. Durch dieses Fahrmanöver wurde der Nebenkläger, der sich an einem Griff der geöffneten Fahrzeugtür festhielt, einige Meter mitgezogen und ging dann zu Boden.

4

Der Angeklagte setzte zunächst weiter zurück, bis ihm einer der Freunde des [X.] mit seinem Fahrzeug den Weg abschnitt. Daraufhin fuhr der Angeklagte nunmehr vorwärts mit einer Geschwindigkeit von zunächst 50 bis 80 km/h auf den Nebenkläger zu, der sich gerade wieder aufgerappelt hatte und mittig auf der Fahrbahn stand. Ohne auszuweichen näherte sich ihm der Angeklagte, reduzierte jedoch die Geschwindigkeit auf bis zu 20 bis 25 km/h. Als er noch ca. vier bis fünf Meter vom Nebenkläger entfernt war, sprang dieser zur Seite und brachte sich in Sicherheit. Bei dem anschließenden Versuch, neben dem Fahrzeug herzulaufen, zog sich der Nebenkläger erhebliche Verletzungen zu.

5

Der Angeklagte handelte während des gesamten Geschehens in der Absicht, sich im Besitz des E-Bikes zu halten und den begangenen Diebstahl zu verdecken. Dabei nahm er billigend in Kauf, dass sich der Nebenkläger durch das Mitziehen mit dem Fahrzeug und das frontale Zufahren auf ihn erhebliche, auch potentiell lebensgefährliche Verletzungen zuziehen würde.

6

b) Diese Feststellungen ergeben nicht, dass der Angeklagte den Tatbestand des § 252 StGB erfüllt hat.

7

aa) Das Tatbestandsmerkmal „auf frischer Tat betroffen“ im Sinne dieser Vorschrift ist erfüllt, wenn der Dieb noch in unmittelbarer Nähe zum [X.] und alsbald nach der Tatausführung wahrgenommen wird, also im Moment der Wahrnehmung noch ein enger, sowohl örtlicher als auch zeitlicher Zusammenhang mit der Vortat besteht (st. Rspr.; vgl. schon [X.], Urteil vom 8. Juni 1956 – 2 [X.], [X.]St 9, 255, 257; Urteil vom 13. Dezember 1978 – 3 StR 381/78, [X.]St 28, 224, 229 f.; Beschluss vom 4. August 2015 – 3 [X.], [X.], 700 f.). Ist dies der Fall und wendet der Täter in der Folge eines der in § 252 StGB genannten [X.] in [X.] an, kommt es für die Tatbestandsverwirklichung im Übrigen nicht mehr darauf an, dass sich das [X.] gegen eine Person richtet, die ihn auf frischer Tat betroffen hat. Vielmehr genügt es, dass die Nötigungshandlung eine Folge des [X.] ist und zu diesem in einem Bezug steht. Ein derartiger Bezug ist auch dann noch gegeben, wenn das [X.] im Rahmen der sogenannten [X.] angewendet wird. Voraussetzung hierfür ist, dass der Täter in unmittelbarem [X.] an das Betreffen auf frischer Tat verfolgt wird und diese Verfolgung bis zu dem Einsatz des [X.]s ohne Zäsur fortgesetzt wird. Ist dies der Fall, kommt es auf einen engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zwischen Vortat und dem Einsatz des [X.]s nicht mehr an (vgl. [X.], Beschluss vom 4. August 2015 – 3 [X.], [X.], 700, 701; [X.] in [X.]/[X.], StGB, 30. Aufl., § 252 Rn. 5/6; [X.], StGB, 70. Aufl., § 252 Rn. 7 f.; [X.] in [X.], 4. Aufl., § 252 Rn. 12; Kindhäuser in [X.], 5. Aufl., § 252 Rn. 18, [X.]. [X.]).

8

bb) Zwar ist der Angeklagte von dem Vater des [X.] bei der Begehung des Diebstahls und damit auf frischer Tat betroffen worden. Die Feststellungen ergeben aber nicht, dass die spätere Anwendung von Gewalt gegen den Nebenkläger in dem erforderlichen Bezug zu diesem Betroffensein auf frischer Tat stand. Der Geschädigte, der den Angeklagten auf frischer Tat betroffen hatte, musste dessen Verfolgung aufgeben. Im [X.]punkt der Gewaltanwendung lag keine zäsurlose Verfolgung mehr vor. Denn der Nebenkläger und seine Freunde haben, nachdem sie Kenntnis vom Diebstahl erlangt hatten, eine eigene, neue Suche nach dem Angeklagten begonnen; dabei hatten sie keine Vorstellung von dessen Person. Ihr Zusammentreffen mit ihm und die Erkenntnis von seiner Täterschaft beruhten nicht auf Wahrnehmungen, die „auf frischer Tat“ gemacht wurden, sondern waren eher dem Zufall geschuldet.

9

c) Damit kann auch die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr nicht bestehen bleiben, denn die Strafkammer ist insoweit von Tateinheit ausgegangen (vgl. [X.], Beschluss vom 9. November 2022 – 4 StR 272/22, [X.] 2023, 108 Rn. 8; Urteil vom 2. Februar 2005 – 2 StR 468/04 Rn. 28; Beschluss vom 20. Juni 2001 – 3 [X.] Rn. 18; [X.] in [X.], [X.], 26. Aufl., § 353 Rn. 8; [X.] in KK-[X.], 9. Aufl., § 353 Rn. 17, [X.]eils [X.]).

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auch die Annahme einer Strafbarkeit des Angeklagten gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB durch das Zufahren auf den Nebenkläger von den Feststellungen nicht getragen wird, da sich aus ihnen die Situation eines „[X.]“ nicht ergibt (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 26. Juli 2011 – 4 [X.], [X.], 217 f.; Beschluss vom 23. Februar 2010 – 4 [X.], [X.], 572, 573; [X.], StGB, 70. Aufl., § 315b Rn. 16 ff. [X.]). Eine solche könnte jedoch schon bei der vorangegangen Rückwärtsfahrt des Angeklagten eingetreten sein, als sich der Nebenkläger am Griff der Fahrzeugtür festhielt und der Angeklagte versuchte, ihn abzuschütteln (vgl. dazu [X.], Urteil vom 27. April 1995 – 4 StR 772/94, [X.], 334, 335; Pegel in [X.], 4. Aufl., § 315b Rn. 54b). Sollten sich auch insofern keine Feststellungen mehr treffen lassen, kommt zudem ein Versuch nach § 315b Abs. 2 StGB in Betracht, wenn der Angeklagte mit bedingtem Schädigungsvorsatz gehandelt und damit auch billigend in Kauf genommen hat, dass der Nebenkläger konkret gefährdet werde (vgl. [X.], Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 [X.], [X.]St 48, 233; Beschluss vom 4. September 1995 – 4 StR 471/94, NJW 1996, 329, 330; Beschluss vom 4. Oktober 1988 – 4 [X.], [X.], 119).

2. Auch die Einziehung des Pkw [X.], den der Angeklagte nach den Feststellungen in Fall [X.] 1 der Urteilsgründe geführt hat, hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

Der [X.] hat dazu in seiner Antragsschrift vom 24. November 2022 ausgeführt:

„Die auf § 74 Abs. 1 StGB gestützte Einziehung des Pkw [X.] kann indes keinen Bestand haben. Zwar wird den Feststellungen zu den Schulden des Angeklagten in Höhe von 28.000 Euro, die zumindest auch aus der Finanzierung „seines Pkw“ resultieren ([X.]), noch zu entnehmen sein, dass der Pkw im Alleineigentum des Angeklagten steht (§ 74 Abs. 3 Satz 1 StGB). Die knappe Begründung der Einziehung ([X.]) lässt indes nicht erkennen, dass sich das [X.] bewusst war, eine Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 11. Januar 2022 – 3 StR 415/21; 30. April 2019 – 4 [X.]). Eingedenk der oben genannten Feststellungen, die auf einen nicht unbeträchtlichen Wert des Fahrzeugs hindeuten, versteht sich dies vorliegend auch nicht von selbst (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Mai 2020 – 2 StR 44/20, juris Rn. 11).“

Dem schließt sich der Senat an und weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass es sich bei einer Einziehungsentscheidung, durch die dem Angeklagten ein Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen wird, um einen bestimmenden [X.] im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 [X.] handelt (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 2. Dezember 2020 – 4 [X.] Rn. 5; Beschluss vom 20. Oktober 2020 – 4 [X.], [X.], 714; Beschluss vom 11. Februar 2020 – 4 [X.], [X.], 407, 408; [X.], StGB, 70. Aufl., § 46 Rn. 71 [X.]).

3. Bereits die Aufhebung der Verurteilung in Fall [X.] 1 der Urteilsgründe entzieht dem [X.] die Grundlage. Der Senat hebt auch die Einzelstrafen für die sechs Diebstähle auf (Fälle [X.] 2 bis 7 der Urteilsgründe), um es dem neuen Tatgericht zu ermöglichen, bei der Strafzumessung auch für diese Taten die Einziehung des Pkw in den Blick zu nehmen, sofern diese auch im zweiten Rechtsgang wieder angeordnet wird. Denn dieser Umstand ist nicht nur bei der abgeurteilten Tat im Sinne von § 74 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen, sondern auch bei Bemessung weiterer zu verhängender Einzelstrafen und der Gesamtstrafenbildung (vgl. [X.], Beschluss vom 21. November 2018 – 4 StR 332/18, NStZ-RR 2019, 88 [X.]).

4. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben.

Quentin     

  

Bartel     

  

Rommel

  

Scheuß     

  

Messing     

  

Meta

4 StR 451/22

14.03.2023

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Traunstein, 27. Juli 2022, Az: 6 KLs 250 Js 16453/21

§ 252 StGB, § 315b StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.03.2023, Az. 4 StR 451/22 (REWIS RS 2023, 1911)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1911

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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