Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.06.2018, Az. V R 25/15

5. Senat | REWIS RS 2018, 7384

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Gegenstand

(Änderung der Rechtsprechung zu den Rechnungsanforderungen in § 14 Abs. 4 UStG)


Leitsatz

1. Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung setzt nicht voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist (Änderung der Rechtsprechung).

2. Es reicht jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 28. April 2015  10 K 3803/13 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

[X.]wischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger und [X.]evisionsbeklagte (Kläger) aus [X.]echnungen der Firma [X.] ([X.]) den Vorsteuerabzug geltend machen kann.

2

Der Kläger betreibt einen Kraftfahrzeughandel. In den Streitjahren (2009 bis 2011) kaufte er u.a. Fahrzeuge von [X.], der sein Unternehmen im [X.] in die [X.] in [X.] (Inland) verlegt hatte. Unter dieser Adresse hat [X.] dem Kläger die streitbefangenen [X.]echnungen ausgestellt.

3

[X.] hatte in [X.] (Inland) von der dort ansässigen Firma U [X.]äumlichkeiten angemietet. Ob es sich dabei um einen [X.]aum oder nur um den Teil eines [X.]aumes handelte, ist streitig. Unstreitig ist, dass [X.] dort kein Autohaus unterhielt. Er vertrieb ausschließlich im Onlinehandel. Die Fahrzeuge wurden dem Kläger oder seinen Mitarbeitern z.T. in [X.] in der [X.], z.T. an öffentlichen Plätzen --z.[X.] übergeben. [X.]ach dem Vortrag des [X.] kam in dem [X.] an, wurde dort sortiert und bearbeitet und es wurden dort die Akten geführt. Außen am Gebäude befand sich ein Firmenschild mit dem Aufdruck "[X.]". Ob sich dort auch ein Briefkasten befand, ist nicht geklärt. [X.] wurde unter der vorgenannten Anschrift beim Finanzamt T geführt.

4

Im [X.]ahmen einer beim Kläger durchgeführten [X.] gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass Vorsteuerbeträge aus den Eingangsrechnungen des [X.] nicht in Abzug gebracht werden könnten, weil die in den [X.]echnungen ausgewiesene Anschrift des leistenden Unternehmers tatsächlich nicht bestanden habe. [X.] habe im Inland keine Betriebsstätte. Die Geschäftsadresse diene nur als [X.] ([X.]), an der lediglich von [X.] die Post abgeholt worden sei. Es sei dort nichts vorhanden gewesen, was auf ein Unternehmen hindeute.

5

Der Beklagte und [X.]evisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) folgte der Auffassung der [X.] und erließ am 13. September 2013 geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2009 bis 2011. Mit Verfügung vom 1. Oktober 2013 lehnte es den Antrag des [X.] auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung ([X.]) ab. Die hiergegen eingelegten Einsprüche blieben ohne Erfolg.

6

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage statt. [X.] habe unter der in den [X.]echnungen angegebenen Anschrift zwar keine geschäftlichen Aktivitäten entfaltet, denn es sei bereits unklar, ob [X.] überhaupt einen abgeschlossenen [X.]aum oder lediglich eine Teilfläche in einem [X.]aum gemietet habe. Selbst wenn man davon ausgehe, dass [X.] einen ganzen [X.]aum angemietet habe, sei dieser nicht so eingerichtet gewesen, dass dort geschäftliche Aktivitäten hätten stattfinden können.

7

Der Klage sei aber stattzugeben, weil die Angabe der Anschrift i.S. des § 14 Abs. 4 Satz 1 [X.]r. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht erfordere, dass dort geschäftliche Aktivitäten stattfänden. Die anderslautende [X.]echtsprechung des [X.] ([X.]) sei in Anbetracht der technischen Fortentwicklung und der Änderung des Geschäftsgebarens überholt.

8

Im Übrigen habe die Klage auch mit dem Hilfsantrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen Erfolg. Der Kläger habe alles getan, was von ihm zumutbarer Weise verlangt werden könne, um die Unternehmereigenschaft des [X.] und die [X.]ichtigkeit der [X.]echnungsangaben zu überprüfen.

9

Hiergegen richtet sich die [X.]evision, mit der das [X.] Verletzung materiellen [X.]echts (§ 15 Abs. 1, § 14 Abs. 4 UStG) sowie Verfahrensfehler (Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung gemäß § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) geltend macht.

Das [X.] habe im [X.]ahmen seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung aufklären müssen, ob es sich bei den Lieferungen des [X.] um innergemeinschaftliche Lieferungen gehandelt habe; hierfür gebe es zahlreiche Anhaltspunkte.

Im Übrigen scheitere der Vorsteuerabzug daran, dass die [X.]echnungen des [X.] nicht die Anschrift auswiesen, unter der er seine geschäftlichen Aktivitäten entfaltet habe.

Die Gewährung der Vorsteuern im Billigkeitsverfahren komme nicht in Betracht, weil der Kläger nicht alles ihm [X.]umutbare getan habe, um sich von der [X.]ichtigkeit der [X.]echnungsangaben zu überzeugen.

Das [X.] beantragt sinngemäß,
das [X.]-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die [X.]evision zurückzuweisen.

Soweit das [X.] rüge, das [X.] habe nicht aufgeklärt, ob es sich bei den Lieferungen des [X.] um innergemeinschaftliche Lieferungen gehandelt habe, liege neuer, im [X.]evisionsverfahren nicht zu berücksichtigender Sachvortrag vor.

Im Übrigen hätten die [X.]echnungen des [X.] dessen zutreffende Anschrift ausgewiesen. Denn dort habe sich dessen Unternehmen befunden. [X.] habe dort Miete gezahlt, einen eigenen Briefkasten und ein Firmenschild gehabt, geschäftliche Unterlagen dort verwahrt, Post sei dort für ihn angenommen und abgeholt worden und er habe einen Festnetztelefonanschluss unterhalten.

Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 6. April 2016 V [X.] 25/15 ([X.]E 254, 139) ausgesetzt und dem [X.] ([X.]) u.a. folgende Fragen zur Auslegung der [X.]ichtlinie 2006/112/EG des [X.]ates vom 28. [X.]ovember 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSyst[X.]L) vorgelegt:

1. Setzt Art. 226 [X.]r. 5 MwStSyst[X.]L die Angabe einer Anschrift des Steuerpflichtigen voraus, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet?

2. Für den Fall, dass Frage 1. zu verneinen ist:

a) [X.]eicht für die Angabe der Anschrift nach Art. 226 [X.]r. 5 MwStSyst[X.]L eine [X.]?

b) Welche Anschrift ist von einem Steuerpflichtigen, der ein Unternehmen (z.B. des Internethandels) betreibt, das über kein Geschäftslokal verfügt, in der [X.]echnung anzugeben?

Der [X.] hat die erste und die zweite Frage durch Urteil [X.] und [X.] vom 15. [X.]ovember 2017 [X.]/16 und [X.]/16, ([X.]:[X.]) dahingehend beantwortet, dass Art. 168 Buchst. a und Art. 178 Buchst. a i.V.m. Art. 226 [X.]r. 5 MwStSyst[X.]L dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen [X.]egelung entgegenstehen, die die Ausübung des [X.]echts auf Vorsteuerabzug davon abhängig macht, dass in der [X.]echnung die Anschrift angegeben ist, unter der der [X.]echnungsaussteller seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.

Entscheidungsgründe

II.

Die [X.]evision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur [X.]urückverweisung der Sache an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 [X.]O). [X.]war hat das [X.] zu [X.]echt entschieden, dass dem Kläger der Vorsteuerabzug aus den [X.]echnungen des [X.] über die in der [X.] ([X.]) gelieferten Fahrzeuge zusteht. Für einen Großteil der Lieferungen lassen die Feststellungen des [X.] aber keine Beurteilung zu, ob die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG erfüllt sind, weil unklar ist, ob der Lieferer die Umsatzsteuer aus den Lieferungen gesetzlich schuldet.

1. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte [X.]echnung besitzt.

a) Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG hat der Kläger durch den Bezug der von [X.] im Inland gelieferten Fahrzeuge erfüllt. Für 15 v.H. der Lieferungen, die der Kläger von [X.] bezogen hat, hat das [X.] gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O für den [X.] bindend festgestellt, dass die Fahrzeuge "aus [X.] stammten". Der [X.] hat das dahingehend verstanden, dass die Lieferungen in [X.] ausgeführt wurden und die materiellen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG erfüllt sind.

b) Der Kläger besitzt insoweit auch nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte [X.]echnungen. [X.]war erfordert eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte [X.]echnung, dass die [X.]echnung den Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG entspricht, was gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG die Angabe des vollständigen Namens und der vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers erfordert.

Nach bisheriger [X.]echtsprechung des [X.] wird das Merkmal "vollständige Anschrift" in § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nur durch die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers erfüllt, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet; die Angabe eines "Briefkastensitzes" mit nur postalischer Erreichbarkeit, an dem im [X.]eitpunkt der [X.]echnungstellung keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reichte danach als zutreffende Anschrift nicht aus ([X.]-Urteile vom vom 22. Juli 2015 V [X.] 23/14, [X.]E 250, 559, [X.], 914, [X.]z 25; vom 8. Juli 2009 [X.] [X.] 51/07, [X.]/NV 2010, 256, [X.]z 16; vom 30. April 2009 V [X.] 15/07, [X.]E 225, 254, [X.], 744, [X.]z 32, 39; vom 6. Dezember 2007 V [X.] 61/05, [X.]E 221, 55, [X.], 695, [X.]z 33; vom 19. April 2007 V [X.] 48/04, [X.]E 217, 194, [X.], 315, [X.]z 50; vom 27. Juni 1996 V [X.] 51/93, [X.]E 181, 197, [X.] 1996, 620, [X.]z 15).

Hieran hält der [X.] nach dem EuGH-Urteil [X.] und [X.] ([X.]:[X.]) nicht mehr fest. § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG sind vielmehr richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass eine zum Vorsteuerabzug berechtigende [X.]echnung nicht voraussetzt, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten [X.]echnung angegeben ist. Vielmehr reicht jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist. Diese Voraussetzungen erfüllen die von [X.] ausgestellten [X.]echnungen, weil er unter der von ihm angegebenen [X.]echnungsanschrift Post erhalten hat.

c) Für 85 v.H. der streitigen Fahrzeuglieferungen hat das [X.] aber nicht geklärt, ob überhaupt die materiellen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG --hier die vom leistenden Unternehmer "geschuldete Steuer"-- erfüllt sind.

Da die Fahrzeuge nach den Feststellungen des [X.] aus [X.] stammten, [X.] dort seinen Wohnsitz und seine Bankverbindung hatte und in [X.] in [X.] keine geschäftlichen Aktivitäten entfaltete, liegt es nahe, dass die Fahrzeuge bei der Lieferung an den Abnehmer (Kläger) aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gelangt und diese Lieferungen des [X.] an den Kläger deshalb gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei sind. Damit würden die materiellen Voraussetzungen des [X.] nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG nicht vorliegen, weil es an einer vom leistenden Unternehmer "geschuldeten" Steuer fehlen würde. Auch ein Vorsteuerabzug aus [X.] scheidet im Hinblick auf eine Mehrwertsteuer aus, die nur deshalb geschuldet wird, weil sie in der [X.]echnung ausgewiesen ist (EuGH-Urteil [X.] vom 21. Februar 2018 [X.]/16, [X.]:[X.]). Das [X.] wird die erforderlichen Feststellungen zum Ort dieser Lieferungen nachholen.

2. Der [X.]. [X.] des [X.] hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er einer Abweichung von seinem Urteil vom 8. Juli 2009 [X.] [X.] 51/07 ([X.]/NV 2010, 256) zustimmt.

3. [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 25/15

21.06.2018

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend EuGH, 15. November 2017, Az: C-374/16, Urteil

§ 4 Nr 1 Buchst b UStG 2005, § 14 Abs 4 UStG 2005, § 14a UStG 2005, § 15 Abs 1 Nr 1 UStG 2005, § 118 Abs 2 FGO, § 6a UStG 2005, Art 226 Nr 5 EGRL 112/2006, UStG VZ 2010, UStG VZ 2011, UStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.06.2018, Az. V R 25/15 (REWIS RS 2018, 7384)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7384

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Wird zitiert von

6 V 120/17

2 K 710/14

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