Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.09.2020, Az. IV ZR 74/20

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 11174

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2020:230920BIVZR74.20.0

BUN[X.][X.]GERICHT[X.]HOF

BE[X.]CHLU[X.][X.]
IV ZR 74/20
vom
23. [X.]eptember 2020
in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch die Vorsitzende Richterin [X.], [X.] Dr.
Karczewski, [X.], die [X.] und [X.]

am 23. [X.]eptember 2020

beschlossen:

Auf die Beschwerde des
Beklagten
wird die Revision ge-gen das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 4.
März 2020 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß §
544 Abs.
9 ZPO aufgehoben und die [X.]ache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

[X.]treitwert: 278.000

Gründe:

[X.] Die Klägerinnen machen gegen den Beklagten, ihren Bruder, ei-nen Anspruch auf Wertersatz aus einem Vermächtnis geltend. Der Vater der [X.]en war Landwirt in [X.].

. Zu seinem Hof gehörte unter anderem das [X.] [X.]ü.

2, Flurstück 60/12 der Flur 6, Grundbuch von [X.].

Bl. 574 zu einer Größe von

1
-
3
-

1.926 qm. Am 14. Juni 1997 ließen
die Eheleute A.

und T.

F.

ein notarielles Testament beurkunden, in dem es unter anderem heißt:

"

I[X.]

Ich, A.

F.

setze zu meinem Alleinerben und [X.] meines landwirtschaftlichen Hofes [X.]ü.

1, [X.].

meinen [X.]ohn [Beklagter]
ein.

Mein Erbe [Beklagter]
ist verpflichtet, meiner Ehefrau ein Altenteilsrecht sowie ein Wohnrecht in dem Hause
[X.]ü.

2 einzuräumen und dieses [X.] abzusichern.

II[X.]

Ich, T.

F.

setze meinen Ehemann als Vorerben ein. Er ist von allen Beschränkungen und Ver-
[Beklag-ter].

IV.

Nach dem Tode
des Längstlebenden von uns hat unser [X.]ohn und Erbe [Beklagter]
folgende Vermächtnisse aus-zukehren:

1.
Unser Erbe [Beklagter]
hat an seine [X.]chwestern [Klägerinnen]
das Grundstück [X.]ü.

2 mit dem aufstehenden Gebäude zur Größe von ca. 900
qm zu übertragen, und zwar je zur ideellen Hälfte.

2.
[X.]ollte die Übertragung aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht möglich sein, hat er seinen beiden -
4
-
[X.]chwestern einen entsprechenden Geldersatz zu dem festzustellenden [X.]wert dieses Grundstückes auszu-zahlen.

"

Mit notariellem Vertrag vom 17.
Juli 1998 übertrugen der Vater der [X.]en und deren Mutter den Hof im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf den Beklagten. Der Vater der [X.]en verstarb im Juni 1999.
Mit notariellem Vertrag vom 5.
Dezember 2013 veräußerten die Mutter der [X.]en und der Beklagte eine seinerzeit noch zu vermes-sende Teilfläche des seit dem Tod des [X.] der [X.]en in beider Ei-gentum stehenden Flurstücks 60/12 der Flur 6 der Gemarkung
[X.].

einschließlich des darauf befindlichen Wohnhauses zu ei-nem Preis von 300.000

.

GmbH & Co. KG
(im Folgenden: Windparkbetreiberin). In §
10 des Vertrages heißt es unter anderem:

"

Nach Aufgabe der Wohnnutzung durch den Erschienenen zu
1 und Frau T.

F.

sollen im Radius von 400
m um das bisher zu Wohnzwecken genutzten
Gebäude voraussichtlich weitere Windenergieanlagen errichtet wer-

Der Erschienene zu
1 und Frau T.

F.

ver-pflichten sich zur dauerhaften Aufgabe der Wohnnutzung auf ihren bisherigen Wohnsitzen, [X.]ü.

1 und "

Die beabsichtigte Veräußerung des [X.] war den Klä-gerinnen bekannt. Bereits zu dieser [X.] kam es zu erbrechtlichen Ausei-nandersetzungen.

Die Mutter der [X.]en verstarb am 10.
Dezember 2016. Eigentü-merin des Flurstücks 60/14 ist nunmehr die Windparkbetreiberin. Dieser 2
3
4
-
5
-
wurde der Bau und Betrieb einer Windkraftanlage in der Nähe des Grundstücks genehmigt. Eine Wohnnutzung des Gebäudes ist [X.].
Am 28. August 2014 forderte die Klägerin zu 1) den [X.] zur Zahlung von 50.000

auf ("

Das Gleiche gilt für den Erlös von Mutters Haus (unser Erbe) wo V.

und ich uns auf die von [X.] 50.000,-

-
nicht mehr aber auch nicht weniger

"). Mit [X.]chreiben vom 3. [X.]eptem-ber 2014 an beide Klägerinnen
bot der Beklagte eine Zahlung in Höhe von je

welche auf den erst später entstehenden [X.] anzurechnen wäre. Mit E-Mail
vom selben Tag antwortete die Klägerin zu 1, sie und ihre
[X.]chwester würden sich anwaltlich äußern. Zu einer Zahlung kam es in der Folgezeit nicht. Der Beklagte erklärte sich mit [X.]chreiben vom 19. Juli 2017 bereit, das Flurstück 60/14 zurückzuer-werben und den Klägerinnen zu übertragen. Dies wurde von ihnen am 4. August 2017 mit der Begründung abgelehnt, die Übertragung eines Grundstücks mit einer nicht mehr zu Wohnzwecken nutzbaren Bausub-stanz stelle keine ordnungsgemäße Vermächtniserfüllung dar. Zugleich boten sie eine Abfindung des Vermächtnisses gegen Zahlung von

I[X.] Die Klägerinnen nehmen den Beklagten auf Wertersatz für die nicht mehr mögliche Übertragung des Vermächtnisgegenstandes in Höhe von 300.000

lung eines [X.]achverständigengutachtens in Höhe von 278.000

geben.
Das [X.] hat die Berufung des Beklagten zurück-gewiesen. Die
Übertragung des Grundstücks zu Wohnzwecken sei nach der Übereignung an die Windparkbetreiberin
nicht mehr möglich. Für diesen Fall hätten die Erblasser vorgesehen, dass anstelle des [X.] ein Wertersatzanspruch in Höhe des Wertes des 5
-
6
-
vermachten Grundstücks trete. Dieser letztwilligen Verfügung stehe eine abweichende, nachträglich getroffene Vereinbarung zwischen den [X.] und dem Beklagten über die Abgeltung des [X.] nicht entgegen. [X.]ofern der Beklagte mit insoweit nicht nachge-lassenem [X.]chriftsatz vom 2.
Mai 2019 unter Beweisantritt behauptet [X.], es sei zwischen den [X.]en eine Vereinbarung dergestalt zustande gekommen, dass nach Verkauf des [X.] ein Betrag in Höhe von insgesamt 50.000

innen zur Abgeltung des [X.] bezahlt werden solle, sei dieses Vorbringen vom [X.] gemäß §
296a ZPO zu Recht zurückgewiesen worden. Inso-weit vermöge der Beklagte hierzu gemäß §
531 Abs. 1 ZPO auch in der Berufungsinstanz nicht mehr gehört zu werden. Für die Höhe des ge-schuldeten Wertersatzes sei der Wert des [X.] zum [X.]-punkt des Wegfalles des Vermächtnisgegenstandes, mithin im [X.]punkt der Veräußerung maßgeblich, d.h. die Bemessung erfolge unter der Prämisse, dass eine Beeinträchtigung der Wohnnutzung durch einen Windpark nicht bestehe, aber ein Interesse des Windparkbetreibers am Grundstück. Auf dieser Grundlage ergebe sich nach dem [X.]achverständi-gengutachten ein Wert von 278.000

II[X.] Die Beschwerde hat Erfolg und führt gemäß §
544 Abs.
9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der [X.]ache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art.
103 Abs.
1 GG).
Der Beklagte rügt mit Recht, das Berufungsgericht habe sein Vorbringen dazu, dass sich die [X.]en auf eine Abgeltung des Vermächtnisanspruchs durch eine Zahlung in Höhe von insgesamt 50.000

nicht nach §
531 Abs.
1 ZPO zurückweisen dürfen.
6
-
7
-

1.
Gemäß § 531 Abs. 1 ZPO bleiben Angriffs-
und [X.], die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden sind, ausgeschlossen. Diese Vorschrift ist nur anwendbar, soweit Angriffs-
und Verteidigungsmittel in erster Instanz nach §
296 Abs.
1 bis 3 ZPO zu-rückgewiesen worden sind. Bei Vorbringen, welches in erster Instanz nach §
296a ZPO unberücksichtigt bleibt, kommt eine Anwendung des §
531 Abs.
1 ZPO von vornherein nicht in Betracht (vgl. [X.], [X.] vom 27.
Februar 2018 -
VIII ZR 90/17, NJW 2018, 1686 Rn.
15-17; vom 21.
März 2013 -
VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 juris Rn.
10). Dies ergibt sich daraus, dass Vorbringen nach [X.]chluss der mündlichen [X.] gemäß §
296a [X.]atz
1 ZPO als in erster Instanz nicht vorge-bracht gilt. [X.]tützt die [X.] ihr zweitinstanzliches Vorbringen weiterhin hierauf, so handelt es sich um neues Vorbringen, das anhand von §
531 Abs.
2 ZPO zu beurteilen
ist.

Auf dieser Grundlage war es rechtsfehlerhaft, dass das [X.] den Vortrag im [X.]chriftsatz des Beklagten vom 2.
Mai 2019 als von §
531 Abs.
1 ZPO erfasst angesehen hat. Das [X.] hat diesen Vortrag nämlich, wie das Berufungsgericht selbst gesehen hat, lediglich gemäß §
296a ZPO nicht berücksichtigt, weil insoweit keine [X.]chriftsatzfrist nachgelassen gewesen sei.
Bleibt ein
Angriffs-
oder

wie hier

ein
Verteidigungsmittel einer [X.] deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präk-lusionsvorschrift wie des
§ 531 ZPO zu Unrecht zurückgewiesen hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör der [X.] gemäß
Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. [X.], Beschlüsse
vom 19. Mai 2020

[X.], [X.], 481 juris Rn.
8; vom 21. März 2013 -
VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn. 9;
[X.]/Rimmelspacher,
5. Aufl.
§ 531 Rn. 34).
7
8
-
8
-

Das Rechtsmittelgericht darf eine von der Vorinstanz unterlassene Zurückweisung auch weder nachholen noch diese auf eine andere als die von der Vorinstanz angewandte Vorschrift stützen. Das gilt [X.] davon, ob den Gerichten bei der Entscheidung über die Präklusion Ermessen eingeräumt ist. Ein Wechsel der Präklusionsbegründung durch das Rechtsmittelgericht kommt grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. [X.]e-nat, Versäumnisurteil vom 22.
Februar 2006 -
IV
ZR 56/05, [X.]Z 166, 227 Rn.
12; [X.], Beschlüsse vom 21. März 2013 -
VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn. 11; vom 22. April 2010 -
I [X.], NJW-RR 2010, 1478 Rn. 5; [X.]/Rimmelspacher,
5. Aufl., § 531 Rn. 34; Musielak/Voit/Ball,
ZPO 17. Aufl.
§ 531 Rn. 13).

Das Berufungsgericht wird nach Zurückverweisung der [X.]ache zu prüfen haben, ob das Vorbingen des Beklagten in dem [X.]chriftsatz vom 2.
Mai 2019 unter Berücksichtigung des bisherigen [X.]vorbringens überhaupt als neu zu bewerten ist und ob gegebenenfalls einer der Zu-lassungsgründe des § 531 Abs. 2 ZPO vorliegt. Um ein neues Angriffs-
und Verteidigungsmittel handelt es sich dann, wenn ein streitiger Vortrag bis zum [X.]chluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz nicht vor-gebracht und daher im erstinstanzlichen Urteil zu Recht gemäß § 296a ZPO unberücksichtigt geblieben ist ([X.], Beschluss
vom 27. Februar 2018

VIII ZR 90/17, NJW 2018, 1686 Rn. 19). Eine eigene Entschei-dung ist dem [X.]enat schon deshalb verwehrt, weil das Berufungsgericht seine Erwägungen ausschließlich auf § 531 Abs. 1 ZPO und nicht -
zu-mindest auch

auf § 531 Abs. 2 ZPO gestützt hat (vgl.
etwa [X.], [X.] vom 27.
Februar 2018

VIII ZR 90/17
aaO Rn.
11, 18 ff.).

2. Ist das Berufungsurteil bereits aus diesem Grunde aufzuheben und die [X.]ache zurückzuverweisen, so kommt es auf das weitere Vorbrin-9
10
11
-
9
-
gen der Beschwerde, das Berufungsgericht habe zu Unrecht und unter Verstoß gegen Art.
103 Abs.
1, Art.
3 Abs.
1 GG angenommen, dass der Wertersatz vorliegend ausgehend von einem marktangepassten [X.]ach-wert in Höhe von 139.000

m
werterhöhenden Faktor von 2,0 für den "[X.]"
in Bezug auf die Lage des Grundstücks für die
Windkraftbetreiberin, mithin mit 278.000

beim der-zeitigen Verfahrensstand nicht an. Diese Frage kann sich erst stellen, wenn das Berufungsgericht nach Zurückverweisung der [X.]ache über die Zulassung des Vorbringens des Beklagten zu der behaupteten Abfin-dungsvereinbarung gemäß §
531 Abs.
2
ZPO entschieden hat.

[X.]
Prof. Dr. Karczewski
[X.]

Dr. Brockmöller
[X.]

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 10.05.2019 -
7 O 803/17 -

OLG [X.], Entscheidung vom 04.03.2020 -
3 U 89/19 -

Meta

IV ZR 74/20

23.09.2020

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.09.2020, Az. IV ZR 74/20 (REWIS RS 2020, 11174)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11174

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IV ZR 74/20 (Bundesgerichtshof)

Vorbringen nach Schluss der mündlichen Verhandlung: Zurückweisung von erstinstanzlich nicht berücksichtigtem Parteivortrag in der Berufungsinstanz; …


II ZR 117/21 (Bundesgerichtshof)


X ZR 42/20 (Bundesgerichtshof)

Begründungserfordernis bei Widerruf einer Schenkung wegen groben Undanks


VIII ZR 90/17 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 90/17 (Bundesgerichtshof)

Zulässigkeit neuen Vorbringens im Berufungsverfahren: Nichtberücksichtigung des auf den verspäteten Vortrag des Gegners erfolgten, durch …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VIII ZR 90/17

VII ZR 58/12

VI ZR 171/19

I ZR 17/09

IV ZR 74/20

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.