Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.12.2011, Az. 3 StR 374/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 210

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Gegenstand

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach Aufhebung der Gesamtstrafe und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht; Feststellung eines Hangs; kumulative Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und Sicherungsverwahrung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. Juni 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit

a) die Bildung einer Gesamtstrafe unterblieben ist,

b) im [X.].

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hatte gegen den Angeklagten am 23. April 2010 wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung auf eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren erkannt und ihn unter Einbeziehung der durch Urteil des [X.]s Hannover vom 16. Juni 2006 verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hatte es bestimmt, dass wegen der überlangen Verfahrensdauer sechs Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Von der Anordnung einer Maßregel nach § 64 oder § 66 StGB hatte es abgesehen. Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hob der [X.] dieses Urteil im Strafausspruch und soweit die [X.] von der Anordnung einer Maßregel abgesehen hatte auf ([X.]sbeschluss vom 25. November 2010 - 3 [X.], NStZ-RR 2011, 78). Das [X.] hat den Angeklagten nunmehr wegen der verfahrensgegenständlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.

2

Das Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen weitgehenden Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

3

1. Die Begründung, mit welcher das [X.] von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB abgesehen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4

Das [X.] hat für die am 7. Mai 2003 begangene verfahrensgegenständliche Tat eine Freiheitsstrafe von acht Jahren für tat- und [X.] erachtet. An einer Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil des [X.]s Hannover vom 16. Juni 2006 hat es sich mit der Begründung, gehindert gesehen, diese Strafe sei seit dem 10. Mai 2010 vollständig vollstreckt und deshalb erledigt. Es hat sodann im Wege eines Härteausgleichs von der aus seiner Sicht [X.] Freiheitsstrafe von acht Jahren einen Abschlag von zwei Jahren und drei Monaten vorgenommen und auf eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten erkannt.

5

Die [X.] hat dabei verkannt, dass bei Aufhebung einer Gesamtstrafe durch das Revisionsgericht und Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht in der neuen Verhandlung die Gesamtstrafe nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum [X.]punkt der ersten tatrichterlichen Verhandlung vorzunehmen ist (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 3. November 2009 - 3 [X.]; [X.], StGB, 59. Aufl., § 55 Rn. 37). Danach hätte das [X.] seiner Prüfung die Vollstreckungssituation am 23. April 2010 zugrunde legen müssen. Zu diesem [X.]punkt war die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des [X.]s Hannover vom 16. Juni 2006 aber noch nicht vollständig erledigt und deshalb gemäß § 55 StGB gesamtstrafenfähig.

6

Der Rechtsfehler hat sich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt. Das [X.] hat ersichtlich übersehen, dass der [X.] den Strafausspruch des Urteils vom 23. April 2010 gemäß § 301 [X.] ausschließlich zugunsten des Angeklagten aufgehoben hat. Wegen des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 [X.]) war das [X.] deshalb gehindert, die Höhe der Rechtsfolgen der Tat zum Nachteil des Angeklagten zu ändern ([X.], [X.], 54. Aufl., § 358 Rn. 11). Dies ist hier jedoch trotz des vorgenommenen Härteausgleichs geschehen. Denn die für die verfahrensgegenständliche Tat festgesetzte Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten und die gesamtstrafenfähige Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil vom 16. Juni 2006 übersteigen zusammengenommen die Höhe der im ersten Durchgang verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten.

7

Der [X.] kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da sich die Grundlagen für die Bemessung der neuen Gesamtstrafe geändert haben. Der neue Tatrichter wird der Gesamtstrafenbildung neben der Strafe aus dem Urteil vom 16. Juni 2006 die für die verfahrensgegenständliche Tat nunmehr verhängte Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten zugrunde zu legen haben. Zwar ist die Berücksichtigung eines Härteausgleichs bei Bemessung dieser Strafe rechtsfehlerhaft vorgenommen worden. Dieser Rechtsfehler hat sich aber ausschließlich zugunsten des Angeklagten ausgewirkt und ist daher auf seine Revision nicht zu beanstanden. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass aus den oben genannten Gründen auch die vom [X.] als schuld- und tatangemessen angesehene Freiheitsstrafe von acht Jahren gegen das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 [X.] verstieße, da im ersten Durchgang für die verfahrensgegenständliche Tat lediglich eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren festgesetzt worden war.

8

Bei Bildung der Gesamtstrafe wird der neue Tatrichter als Obergrenze die im Urteil vom 23. April 2011 gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten zu beachten haben.

9

2. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB hat ebenfalls keinen Bestand.

a) Das [X.] hat bei der vorrangig anzustellenden Prüfung, ob der Gefährlichkeit des Angeklagten nicht allein durch eine andere Maßregel begegnet werden kann (§ 72 Abs. 1 StGB), dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB mit rechtlich unzureichender Begründung abgelehnt.

Die Delinquenz des mittlerweile 66-jährigen, seit 1972 u.a. mehrfach wegen Sexual- und Gewaltdelikten vorbestraften Angeklagten ging nach den Feststellungen des [X.]s in den hier relevanten Fällen stets mit Alkoholkonsum bzw. Alkoholmissbrauch einher. Auch bei der verfahrensgegenständlichen Tat stand er unter erheblichem Alkoholeinfluss.

Das sachverständig beratene [X.] hat rechtsfehlerfrei eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB infolge eines Zusammenwirkens der Alkoholbeeinflussung bei Tatbegehung und einer diagnostizierten dissozialen Persönlichkeitsstörung auszuschließen vermocht. Die Voraussetzungen des § 64 StGB hat es abgelehnt. Es ist, dem Sachverständigen folgend, zu dem Ergebnis gelangt, dass der Alkoholmissbrauch des Angeklagten nicht den Grad einer manifesten psychischen oder gar körperlichen Abhängigkeit erreicht habe, da der Angeklagte in den letzten eineinhalb Jahren vor seiner letzten Inhaftierung während seines Zusammenlebens mit seiner Verlobten in der Lage gewesen sei, seinen Alkoholkonsum zu kontrollieren und es in jener [X.] zu keinem schwerwiegenden Alkoholmissbrauch gekommen sei. Allein unter Hinweis auf diesen Umstand hat das [X.] auch eine intensive Neigung des Angeklagten, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ausgeschlossen.

Diese Begründung trägt die Ablehnung eines Hanges im Sinne des § 64 StGB nicht. Das [X.] hat zwar seinen Ausführungen zu den Anforderungen an einen Hang im Ansatz einen zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt. Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Feststellung eines Hangs im Sinne des § 64 StGB nicht das Vorliegen eines manifesten Abhängigkeitssyndroms erfordert, sondern hierfür bereits eine intensive Neigung, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ausreichend ist ([X.] aaO, § 64 Rn. 7 mwN). Die [X.] hat sich jedoch nicht dazu verhalten, weshalb der vorübergehend kontrollierte Alkoholkonsum des Angeklagten in der [X.] vor seiner Inhaftierung nicht nur den Ausschluss eines Abhängigkeitssyndroms rechtfertigt, sondern auch gegen eine intensive Neigung des Angeklagten, Alkohol im Übermaß zu sich zu nehmen, spricht. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage war geboten, weil der Sachverständige, dem die [X.] im Übrigen uneingeschränkt gefolgt ist, die kontrollierte Alkoholaufnahme des Angeklagten in der [X.] des Zusammenlebens mit seiner Verlobten lediglich als ausreichendes Indiz für eine fehlende körperliche oder psychische Abhängigkeit angesehen hat. Nach den Urteilsgründen hat sich der Sachverständige hingegen nicht zu der Intensität eines missbräuchlichen Alkoholkonsums des Angeklagten unterhalb der Schwelle einer Abhängigkeit geäußert. Hinzu kommt, dass im angefochtenen Urteil mehrfach auf den vom Angeklagten betriebenen "Alkoholmissbrauch" bzw. auf dessen "Alkoholproblematik", deren Bearbeitung angezeigt sei, abgestellt wird. Vor diesem Hintergrund erschließt sich ohne weitere Begründung die Annahme der [X.] nicht, beim Angeklagten liege auch keine "intensive Neigung" zum übermäßigen Alkoholkonsum vor.

b) Erweist sich danach die Ablehnung einer [X.] nach § 64 StGB als rechtsfehlerhaft, so ist damit zugleich der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung die Grundlage entzogen (§ 72 Abs. 1 StGB). Der [X.] kann nicht ausschließen, dass die [X.], wäre sie vom Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen und hätte sie der [X.] für den Hang zugeschrieben, nicht nur die Gefährlichkeitsprognose, sondern auch eine hinreichend konkrete Aussicht auf eine erfolgreiche Suchtbehandlung und eine damit einhergehende deutliche Verringerung der Tätergefährlichkeit bejaht hätte.

c) Danach muss die Frage der [X.] nach § 66 und § 64 StGB ebenfalls neu verhandelt und entschieden werden. Der neue Tatrichter wird dabei zum einen zu beachten haben, dass Unsicherheiten über den Erfolg allein der milderen Maßnahme zur kumulativen Anordnung von Maßregeln führen ([X.], Beschluss vom 19. Mai 2009 - 3 [X.], [X.], 83). Zum anderen wird er der Prüfung einer [X.] nach § 66 StGB den vom [X.] ([X.], Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) geforderten strengen Maßstab einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" zugrunde zu legen haben. Dabei wird er insbesondere die Frage der Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer schwerer Gewalt- oder Sexualtaten eingehender als bisher geschehen zu erörtern ([X.]sbeschlüsse vom 2. August 2011 - 3 [X.] und vom 4. August 2011 - 3 [X.], [X.], 672) und sich hierbei vor allem auch mit dem fortgeschrittenen Alter des Angeklagten und einer etwa damit einhergehenden geringeren Gefährlichkeit auseinanderzusetzen haben.

3. Der [X.] hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein anderes [X.] zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 [X.]).

Becker                                            Pfister                                           Sost-Scheible

                        [X.]

Meta

3 StR 374/11

20.12.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hannover, 21. Juni 2011, Az: 70 KLs 1/11 - 3754 Js 34806/03

§ 55 Abs 1 S 1 StGB, § 64 StGB, § 66 StGB, § 72 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.12.2011, Az. 3 StR 374/11 (REWIS RS 2011, 210)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 210

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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